Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, November 28, 2006

Der Hauch des Todes (Tagesspiegel)

Der Hauch des Todes
Der Ex-Spion Alexander Litwinenko wollte einen Mord aufklären. Dann wurde er vergiftet – und der Verdacht fällt auf Moskau

Georgi Markow war auf dem Weg zur Arbeit. Wie jeden Morgen überquerte der Journalist die Waterloo Bridge zu Fuß und stellte sich an die Bushaltestelle, um in die Redaktion der BBC zu fahren. Plötzlich fühlte er einen kurzen, heftigen Schmerz, im Gedränge der Rushhour hatte sich eine Regenschirmspitze in sein Bein gebohrt – ein Versehen, dachte er wohl. Drei Tage später war Markow tot, vergiftet. Jahrelang hatte der bulgarische Dissident die kommunistische Tyrannei im Ostblock angeprangert, dafür wurde er schließlich vom KGB umgebracht.

Es ist eine Geschichte des Kalten Krieges. Der Regenschirm-Mord geschah am 7. September 1978. Aber seit dem Wochenende schwirren durch London Vermutungen, dass es auch 17 Jahre nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung noch Geheimagenten gibt, die auch im Westen auf offener Straße, am helllichten Tag morden. Streng bewacht in einem Londoner Krankenhaus ringt der ehemalige Offizier des russischen Geheimdienstes Alexander Litwinenko mit dem Tod. Der 43-Jährige war Ende der 90er Jahre vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB desertiert, floh nach Großbritannien und erhielt hier politisches Asyl. Seither ist er ein unnachgiebiger Gegner der russischen Regierung. Nun wurde auch er vergiftet. Und in seiner Umgebung beschuldigen alle den FSB.

Piccadilly Street 167, eine der edelsten Gegenden Londons. In der Nachbarschaft das Hotel Ritz, gegenüber der Diamantenhändler De Beers, in der Nähe auch die Old Bond Street mit Cartier und Chanel. Auch eine Filiale des Sushi-Schnellrestaurants Itsu liegt hier. Schwarzer Granitboden, schwarze Ledersitze, großformatige Fotos von Kirschblüten, Kokon-Lampen und Männer und Frauen in schwarzer Kleidung vor dem Kühlregal voller Pappbecher mit Miso-Suppe für vier Pfund 95. „Ist das nicht hier, wo das mit dem Russen passiert ist?“, fragt ein Mann im Anzug. „Ja, es ist hier passiert“, sagt der Filialleiter. Und dass der Russe Stammkunde war.

Wann es passiert ist und wie, darüber herrscht in London reichlich Verwirrung und Ärger in Moskau, aber dazu später. Bekannt ist nur so viel: Am 1. November traf Litwinenko hier den Italiener Mario Scaramella, einen Umweltprofessor aus Neapel, der in Geheimdienstkreisen seit vielen Jahren bekannt und offenbar gut vernetzt ist. Scaramella hatte das Treffen angeregt, um Litwinenko ein Dokument vorzulegen, das Hinweise auf die Mörder der russischen Journalistin Anna Politkowskaja enthalten sollte; über die Hintergründe des Mordes hatte Litwinenko zuletzt recherchiert. Politkowskaja ist erst kürzlich vor ihrer Haustür in Moskau erschossen worden; man vermutet, weil sie Wladimir Putins Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien vorgeworfen hatte.

Das Papier, das Scaramella an Litwinenko übergab, war der Ausdruck einer E-Mail. „Mario wollte, dass ich das Dokument sofort lese“, so hat sich Litwinenko in einem Gespräch mit einem befreundeten Journalisten im Krankenhaus erinnert, bevor sein Zustand sich dramatisch verschlechterte. „Da tauchte eine Reihe von Namen auf, unter anderem auch die von FSB-Offizieren, die angeblich mit dem Tod der Journalistin in Verbindung stehen sollten“, sagte er. „Warum er mich treffen wollte, um mir das zu zeigen, weiß ich nicht. Er hätte es doch per E-Mail an mich schicken können.“

Scaramella soll nervös gewesen sein, wollte auch nichts essen. Nur Litwinenko bestellte sich eine Kleinigkeit und trank ein Glas Wasser. Nach kurzer Zeit trennten sich die beiden Männer wieder, und wenige Stunden später ging es dem Russen nicht mehr gut. Übelkeit, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Kreislaufschwäche – zunächst deutete alles auf eine Lebensmittelvergiftung hin. Seine Frau Marina brachte ihn ins Krankenhaus nach Barnet im Norden der Stadt, wo er stationär behandelt wurde. Aber es ging ihm schlechter und schlechter. Die Nervenenden wurden immer empfindlicher, schon ein Windhauch verursachte ihm bestialische Schmerzen. Als ihm dann nach zehn Tagen sämtliche Haare ausfielen, war die Diagnose klar: „Keine Frage, hier handelt es sich um eine Vergiftung mit Thallium“, erklärt der Toxikologe Doktor John Henry vom University College Hospital, in dem Litwinenko seit letzter Woche behandelt wird. „Es ist ein klares, geruchsfreies und geschmackloses Nervengift, von dem schon eine Prise tödlich ist.“ Dass Litwinenko überhaupt noch am Leben ist, scheint dem Facharzt „absolut ungewöhnlich“.

Ein Freund von Litwinenko erklärt es damit, dass der ehemalige Agent „extrem fit“ war. „Er ist jeden Tag fünf Meilen gejoggt und hatte eine Kondition wie ein Stier“, sagt Alex Goldfarb. „Jetzt sieht er aus wie ein alter Mann, der mehrere Chemotherapien hinter sich hat.“ Das Gift hat die Nieren lahmgelegt und alle anderen Organe geschädigt. Zudem ist das Rückenmark zerstört. „Der Patient hat keine weißen Blutkörperchen mehr, das bedeutet, dass sein Immunsystem vollkommen außer Gefecht gesetzt wurde“, berichtet Doktor Henry. „Seine Überlebenschancen liegen bei 50 Prozent.“ Ob eine Rückenmarktransplantation ihn retten kann, ist nicht gewiss.

Wer aber hat Litwinenko vergiftet? Scaramella ist offenbar unschuldig. Nach allem, was über die Zusammenkunft im Sushi-Restaurant bekannt ist, hätte er gar keine Möglichkeit gehabt, das Thallium in Litwinenkos Sushi oder sein Wasser zu tun. Und die Tatsache, dass das Treffen innerhalb von wenigen Stunden arrangiert wurde, schließt wohl auch aus, dass ein Mitarbeiter des Restaurants Litwinenkos Essen vergiftet hat. Außerdem hat Scaramella selbst letzte Woche Kontakt mit Geheimdienstlern an der britischen Botschaft in Rom aufgenommen, um seine Seite des Falls zu schildern. Er selbst fürchte nun um sein Leben, hieß es am Montag in der britischen Zeitung „Daily Mail“ unter Berufung auf nicht genannte italienische Quellen.

Wahrscheinlicher scheint derzeit dagegen die These, dass Litwinenko am Morgen desselben Tages vergiftet wurde. „Vor der Verabredung mit Scaramella traf er sich in einem Hotel in der Innenstadt mit einem russischen Kontaktmann zum Tee“, sagt Marina Litwinenko.

Über diese morgendliche Teestunde ist nichts bekannt. Aber es ertönen Stimmen, die den russischen Geheimdienst direkt verantwortlich machen. „Dieser versuchte Mord geht auf das Konto der Russen, und die Anordnung kam von ganz oben“, sagte Oleg Gordijewsky der „Times“; Gordijewsky ist ebenfalls ein ehemaliger FSB-Offizier. Lange Zeit hat er als Doppelagent für die Russen und den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet, bis er vor einiger Zeit ganz auf die britische Seite gewechselt ist. Beim FSB nimmt man seine „Auslassungen“ allerdings „mit Verwunderung“ zur Kenntnis. Der Sprecher des FSB dementierte alle Verdächtigungen gestern mit dem Kommentar, schon „seit der Ermordung eines ukrainischen Rebellenchefs 1958 hätten KGB und dessen Nachfolgeorganisationen niemanden mehr physisch liquidiert“. Und der des Auslandsgeheimdienstes SWR, Sergej Iwanow, steuerte in London die Bemerkung bei, die Geheimdienste griffen „nicht mehr auf Mittel wie Vergiftung oder andere Mordformen zurück“.

Alexander Litwinenkos Opposition zur russischen Regierung begann Ende der 90er Jahre, als er seine Vorgesetzten in den russischen Medien beschuldigte, einen Mord am Oligarchen Boris Beresowski zu planen, der sich als Wladimir Putins Gegner aufgestellt hatte. Die Reaktion kam prompt: Ein Militärgericht verurteilte ihn zu dreieinhalb Jahren Haft – angeblich, weil er einen Verdächtigen während einer Routinebefragung zusammengeschlagen hatte. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Es sollte ein Warnschuss sein, aber Litwinenko hörte nicht hin.

Bald erhob er Korruptionsvorwürfe gegen den FSB und fügte hinzu, die Korruption reiche bis in die Spitzen der Regierung. Wieder stand er vor Gericht, diesmal wegen „Missbrauch des Amtes“, und saß neun Monate im Gefängnis. Nach seiner vorzeitigen Entlassung war ihm klar, dass er in Moskau nun um sein Leben fürchten musste. „Die sind hinter dir her“, warnten Freunde.

Litwinenko ließ sich nicht einschüchtern. Nachdem er seine Frau und sich in London in Sicherheit gebracht hatte, deckte er weiter auf, was er über den Kreml wusste. Er schrieb ein Buch, in dem er immer ungeheuerlichere Vorwürfe gegen den FSB erhob. Die Bombenangriffe auf Moskauer Appartementblocks 1999, bei denen 300 Menschen ums Leben kamen, seien nicht von tschetschenischen Rebellen ausgeführt worden, sondern vom FSB selbst. Denn der habe einen Vorwand gebraucht, um erneut gegen die Kaukasusrepublik in den Krieg zu ziehen. Im September 2004, zwei Wochen nachdem das Buch erschienen war, landete eine Brandbombe im Wohnzimmer der Litwinenkos und zerstörte das halbe Haus. Aber wie vertrauenswürdig waren seine Enthüllungen? Viele vertrauen ihm, manche nicht, sogar in seinem Heimatland.

Moskau, Montagmorgen. „Litwinenko?“ Roman Schleinow zieht kurz die Augenbrauen hoch: „Der Mann interessiert mich nicht.“ Schleinow, Anfang dreißig, sanfte Augen, rundes Gesicht, ist Enthüllungsjournalist und arbeitet für die „Nowaja Gaseta“, zu deren Stars auch Anna Politkowskaja gehörte. Schleinow sagt, Litwinenko mache mit dem Giftanschlag Werbung in eigener Sache.

Litwinenko, sagt Schleinow und hantiert gleichzeitig mit zwei Mobiltelefonen, während er sein Auto durch den Morgenstau in Moskau steuert, habe schon enttäuscht, als es damals um angebliche Beweise für die Beteiligung des FSB bei den Sprengstoffanschlägen in Moskau ging. „Warum ihm jetzt glauben?“ Die Aufregung um Litwinenko könne er daher „nicht nachvollziehen“.

Und die Ängste, mit denen hiesige Journalisten seit dem Mord an Politkowskaja und der Londoner Giftattacke kämpfen? Schließlich steht auch Schleinow auf der Liste der „100 größten Feinde des russischen Volkes“, die ein Abgeordneter der nationalistischen Schirinowski-Partei auf seiner Internetseite platziert hat. „Tja“, sagt Schleinow und späht nach einer Lücke in der Autoschlange vor ihm. Das sei schon heftig, die Gefahren jedoch sehr ungleich verteilt. „Am meisten Angst müssen die Kollegen haben, die in den Provinzen irgendwelche lokalen Schweinereien aufgedeckt haben. Nach einem erschossenen oder krankenhausreif geprügelten Provinzschreiber kräht kein Hahn. Schon gar nicht im Ausland.“

Die Ampeln stehen auf Rot, Putin fährt zur Arbeit in den Kreml. „So paradox es klingen mag“, sagt Roman Schleinow, „Journalisten überregionaler Medien sind in Russland nicht allzu sehr gefährdet. Die Machthaber jaulen kurz auf, wenn sie angezählt werden. Angesichts der Informationsfülle interessiert sich am Tag danach aber niemand mehr für die Artikel von gestern.“

Ganz anders dagegen liegt aus seiner Sicht der Fall bei international bekannten Stars der Branche wie Anna Politkowskaja, die „den Dreck aus der Hütte nach außen tragen“. Das sei „kreuzgefährlich“. Denn die Mächtigen im Kreml könnten bei Treffen mit ausländischen Politikern darauf angesprochen werden und sich rechtfertigen müssen. Rache sei gewiss. Was man tun kann, wie sich schützen? Roman Schleinow zuckt mit den Schultern. „Den Aufstieg in diese Kaste habe ich noch nicht geschafft.“



Mitarbeit: David Byers und Claudia Keller

Saturday, November 18, 2006

Die Genialität des Ferenc Puskas (Welt)

Fussball
Die Genialität des Ferenc Puskas
Der Fußballer bescherte den Ungarn Hoffnung und Glücksmomente. Puskás war eins mit dem Ball, ein Wirbelwind - und kein Mann des Friedens. Der ungarische Schriftsteller Peter Esterhazy würdigt den am Freitag gestorbenen Nationalhelden.
Von Peter Esterhazy


Als ich mich kürzlich im Friedhof von Friedenau anstellte, um an der Urne des Lyrikers Oskar Pastior Abschied zu nehmen, fühlte ich keine Trauer, ich dachte vielmehr mit der an ihm beobachteten (von ihm erlernten?) Heiterkeit an seine Bücher, an die Vollständigkeit, die er hinterlassen hat, an sein feines, leises und konsequentes Lachen. Knapp vor mir trat W. an die Urne, er verharrte, nahm vom Sand, um ihn hinzustreuen, und da verzerrte auf einmal schmerzhaftes, hoffnungsloses Entsetzen sein Gesicht, bis zum Verkrampfen seiner Gesichtsmuskeln, so dass auch ich bestürzt erkannte, wo ich überhaupt war, was hier eigentlich ablief.

So geht es mir jetzt auch mit Puskas. Ich wusste, dass er seit langem schwer krank war, und die Spitalsberichte der letzten Tage deuteten klar auf das hin, was jetzt eingetreten ist. Das große und vollständige Leben eines großen Menschen ist zu Ende gegangen. Auch sein Leiden hat ein Ende. Die Ungarn betrachten sich gern als ewige Verlierer, als Opfer, als die Leidtragenden der Geschichte; einmal überfallen die Türken unser verwaistes Land, ein anderes Mal die Kommunisten, und wieder ein anderes Mal lässt uns der Westen im Stich. Im Grunde genommen gibt es nur zwei Ausnahmen, König Mathias Corvinus (15. Jahrhundert) und Ferenc Puskas. Er war für uns Ungarn wie der Garant einer Parallelwelt, in der Gerechtigkeit herrscht, wo bei Abseits gepfiffen wird und uns alle offensichtlichen Elfmeter gegeben werden; er war wie der jüngste Königssohn im Märchen, dem - an unserer Statt - alles gelingt. (Fast alles, dieses "fast" aber, wie er sich aus der unergründlichen Tiefe des Entscheidungsspiels 1954 wieder in höchste Höhen erhob, das macht diese Größe nicht nur größer, sondern auch wahrhaftiger.)
Dadurch, dass man in Ungarn nach 1956 kaum von ihm sprechen durfte (ein wenig in der Art, wie man auch von der 1956-er Revolution nicht sprechen durfte), dadurch war er uns zugleich sehr nahe und sehr fern. Wie es eben einer Legende geziemt. Schon im Leben hatte er etwas Wundersames an sich, etwas Überirdisches, wie gesagt, eine märchenhafte Größe, der in wundersamer Weise wir alle und das ganze Land teilhaftig wurden. So konnte er mehr sein als ein ausgezeichneter Fußballspieler, so konnte er ein Symbol werden. Auch deshalb schrieb ich oft über ihn, oft und gern, und den Moment, in dem ich ihn persönlich kennen lernen durfte, zähle ich ohne jegliche literarische oder anekdotische Übertreibung zu den großen Momenten meines Lebens. Gleichwohl würde ich diesen Augenblick kaum wahrhaftig nennen.

Puskas ist also der, mit dem etwas aus der Welt schwindet, anders wird, sich verändert, nicht mehr so ist wie vordem, und auch nie wieder so sein wird. Wird dieses Jahrhundert nicht überhaupt vom Verlust der Unschuld gekennzeichnet? Und vom Verwerfen sämtlicher Schranken bei gleichzeitiger Einsicht in die Notwendigkeit ihrer Existenz? Ich spreche zugleich (ich weiß, ich weiß, ich "spreche" nur) von den Naturwissenschaften, die die Natur besiegen, jedenfalls aber voll und ganz erkennen wollen, von Gödel, der auf die theoretischen Schranken der Mathematik hinweist, vom totalen Krieg und von Heisenbergs Unschärfe-Relation, von Auschwitz, vom Loch in der Geschichte, das einen unvermeidlichen Teil der Geschichte darstellt, und von der Lichtgeschwindigkeit, von der es sich erwiesen hat, von der wir bewiesen haben, daß wir sie niemals erreichen können. Armer Puskas.

Die Genialität des Ferenc Puskas (2)

Puskas teilte Heisenbergs Ansicht nicht, er wusste stets Bescheid über den Ort, wo sich der Ball befand, ja, auch über seine Geschwindigkeit (allerdings findet Fußball in der Welt Euklids statt, in der die Summe der Torstangenwinkel immer 180 Grad beträgt).

Ich konnte ihn nicht mehr spielen sehen, nur einmal, im Jahr 1981, sozusagen post festa, als er das erste Mal nach 1956 wieder ungarischen Boden betrat und man für ihn im Nepstadion ein Galamatch veranstaltet hatte. Das "System" hat ihm sozusagen verziehen, dass sein großer Sohn ihm 1956 den Rücken kehrte, es freute sich, dass es von Puskás legitimiert wurde, ich erinnere mich an etliche verkommene kadaristische Sätze, die, der Beschaffenheit des Systems entsprechend, etwas und zugleich nichts aussagten.

Puskas war damals schon 54, mit einem ungeheueren Bauch, eigentlich die Parodie seines Selbst, man könnte sagen, auf diese übergewichtige Art zeitgemäß, was, das Parodistische nämlich, von der Nostalgie der 100.000 Menschen auch gar nicht verhüllt wurde, denn es handelte sich bereits um die nüchterne oder ironische Nostalgie der achtziger Jahre, eine Mischung aus Bewunderung und Spöttelei.

Als aber Puskas einmal mit seinem gewissen legendären Linken den Außenstürmer in einer Weise losschickte, dass dabei der Ball nach einer Flugbahn von 40 Metern die Frisur des Verteidigers streifend hinter diesem aufkam, und zwar so, dass der Stürmer gerade in dem Moment einlief, sich mit diesem Laufschritt bereits den uneinholbaren Vorsprung sicherte, da hielten 100.000 müde Menschen den Atem an: die menschliche Genialität offenbarte sich vor ihren Augen wie ein Engel. (Diese langen Pässe können erfolgreich trainiert werden, je öfter, umso besser beherrscht man sie. Ich, der talentierte Kleinfußballer, habe das an Ort und Stelle erfasst, ich würde ungefähr 357 Jahre Übung brauchen, um das zu können.)

Genialität ist nicht identisch mit herausragenden Fähigkeiten. Czibor dribbelte unergründlicher, Kocsis köpfelte besser als sonst jemand auf der Welt, der ebenfalls geniale Bozsik war verlässlicher, Budai schneller, Lorant positionsgemäß härter, überhaupt, der rechte Fuß Puskas' war ausschließlich vom menschlichen Gesichtspunkt aus bewertbar, vom fachlichen her nicht. Sein Genius lag in seiner Fähigkeit, sich mit dem Spiel zu identifizieren, er war eins damit, das heißt, er bestimmte die Welt (ich spreche vom Rechteck des Platzes), an sich der moderne Traum, nicht wahr?, und wählte nicht aus den von der Welt vorgegebenen, vorbestimmten Möglichkeiten das Beste aus. Das ist das Zeitlose an ihm. Puskas schuf die Einheit der Person und der Gemeinschaft, ohne die er, die Person, nicht hätte existieren können. Nicht als ob er eine angenehme Persönlichkeit gewesen wäre, er zankte, stritt und dirigierte fortwährend. Ein Wichtigtuer, kein Mann des Friedens. Ein Wirbelwind, sagten seine Zeitgenossen über ihn.
Aber: er musste nicht bedient werden, er diente und lenkte zugleich. Er unterwarf sich dem, was er geschaffen hatte. Er war eins mit dem Ball. Darüber gibt es zahlreiche Anekdoten. Als bei einem Training ein Kind den vom Platz gerollten Ball mit der Hand zurückwarf, brach er angeblich in Tränen aus. Er schluchzte: "Mit der Hand! Habt ihr das gesehen, er hat den Ball mit der Hand angefasst!"

Fussball
Die Genialität des Ferenc Puskas (3)
Heute Vormittag läutete mein Telefon, ein ehemaliger Fußballergefährte rief mich an, mit dem ich vor etwa 35 Jahren in jener legendär gemachten vierten Klasse gespielt hatte, ich sah ihn seitdem vielleicht ein einziges Mal. Er ist gestorben, sagte er, und es war klar, an wen er gedacht hatte. Seiner Stimme war anzumerken, dass er am Rand des Weinens stand. Ich hörte ihm gereizt zu, mir waren gerade so schöne Gedanken in den Sinn gekommen. So ist also nichts mehr geblieben, sagte er und brach tatsächlich in Weinen aus, als hätte jemand den Ball mit der Hand angefasst. Ich traute mich nicht, auch nur irgend etwas zu sagen, ich dachte an W’s Gesicht im Friedhof von Friedenau.

Legenden sterben nicht, dieser Gemeinplatz fiel mir ein, als Trost. Wir, die anderen, wir sterben.
Übersetzung aus dem Ungarischen: György Buda
Artikel erschienen am 17.11.2006

Abschied vom großen kleinen Major (fr)

Abschied vom großen kleinen Major
Der ungarische Jahrhundert-Fußballer Ferenc Puskás starb im Alter von 79 Jahren in Budapest / Das Trauma von Bern bestimmte sein Leben
VON ERIK EGGERS

Vorhang auf zum Drama von Bern (ap)
Ganz Ungarn hatte sehnsüchtig auf ihn gewartet. Als Ferenc Puskás 1981 wieder ein Stadion in seinem Heimatland betrat, erfüllte bei seiner Vorstellung im Budapester Nep-Stadion "ein minutenlanges, ohrenbetäubendes, Himmel und Erde erschütterndes Jubelgebrüll die Arena". So berichtete es ein ergriffener Augenzeuge. Über das Gesicht des Fußballstars, der in den 50-er Jahren populärer war als jeder Nobelpreisträger, Schauspieler oder Politiker seines Landes, rollten Tränen der Rührung. Die Fans, sie liebten ihn noch immer. Obwohl er ein Vierteljahrhundert fort gewesen war.

Der Mann, den alle wegen seiner 1,69 Meter Körpergröße nur "Ösci" (kleiner Onkel) nannten, wurde am 2. April 1927 in einem Budapester Arbeiterviertel geboren. "Kein Stürmer kam mit einem solch wundervollen linken Bein auf die Welt wie er", urteilte einmal Pelé. Puskás' außergewöhnliches Talent wurde bald erkannt. Schon mit 16 Jahren spielte er für Kispest Budapest, sein Debüt in der Nationalmannschaft gab er, 18-jährig, am 20. August 1945 in Budapest gegen Österreich (5:2). Der linke Halbstürmer sollte insgesamt 84-mal für Ungarn spielen und dabei unglaubliche 83 Tore erzielen.

Die Offenbarung von Wembley

Zum Mythos machte ihn die Zeit als Kapitän des so genannten "Goldenen Teams", das zu Beginn der 50-er Jahre als unschlagbar galt. Unter Trainer Gustav Sebes blieb Ungarn 32 Spiele lang ungeschlagen, weil "Major" Puskás sich beim Armeesportklub Honvéd Budapest (dem Kispest-Nachfolger) mit seinen Kameraden unter Profibedingungen einspielen konnte. Auf dieser Basis wurde Ungarn 1952 in Helsinki gefeierter Olympiasieger. Vor allem aber zerstörte die Wunderelf im November 1953 den Nimbus der englischen Unbesiegbarkeit, als sie - als erste Mannschaft vom Kontinent - den Lehrmeister des Fußballs erstmals auf dessen Boden schlug. Dieses legendäre 6:3 von Wembley galt den Zeitgenossen als spielerische Offenbarung. Schon damals war Puskás das Zentrum des ungarischen Kombinationsspiels, da er aufbauen, vorbereiten und vollstrecken konnte. "Das Spiel war so schön. Ich stand nach dem Abpfiff gedankenverloren auf dem Rasen und dachte, hier müsste man Puskás ein Denkmal bauen", schwärmte György Szepesi, der berühmte ungarische Radioreporter, nach der Partie.

Wie privilegiert und populär Puskás, Hidegkuti, Czibor, Boszik & Co. im kommunistischen Ungarn waren, wie frei sich sie bewegen konnten, belegt die berühmte Anekdote von der Grenzkontrolle nach dem Triumph von Wembley. "Haben Sie etwas zu melden?", soll der Zollbeamte gefragt haben. Puskás antwortete lachend: "Melde gehorsamst: Wir haben 6:3 gewonnen" - während er seinen Koffer mit Schmuggelware kaum heben konnte.

Die Engländer sollten bereuen, sich auf eine Revanche gelassen zu haben. Im Nep-Stadion gingen sie im April 1954 mit 1:7 unter - gegen den kommenden Weltmeister, wie sich nun alle Experten einig waren. Dass es dazu in der Schweiz nicht kam, lag auch an Werner Liebrich. Der Mittelläufer vom 1. FC Kaiserslautern streckte Puskás im WM-Vorrundenspiel in Basel beim Stand von 1:5 (Endstand 3:8) brutal nieder - eine Aktion, die Augenzeugen eher als Attentat denn als Foul bewerteten. "Dreimal hat Liebrich es versucht, beim dritten Mal hat er ihn getroffen", sagte Verteidiger Jenö Buzánszky. Wegen des malträtierten Knöchels fehlte der ungarische Spielmacher in den Spielen gegen Brasilien (4:2) und Uruguay (4:2 n.V.). Auch der Einsatz im Finale am 4. Juli 1954 gegen Deutschland war gefährdet. Puskás spielte trotzdem. Und blieb in diesen regenreichen 90 Minuten von Bern, die doch der Höhepunkt seiner Karriere sein sollten, trotz seines Tores zum 1:0 nur ein Schatten seiner selbst. Fassungslos nahm er den 2:2-Ausgleich des krassen Außenseiters Deutschland durch Helmut Rahn auf, wütend reagierte er auf Rahns Siegtreffer sechs Minuten vor Schluss. Es hätte vieles anders laufen können im weiteren Leben von Puskás, wäre sein Ausgleichstreffer zum 3:3 im Gegenzug nach Sándor Kocsis' Kopfballvorlage anerkannt worden. Doch der englische Schiedsrichter Bill Ling entschied auf Abseits.

Ins Abseits gerieten Puskás und seine Mitspieler in Ungarn nach der Niederlage. Zu den absurdesten Vorwürfen gehörte damals, Puskás habe das Endspiel an die Deutschen verkauft. Als 1956 der Ungarn-Aufstand scheiterte, blieb Puskás wie viele seiner Mitstreiter (Kocsis, Hidegkuti) im Westen und läutete damit den Untergang des ungarischen Fußballs ein. Zwei Jahre wurde er gesperrt. Erst 1958 unterschrieb er bei Real Madrid, wo er ein kongeniales Gespann mit dem großen Argentinier Alfredo di Stefano bildete. Puskás feierte mit den Königlichen viele Erfolge, gewann dreimal den Europapokal der Landesmeister, einmal den Weltpokal, fünfmal die spanische Meisterschaft, einmal den Pokal, und wurde, wie zuvor schon in Ungarn, auch in der spanischen Liga viermal Torschützenkönig.

Als er 1966 seine Karriere beendete, hatte er noch viermal für Spanien gespielt. Erst 1992, als der Eiserne Vorhang gefallen war, kehrte er endgültig nach Ungarn zurück. Gestern ist Puskás, der berühmteste ungarische Fußballer der Geschichte, nach langer Krankheit im Alter von 79 Jahren in Budapest gestorben.

Friday, November 17, 2006

Falsches Lob des Kommunismus (fr)

Falsches Lob des Kommunismus
Die Staatssicherheit versuchte sich auch als Politikberaterin - mit zweifelhaftem Erfolg. Meldungen aus der DDR / Von Siegfried Suckut

Wer an das Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der früheren DDR denkt, der wird vor allem die schier endlosen Aktenregale und die Millionen von Karteikarten vor Augen haben, die dieser gigantische Repressionsapparat hinterlassen hat. Kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist dagegen eine andere Funktion der von Erich Mielke geleiteten politischen Geheimpolizei der SED, die man in einem vergleichsweise überschaubaren Aktenbestand dokumentiert findet: Die Stasi als Berichterstatterin an die politische Führung über alle sicherheitsrelevanten Entwicklungen im Lande, als Meinungsforscherin, die festhielt, wie die Bevölkerung über die Herrschenden dachte, als Erfassungsstelle all dessen, wovon die gelenkten DDR-Medien so gut wie nie berichteten: Ausreiseanträge, "Havarien" in den VEB, Grenzzwischenfälle und Probleme mit den sowjetischen Soldaten im Lande.

Wer sich ein realistisches Bild von der Situation in der DDR machen will, darf sich bei der Analyse nicht auf diese Berichte beschränken, er muss auch Überlieferungen anderer Provenienz zurate ziehen und bedenken, dass nicht immer alles zutraf, was das MfS aus den Informationen seiner Zuträger herausdestillierte. Doch sind die Aufzeichnungen der Stasi eine aufschlussreiche, unverzichtbare Quelle für jeden, der versucht, der Wahrheit über die DDR nahe zu kommen.

Die Abteilung Bildung und Forschung der Behörde der Bundesbeauftragten hatte schon früh die Aufarbeitung dieser Unterlagen beschlossen, inspiriert auch von den bereits seit langem vorliegenden "Meldungen aus dem Reich", den Berichten des Sicherheitsdienstes der SS 1938-45. Nach Abschluss grundlegender Projekte zu den Strukturen und Methoden des MfS wird die Abteilung nun mit der sukzessiven Herausgabe der "Meldungen aus der DDR" beginnen und damit auch einem seit längerem geäußerten Wunsch vieler Fachkollegen entsprechen.

In einem Pilotprojekt sollen zunächst aus den einzelnen Jahrzehnten der DDR-Geschichte jeweils die Berichte eines ausgewählten Jahres ediert und analysiert werden. Begonnen wird mit dem Jahr 1976. Der vorliegende Beitrag soll am Beispiel dieses Jahrganges verdeutlichen, welche Erkenntnisse generell aus den Berichten an die Parteiführung zu gewinnen sind und wie die damit umging. Das Jahr 1976 ist herausgegriffen worden, weil es eines der ereignisreichsten der DDR-Geschichte gewesen ist, vor allem aber, weil zu diesem Zeitpunkt in der DDR die Auswirkungen der innerdeutschen Verträge wie der KSZE in vollem Umfang zu spüren waren und sich das Verhalten relevanter Teile der Gesellschaft gegenüber den Herrschenden zu verändern begann, was sich unter anderem in der wachsenden Zahl der Ausreiseanträge niederschlug. Bei der Analyse der Berichte soll insbesondere untersucht werden, inwieweit das Ministerium für Staatssicherheit erkannt hatte, dass die Folgen der innerdeutschen und europäischen Entspannungspolitik die Macht der SED im Lande untergruben und zu einer latenten Bedrohung ihrer Herrschaft führten. Eine Erwartung war, der Staatssicherheitsdienst werde gerade die Folgen der Entspannungspolitik besonders deutlich registriert, als Seismograph für schleichenden Machtverlust der SED fungiert und sie gewarnt haben.

Erteilt wurde der Informationsauftrag an die Staatssicherheit nach dem 17. Juni 1953, als der SED-Führung die Bedeutung zuverlässiger Berichte über die Lage im Lande schmerzhaft bewusst geworden war. Um aufkeimender Unzufriedenheit zukünftig umgehend begegnen zu können, wurde vom Staatssicherheitsdienst im August 1953 eine Informationsgruppe gebildet, die zunächst täglich über die Stimmungen in der Bevölkerung, "gleichgültig, ob positiv oder negativ". Es gehe darum, so präzisierte ein späterer Befehl, "die führenden Funktionäre der Partei, des Staates und der Regierung der DDR qualifiziert und objektiv über die Lage in der DDR und besonders über die Absichten und Pläne der Feinde des Friedens und des Sozialismus gegen die DDR zu unterrichten".

Die Stasi-Auswerter hielten sich offenbar daran, was dazu führte, dass SED-Chef Ulbricht schon rasch sein Interesse gerade an den Stimmungsberichten verlor und sie als Ärgernis empfand: Es handle sich inhaltlich um eine Form der "legalen Verbreitung feindlicher Hetze" monierte er 1957, was anscheinend dazu führte, dass gerade der bald darauf zum Minister ernannte Mielke die Berichtsentwürfe seiner Mitarbeiter mit besonderer Vorsicht behandelte: Die SED-Führung wollte informiert, zugleich aber in ihrer eigenen ideologiegeprägten Lagebeurteilung bestätigt werden. Ein unüberbrückbarer Widerspruch.

Vier Jahre nach dem Mauerbau wurde die mittlerweile auf 13 Mitarbeiter angewachsene, Mielke direkt unterstellte Einheit zur Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) aufgewertet und nun kontinuierlich ausgebaut. Am Ende der DDR zählte sie 423 Mitarbeiter.

Ihre Hauptaufgabe war es, Erkenntnisse anderer MfS-Gliederungen auszuwerten und das Wichtigste in "Informationen" für die Partei- und Staatsführung zusammenzufassen. Sie gingen als Entwurf mit Angabe des vorgesehenen Verteilers zunächst an Mielke, der Veränderungen vornehmen konnte und über die Weitergabe an die Parteiführung entschied. Bedacht wurden in den siebziger Jahren bis zu 10, im Schicksalsjahr 1989 mitunter mehr als 20 Adressaten. Häufiger fanden Informationsentwürfe offenbar nicht das Plazet des Ministers und wurden, ohne Angabe von Gründen, nicht herausgegeben. Im Jahre 1976 betraf das fast jeden zehnten der Inlandsberichte.

Obwohl auch sonstige MfS-Erkenntnisse in Einzelfällen an den SED-Generalsekretär weitergeleitet wurden, waren die ZAIG-Informationen die wichtigste Form schriftlicher Kommunikation zwischen dem MfS und der Partei- und Staatsführung. Daneben verfügte Mielke über einen direkten persönlichen Kontakt zu Honecker: Nach den Politbüro-Sitzungen trafen beide zu vertraulichen Gesprächen zusammen. Was jeweils besprochen wurde, ist nicht dokumentiert, so dass auch kein abschließendes Urteil über Mielkes Verhalten Honecker gegenüber möglich ist, doch vermittelt die von ihm getroffene Auswahl von ZAIG-Informationen immerhin einen guten Eindruck davon, worüber er ihn unterrichten wollte und worüber nicht.

Die durchweg als "streng geheim" eingestuften Papiere mussten von den Empfängern nach Kenntnisnahme wieder zurückgegeben und durften nicht weitergeleitet werden. Selbst Honecker scheint sich daran gehalten zu haben. Dem Minister für Staatssicherheit ermöglichte dieses Verfahren, zu entscheiden, wer wovon in Kenntnis gesetzt wurde und den einen oder anderen gezielt auszuschließen. Die einzelnen "Informationen" hatten im Jahr 1976 einen Umfang von vier bis fünf Seiten, in den wenigen Fällen, in denen Anlagen beigefügt waren, auch wesentlich mehr. Täglich verfasste das MfS 2-3 solcher Berichte, im Jahr 1976 insgesamt 897.

Zwei Drittel, 604, stammen von der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) und beziehen sich nicht auf die Lage in der DDR, sondern auf die in der Bundesrepublik und anderen nichtsozialistischen Staaten. Sie handeln unter anderem von der Elektronik des neuesten Bundeswehr-Panzers, der algerischen Politik in der Westsahara und aktuellen Entwicklungen in der West-Berliner SPD. Während die Inlandsberichte im Wortlaut vorliegen, sind von denen der HV A häufig nur die Themen überliefert. Interessant waren die HV A-Meldungen vor allem für die Verantwortlichen der West- und Militärpolitik. Immerhin hielt Mielke 102 für so bedeutend, dass er sie auch Honecker zustellte. Der erhielt erstaunlicherweise im Jahre 1976 von seinen "Tschekisten" mehr HV A-Berichte als solche zur Lage in der DDR, denn nur 84 der 294 Inlands-Informationen waren auch an ihn adressiert.

Das lässt bereits erkennen, dass aus der Sicht der Stasi die Sicherheit im Lande nicht akut gefährdet schien. Die DDR sei "gefestigter denn je", hatte Mielke schon im Januar verkündet und sie stets zu den zehn führenden Industriestaaten gerechnet. Der "Imperialismus" dagegen habe seine "einstmals beherrschende Stellung in der Welt für immer und endgültig verloren." Diese Weltsicht prägte auch die Informationspolitik des MfS. Den Genossen an der Spitze von Staat und Partei sollte offenbar suggeriert werden, nicht zuletzt dank der Spionageerfolge befinde sich die DDR gegenüber der Bundesrepublik in der Offensive.

Von den 294 Inlandsberichten war die größte Gruppe eher buchhalterischer Art und listete auf, wie viele DDR-Besucher und Transitreisende es in der jeweils zurückliegenden Woche gegeben und welche Deviseneinnahmen die DDR dadurch erzielt hatte. Berichtsschwerpunkte waren zudem größere Betriebsunfälle, Flucht und Ausreise, Entwicklungen in den Kirchen und politisch oppositionelles Verhalten.

Keine der Informationen im Jahr 1976 ist als umfassender Bericht über die politische Stimmung innerhalb der Bevölkerung einzustufen. Dreizehn von ihnen geben immerhin wieder, wie einzelne Gruppen auf bestimmte Entscheidungen der politischen Führung reagiert hatten, etwa Schriftsteller auf den Ausschluss Reiner Kunzes aus ihrem Verband oder die Anhänger und Freunde Wolf Biermanns auf dessen Ausbürgerung. Dabei hatten die Diensteinheiten des MfS eine Vielzahl von Stimmungsberichten verfasst, die etwa die Reaktionen der Bevölkerung auf die Beschlüsse des IX. Parteitages, die Konferenz der Kommunistischen Parteien in Ost-Berlin, die Selbstverbrennung von Pfarrer Brüsewitz oder die Volkskammerwahlen im Oktober betrafen. Sie ähnelten inhaltlich den Berichten der SED-Bezirkschefs und der Blockparteien, blieben aber MfS-internes Arbeitsmaterial. Offenbar wirkte die Ulbricht-Kritik aus den fünfziger Jahren nach.

Fast alle HV A-Berichte, aber nur 25 der Inlandsinformationen leitete Mielke auch an den KGB weiter. Dabei ging es vor allem um Besuche von Angehörigen der Westalliierten in Ost-Berlin, Grenzzwischenfälle und Probleme mit Rotarmisten in der DDR.

Auffällig im Vergleich zu den Berichten des SD der SS ist das Fehlen analytischer Verdichtung und zusammenfassender Auswertung für längere Zeitabschnitte. Halbjahresberichte zur Lage in der DDR etwa sucht man vergeblich. Das MfS konzentrierte sich auf isoliert wirkende Einzelinformationen, bevorzugt zu Entwicklungen, die über die West-Medien der eigenen Bevölkerung wie der Parteiführung bekannt werden konnten bzw. bekannt waren. Dazu gehörten Grenzzwischenfälle, der Vorwurf der Zwangsadoption von Kindern politisch Missliebiger, die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz und das Konzert Wolf Biermanns in Köln, seine Ausbürgerung und die Reaktionen im In- und Ausland.

Die Auswahl der Themen und die Art der Berichterstattung lässt ein defensives Verhalten der MfS-Führung gegenüber der Parteispitze erkennen. Berichtet wird häufig, um möglicher Kritik an den Sicherheitsorganen zuvorzukommen: Mielke warb um die Wertschätzung des SED-Generalsekretärs. So reichte er, nachdem der italienische Lastwagenfahrer und KPI-Anhänger Corghi von DDR-Grenzposten am Kontrollpunkt Hirschberg erschossen worden war, einen Bericht unter der ganz undramatisch klingenden Überschrift ein: "Information über eine unter Anwendung der Schusswaffe am 05. 08. 1976 erfolgte Festnahme eines Grenzverletzers an der Staatsgrenze zur BRD" und erwähnte erst an nachgeordneter Stelle, dass Corghi an den Folgen seiner Schussverletzungen verstorben sei. Auch Nebensächlichkeiten, die für das MfS entlastend wirken könnten, wurden ausführlich erwähnt.

Dieser Zwischenfall war der letzte in einer Kette von Fällen, in denen die DDR - "Grenzorgane" im Jahre 1976 rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht hatten. Eine Rüge Honeckers ist nicht überliefert, doch scheint er für ein weniger martialisches Grenzregime gesorgt zu haben, denn schon einen Tag später berichtete das MfS über einen Westdeutschen, der sich bereits 100 Meter auf DDR-Gebiet befunden habe. Er sei "ohne Anwendung der Schusswaffe", festgenommen und "nach eindringlicher Belehrung" in die Bundesrepublik "zurückgeführt" worden. Ein weiterer Bericht über umsichtiges Verhalten der Grenzposten trägt den handschriftlichen Vermerk, der Minister habe ihn mit Honecker persönlich "ausgewertet". Einer der ganz wenigen Fälle, in denen erkennbar wird, was Mielke im Gespräch mit dem SED-Chef beraten hat.

Hauptberichtsthema war 1976 die Ausbürgerung Biermanns und ihre Folgen. Allein in 16 Informationen ging die ZAIG darauf ein. Die meisten hatte Mielke auch an Honecker adressiert: Das Vorgehen gegen Biermann war Chefsache. Unzufriedener noch als mit dem zeitweiligen Grenzregime dürfte der Generalsekretär mit der Rolle des MfS bei der Ausbürgerung gewesen sein. Klarer als gemeinhin aus den Akten zu entnehmen, hatte Mielke darauf gedrängt, Biermann nicht wieder einreisen zu lassen, dabei aber die politischen Konsequenzen für die SED deutlich unterschätzt. "Im nachhinein möchte ich sagen, hätte man vielleicht eine andere Entscheidung treffen können", räumte Honecker nach dem Ende der DDR ein.

Zwei Tage nach Biermanns Auftritt in Köln und einen Tag vor der Beratung des Politbüros darüber gab das MfS am 15. November eine Information über Reaktionen auf den gerade erfolgten Ausschluss Reiner Kunzes aus dem DDR-Schriftstellerverband. Erste Adressaten waren, neben Honecker, die Politbüromitglieder Hager und Lamberz. Der Tenor des Berichts klang beruhigend. Der Ausschluss sei "vom überwiegenden Teil der Schriftsteller" akzeptiert worden. Als "progressiv und parteiverbunden" Einzuschätzende befürworteten ihn sogar und verbänden damit die Hoffnung, "dass diesem Schritt weitere staatliche Maßnahmen gegen Kunze und ähnliche feindlich eingestellte Kulturschaffende folgen werden". Herbert Otto, der Potsdamer Bezirksvorsitzende des Schriftstellerverbandes, habe explizit gefordert: "jetzt müsse aber in der DDR das Problem Biermann gleichfalls gelöst werden; es dürfe auf keinen Fall wegen Kunze in den Hintergrund treten". Nur einige, für ihr "negatives Auftreten" bereits Bekannte, seien nicht einverstanden gewesen.

Ebenfalls mit Datum vom 15. November und mit gleichem Verteiler gab Mielke eine erste, 82 Seiten umfassende Information über Biermanns Kölner Auftritt heraus, die auf dem Mitschnitt der westlichen Rundfunkübertragung basierte und auch die Liedtexte wiedergab. Laut handschriftlichem Vermerk wurde sie den Adressaten am 16. November, vermutlich unmittelbar vor der Politbürositzung, durch den Minister persönlich ausgehändigt. Vor jedem Lied habe Biermann "hetzerische und die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung verleumdende" Einführungen gegeben, unter anderem "diskriminierte er in übelster Weise das Ministerium für Staatssicherheit". Aus dem viereinhalbstündigen Konzert vor siebentausend Zuhörern habe der WDR in seinem II. Rundfunkprogramm von 19.05 bis 21.00 Uhr übertragen, ein Sender, der in der DDR nicht zu empfangen war.

Die Tagesordnung der Politbürositzung am 16. November war kurzfristig von 13 auf 17 Punkte erweitert worden. Hinzugefügt wurde unter anderem als Punkt 4 die "Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Wolf Biermann". Berichterstatter war allein Erich Honecker. Der Beschluss dazu lautete knapp: "Wolf Biermann wird die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt. Die Pressemitteilung wird bestätigt. Die Veröffentlichung erfolgt am 16. November 1976, abends". Weitere Informationen zum Verlauf der Sitzung wurden, wie üblich, im Protokoll nicht gegeben. Mit einer Dauer von 10-14 Uhr war dies ein ungewöhnlich langes Zusammentreffen der Parteispitze. Gleichwohl hatte sie sich auch an diesem Tag nur wenige Minuten für die Erörterung der einzelnen Tagesordnungspunkte genommen.

Mielke zeigte sich mit dem Beschluss sehr zufrieden. Was das MfS schon seit längerem angestrebt und offensichtlich auch mit der Akzentuierung seiner Berichterstattung bezweckt hatte, war eingetreten. Auf einer Versammlung von SED-Funktionären am Tag darauf kündigte er mit triumphierendem Unterton an: "Mit gleicher Konsequenz werden wir gegen alle vorgehen, die glauben, ungestraft mit feindlich negativen Aktivitäten gegen uns wirksam werden zu können, die unter dem Eindruck der Entspannung Morgenluft wittern und frech zu werden versuchen." Die Mielke-typische Rhetorik.

Zwei Tage nach der Politbürositzung trat ein, womit offenbar weder Mielke noch Honecker gerechnet hatte: Der WDR sendete am 19. November eine ungekürzte Aufzeichnung des Biermann-Konzerts bis weit nach Mitternacht im Ersten Programm der ARD. Das aber war fast überall in der DDR zu empfangen. Provozierend musste für die SED-Führung die Begründung für die nachträgliche Ausstrahlung klingen: Es gehe darum, "›Bürgern der DDR die Möglichkeit zu geben, sich davon zu überzeugen, dass sie von ihrer Regierung belogen worden seien‹". Das sei politische Einmischung und eigentlich ein Grund, "das Büro der ARD in der DDR sofort zu schließen", befand ein dem Politbüro vorliegendes Gutachten. Eine solche Reaktion könne aber die Regierungsbildung in Bonn und die Fortsetzung der Entspannungspolitik erschweren und sollte besser unterbleiben.

Gerade die authentische Information durch die ARD-Übertragung war für viele in der DDR das auslösende Moment, die Ausbürgerung zu verurteilen. Die Stasi hatte Mühe, die Vielzahl der offenen und heimlichen Protestaktionen und Solidaritätsbekundungen zu erfassen. Die Lage war ähnlich gespannt wie nach dem Einmarsch in die CSSR 1968. Nachdenklich musste es die SED-Führung machen, dass sich viele Systemloyale und selbst Parteimitglieder dem Protest angeschlossen, ihn in Einzelfällen initiiert hatten. Selbst die großen westeuropäischen Kommunistischen Parteien verurteilten den Ausbürgerungsbeschluss, der unwillkürlich an NS-Praktiken erinnerte.

Durch Einsatz ihrer machtpolitischen Mittel, insbesondere jahrelanges Auftrittsverbot, hatte es die SED-Führung bis dahin geschafft, Biermann zu einem in der DDR-Bevölkerung kaum bekannten Sänger werden zu lassen, dessen Name, so das Kalkül, mit der Ausbürgerung vollends in Vergessenheit geraten sollte. Die Fernsehübertragung und ihre Folgen hatten eindrucksvoll die gesellschaftliche Relevanz einer SED-unabhängigen Gegenöffentlichkeit gezeigt. Biermann wurde gleichsam über Nacht zum bekanntesten Liedermacher in der DDR.: Grenzen vermeintlich totaler Herrschaft.

Welche Resonanz ihre Entscheidungen in der Bundesrepublik auslösen könnten, wurde von der SED-Führung in der Regel mitbedacht, denn die elektronischen West-Medien wurden in der DDR breit rezipiert. So ist einer MfS-Information zu entnehmen, dass im September 76 eine Familie umgehend ihren Ausreiseantrag genehmigt bekam, weil Westverwandte schriftlich damit gedroht hatten, im Falle einer Ablehnung vor der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn eine Mauer mit Stacheldraht zu errichten, was naturgemäß über Funk und Fernsehen in der DDR bekannt geworden und breit diskutiert worden wäre.

Gerade die innerdeutschen Vereinbarungen zur Arbeit von Journalisten hatten die Funktion der West-Medien als Kontrapart zum SED-kontrollierten Verlautbarungsjournalismus wesentlich aufgewertet. Was im Lande geschah, darüber informierten nun auch die West-Korrespondenten direkt vor Ort. Zudem waren sie eine beliebte Anlaufstelle für Oppositionelle, die Manuskripte unkontrolliert über die Grenze schaffen wollten oder für zur Ausreise Entschlossene, die Beratung und Schutz suchten. Aus der Sicht der Stasi ein stetes Ärgernis über das sie immer wieder die politische Führung informierte und eine Art legaler Agententätigkeit, die sie von ihrer Spionageabwehr überwachen ließ, aber ein wichtiger Teil der innerdeutschen und KSZE-Vereinbarungen, die die DDR mit unterzeichnet hatte. So hielt die politische Kultur des Westens schrittweise Einzug in den Osten.

Eine willkommene Gelegenheit, sich unter den Genossen der Staats- und Parteiführung Respekt zu verschaffen, boten die Berichte des MfS aus der Wirtschaft. Gab es irgendwo folgenreiche Betriebsunfälle, so war die Stasi schnell mit Untersuchungsergebnissen zur Stelle und nannte die Schuldigen wie die Ursachen. Fast immer ging es um Leitungsdefizite oder menschliches Versagen. Mielke kostete es augenscheinlich aus, durch die zahlreichen IM in den Betrieben, vom MfS neutral als "Fachexperten" zitiert, oft besser informiert zu sein als die Verantwortlichen in der Regierung. Ähnlich einer Aufsichtsbehörde über den gesamten Staats- und Wirtschaftsapparat nervte Mielke in den Berichten unter anderen den Minister für Verkehr mit dem wiederholten Monitum, der Einsatz der Güterwagen bei der Deutschen Reichsbahn sei schlecht organisiert, in großem Umfang komme es zu Fehlleitungen leerer wie beladener Waggons. Was in den fünfziger Jahren in seltenen Fällen Folge von gezielten Sabotageakten der von West-Berlin aus operierenden "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" gewesen sein soll, war Mitte der siebziger, so lernt man aus den Berichten, offenbar ein alltägliches Problem. Das MfS machte in solchen Fällen oft Lösungsvorschläge, die im Ton eher wie Anweisungen daherkamen. Durchaus verständlich, dass einer der Hauptadressaten, Politbüromitglied Günter Mittag, sich in seinen Memoiren im Beschwerdeton über solches Wirken der Stasi äußerte. Dem historisch Interessierten heute aber geben die kritischen Berichte oft einen informativen Einblick in den Betriebsalltag und veranschaulichen, wie DDR-Wirtschaft funktionierte und worunter sie litt.

Auffällig oft macht die Stasi auf Probleme des Umweltschutzes aufmerksam. So waren nach einer "Havarie" im Motorradwerk große Mengen Kupfer-Cyanid in die Tschopau geflossen, so dass in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) z. T. Tankwagen zur Trinkwasserversorgung eingesetzt werden mussten. Das hatte wohl selbst Honecker nicht gewusst. Er setzte den Zwischenfall auf die Agenda der tags darauf stattfindenden Politbüro-Sitzung.

Im Atomkraftwerk Lubmin bei Greifswald hatte das MfS allein vom 1. Januar bis 31. Juli 1976 192 "betriebsgefährdende Vorkommnisse" registriert und war offenbar besser informiert als die offiziellen Inspektoren. In einem anderen Fall griff die politische Geheimpolizei selbst ins Betriebsgeschehen ein und bewahrte die DDR vor außenpolitischen Peinlichkeiten. Die SED hatte mit Vietnam vereinbart, kurzfristig dessen neue Währung zu drucken. Als Maschinenausfälle die Zusage gefährdeten, stellte das MfS eigene Arbeitskräfte zur Verfügung, beschaffte Maschinen und Ersatzteile in der Bundesrepublik und rettete so die Lieferung.

Hilfsleistungen wie diese entsprachen dem praktizierten Selbstverständnis des MfS als Staatsorgan, das für alles zuständig sei, was für das Funktionieren des Staates wichtig schien. Zudem hatten solche Berichte wohl auch den Zweck, den Genossen an der Spitze von Staat und Partei deutlich zu machen, dass die Stasi selbst in der Wirtschaft ein wichtiger Systemstabilisator sei.

Hätte die Stasi versucht, aufgrund ihrer vielen Informationen aus den Betrieben eine zusammenfassende Analyse der grundlegenden Missstände vorzulegen, ihr Urteil hätte ähnlich wie das von Rudolf Bahro lauten müssen, der in diesen Monaten damit befasst war, seine eigenen Erfahrungen zu Papier zu bringen und später von "organisierter Verantwortungslosigkeit" sprach. Das MfS aber suchte, absolut parteitreu, nicht nach systembedingten Ursachen und beschränkte sich auf die isolierte Analyse von Einzelfällen.

In einem für die Zukunft des Staates besonders wichtigen Fall machten die ZAIG-Offiziere im Sommer 1976 den Versuch gründlicher Ursachenforschung und erarbeiteten den mit 85 Seiten umfangreichsten Bericht dieses Jahres. Es ging darum, Wirksames dagegen zu unternehmen, dass seit der KSZE die Zahl der Ausreiseanträge stark anstieg. Untersucht wurden die Gründe, warum sich auffallend häufig Angehörige medizinischer Berufe entschieden, das Land für immer zu verlassen. Was die Stasi an Erkenntnissen zur Lage im Gesundheitswesen zusammengetragen hatte, liest sich wie die sachliche, aber drastische Schilderung eines katastrophalen Zustandes. Wer das las, musste eigentlich Verständnis haben für die Antragsteller.

Mielke aber gab den Bericht nicht weiter. Das hatte er bereits bei zwei früheren ZAIG-Informationen zur Ausreisebewegung so entschieden. Vermutlich wusste er, dass Honecker sich nicht mit dieser Problematik befassen wollte. Unter den 719 allein von ihm bestimmten Tagesordnungspunkten des Politbüros in diesem Jahr taucht sie nicht ein einziges Mal auf. Nach dem Zusammenbruch der SED-Herrschaft sagte Honecker, er habe die Stasi-Berichte nicht zur Kenntnis genommen, weil sie inhaltlich denen der Westmedien über die DDR geähnelt hätten. Hätte er es getan, er hätte lernen können, dass gerade gut qualifizierte, junge Leute ausreisen wollten, selbst bisher Systemloyale und "gesellschaftlich" Engagierte. Auf wen konnte sich die SED da noch verlassen?

Als Seismograph für schleichenden Machtverlust der Partei hätte das MfS spätestens jetzt vor den gefährlichen Auswirkungen der Entspannungspolitik auf die DDR warnen müssen. Mielke aber blieb bei der von Honecker bekräftigten Wertung, sie sei eine vom Osten eingeleitete Politik der Stärke, die den Westen unter Anpassungsdruck setze. Gern zitierte Mielke den CSU-Vorsitzenden Strauß mit seinem Verdikt, wenn der Westen die Entspannungspolitik fortsetze, habe er den Dritten Weltkrieg bereits verloren, bevor er begonnen habe.

Mielke lag politische Eigeninitiative fern. Das Wichtigste blieb für ihn, die Politik der SED ohne jede Einschränkung aktiv zu unterstützen. Die Berichte an Honecker trugen affirmativen Charakter. Beratung aber hätte bedeutet, sich vom Vorhandenen ein Stück weit zu distanzieren und nach (noch) "Besserem" zu suchen. Das aber hätte Mielke offenbar bereits als einen Mangel an Loyalität empfunden. Dass die Macht im Staate gefährdet sei, hätte das MfS vermutlich erst gemeldet, wenn die SED-Führung dies als Ergebnis eigener Lageanalyse verkündet hätte. Die aber äußerte sich bis in den Oktober 1989 zuversichtlich, sie bewahren zu können. Zudem vertraute Mielke lange darauf, dass die bisherigen Mechanismen des Machterhalts zuverlässig funktionieren würden und letztlich auf die Unterstützung der Sowjetunion Verlass sei. Noch Ende Mai 1989 meldete er an Honecker, die oppositionellen Gruppen seien überschaubar und stünden "unter staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle". Kein Grund zur Beunruhigung also für den Parteichef.

William hat Spaß (fr)

William hat Spaß
Ein Video für Oma geht um die Welt
VON HANNES GAMILLSCHEG

Lachnummer

Ist ja auch lustig, so eine Mikrowelle. Sagt "Pling", und dann ist das Essen fertig. Der kleine William jedenfalls saß in der Küche daheim im schwedischen Nyköping und konnte sich gar nicht mehr einkriegen vor lauter Lachen. "Pling", und er gluckste und prustete, bis Papa Kjell-Åke die Videokamera holte und den fröhlichen Sprössling auf Film bannte. Oma, die 500 Kilometer weiter nördlich in Örnsköldsvik wohnt, sollte auch ihre Freude am Herzchen haben.

Doch weil so ein als Mail versandter Videoclip viel Speicherplatz beansprucht, legte Kjell-Åke Andersson seine Aufnahme auf die Gratis-Website YouTube und schickte seiner Schwiegermutter den zugehörigen Link, damit sie ihren Enkel selbst herunterladen und an ihm Spaß haben konnte. Er ahnte nicht, welche Welle er damit auslöste. Rund fünf Millionen Mal ist das lachende Baby dort seither abgerufen worden, nicht nur in Örnsköldsvik, sondern rund um den Erdball, denn was bei YouTube liegt, kann jeder angucken. In den USA ging der Clip dank dem populären Fernsehprogramm "Inside Edition" von Küste zu Küste, und in Schweden heißt es jetzt stolz, man habe "die ganze Welt angesteckt" mit Williams Lachen.

Der Einjährige ist unwiderstehlich, wie er da sitzt im weißen Pyjama, das blaue Plastiklätzchen um, und lacht. "Pling", sagt Papa, ein neuer Lachanfall folgt, "pling" und "hahaha", eine Minute und 40 Sekunden lang. Schön ist auch zu hören, wie der Vater beim Filmen mitkichern muss. Mehr als 30 000 Seher haben den Streifen als "Favorit" gespeichert, Teenager laden ihn als Klingelton auf ihr Handy, andere brennen ihn auf CD."

Recht unwirklich" fühle sich das weltweite Echo auf ihr Söhnchen an, sagt seine Mutter Pernilla Nilsson, denn nun kommt das Fernsehen, rufen Journalisten an, sind ihre Mailbox und ihr Anrufbeantworter voll von Leuten, die mitteilen wollen, wie gut ihnen Williams Lachen tat. "Hätten wir gewusst, was das mit sich bringt, hätten wir es wohl nicht getan", sagt sie, und Kjell-Åke stimmt ein: "Dann hätten wir Oma das Video direkt geschickt." Wäre schade gewesen.

www.youtube.com/watch?v=5P6UU6m3cqk

Raucherpause am Spielfeldrand (Tagesspiegel)

(17.11.2006)
STEIL Pass
Raucherpause am Spielfeldrand
Philipp Köster war früher ein echtes Jahrhunderttalent

Zu den böswilligen Vorurteilen über Fußballfans gehört die Annahme, dass sie nur deshalb Fußballfans geworden sind, weil es zur eigenen großen Karriere nicht gereicht hat. Was natürlich jeder Grundlage entbehrt. Außer bei mir. Denn ich habe im Alter von zwölf Jahren tatsächlich gedacht, ich sei ein richtiges Talent, ein Rohdiamant, der nur noch geschliffen werden muss.

Ich hatte gerade mein erstes Spiel für die C-Jugend des Bielefelder Stadtteilklub TuS Eintracht absolviert und gegen den VfL Ummeln zwei Buden zum 2:1-Sieg gemacht. Wer würde sich da nicht für den legitimen Nachfolger von Gerd Müller halten?

Bei Licht besehen waren es allerdings zwei Glückstreffer, der erste Ball war mir über den Schlappen gerutscht und zur allgemeinen Verwunderung im Kreuzeck gelandet, beim zweiten Treffer war der Keeper schon losgesprungen, als ich noch gar nicht geschossen hatte, ich musste also nur noch geradeaus laufen.

Leider konnte ich in den nachfolgenden Spielen mein überragendes Debüt nicht bestätigen. Was einerseits daran lag, dass ich keine Sportbrille hatte und deshalb bei Kopfbällen immer beide Hände an den Bügeln hatte, um meine Brille zu schützen. Andererseits spielte ich auch in einer, nun ja, hilfsbedürftigen Mannschaft. Unser Torhüter hatte die Angewohnheit, bei scharf geschossenen Bällen angstvoll in die Luft zu springen. Unser Mittelstürmer legte des Öfteren eine Raucherpause am Spielfeldrand ein. Und mein Laufstil muss die Zuschauer an einen betrunkenen Storch erinnert haben, ich war mitten in der Wachstumsphase. Ich legte also irgendwann meine Profipläne auf Eis und wandte mich dem Zusehfußball zu. Es war die richtige Wahl, ganz sicher.

Obwohl, neulich kickte ich mit Freunden auf der Wiese. Es steht unentschieden, kurz vor Schluss. Ich erwische die Kugel glücklich mit dem Vollspann, Torwart machtlos, Netz beult sich, großer Jubel. Und ich denke: Vielleicht hätte ja doch was aus mir werden können.

Mit der Angst im Rücken (Tagesspiegel)

(16.11.2006)
Mit der Angst im Rücken
Das Köln-Konzert 1976 – der Anlass für Wolf Biermanns Rauswurf aus der DDR. Und ihr erster SargnagelVon Lorenz Maroldt, Köln, und Axel Vornbäumen

Wolf Biermann saß im Auto und ihm wurde „schlecht vor Angst“. Wie die Welt sich doch wandeln kann, in einem einzigen, zwei technokratische Bandwurmsätze währenden Moment.

Tags zuvor, am 15. November 1976, ausgerechnet, da hatte er, wie er sich Jahre später erinnern wird, noch den wohl „ungetrübten Glückstag meines Lebens“ verbracht. Es war sein vierzigster Geburtstag und Biermann stand mit Freunden am Ufer des Rheins.

Zwei Tage erst war es her, dass er in der Radsporthalle in Köln vor 7000 Zuschauern ein umjubeltes Konzert gegeben hatte. Eine Deutschstunde war das gewesen, ja, eine, die mehr als vier Stunden dauern sollte, sein erster öffentlicher Auftritt nach elf Jahren, und der auch noch im Westen, ausgerechnet. Ein Ikonenbild war an diesem Abend entstanden, Biermann, schnauzbärtig, verschwitzt, das Hemd halb aus der Hose, seine Gitarre mit dem linken Arm in die Höhe reckend, rechts die Nelken, die DDR kritisierend, aber doch als das bessere Deutschland verteidigend; historisch schon, als noch niemand ahnen konnte, dass die Politbürokraten in Ostberlin sein Schicksal längst besiegelt hatten, heimlich und tückisch.

Nun, an diesem 15. November aber genoss er „unvergällt“ seinen Erfolg im Überschwang der gemischten Gefühle, Tauwetter verspürend, mitten im Herbst, tief im Westen. Roch da nicht was „verführerisch nach Prager Frühling“? Hatte sein Freund, der unbeugsame Regimekritiker Robert Havemann nicht Recht behalten mit seinem Optimismus: „Unser Honnakow ist ein Schwein, aber kein Idiot?“ War seine genehmigte Reise in den Westen womöglich ein „riskanter Versuchsballon“, eine „Leuchtrakete der demokratischen Opposition innerhalb der Parteiführung gegen Honecker, Mielke und Paul Verner“? Biermann schwebte, Pathos schoss in ihn hinein: „Dort, an den Gestaden des Vater Rheins merkte ich plötzlich, dass ich mich unversehens in einen Beweis auf zwei Beinen verwandelt hatte. Beweis dafür, dass es trotz allem vorangeht mit der Menschheit.“

Und nun, keine 24 Stunden später, auf dem Weg nach Bochum im Auto des damaligen Chefredakteurs der Gewerkschaftszeitung „metall“, Jakob Moneta, kroch die Angst in ihm hoch, die Todesangst, wie Biermann es in einem Interview mit der „Welt“ formuliert, „dass die Musen mich nicht mehr küssen, wenn ich nicht mehr in der DDR leben kann, bei meinen vertrauten Feinden und meinen vertrauten Freunden“.

Kurz nach 16 Uhr hatte die DDR-Nachrichtenagentur ADN die Meldung auf den Draht gegeben: „Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Biermann, der 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelte, das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen. Diese Entscheidung wurde auf Grund des ,Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik – vom 20. Februar 1967’, Paragraf 13, nach dem Bürgern wegen grober Verletzung der staatsbürgerschaftlichen Pflichten die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt werden kann, gefasst.“

Feindseliges Auftreten war ihm vorgeworfen worden, von den DDR-Oberen, mit seinem Kölner Konzert habe er sich „selbst den Boden für die weitere Gewährung der Staatsbürgerschaft der DDR entzogen“. Biermann war wie vor den Kopf gestoßen, erinnert sich Moneta, der Liedermacher war in jenen Stunden ganz gegen sein sonstiges Naturell kaum fähig, seine Wut und Enttäuschung in Worte zu fassen. Feindseliges Auftreten? Das hatte er doch gerade vermeiden wollen.

Biermann wohnte bei Moneta. Er war es, der Biermann eingeladen hatte, gegen zum Teil erhebliche Widerstände im Vorstand der IG Metall, die der damalige Chefredakteur erst überwinden konnte, als er darlegte, wie wichtig es wäre, „oppositionelle Kommunisten in ihrem Kampf für die Demokratisierung von Partei und DDR zu unterstützen“.

Aufgeregt war Biermann an jenem Abend gewesen – und doch abgewogen vorgegangen. Es war ja auch kein einfacher Akt, und Günter Grass, beispielsweise, hatte ihm zuvor noch in Westberlin geraten, nur nicht auf alle bekannten Lieder zu verzichten. Biermann beschloss, zu weit zu gehen auf diesem Konzert, wie er es im „Spiegel“ einmal beschrieben hat, aber nicht „zu weit zu weit“. Er verzichtete auf besonders provokante Lieder wie „Die Stasi-Ballade“, „Die Populär-Ballade“ oder „In China hinter der Mauer“. Das Publikum war dennoch fasziniert. Und unpolitisch war er auch nicht, der Biermann, nicht zahm, der Wolf. Er sang „Die hab ich satt“, und wer verstehen wollte, der verstand auch. Keiner ahnte, dass dies die Szenerie sein sollte, auf die das Politbüro nur gewartet hatte, Biermann nicht, sein Publikum auch nicht.

Die Tür, die da geöffnet worden war von den SED-Oberen, sie war nur geöffnet worden, um sie zuschlagen zu können. Zweimal zuvor hatte es die DDR schon versucht, ihren dichtenden Kritiker loszuwerden. Beide Male war es schief gegangen. Einmal, bei einem Besuch seiner kranken Großmutter – „Oma Meume“ – in Hamburg, hatte er sich zu unauffällig verhalten. Ein anderes Mal war die Genehmigung für den Auftritt bei einem Anti-Franco-Konzert in Offenbach im letzten Moment zurückgezogen worden, als mit Hilfe der Stasi klar geworden war, dass Biermann in Offenbach nur antifaschistisches Liedgut zum Besten gegeben hätte. Doch beim dritten Mal tappte der Wolf in die ihm gestellte Falle.

Zu spät, wie er einmal zugab, war Biermann aufgefallen, durch seine Ausbürgerung in ein „geistiges und politisches Niemandsland“ gekommen zu sein. „Die rechte, etablierte Gesellschaft der Bundesrepublik fand mich zum Kotzen. Die Linken waren untereinander auf Leben und Tod zerstritten.“ Und mittendrin: der Biermann, allein und allein gelassen.

Wobei: Nicht ganz. Dasselbe Viertel, dieselbe Straße, dasselbe Haus, Köln-Ehrenfeld, Thaebäerstraße. Hier hatte Biermann sich „verkrochen“, damals, nach dem Rauswurf. Günter Wallraff steht an der obersten Klingel, aber die Holztür unten ist ohnehin nur angelehnt, ein Lederstopper am Boden hält sie auf. Über eine ausgetretene, aber gepflegte Holztreppe geht es nach oben. Und da steht er auch schon, heute so wie damals, und heißt einen willkommen. Es ist der Geburtstag von Biermann, sein siebzigster, Wallraff will später noch anrufen. Geburtstage liegen ihm nicht so, wegen des ganzen Trubels.

Trubel, den hat es damals hier allerdings gegeben. Wallraff hatte Biermann ein paar Wochen zuvor kennen- gelernt, in der Chausseestraße in Ostberlin. Sie hatten Gespräche vereinbart, Systemkritiker Ost und Systemkritiker West, die sie als Buch herausbringen wollten. Was es für ihn wohl bedeuten würde, ausgewiesen zu werden, hatte Wallraff im Oktober 1976 gefragt, ohne von dessen bevorstehender Tournee im Westen zu wissen. Und Biermann antwortete, ohne seine bevorstehende Ausweisung zu ahnen: „eine Katastrophe. Dann werde ich wohl zugrunde gehen.“ Ein paar Wochen später klingelte bei Wallraff das Telefon. Biermann war dran. Ob er bei ihm unterkommen würde, vorübergehend; die DDR hatte ihn ausgebürgert.

Es war eine wilde Zeit. Wallraff steckte gerade in den Vorbereitungen für seine Rolle als Hans Esser, undercover bei „Bild“. Biermann bekam die Pläne mit, natürlich, und er hat sogar einmal darüber bei einem Konzert gescherzt, verschlüsselt: Sein Freund Wallraff arbeite gerade „verdeckt im faschistischen Ausland“. Bittere Ironie auch dieser Geschichte: Der BND hatte damals Wallraffs Telefon angezapft, und eine Leitung führte direkt in die Redaktion von „Bild“.

Wallraffs Haus war kurz zuvor Ziel eines Brandanschlags geworden, das Dach zerstört, nicht alle Zimmer zu benutzen. So hockten sie eng zusammen, mit Biermann und seiner Gitarre und Nina Hagen, die kam auch und bekam ein kleines Zimmer. Wallraff hatte trotz des Durcheinanders auf der Terrasse eine Tischtennisplatte untergebracht. Biermann hielt sich für einen guten Spieler, Wallraff ist einer: „Ich habe ihn auf einem Bein stehend geschlagen, vor allen Frauen!“ Später, längst in Hamburg, hat Biermann sich einen Trainer besorgt, einen Freigänger: den Tischtennismeister von Santa Fu.

Köln-Ehrenfeld, Thaebäerstraße. Hier begann für Biermann also der Westen. Wallraff meint, Biermann habe sich diesen Ort bewusst ausgesucht, wie ein Statement: seinetwegen. Nicht, weil sie sich besonders gut kannten, so war das ja nicht. Aber ein Überläufer wollte Biermann nicht sein, deswegen kam ein bürgerliches Haus nicht in Frage, und jetzt bei einem Westkommunisten einzuziehen, wäre auch das falsche Signal gewesen. Zu Biermann entwickelte sich „eine enge, heftige Freundschaft“, die später freilich wieder etwas lockerer wurde, wegen der räumlichen Distanz, aber auch der wachsenden politischen. Damals aber feierten Wallraff und Biermann sogar Weihnachten zusammen, mit ihren Müttern. Als ein bisschen traurig hat Wallraff das in Erinnerung. Ein paar Monate hockten die beiden zusammen, oft in ihrer Küche. Biermann hatte einen Teil seines Krempels aus der Chausseestraße eingeräumt, er spielte, spielte, spielte, wenn nicht Gitarre, dann Tischtennis oder Schach. Dutschke kam zu Besuch, Jurek Becker, viele, viele andere kamen auch. Biermann war aufgewühlt, aber nicht deprimiert, „dazu war keine Zeit“. Verunsichert war der neue Mitbewohner, aber auch streitlustig, immer auf der Suche nach einer gelungenen Provokation, so dass manche sagten: Der legt es darauf an, der will sich unbeliebt machen. Als er im Frühjahr 1977 nach Hamburg zog, hinterließ Biermann dennoch ein widersprüchliches Bild seiner selbst: „Er suchte den Streit, auch im Privaten“, sagt Wallraff, „aber er konnte zugleich sehr liebenswürdig sein. Und sanft.“

Als er wegzog aus Köln, da waren die ersten Sargnägel schon eingeschlagen für den zweiten deutschen Staat, der erst 13 Jahre später implodieren sollte. Nur konnte das niemand ahnen. Alle hatten sich geirrt, und Jahre später, die Wiedervereinigung war längst vollzogen, bemerkte Biermann einmal, dass Havemann wenigstens auf dialektische Weise Recht behalten sollte: „Der Rausschmiss war zu teuer für die SED-Nomenklatura.“

Die Rechnungen kamen stoßweise. Die DDR hatte mit ihrer Entscheidung genau das erreicht, was sie verhindern wollte. Der Liedermacher wurde populär. Künstler, Intellektuelle solidarisierten sich, später Ausreisende wie Manfred Krug und Jurek Becker begründeten mit der Biermann-Ausbürgerung ihre innere Abkehr von er DDR. Wo die SED-Zeitung „Neues Deutschland“ zuvor Biermann jahrelang beschweigen konnte, war sie nun gezwungen, umfangreiche Erklärungen von staatstreuen Kulturschaffenden abzudrucken, die die Ausbürgerung Biermanns begrüßten. Plötzlich war ein Kristallisationspunkt für alle Andersdenkenden da. Einem war übel mitgespielt worden, einem, „der unser Lebensgefühl ausdrückte“, wie der Regimekritiker Roland Jahn es beschreibt, der später selbst ausgebürgert wurde.

Biermann wird erst im Dezember 1989 ein Konzert in der DDR geben. Die Mauer ist schon gefallen, die DDR, wie er sie kennt, existiert schon nicht mehr. Aus dem einstigen DDR-Bürger, sagt Biermann, sei kein Westdeutscher geworden, sondern ein „Weltenkind – das ist für einen Dichter kein Schaden“

.Das Video von seinem Köln-Konzert hat er sich Jahre später angeschaut. Der junge Biermann, beinahe 40 Jahre, findet der alte Biermann, habe etwas „rührend Lächerliches“ gehabt, damals, im November 1976. Geschichte ist bisweilen so.

Wednesday, November 15, 2006

Unser schlimmstes Gift (Der Tagesspiegel)

(15.11.2006)
Unser schlimmstes Gift
Biermann in der DDR: Erinnerung an einen wilden Burschen und eine Legitimationsinstanz
Von Salli Sallmann

Auf den Namen Wolf Biermann stieß ich zum ersten Mal, als ich Ende der Sechziger in der DDR Beatmusik hören wollte. Dabei hatte die Musik von Biermann nichts mit Beat zu tun. Rock hieß damals Beatmusik und war nach den Verdikten des 11. Plenums der SED 1965 in der DDR nur noch durch die handzahmen Ensembles von Thomas Natschinsky und der Theo Schumann Combo vertreten. Mehr zur Sache ging es im Westen, etwa im Beat-Club von Radio Bremen. Der BeatClub sendete in regelmäßigen Abständen verwackelte Filmaufnahmen aus einer Wohnung in der Ostberliner Chausseestraße – der von Wolf Biermann. Der sang nach dem Auftrittsverbot des 11. Plenums sozusagen zwangsweise im Westfernsehen.

Was ich damals an schonungslosen Biermann-Texten über die DDR-Gesellschaft zu hören bekam, knüpfte direkt an den soeben militärisch platt gewalzten Prager Frühling an. Biermanns Lieder leuchteten wie Glut in der Alltags-Asche der DDR und ließen Hoffnung glimmen. Darauf, dass mit dem Begriff Sozialismus doch noch etwas Freiheitliches, jedenfalls Wahrhaftiges gemeint sein könnte. Im realen Sozialismus wollte die DDR einem aber eintrichtern, dass die wahre Arbeiter- und Bauernfreiheit darin besteht, sich mit täglichen Reglementierungen schurigeln zu lassen, die Schnauze zu halten und nach 15 Jahren Wartezeit einen Trabant in Empfang zu nehmen.

Biermann sang, was viele sich nicht getrauten zu sagen, und wurde so zum Symbol, für Freund und Feind. Anfang der Siebziger meinte meine Chefin im Baukombinat Leipzig, eine langjährige Genossin: „Der Biermann, das ist doch unser schlimmstes Gift!“ Die Stasi trug sich schon zu dieser Zeit mit Verhaftungs- und Ausbürgerungsplänen, zögerte aber, weil Biermann durch seine Prominenz geschützt war und für die Stasi eine „Sortierungsfunktion“ hatte: Wer teilt Biermanns Vorstellungen?

Biermanns Wohnung in der Chausseestraße in Mitte wurde zu einem Pilgerort. Viele kritische ostdeutsche Geister hatten sich nach Prag 1968 geschworen, nie mehr eine solche Politik im Namen des Sozialismus über sich ergehen zu lassen. Jeder Besuch „beim Biermann“ wurde so zu einem Bekenntnis. Jeder, der sich auf den Weg zu ihm machte, wusste, dass er in die Bereiche der Kameras und Mikrofone des MfS geriet. Verhaftet wurde man wegen der Bekanntschaft mit dem Meister zwar nicht, aber die unbekannten Sympathisanten waren bei diesen „Besuchs-Bekenntnissen“ gefährdeter als Biermanns populäre Künstlerfreunde.

Biermann konnte Dinge sagen und singen, die andere ins Gefängnis gebracht hätten. Er schien außerhalb der DDR-Gesetzlichkeit zu stehen. Während er für eher linksorientierte Oppositionelle zum Orientierungspunkt wurde, fungierte er für den ängstlicheren und größeren Teil der DDR-Bevölkerung als kritische Legitimationsinstanz. Man konnte bequem zu Hause im Westfernsehen Biermann gucken, das war zwar nicht erwünscht, aber auch nicht verboten, man konnte auf den Staat schimpfen, Biermanns Lieder berechtigt finden und brachte sich dennoch nicht durch Heldenmut in Gefahr.

Natürlich, an Biermann nervte auch manches. Er, der nicht öffentlich singen durfte, brauchte immer Publikum. War bei privaten Zusammenkünften ein Kind anwesend, sang er umgehend ein Kinderlied. Gab es Kaffee und Kuchen, folgte ein Kaffee- und Kuchenlied. Biermann musste sich darstellen und seine neuesten Song-Ideen testen. Manchmal geriet er ins Dozieren. Seine Freunde haben das damals gemeinsam mit ihm durchgehalten. Traf man allerdings als Mann in Begleitung einer Frau auf Biermann, musste man sich damit abfinden, nur noch begrenzt wahrgenommen zu werden. Auch dafür war Biermann berühmt.

Nachdem die DDR-Führung Biermann 1976 ausgebürgert hatte, wurde schnell klar, dass SED und Stasi das Ausmaß der Empörung unterschätzt hatten. Die Breite der Protestes überraschte alle, auch die Protestierenden selbst. Im Herbst 1976 befand ich mich bei der „Fahne“ im Grundwehrdienst der Nationalen Volksarmee. Als ich von der Ausbürgerung erfuhr, nahm ich die Gitarre und sang in der Kaserne vor den Mannschaften Biermann-Lieder. Obwohl viele Soldaten noch nie etwas von Biermann gehört hatten, mutierten diese Auftritte schnell zu Biermann-Happenings.

Eigentlich formulierte Biermann in seinen Liedern eine heute noch diskutierbare Frage. Ist die Idee des Sozialismus durch ihre stalinistische Geschichte auf ewig versaut? Oder kann man sie neu und freiheitlich denken? Das begriffen damals gleichzeitig die ostdeutschen Bürgerrechtler und die neue westdeutsche Linke. Der Rest ist bekannt, die Geschichte gab denen recht, die dachten und handelten wie Biermann, der in seinen Texten den DDR-Herrschenden zurief: Reformiert diesen missratenen Sozialismus endlich! Diese Auseinandersetzung ist aktueller, als man denkt. Wenn Biermann seine Spitzelballaden und die anderen wunderbaren Frechheiten auf einem PDS-Parteitag singen würde, dann wäre der neue Name „Die Linke“ vor dem PDS weitaus glaubwürdiger.

Der Autor, 1953 im Erzgebirge geboren und 1977 aus der DDR ausgebürgert, lebt als rbb-Literaturredakteur in Berlin. Nach der Biermann-Ausbürgerung wurde er zusammen mit Gerulf Pannach und Jürgen Fuchs im Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen inhaftiert. Im Dresdner Verlag Die Scheune erschien zuletzt sein Gedichtband „Über die Tücken des Alkoholismus in Verbindung mit Kohleheizung“.

Vertreibung aus dem Park (Berliner Zeitung)

Vertreibung aus dem Park
San Francisco will keine Obdachlosen mehr sehen, die die Grünanlagen verschandeln - und bietet Wohnungen an
Gunda Wöbken-Ekert

SAN FRANCISCO. Man könnte Jim Robinson den Chef der Obdachlosen im Golden Gate Park nennen. Zumindest ist der weißbärtige Hüne derjenige unter ihnen, der sich schon am längsten hier aufhält, und er wird entsprechend respektiert. Dreizehn Jahre hat Robinson nun in den Grünanlagen verbracht, die sich vom Herzen der Stadt bis an den Pazifik erstrecken, und er sieht überhaupt keinen Grund dafür, nicht auch das nächste Jahrzehnt hier zu leben.

Also ist er sauer heute, nachdem ihn Behördenmitarbeiter am Vormittag schon zum zweiten Mal aufgefordert haben, den Park zu verlassen und mitgeteilt haben, es sei von nun an ein Vergehen, sich über Nacht hier aufzuhalten. "Warum soll ich plötzlich kriminell sein?", fragt Robinson, "ich tue nichts Ungesetzliches. Ich entsorge meinen Abfall, sehe zu, dass ich auch sonst keinen Dreck hinterlasse. Und nun wollen sie mich in eine Unterkunft stecken, in die ich nicht mal meinen Hund mitbringen darf?"

Zielstrebiger Bürgermeister

Robinson und den geschätzten 200 anderen Menschen, die es sich zwischen den Büschen unter hohen Zypressen gemütlich gemacht haben, wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als ihre Rucksäcke zu packen. Und die Hoffnung, die viele von ihnen haben, sich in einigen Wochen wieder unbemerkt zurückschleichen zu können, wird sich wohl kaum erfüllen. Zumindest dann nicht, wenn San Franciscos Bürgermeister Gavin Newsom seinen Kurs fortsetzt. Es sieht nicht aus, als habe er vor, ihn zu ändern.

Bei seiner Vereidigung hatte Newsom es als eine seiner wichtigsten Aufgaben bezeichnet, die Obdachlosigkeit in der Stadt zu bekämpfen, die hier schlimmer war als in allen anderen Städten Amerikas. Allein in der wirtschaftlichen Krisenzeit zwischen 2000 und 2002 wuchs die Zahl der Menschen ohne Wohnung um ein Drittel auf mehr als 8 600 - etwa so viele wie in New York, das aber zehnmal so viele Einwohner wie San Francisco hat.

Newsom, seit 1992 Stadt- und Bezirksrat, beschäftigte sich von Beginn an mit Überlegungen, wie man die Menschen von den Straßen holen, ihnen Unterkunft und Versorgung anbieten und ihnen helfen könnte, irgendwann in das Leben der sogenannten normalen Gesellschaft zurückzukehren. Von der Politik der damaligen Stadtregierung hielt er nicht viel. Man war froh, wenn es möglichst wenig Ärger mit den Stadtstreichern gab. Und zahlte denen, die Anspruch darauf hatten - das war ein Drittel - jeden Monat über 400 Dollar aus, bar auf die Hand. Ansonsten ließ man sie tun, was sie wollten.

"Das soll sozial sein?" fragte Newsom. Der unabhängige Demokrat, der vor seiner politischen Karriere ein Vermögen als Geschäftsmann gemacht hatte, fand die Methode, sich des Problems durch Geld zu entledigen, höchst unsozial und belegte das mit Zahlen: Die Ignoranz kostete Leben. Jedes Jahr starben fast 200 Menschen auf der Straße, unbemerkt und unbetrauert. Schon im Kampf um das Bürgermeisteramt setzte er das Thema ganz oben auf die Liste. Obdachlosigkeit sei die Schande der Stadt, befand Newsom. Sie gehöre ein für allemal abgeschafft.

Die Bürger San Franciscos sahen das offensichtlich genauso. Im Januar 2004 wurde der damals 37-Jährige als 42. Bürgermeister der Stadt vereidigt. Der Politikwissenschaftler, dem man auch eine Karriere auf Bundesebene für die Demokraten zutraut, setzte als Bürgermeister seine Pläne zügig um. Bei der letzten Zählung Anfang 2005 wurden nur noch 6 248 Wohnungslose registriert, ein Rückgang um fast ein Drittel. Die Zahl derer, die tatsächlich auf der Straße lebten, hatte sich auf 2 655 reduziert, war also im Vergleich zu 2002 um über 40 Prozent gesunken.

"Care not Cash", heißt eine von Newsoms Devisen, "sich kümmern, statt zu zahlen". Den vollen Bargeldbetrag von 412 Dollar bekommen heute nur noch 350 Betroffene, den anderen werden 60 Dollar ausbezahlt. Damit müssen sie hinkommen. Doch im Gegenzug hat die Stadt seit 2004 für 1 600 von ihnen eine feste Unterkunft beschafft, in der sie versorgt werden, nicht nur mit Lebensmitteln, sondern mit jeder Art praktischer Hilfe. "Wir reden hier nicht von Unterkünften, in denen Obdachlose vorübergehend bleiben können. Die gibt es nach wie vor. Dort lebt der Rest von denen, die wir von der Straße geholt haben", sagt Jim Buick, Vizechef des Sozialdienstes in San Francisco, der für das Programm verantwortlich ist. "Hier reden wir von Appartements, in denen diese Leute unabhängig wohnen und versuchen, ins Leben zurückzukehren." Die meisten Zimmer hat die Stadt in Hotels in Bezirken angemietet, in denen sich die Obdachlosen nach wie vor am häufigsten aufhalten, in den Randgegenden um die Innenstadt und das Finanzviertel herum.

Bis Ende dieses Jahres, sagt Buick, wolle man über 2 000 Wohnungen anmieten. Finanziert wird das unter anderem mit dem Geld, das man bei den Barauszahlungen einspart. Praktische Hilfe bekommt Newsom nicht nur von Professionellen. Sein Projekt "Homeless Connect" spannt Freiwillige ein, die einen Tag im Monat mit einem Obdachlosen zum Arzt gehen, einkaufen oder ihm sonst helfen. Bisher haben fast 14 000 Bürger mitgearbeitet, 31 weitere amerikanische Städte haben das Programm jetzt übernommen.

Newsom hat eine Umfrage unter den Bewohnern San Franciscos gemacht, als er das Care not Cash-Programm entwickelte: "Die absolute Mehrheit hat mein Vorhaben unterstützt", sagt er, "die meisten haben aber gesagt, veröffentlichen Sie bloß nicht meinen Namen. Ihnen war es peinlich, die Obdachlosen durch finanziellen oder anderen Druck zu zwingen, in Wohnungen zu gehen."

Wahrscheinlich gibt es nicht wenige unter den Freiwilligen, die mit ihrem Dienst an den Stadtstreichern auch ihr schlechtes Gewissen beruhigen wollen. San Francisco gilt als liberalste Stadt der USA, zumindest sehen das die Bürger selbst gern so. Leben und leben lassen, heißt das Motto, und dazu passt Zwang absolut nicht. Doch wahrscheinlich hat Newsom eine günstige Zeit erwischt. "Die Leute hatten es einfach satt, ständig über Obdachlose zu stolpern", sagt Buick. Die Toleranz ging soweit, dass sie brav weiträumig um Schlafsäcke herummarschierten, wenn der Besitzer das Territorium mit einem Pappschild als "Privatgrundstück" gekennzeichnet hatte und nur noch genervt wegsahen, wenn einer in die Büsche urinierte.

"In zehn Jahren wollen wir das Problem gelöst haben. Und wir sind offensichtlich auf einem guten Weg. Immer noch bekommen wir Anrufe von Leuten, die uns sagen, wie gut sie finden, was wir tun", sagt Buick. Doch es gibt auch Kritiker. Sie könne es nur lächerlich finden, dass eine der reichsten Städte der Welt es nötig habe, Obdachlosen das Einkommen wegzunehmen, um damit feste Unterkünfte zu finanzieren, sagt Jennifer Friedenbach von der Koalition für Obdachlose. "Das Grundproblem ist ein ganz anderes", sagt sie, "wir haben nicht genug Wohnungen, die von den Menschen bezahlt werden können. Und das liegt daran, dass die Regierung in Washington die staatliche Unterstützung für solche Wohnungen abgeschafft hat."

Gut sei, dass mit Newsom endlich jemand über das Problem rede, gesteht sie zu. Doch ehe man nicht die Gründe für die Obdachlosigkeit beseitige, werde es immer wieder Menschen ohne Wohnung geben.

Berliner Zeitung, 15.11.2006

"Blöd, peinlich und ärgerlich" (Berliner Zeitung)

"Blöd, peinlich und ärgerlich"
Die taz druckte eine komplette Zeitungsseite am nächsten Tag nochmal - aus Versehen
Jakob Schlandt

Die Überrumpelung der Leserschaft gehört bei der taz sozusagen zum guten Ton. 2002 blieb die Titelseite unter der Überschrift "Bushs historische Rede" absichtlich leer. Zum 25. Geburtstag der überregionalen Genossenschaftszeitung hielten die Leser eine vom selbsterklärten "Lieblingsfeind" der Redaktion, Bild-Chef Kai Diekmann, gestaltete taz in den Händen.

Und dann war noch die ironisch gemeinte Verkündung von Stoibers "klarem Sieg" bei den Landtagswahlen 2003 in Bayern - allerdings schon am Samstag vor der Wahl, einschließlich der Fußball-Ergebnisse und Lottozahlen. Ein Leser fragte damals in einer Zuschrift: "Welche Drogen schaffen solche Zukunftszeitungen?"

Ähnliche Gedankengänge dürften die taz-Leser gestern erneut heimgesucht haben: Da erschien der Berlin-Teil der kompletten Ausgabe mit exakt der gleichen ersten Seite wie am Montag. Es wurde mit "SPD: Rechte gehören verboten" getitelt, Wowereit und der Bund kommentiert, kurz wurden die Drohbriefe an den Opernregisseur vermeldet. Hat die taz wieder einen spektakulären Coup gelandet?

Ein Anruf in der taz-Redaktion bringt die ernüchternde Wahrheit zu Tage. Nein, es habe sich nicht um eine aufsehenerregende Aktion gehandelt, um auf den chronischen Geldmangel der taz aufmerksam zu machen, sagte der Leiter der Berlin-Redaktion, Gereon Asmuth. Hat man dann vielleicht die Montag-Ausgabe für so gut befunden, dass man sie gleich in Teilen nochmal drucken wollte? Ebenfalls nicht.

"Es handelt sich schlicht und einfach um ein bedauerliches Versehen", so Asmuth. "Das ist blöd, peinlich und ärgerlich." Bei der Übermittlung der Ausgabe an die Druckerei habe es in der Redaktion "einen falschen Mausklick" gegeben. Leider hätten mehrere Kontrollstufen versagt, und so sei die Dublette nicht aufgefallen. "Da wir nur einen Andruck haben, konnten wir das auch nicht mehr korrigieren." Die wichtigsten ungedruckten Artikel würden allerdings in der heutigen Ausgabe nachgezogen, so Asmuth.

Dort wird sich zudem ein kleines Entschuldigungsschreiben finden, in dem es heißt: "In Zukunft bemühen wir uns, unseren LeserInnen wieder nur geplante Überraschungen zu präsentieren."

Berliner Zeitung, 15.11.2006

Monday, November 13, 2006

Wir durften nicht schweigen (Die Welt)

DDR-Vergangenheit
Wir durften nicht schweigen
Vor 30 Jahren wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Rolf Schneider erinnert sich an den Protest führender DDR-Intellektueller gegen die Ausbürgerung.

Biermann gibt am 13. November ein Konzert in der Kölner Sporthalle, drei Tage später war er kein DDR-Bürger mehr

Am 16. November 1976, kurz vor 18 Uhr, erhielt ich einen Telefonanruf. Ein Bekannter aus Köln, Redakteur beim WDR, wollte von mir wissen, was ich zur Ausbürgerung Wolf Biermanns zu sagen hätte. Ich wusste nichts. Ich stammelte irgendwas, legte den Hörer auf und schaltete das Radio ein. Der Nachrichtensprecher teilte mit, dem zu einem Auftritt in Westdeutschland weilenden Sänger Wolf Biermann hätten Behörden der DDR seines Verhaltens wegen die Staatsbürgerschaft entzogen.

Ich telefonierte mit meinem Kollegen Stefan Heym. Er kannte die Nachricht, schien eher gelassen und wollte mich beruhigen. Ich rief meinen anderen Kollegen Stefan Hermlin an, damals Vizepräsident des Internationalen PEN. Sein Anschluss war besetzt und blieb es über den gesamten Abend. Ich beschloss, ihn am nächsten Morgen aufzusuchen.

Am 17. November erschien das SED-Zentralblatt "Neues Deutschland" mit einem Kommentar zu Biermann, verfasst vom stellvertretenden Chefredakteur Kerzscher, einem einstigen Jung-Nazi. "Um den Grad der Unverschämtheit dieses sogenannten Liedermachers zu ermessen, muss man sich vergegenwärtigen, auf welcher Bühne sich das alles abgespielt hat", hieß es. "Er verschwindet in der dunklen Masse der antikommunistischen Krakeeler." Solche Äußerungen verstärkten meine Erbitterung.

Die Hermlins bewohnten eine etwas heruntergekommene Villa im Berliner Bezirk Niederschönhausen. Die Haustür war wie üblich unverschlossen. In der Garderobe hängte ich meinen Mantel neben das dort lehnende Jagdgewehr. Ich betrat das Wohnzimmer, in dem bereits zahlreiche Besucher saßen: das Ehepaar Gerhard und Christa Wolf, Sarah Kirsch, Volker Braun, Günter Kunert (mit Ehefrau Marianne), Heiner Müller und auch Stefan Heym, dazu noch eine mir unbekannte Dame. Sie äußerte den gesamten Vormittag über kein Wort; später sagte mir Hermlin, dies sei Katja, Ehefrau des Westberliner Verlegers Klaus Wagenbach, der, da er außer Hermlin auch Biermann gedruckt hatte, selber in die DDR nicht einreisen durfte. Heym hatte einen Text formuliert, der in zwei Sätzen gegen Biermanns Ausbürgerung protestierte und die Rücknahme der Maßnahme verlangte. Hermlin hatte auch einen Text geschrieben, der den gleichen Inhalt unterbreitete, etwas ausführlicher. Wir einigten uns auf Hermlins Fassung, zu Heyms Verdruss. Volker Braun meinte, das von Hermlin verwendete Marx-Zitat entstamme nicht dem "Kapital", sondern dem "18. Brumaire". Hermlin schlug nach. Braun hatte Recht; unvorstellbar, wir hätten uns blamiert.

Die nicht anwesenden Franz Fühmann, Erich Arendt und Jurek Becker ließen telefonisch wissen, dass sie den Protest mittrügen, in welchem Wortlaut auch immer. Hermlin wünschte, sein krank zu Bett liegender Nachbar, der Bildhauer Fritz Cremer, solle zu den Signataren gehören. Er verließ das Haus, den Fiebernden zu besuchen. Wir anderen tranken derweil Tee, wir redeten durcheinander, lautstark, es herrschte eine fast euphorische Stimmung. Hermlin kehrte zurück und sagte, Cremer stimme zu, vorausgesetzt der Text würde gemildert. So geschah es, dass der letzte Satz nun verlangte, die Biermann betreffende Maßnahme nicht "zurückzunehmen", sondern "zu überdenken".

Es bestand Einigkeit, dass der Text auch an die westliche Öffentlichkeit gelangen sollte. Hermlin verfertigte auf seiner Schreibmaschine mehrere Exemplare, eines für jeden der Anwesenden, zwei für die Presse. Sein Automobil, sagte er, sei defekt. Ich bot mich für den Transport an. So fuhren Hermlin und ich, zunächst zur Zentralredaktion des "Neuen Deutschland". Hermlin stieg aus und betrat das Gebäude. Ich wartete. Der Pförtner hinter seiner Scheibe beäugte mich. Hermlin kehrte zurück, grandseigneurales Lächeln im Antlitz, er sagte, die Chefredaktion, bei der er aufgetreten, habe sich überrascht gezeigt und den Weitertransport des Textes verheißen. Er stieg wieder ein. Wir fuhren zur Französischen Botschaft Unter den Linden.

DDR-Vergangenheit
Wir durften nicht schweigen (2)

Der 17. November war laut Kalender Buß- und Bettag, in Westdeutschland arbeitsfrei, in der DDR nicht; schon von daher wäre es unsinnig gewesen, das Büro der Nachrichtenagentur dpa zu kontaktieren. Stattdessen besuchten wir den uns gut bekannten französischen Kulturattaché in seinem Büro. Hermlin überreichte unser Papier mit den wie nebenher gemurmelten Worten: "Voilà un petit texte..." Der Attaché las und war beeindruckt. Er versprach, das Papier an AFP weiterzureichen, vereinbart war eine Sperrfrist bis 18 Uhr.

Sie wurde nicht eingehalten. Gegen 17 Uhr vermeldeten Westberliner Radiosender unsere Aktion, was freilich nicht an den Franzosen lag, sondern daran, dass Stefan Heym, ohne unser Wissen, den Text der britischen Agentur Reuters zugespielt hatte. Am Abend war die Sache dann Spitzenmeldungen in der Tagesschau des westdeutschen Fernsehens.

Keiner von uns hatte das Ausmaß der Reaktionen bedacht. Sie bestanden zunächst darin, dass weitere Personen sich unserem Protest anschlossen, die Zahl schwoll täglich an, auf zuletzt um die hundert. Auch in studentischen Kreisen gab es Unterstützung. Spätestens jetzt befürchteten die DDR-Offiziellen eine drohende Massenbewegung, und so begann in den Medien des Landes eine Welle von Gegenerklärungen. Unser Protest wurde verurteilt, ohne ihn abzudrucken. Die Ausbürgerung Biermanns wurde verteidigt und gelobt. Die Formulierungen waren teils grobschlächtig, teils listig, teils voller Zynismen. Man unterstellte uns, dass wir uns beim Klassenfeind (gemeint war unser westdeutsches Publikum) anbiedern wollten. Unter denen, die sich äußerten, war Fritz Cremer, der sich so von seiner vorherigen Haltung distanzierte.

Die Motive der so genannten Erstunterzeichner (ein Papier mit Unterschriften hat nie existiert) waren unterschiedlichster Art. Die Maßnahme der DDR folgte dem unguten sowjetischen Muster des Umgangs mit Aleksander Solschenizyn. Eine von einem deutschen Staat vorgenommene Ausbürgerung war schon wegen vergleichbarer Aktionen Nazideutschlands (die auch Hermlin und Heym betroffen hatten) zusätzlich kontaminiert. Zudem galt sie hier dem Kind eines in Auschwitz ermordeten jüdischen Kommunisten. Es hatte mit Selbstachtung zu tun, dass man nicht schwieg.

Manche glaubten ernsthaft, die Petition bringe Biermann in die DDR zurück. Zudem schien das Land in einer Phase kultureller Liberalisierung befindlich, die jetzt bedroht war und verteidigt werden wollte. Heym brachte es für sich auf die Formel, das Ausbürgern dürfe sich nicht einbürgern.

Wir trafen uns noch einmal im Hause Hermlin, am 22. November. Aus Stasi-Unterlagen weiß ich, dass diesmal ein Spitzel zugegen war. Unsere ohnehin lose Gemeinschaft zerbrach dann bald, an Argwohn und an Egoismen. Einige hatten Kontakt zur Parteispitze. Einige bedauerten ihr Vorgehen halböffentlicher Form. Fast alle erlebten Repressionen. Viele Namenlose wurden inhaftiert, auch hier lag die Zahl um die hundert. Die SED-Mitglieder unter den Petenten erhielten Parteistrafen bis zum Ausschluss. Viele kehrten der DDR den Rücken und lebten fortan in der Bundesrepublik. Ein führender SED-Funktionär Berlins, Roland Müller, tat den Ausspruch: "Wir haben für jede Ratte eine Behandlung. Die eine streicheln wir, der anderen zeigen wir das Loch, aus dem sie gekommen ist." Keine Ratte bleibt unbehandelt.

DDR-Vergangenheit
Wir durften nicht schweigen (3)

Man hat die "Biermann-Affäre" den Anfang vom Ende der DDR genannt. Das greift zu hoch. "Keine DDR konnte kippen, weil sie irgendeinen Mann mit Gitarre ins deutschdeutsche Exil jagt", sagte Biermann selbst. Unser Text klang eher vorsichtig. Vergleichbares aber hatte es in der überwiegend friedhofsstillen DDR lange nicht gegeben; der Aufstand vom 17. Juni 1953 und die Intellektuellenrevolte drei Jahre später lagen weit zurück, nun bestand wieder die Gelegenheit, politischen Unmut öffentlich und massenhaft zu äußern. Doch die Ziele blieben diffus und, vor allem, beschränkt auf intellektuelle Milieus. Wenn manche der hernach vergraulten Künstler ihre Westemigration als Strafe begriffen, konnten Leute, die für sich selbst nichts dringlicher ersehnten als eine solche Übersiedlung, dies nicht nachvollziehen. Es war dieser ins Riesenhafte anschwellende Wunsch, der, neben anderem, 1989 die DDR zum Einsturz brachte.

Die DDR war von Beginn an ein Staat ohne Legitimation. Je länger sie existierte, desto mehr wurde sie auch zu einer Schädelstätte linker Illusionen, denen fast alle zwölf Erstunterzeichner der Petition, dazu Biermann, damals anhingen, irgendwie. Der Anfang vom Ende der DDR war der Anfang der DDR.

Rolf Schneider
geboren 1932 in Chemnitz. Seine Romane "Die Tage in W." (1965) und "Der Tod des Nibelungen" (1970) befassten sich mit der Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1976 schloss er sich der Resolution gegen die Biermann-Ausbürgerung an, 1979 wurde er aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und arbeitete fortan als Dramaturg und Autor im Westen. Er lebt bei Berlin.
Artikel erschienen am 13.11.2006

"Ich bin wie ein Computer" (Die Welt)

Roger Federer
"Ich bin wie ein Computer"

Zum Auftakt des Masters Cup in Shanghai besiegte Roger Federer Titelverteidiger David Nalbandian (Argentinien) mit 3:6, 6:1, 6:1. Im Interview mit WELT.de spricht der 25-jährige Weltranglistenerste über seine herausragende Fähigkeit, das Spiel des Gegners lesen zu können und den Plan seiner Karriere.
Von Stefan Frommann

WELT.de: Gibt es ein Spiel, das Sie gern noch einmal spielen würden, Herr Federer?
Roger Federer: Meinen ersten Auftritt in Wimbledon gegen Pete Sampras. Er war neben Boris Becker und Stefan Edberg mein Idol, und ich war total glücklich, die Möglichkeit bekommen zu haben, gegen ihn zu spielen. Ich wusste, dass ich nie eine Chance hätte, wenn ich nicht richtig gut spielen würde. Und dann gewann ich mit 7:5 im fünften Satz. Dieses Spiel war für mich ein absoluter Meilenstein, das würde ich am liebsten noch einmal erleben.

WELT.de: Gegen wen der großen alten Tennisheroen hätten Sie gern mal auf Augenhöhe gespielt?
Federer: Gegen Björn Borg. Er hat dem Tennis damals eine neue Dimension verliehen. Er hat dem Sport diesen Glamour gegeben. Als er kam, kamen die Medien, die kreischenden Fans, plötzlich hatte der weiße Sport richtige Stars. Ich habe ihn ein paar Mal getroffen. Gegen ihn hätte ich sehr gern einmal auf dem Platz gestanden.

WELT.de: Björn Borg hatte eine ähnliche Eleganz wie Sie.
Federer: Er hatte vor allem die gleiche mentale Stärke. Er hatte die gleiche einhändige Rückhand. Er hatte die gleiche Statur wie ich. Dass er schon mit 26 aufgehört hat, war schon ein Wahnsinn.

WELT.de: Sie behaupten von sich, das Spiel Ihrer Gegner lesen zu können. Studieren Sie die Gegner vorher, oder wie geht das?
Federer: Früher habe ich mich viel mit meinem Gegner befasst. Wie muss ich gegen den jetzt spielen? Wohin serviert er wichtige Aufschläge? Wie läuft er? Ich habe mir sogar Notizen gemacht. Dann habe ich gesagt: Moment, deine Stärke ist es doch wohl nicht, auf ein Blatt Papier zu schauen, um zu wissen, wo dein Gegner hinspielt. Ist dann das Blatt Papier schuld, wenn es nicht so kommt? Nein, ich möchte selbst schuld sein, wenn ich schlecht spiele. Ich möchte kreativ sein dürfen.

WELT.de: Also bestimmen Sie das Geschehen und verlassen sich auf Ihr Gefühl.
Federer: Ich spüre im richtigen Moment, wohin der Gegner spielen wird. Ich kann seine Technik sehr gut lesen. Wie sind seine Möglichkeiten, in diesem Augenblick einen kurzen, einen hohen oder einen flachen Ball zu spielen? Ich decke das Feld sehr gut ab und mache es sehr schwierig für meinen Gegner, einen Winner zu spielen.

WELT.de: Sie sehen das Spiel voraus?
Federer: Ich habe ständig Prozente im Kopf, wie groß welche Wahrscheinlichkeit für meinen Gegner gerade ist. Ich bin wie ein Computer in den letzten paar Jahren, ich bin selbst überrascht darüber. Und ich muss lachen, wenn ein John McEnroe sagt: So wie der Roger auf dem Platz denkt, das hätte er noch nie gesehen. Er hat Recht. Mir geht so vieles durch den Kopf, ich bin immer schon ein paar Schläge oder einen ganzen Punkt weiter als mein Gegner. Manchmal ist das wie im Film: Dann sehe ich schon alles, was passiert. Eigentlich ist es schockierend, dass ich das kann, aber es gut für mich.

WELT.de: Muss man dann eigentlich noch etwas trainieren?
Federer: Erst analysierst du: Was sind meine Stärken, was sind meine Schwächen? Dann überlegst du: Wie kann ich meine Schwächen vor den Gegnern ein bisschen mehr verstecken und meine Stärken herausheben? Das ist wie ein Spiel, aber ein ganz wichtiges.

WELT.de: Sie planen Ihre Karriere sehr gewissenhaft. Muss man das, um im Tenniszirkus zu bestehen?
Federer: Wenn man einen guten Plan hat, findet man sich mit allem ab. Dann reist man früher als andere zu einem Turnier, damit sich der Körper rechtzeitig umstellen kann. Ich spiele nur noch 15 bis 20 Turniere im Jahr. Im Vergleich dazu: Nikolai Dawidenko, die Nummer drei der Welt, spielt 35. Der spielt jede Woche eines.

WELT.de: Und weiß dabei doch kaum noch, wo er gerade ist, oder?
Federer: Die ständige Reiserei ist schon hart, keine Frage. Ich beziehe nicht die gleichen Hotels wie die anderen Spieler. Ich möchte nicht beim Frühstück morgens allen erst Hallo sagen müssen, ich möchte mit meiner Freundin Mirka allein sein. Ich schaue, dass ich in guten Hotels bin, in den besten. Das ist für mich wie eine Investition. Gute Hotels sind in der City, nicht in der Nähe der Tennisanlage. Lebe ich in der City, sehe ich noch etwas von der Stadt, und das will ich. Du kommst nicht und gehst wieder, Check-in, Check-out, wie andere. Ich weiß genau, wo ich gerade bin.

WELT.de: Ist Ihr Hotelzimmer der größte Luxus, den Sie sich leisten?
Federer: Wenn ich mich wohlfühle und weiß, warum ich das alles mache, habe ich auch kein Problem damit, da Geld reinzubuttern. Sonst langweilt man sich, die Karriere verkürzt sich, das macht doch keinen Sinn.

WELT.de: Ihr Vermögen wird auf über 20 Millionen geschätzt. Sie führen aber nicht das Leben der Reichen und Schönen.
Federer: Ich bin eigentlich nicht so ein Jet-Set-Mensch. Manchmal gehe ich auf diese Galas, meistens ja, weil ich geehrt werde, nicht, weil ich es besonders cool finde. Oder ich gehe dorthin, weil es eine Charity-Veranstaltung ist.

WELT.de: Leisten Sie sich denn außer luxuriösen Hotels etwas?
Federer: Na ja, ich lasse es mir schon gut gehen. Ich investiere in Hotels, beim Fliegen, dann ist es mal ein Privatjet, um schneller von einem Ort zum anderen zu kommen. Mehr und mehr habe ich Spaß daran gefunden, gute Kleider zu kaufen. Ich liebe tolle Autos. Zum Glück habe ich viele bei Turnieren gewonnen.

WELT.de: Klingt, als würden Sie sich gerade langsam an den Luxus herantasten.
Federer: Ich genieße den Luxus, weiß aber, dass er nicht automatisch happy macht. Luxus bringt nicht selbstverständlich Zufriedenheit. Ich könnte sofort auch ein ganz normales Leben führen.
Artikel erschienen am 13.11.2006