Knaller an der Zeitungsfront

Friday, February 23, 2007

Fußball oder: Wir wollen euer Leben (Tagesspiegel)

(23.02.2007)
Fußball oder: Wir wollen euer Leben
Morgen wird wieder gespielt in Leipzig. Aber was? Vor zwei Wochen war es Krieg – ein Blick zurück
Von Clemens Meyer, Leipzig

14 Uhr:
Die zweite Mannschaft von Aue ist Favorit in diesem Pokalspiel gegen den 1. FC Lok Leipzig, spielt eine Klasse höher in der fünften Liga, und so beginnt sie auch: In der dritten Spielminute zieht Daniel Rupf eine Freistoßflanke von der linken Seite vors Lok-Tor, der Torwart bleibt auf der Linie kleben, Aue-Stürmer Roy Blankenburg köpft aus sieben, acht Metern aufs Tor, ein Schreckensschrei der Lok-Fans … der Ball geht drüber. 5327 Zuschauer sind im Stadion, davon vielleicht 350 aus Aue. Es hat am Vortag aufgehört zu schneien, der Rasen ist noch leicht mit Schnee bedeckt.

16 Uhr 10:
Aus dem Polizeibericht: „Beim Verlassen des Stadions kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen unter den gewaltbereiten Anhängern des 1. FC Lok Leipzig. Diese Streitigkeiten konnten durch die Polizeikräfte schnell unterbunden werden, so dass der Abfluss von der Connewitzer Str. in Richtung Prager Straße ohne größere Störungen erfolgen konnte. Gegen 16.18 versuchten 80 gewaltbereite Anhänger des 1. FC Lok in Richtung des Abfahrtortes der Zuschauer aus Aue zu gelangen, dies unterbanden die dort eingesetzten Kräfte im Kreuzungsbereich der Connewitzer/Prager Straße.“

14 Uhr 10:
Lok kommt besser ins Spiel. Abwehrmann Anton Köllner geht mit nach vorn, ist plötzlich ganz allein vor Aue-Schlussmann Stefan Flauder, Köllner, fast zwei Meter groß, schießt aus kurzer Distanz, doch Flauder hält.

14 Uhr 45:
Halbzeit. Bericht aus dem Internet: „Ein geiler Tag (…) Kurz nach Halbzeit Sturm auf Zaun der Gegengerade zu Gästeblock mit ca. 70 Leuten davon 20 sehr Gute. Auf Zaun und nur durch massiven Angriff von Pfefferspray durch Bullen davon gehindert, den Block zu stürmen. 1 : 0 für die Bullen.“

Gegen 14 Uhr 20:
Fast das 1 : 0 für den FC Lok. Torjäger René Häusel kommt an den Ball, er dreht sich mit dem Ball am Fuß um die eigene Achse, „Mach es, René!“, schreien die Fans, er lupft den Ball aus halblinker Position Richtung Tor, Richtung langer Pfosten, er hat den Ball raffiniert angeschnitten, „Geh rein!“, schreien die Fans, es fehlen ein paar Zentimeter.

Ca. 16 Uhr 40:
Eine Polizistin sitzt allein in einem Einsatzfahrzeug. Eine größere Gruppe Hooligans versucht, das Auto umzukippen. Sie schafft es nicht und beginnt, mit Eisenstangen auf das Auto einzuschlagen, Betonteile werden gegen Front und Heck geworfen. Die Polizistin drinnen hält ein Funkgerät in der Hand und hat den Mund weit geöffnet.Der Sprecher der Polizeidirektion Leipzig: „Wenn man eine Schusswaffe in das Gesicht gedrückt bekommt, ist man heilfroh, wenn man da unverletzt wieder rauskommt – egal ob die Waffe echt war oder nicht.“

14 Uhr 29 bis 14 Uhr 33:
Das Spiel hat sich seit einigen Minuten beruhigt. Doch plötzlich kommt wieder Lok-Stürmer-Ass René Heusel an den Ball und schießt aus spitzem Winkel, „Tooor!“, schreien einige der 5000, aber der Ball ging nur ans Außennetz. Dann die erste große Chance für Erzgebirge Aue. Andreas Lobsch bringt einen Freistoß von der rechten Eckfahne in den Strafraum, Christian Siemund springt höher als sein Gegenspieler, und der Ball schlägt aus sieben Metern im Tor ein. Die 350 Aue-Fans jubeln, 5000 schweigen.

Nach 16 Uhr 30: Zwei Zivilpolizisten unter den 800 außerhalb des Stadions, die die uniformierten Kollegen angreifen. Sie tragen szenemäßige Kleidung, um nicht aufzufallen.„Fünf, vier, drei“, brüllen einige der Hooligans, bei „eins“ stürmen sie auf die Polizisten und deren Einsatzfahrzeuge zu. Steine werden aus dem Pflaster gerissen, Steine aus dem Gleisbett der Straßenbahn gesammelt. Steine fliegen, auch Eisenstangen sind im Einsatz, die ersten Müllcontainer brennen und werden auf die Straße gezogen. Dort ist auch die Reiterstaffel unterwegs, große Pferde, auf denen die Reiter so klein wirken, sie nähern sich langsam dem Pulk der Hooligans, Kommandos werden gebrüllt, und jetzt fliegen die Steine in Richtung der Pferde.

Bericht aus dem Internet:
„Beide umgedreht, ich dem einen ein Schlag auf den Hinterkopf und dann unseren Leuten die Bullen zu erkennen gegeben. Folge >Hatz auf die Bullen> Zick Zack Kaninchen Kurs der Zivis mit Purzelbäumen im Laufen. Eh den ging echt der Arsch, von ca. 15mann gejagt. Dann der große war weg, der schwarze durch Beinstellen gestürzt und am aufstehen panisch sich umdrehend einmal in die Luft geschossen. das ganze spielte sich hinter dem Mob ab, der Steinbeschuss auf die Bullen ging unterdessen weiter.“

2. Halbzeit, nach 15 Uhr:
Leuchtraketen und Feuerwerkskörper fliegen aufs Spielfeld. Rauch- und Nebelschwaden ziehen durchs Stadion. Schiedsrichter Schinköthe unterbricht die Partie und schickt beide Mannschaften zurück in die Kabinen. Polizei dringt in den Auer Fanblock vor. Nach 13 Minuten kann wieder angepfiffen werden. Sofort das 2 : 0 für Aue. Daniel Rupf schießt aus acht Metern ein.

Nach 16 Uhr 30:
Ein Polizist sitzt in einem Fahrzeug. Die Tür ist nicht verschlossen. Ein Mann reißt die Tür auf und zieht eine Waffe, die er dem Polizisten auf den linken Oberschenkel setzt und abdrückt. Der Polizist schreit, der Mann verschwindet. Der Polizist blickt auf seinen Oberschenkel, der Stoff seiner Hose ist ein wenig verbrannt. Sein Bein tut weh. Er verriegelt die Tür.

Aus dem Polizeibericht:
„Am Rande des Fluchtweges der Kollegen bildete sich eine Art ,Spalier‘, welches die Polizeibeamten durchlaufen mussten. Hierbei wiesen die Verfolger immer wieder darauf hin, dass es sich um zivile Polizeibeamte handelt. Die an dem Rand stehenden Anhänger des 1. FC Lok schlossen sich der Masse der Verfolger an und skandierten heftigste Losungen gegen die Zivilbeamten. Nachdem ein Kollege durch körperliche Attacken der Verfolger zu Fall kam, wurde er dermaßen bedrängt, dass er sich zur Androhung der Schusswaffe entschloss. Trotzdem ließen die Verfolger nicht von ihm ab und sammelten in der Nähe abgelagerte Gegenstände auf.“

Ebenfalls nach 16 Uhr 30: Bericht aus dem Internet:
„Tatort vorm Stadion nach dem Spielende: Mit ca. 300 Mann gesammelt und ohne Überlegen gleich Bullenwagen angegriffen und demoliert. Kurzes Hin und Her mit Bullen ohne zu verlieren. 1 : 1 (…) Was im Anschluss folgte waren lose Angriffe auf vorbeifahrende Streifenwagen, Türe auf, Leuchtspur rein, Steine drauf, sich vor Angst in die Hosen scheisende Bullen die versucht haben, aus dem Stau auszubrechen und über den Bürgersteig mit den Wagen flüchteten.“Aus dem Polizeibericht: „Noch während des Angriffs versuchte eine größere Anzahl von Störern zu den Diensthunden zu gelangen, um diese einsatzunfähig zu machen. (…) Gleichzeitig versuchten andere Störer die eingesetzten Dienstpferde durch Steinwürfe zu verletzen. (…) Bei den Auseinandersetzungen wurden weiterhin insgesamt 36 Polizeibeamte verletzt und 21 Fahrzeuge beschädigt.“

Gegen Ende des Spiels, 16 Uhr: In der 82. Spielminute erhält Lok-Kapitän Holger Krauß die Gelb-Rote Karte. Drei Minuten später muss der Auer Marcel Nolde ebenfalls vorzeitig in die Kabine. Kurz vor Schluss vollendet der Ex-Leipziger Silvio Schwitzky einen Konter der Auer zum 3 : 0 Endstand. Der Schiedsrichter pfeift ab.

Nach Spielende: Bericht aus dem Internet: „Ganz großes Lob an unsere jungen Leute für die das echt heute mal ein mega Erlebnis gewesen sein muß, Grüße und Genesungswünsche an alle Verletzen. Rechtschreibfehler seien mir verziehen.“

Auf der Kreuzung Connewitzer/Prager Straße haben sich die Hooligans neu formiert. Die meisten haben ihre Gesichter mit Schals oder Tüchern vermummt. Immer noch fliegen Steine. In der Mitte der Kreuzung hat eine Gruppe von Polizisten einen Kreis gebildet. Etwas außerhalb des Kreises ein brennender Müllcontainer, daneben ein umgestürztes Fahrrad. In der Mitte des Kreises läuft ein Rettungssanitäter. Er trägt eine orangefarbene Weste mit weißen Streifen, er blickt zu Boden.

Der Autor ist Schriftsteller und lebt in Leipzig. Die Helden seines Romans „Als wir träumten“ sind junge Fußballfans im Leipzig der Nachwendejahre. Sie ziehen durch die Straßen, sie feiern, randalieren und fliehen vor Skinheads, ihren Eltern und der Zukunft. Alle Fluchtversuche enden auf den Fluren des Polizeireviers Südost.

Tuesday, February 13, 2007

Warum schlafen Koreaner auf dem Boden? (Tagesspiegel)

(11.02.2007) ETHNOlogie
Warum schlafen Koreaner auf dem Boden?

Koreaner lieben ihren Fußboden, auf dem sie sitzen, um zu essen, zu arbeiten oder sich zu unterhalten – und auf dem sie liegen, um zu schlafen.

Der Boden in koreanischen Wohnungen ist sehr warm, es wird traditionell nur von unten geheizt. Seit über 1300 Jahren haben die Häuser Fußbodenheizungen, die „Ondol“ heißen: warmer Stein. Tatsächlich kann der Boden mit Ondol aber nicht nur warm, sondern sogar richtig heiß werden – 30 bis 35 Grad Celsius gelten als ideal. Ausländer, die das nicht gewöhnt sind, sollten sich dicke Socken anziehen, denn Schuhe muss man beim Betreten einer koreanischen Wohnung am Eingang zurücklassen.

Die Koreaner selbst „lieben die Hitze“, wie Namhee Chon, Koreanisch-Lektorin an der Freien Universität (FU), sagt. „Wir verbinden mit Ondol auch emotionale Wärme.“ Alles, was in der Familie oder im Freundeskreis passiert – Feiern, Mahlzeiten, Trinkgelage, findet schließlich auf beheiztem Untergrund statt. Früher bestand der Boden in koreanischen Häusern aus Steinplatten, die mit geöltem Papier bedeckt waren. Darunter verliefen Leitungen, die ebenfalls aus Stein gebaut waren. Sie wurden mit dem Ofen des Hauses verbunden, in dem Holz oder Kohle brannte. Während auf dem Ofen Reis kochte, erhitzte der warme Rauch des Feuers die Zimmer. Heute ist das anders: Meist fließt jetzt heißes Wasser unter dem Boden hindurch, das schon warm in die Wohnung kommt oder durch eine Öl- oder Gasanlage erhitzt wird. Über dem Zementfußboden liegt nun Linoleum.

Die Gebräuche aber sind geblieben. Es gibt zwar mittlerweile Koreaner, die in westlichen Betten schlafen. Und längst stehen in den Apartements auch elektrische Heizöfen. Aber viele Leute legen sich nachts noch immer auf den Boden – auf eine dünne Matratze, die abends aus dem Schrank geholt und morgens wieder zusammengerollt wird. Die Wärme von unten soll auch gesund sein. „Wenn Koreaner erkältet sind, heizen sie noch stärker“, sagt Namhee Chon.

Natürlich ist die Fußbodenheizung besonders im Winter wichtig – und verspricht dann auch den höchsten Genuss. Einmal geheizt, verliert der Boden nur langsam seine Wärme. Besonders heiß ist er in buddhistischen Tempeln. Laut Namhee Chon sagen die Mönche sich nämlich: „Wenn wir schon keine Frauen haben dürfen, wollen wir es wenigstens schön warm haben.“
Björn Rosen

Mahnmal für getötete Bundeswehrsoldaten? (Tagesspiegel)

(11.02.2007)
PRO & Contra
Braucht Berlin ein Mahnmal für getötete Bundeswehrsoldaten?

Es sind 65. So viele Soldaten sind seit 1990 bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr getötet worden. Sie starben für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, ihre Einsätze wurden vom Bundestag beschlossen. Sie starben bei riskanten Hilfseinsätzen, sie starben durch Terroristenhand.

Wer hätte gedacht, dass es in so wenigen Jahren so viele waren? Schon deshalb ist ein zentrales Ehrenmal der Bundeswehr sinnvoll. Zu mahnen, dass der Beruf riskanter ist als der des Arztes oder Architekten. Das Ehrenmal kann der Öffentlichkeit zeigen, wie riskant die Verteidigung von Freiheit und Demokratie ist, dies wird gerne vergessen. Derzeit sind über 6000 Soldaten in Krisengebieten wie Afghanistan oder dem Balkan.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat jetzt angekündigt, dass mit dem Bau noch in diesem Jahr begonnen wird. Das Ehrenmal soll an alle 2600 Soldaten erinnern, die seit Gründung der Bundeswehr 1956 im Dienst starben. Jung will das Denkmal am Bendlerblock errichten, seinem Berliner Dienstsitz. Das ist ein Fehler. Der Bendlerblock ist schon genug historisch belastet. Dort wird an das gescheiterte Attentat auf Hitler erinnert, dort sind einige der Widerständler erschossen worden. Das Ehrenmal für die Bundeswehrsoldaten gehört in die Nähe des Parlamentes, des Ortes also, an dem die Auslandseinsätze beschlossen wurden. Wer das Ehrenmal mit dem Soldatenkult der Nazis vergleicht, hat nichts begriffen.
Jörn Hasselmann

Zwei Gründe sprechen gegen ein Denkmal für Bundeswehrsoldaten, die bei Einsätzen im Ausland ums Leben gekommen sind. Das eine liefert der Bundesverteidigungsminister selbst: Er gibt zwar Auskunft, wenn ein Angehöriger der regulären Truppe stirbt, schweigt aber, wenn es um das Komman- do Spezialkräfte (KSK) geht. Kommt ein Soldat aus dieser Einheit bei seiner heiklen Mission in Afghanistan ums Leben, dürfte höchstens bekannt werden, dass er starb. Über das Wie und Warum aber wird die Öffentlichkeit nichts erfahren – so dass nur einer, nämlich der Minister, beurteilen kann, ob der tote Soldat ein ehrenvolles Gedenken verdient oder nicht. Man muss sich nicht auf Leute wie Murat Kurnaz verlassen, um sich vorzustellen, unter welchen Umständen KSK-Soldaten in sehr geheimnisumwitterten Teilen der Welt unterwegs sind – es reicht der Blick auf die Nachrichten über den Irakeinsatz der Amerikaner. Der zweite Grund hat mit der deutschen Geschichte zu tun: Das Soldatengedenken erfordert Pathos – noch der schlichteste „Heldenfriedhof“ wirkt wie ein Ort, an dem es um die Überhöhung des Todes geht. Vielleicht ist das ja alles, was von einem Soldatentod bleibt, doch haben die Deutschen mit pathetischen Gefühlen im Kollektiv und vor allem mit deren Darstellung nie gut ausgesehen. Ganz gewiss soll man sich an die Toten erinnern. Aber das Erinnern gehört an die Orte, an denen Soldaten bestattet sind – auf die Friedhöfe.
Werner van Bebber

Saturday, February 10, 2007

'Everything about this moment is much too posh' (The Guardian)

'Everything about this moment is much too posh'
Jon RonsonSaturday February 10, 2007The Guardian

It is Friday night. Our new neighbour, Sam, has invited us for dinner. The whole thing is worrying me - relations between us have been frosty since he discovered I've been writing about him in the Guardian. (He saw through the pseudonym.) And now we've had a startling dinner invitation.
"Oh my God," I whisper to my wife, Elaine, as we arrive at their front door. "They live in a huge house. They're incredibly rich. And Sam and I obviously don't like each other. Why is there this... this... perseverance?"

"Just be nice," says Elaine.
A woman opens the door. "Hi!" she says. "I'm Olivia!"
"Hi!" we say.
"Oh, I love your coat!" Elaine says, examining their coat-stand. "It's beautiful."
"Well, it's perfect for the school run on a winter's morning!" says Olivia. She and Elaine sigh contentedly. I scowl inwardly. "This is too posh," I think.
"Did you go anywhere nice for Christmas?" I ask.
"The Bahamas," says Olivia. "The children played barefoot in the sand. They looked so cute in their Petit Bateau costumes."
"It's ALL SO POSH," I think, alarmed. "When did my life get so posh?"

I glance at Elaine. "This is her fault," I think. "She's the person who has brought poshness into our lives." I narrow my eyes. "She has a tendency to enjoy posh things, but now it's gone too far. Surely even Elaine can see that this is unacceptably posh. In fact, this is turning out to be a kind of benchmark of poshness, like that terrible thing that happened six years ago in Cornwall."
We were staying at an expensive boutique hotel in Cornwall. "This is too posh," I thought as I lay on a deckchair. Elaine was off with our then two-year-old son, Joel. "What am I?" I thought. "Some kind of swan? No! I'm a worker! I work."
Suddenly I heard a scream.

I looked up and saw Elaine tearing past me, ashen-faced. "What?" I shouted.
"Joel'sspilledbloodyMaryonawoman'spashmina!" she yelled as she screeched towards the toilets. "Ineedawetcloth!"
I furrowed my brow. "Everything about this moment," I thought, "is much too posh."
And now, six years later, we are in another too-posh situation. "I'm glad Joel spilled bloody Mary on that woman's pashmina back then," I think. "What is a pashmina, anyway? The truffle of scarves? What the hell is that all about?"
"Does Joel have a school uniform?" Olivia asks us. "Ours do, and they look like they're in Malory Towers!" Olivia sees her family, I realise, in terms of how they must look to others. They play barefoot in the sand. They do the school run in appropriate coats.
"Is this the posh person's tragedy?" I think ruefully. "To be able to see yourself only from the perspective of how other people see you?"
"I've got three weeks off work," says Sam over dinner.
"You should use the time to learn a new skill," I suggest.
"Like what?" Sam asks.
"Golf!" I say. "Learn golf!"
"Would you take up golf?" says Sam, glancing at me suspiciously.
"No," I say.
"Then why did you say that?" he loudly snaps. There's a silence. Everyone looks at me.
"It was the first thing that came into my mind," I say. "Jesus!" I think. "Leave me alone, you posh people."
Later that night I go to my poor friend Stephen's flat for a drink. "You don't know how lucky you are to be poor," I say, emotionally. "It's so much cosier and more comfortable. And your neighbours may be drunks, but they're real."
"Oh piss off," says Stephen.

How unmanned helicopter may fly to the rescue of Everest climbers (The Guardian)

How unmanned helicopter may fly to the rescue of Everest climbers
After six years of research pioneering Alpine Wasp is poised for test flight Ed DouglasSaturday February 10, 2007
The Guardian

When Trevor Rogers told climber Mark Inglis he was building a helicopter that could rescue people from the summit of Everest, the New Zealand climber was sceptical. "The first thing I said was, 'Yeah, right!' I've got a real interest in helicopters, and I know a lot about their performance."

As the first double amputee to climb the mountain, Inglis also knows a lot about overcoming improbable odds. Even so, what Rogers, president of TGR Helicorp, proposed seemed like science fiction. Most helicopters are not designed to operate above a ceiling of 4,300 metres (14,100ft) and those that do have to be modified.

The highest rescue achieved on Everest was at Camp 1 in 1996, when a Nepalese pilot took his French-built Ecureuil to 6,100 metres, rescuing two climbers with severe frostbite.

But after six years of research, Rogers told Inglis, his team had developed an unpiloted full-size helicopter called the Alpine Wasp, capable of flying autonomously at altitudes up to and even beyond 9,000m, 150m above the summit of Everest, and a full 3,000m higher than anything achieved before to carry two sick or injured climbers to safety. Inglis is so convinced by what he's seen that he is acting as a goodwill ambassador for the Auckland-based company.

Built from lightweight composite materials, the Alpine Wasp has a revolutionary diesel engine and rotor blades designed to function in the thin air of high altitude. "We are going to challenge the science of aviation at extreme altitude and conquer new frontiers on Mt Everest and in Nepal," Rogers says. The lack of a pilot has left some Everest climbers a little anxious. "Who wants to be first in line to test this thing?" one veteran said. But Rogers and his team are adamant an unmanned aircraft is the way to go.

"It's not as if a pilot can get out in the death zone of Everest to help an injured climber. Not to mention which, there'd be no one keeping the helicopter in the air, something that requires 100% concentration at any altitude and is extremely difficult at high altitude."

A helicopter has already flown high on Everest. In 2005 French pilot Didier Delsalle dropped a skid of another Ecureuil, the standard search and rescue helicopter in many countries, on the summit, to the fury of the Nepalese government. "They stripped everything out and carried minimum amount of fuel," Inglis says. But adding an injured climber's weight was out of the question.

Russian MI-17 helicopters have also performed evacuations from base camp but they are operating on the limits of their specification. An expedition organised by the SummitClimb agency narrowly avoided tragedy in 2005 when a huge section of rotor blade and other debris fell on their tents after a helicopter crash at base camp. The hulk of that MI-17 has been left to rot.

TGR say their helicopter will be tested this spring in the New Zealand Alps. If all goes well, the Alpine Wasp will be stationed from spring 2008 in a specially constructed hangar in the sherpa town of Namche Bazaar, at 3440m on the route to Everest base camp.

TGR have created the Everest Rescue Trust to take over running of the helicopter, and there are plans for a frostbite treatment centre. What is less certain is how the helicopter's on-board computer systems will identify stricken climbers.

The Wasp, Rogers says, will use virtual reality systems at its base in Namche Bazaar and can even fly in fog close to the mountain to perform rescues. Climbers will be fitted with a tracking device in order to locate them, and once they are found the helicopter will lower a cable for hoisting.

"They have to be able to clip themselves on to the rope or be helped by another climber to be clipped on," a TGR spokeswoman said.

The increase in numbers attempting Everest in the last decade has led to concern that more selfish attitudes are becoming commonplace on what was once a symbol of cooperation. Inglis was in the eye of a media storm last spring when the team he joined for his ascent of Everest came across the dying British climber David Sharp on the mountain's north ridge, and were unable to do anything to save him .

Sharp's fate was condemned by Sir Edmund Hillary, and described in the New York Times as "the single macabre image that will haunt the recent climbing history of Everest".

For a while, Inglis says, he faced intense criticism. "I've had a phenomenal amount of support, and the criticism really disappeared when people heard the true story. But what happened on Everest in 2006 was a catalyst for Trevor to move their schedule ahead."

Inglis lost both his legs to frostbite after being stranded in a snow cave on Mount Cook in 1982.
At the time, he was working as a search and rescue mountaineer for Mount Cook National Park. After his ascent of Everest last year, he had 3cm trimmed from each stump after suffering further frostbite.

He says the Alpine Wasp could take pressure off sherpas and western mountaineers who put their lives at risk to perform rescues on Everest. "When Trevor first came to see me, I asked how many sorties he expected to fly in a year and he told me what I thought was an extremely low number. I would have multiplied it by 10," Inglis said.

"What most people don't realise is that on Everest so many are rescued by other teams. In 2006 [our] team rescued a significant number of people and we got caned for one person we couldn't rescue. Much of my early career was in search and rescue, and the first rule is that a rescuer doesn't put their own life at risk. This [helicopter] is one of the first ways I've seen of really being able to ensure that on Everest."

Critics will point to the environmental impact of a helicopter operating high on Everest. There are also fears that its presence will attract inexperienced climbers who may try to charter the Alpine Wasp for their own convenience.

Sherpas may fear that the Wasp could carry equipment up the mountain and destroy their livelihood.

"That's not going to happen," says Inglis. "It's for rescue. One of the most complex things is putting together the rules. No one can pay to get picked up because they're feeling a bit tired."

Quick, quick, slow (The Guardian)

Quick, quick, slow
When Dan Kieran stopped flying 15 years ago, organising his travel through Europe was a headache. Now, at long last, the rail companies are hitting back at the budget airlines, introducing faster, smarter trains - and a greener way to go
The Guardian
Saturday February 10 2007

Faster, smarter, greener ... trains are back in fashion. Photograph: Britain on View.
The waiter in the dining car leant over our table and enquired whether we'd care for another bottle of complimentary sancerre or perhaps some champagne before the main course arrived. The concierge, meanwhile, was preparing our cabin, with its own ensuite toilet and shower, for a tipsy reunion a few hours later.

I surveyed our fellow travellers and felt a twinge of surprise as we glided through the French countryside. In the 15 years I'd shunned aeroplanes for long distance trains, I had become used to being the youngest passenger in the dining car by at least 30 years. But not this time. My partner Rachel, our son Wilf and I weren't even the only young family. Only one couple could actually pass as retired. The rest of the relaxed, smiling faces belonged to adults of all ages who were thoroughly enjoying the journey to Madrid and all that free wine. It was then that I realised that our secret was out. Trains are back in fashion.

In recent years, rail companies may have been slow on the uptake when it comes to fighting back against the budget airlines, but with carbon emissions now so high up on the political agenda it's safe to say that the time of the train has come. Indeed by the end of 2007 the infrastructure will be in place for a whole new era of international rail travel.

Eurostar's new terminal at St Pancras, and the UK's first high-speed line, set to open in November this year, will cut journey times from London to Paris to 2¼ hours. Once it's up and running, there are plans to introduce tickets from the north of England and Scotland to destinations right across Europe. Manchester to Marseille, for example, or one day even Edinburgh to Istanbul. In June SNCF launches its high-speed TGV Est service, allowing passengers to travel from London to Strasbourg in a mere six hours. A new high-speed rail link between Brussels and Amsterdam is also opening in December cutting journey times by a third.

In an attempt to inject even more glamour into the experience, the rolling stock will look a little different, too, having been designed by Pininfarina, the famous Italian design company that lists Ferrari, Alfa Romeo and Jaguar among its clients. Then there's the new Railteam project (eurostar.com) , which will give international rail companies in the UK, France, Germany, Holland, Switzerland, Belgium and Austria the chance to offer a combined service right across the continent. Even the classic Inter Rail pass is being updated so you can cherrypick the countries you want to visit instead of the old-fashioned zone system that meant paying through the nose for a ticket covering countries you had no intention of visiting.

A fully integrated network will soon be in place offering an alternative to the environmentally damaging pursuit of no-frills flying with its emotionally draining two-hour check-ins and habit of dumping you miles from where you want to go. However, once you've tried international rail travel, you'll find it's not just a question of assuaging your environmental guilt. Those who are prepared to take a bit more time when going abroad have discovered something else, too. They've realised that the very fact that it takes a little longer means you genuinely get to "travel".

Before I stumbled upon European Rail, the company that organised our family package deal to southern Spain with a Grand Class overnight cabin that includes dinner and wine, I arranged my own rail trips abroad. And, if I'm honest, organising them was always a nightmare. I had some interesting experiences though, including one memorable 24-hour trip to Warsaw via Brussels to be the best man at a friend's wedding. Despite various mishaps, it gave me a taste for a new kind of "slow" travel. I got my timings wrong, missed all of my connections and ended up in Cologne station at midnight reading The Day of the Jackal while being stalked by the world's worst pickpocket.

I managed to talk myself on a train to Berlin via Hamburg before getting a connection to Warsaw. I awoke at dawn in Berlin, a horizon peppered with dozing cranes beneath an orange glow. Into Poland and we passed through fields where stout men were dragging their heels behind horse-drawn ploughs. On route, I chatted to a soldier on the run from Germany before giving an impromptu English lesson to a mother and her 10-year-old son. I'd also read that this stretch of the line formed part of Jonathan Harker's journey into Transylvania in Bram Stoker's Dracula, something that gave the thick dense woodland an air of fascinating menace.

My expedition was certainly altering my state of mind - the relative slowness of rail travel gave me time to absorb and acclimatise myself to my surroundings.

I arrived in Warsaw somewhat bleary eyed, six hours later than planned. The station was the kind of brutal concrete communist Lubyanka that awoke suspicion and fear in my middle-class eyes, despite the smiles and friendliness around me. I hailed a taxi and found myself once again in the umbilical cord of western life as we drove through the new developments of Warsaw with their lurid Coca-Cola and McDonalds branding jostling for position with Sony and a Holiday Inn.
I soon arrived in my luxury hotel filled with western businessmen and immediately bumped into a friend who had also come out for the wedding. He'd been in London only five hours earlier having, more sensibly in his eyes, chosen to fly. He laughed at my dishevelled appearance and told me how eccentric I had become.

But standing in the lobby of that hotel I realised that he wasn't really in Poland. Not really. He was in a building of the kind he saw every day at home. He had travelled through a wormhole that began in a taxi outside his flat that took him to an aeroplane that entertained him with his favourite television shows and delivered him to a taxi, which had brought him to this western hotel. He had no conception of the country he had entered. Neither, perhaps, did I, but at least I had the grace to be aware of that fact. I had, at any rate, seen the land and the people of the countries I had travelled through. I would suggest I was also unknowingly more respectful because of that fact.

The journey home a few days later was far less eventful but no less enjoyable, and when I got back to London I felt like I had actually travelled somewhere for the first time in my life. I felt like a pioneer. I was hooked and I have never flown since.

At the moment I'm reading English Journey by JB Priestley to prepare for a travel book I'm writing with my friend Ian called Three Men In A Float. We're taking this idea of slow travel one stage further and applying it to our own country this summer by driving across England in a milk float with our friend Prasanth. I discovered that Priestley predicted this phenomenon, the downside of excessive speed for anyone hoping to experience what it actually means to travel, while journeying around Britain in the autumn of 1933.

"Our new, rapid, closed-in sort of travel has its sinister aspects," he wrote, "and here is one of them. When people moved slowly in their travel, there was time to establish proper communications with what was strange, to absorb, to adjust oneself. Now that we are whizzed about the world, there is no time for absorbing and adjusting. Perhaps it is for this reason that the world that the traveller knows is beginning to show less and less variety. By the time we can travel at 400 miles an hour we shall probably move over a dead uniformity, so that the bit of reality we left at one end of the journey is twin to the bit of reality we step into at the other end. Indeed, by that time there will be movement, but strictly speaking, no more travel."

Thankfully, since my trip to Poland I've found rail package deals that offer the sense of perspective and adventure of that journey with all the luxuries and certainties you want when holidaying abroad. And the Railteam project will soon prevent fearful midnight conversations with surly guards if you do happen to miss any of your connections.

So if we are serious about tackling climate change, then the culture of short-haul travel will have to change and we will have to start turning our backs on the budget airlines. Not only do we now have a genuine alternative, you never know, it could even give you an addiction to a far nobler form of travel.

Dan Kieran is deputy editor of The Idler
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On the rails the sexy, cinematic way to go
And the award for the sexiest train scene from a movie goes to ... ? What? Brief Encounter, where Celia Johnson and Trevor Howard played out an unrequited affair exchanging nothing more than Received Pronunciation variations in the caff at Carnforth station? Or Lemmon and Curtis dragging around the sleeper car with Marilyn Monroe in Some Like It Hot?
No, for me, it has to be Hitchcock's North by Northwest. Especially the bit where Cary Grant first encounters platinum blonde Eve Saint Marie.

Grant, dressed in a silvery Kilgour French Stanbury suit and Persol sunglasses, looks shifty but splendidly suave as he is shown to her table in the restaurant car of the clattering 20th Century Limited locomotive. Eve Marie Saint is coolly smoking. In every way imaginable. She tells him that she tipped the steward five dollars to seat him here. "Is that a proposition?" asks Roger Thornhill, Grant's character. Seduction moves at clattering double time when you travel by train and before long, Eve has got Cary back to her sleeping berth and sparks start to fly from the undersides of their respective rolling stock.

Of course, for us Brits, train travel isn't immediately associated with the libidinous, romantic, luxurious or filmic. Our trains are all about the overcrowded, over-priced misery of suburb-to-city commuting, poor quality food, endless cancellations, the wrong kind of snow and Minding The Gap.

But when train travel isn't a work thing, when one takes a train bound for a pleasurable destination, alone and off peak, to somewhere slightly more evocative than, say, King's Cross or Crewe, it can be quite wonderful ... sexy even. Even on Virgin Trains.
Some of my most memorable journeys have been by train. I'll never forget my cosy, quaint overnight train journey on the Caledonian Sleeper from London to Fort William. My wife and I had our first holiday together riding steam trains around Rajasthan, India, and a few years ago, on assignment for this paper, I took an Amtrak from Penn Station to the Adirondacks in upstate New York. In Switzerland, I had an insanely steep train journey up to St Moritz on a train that served wine in glasses with their stems specially bent to accommodate the gradient.

But my favourite train journeys have been taken alone, riding the Bullet Train from Kyoto to Tokyo, the magnificent Chihuahua al Pacifico railway into Mexico's Copper Canyon, or doing the Inter Rail thing from London to southern Italy as a teenager where I did my best to orchestrate my own kind of Cary/Eve encounter. Quite difficult, I discovered, when you have a non-seated ticket, a rucksack, no money for the dining car and an Echo and The Bunnymen haircut.

It may be slightly circuitous and protracted but at its best, long-haul train travel humanises its passengers. People move around on trains. They go to the buffet car and buy each other drinks. They stick their heads out of windows. (Well, they do on foreign trains anyway.) They can let each other through or choose to engage in a comical, playfully harmless frottage unique to railway travel, as they attempt to pass simultaneously. You tend to meet people doing this kind of stuff. Flirting with a stranger while the train jiggers through the night through the Alps or towards Düsseldorf (very Kraftwerk, that) is much classier and less sordid than a quick bit of mile-high action on a Ryanair flight.

That said, if you want to be left alone, go to Rio or Russia where they've introduced single sex carriages so women can avoid being chatted up. Alternatively, bury your nose in a book. How about Michel Houellebecq's Platform? It's about a couple who like having sex in public places ... on trains mainly.

Simon Mills

Pinke Schminke und spitze Witze

(10.02.2007)
Pinke Schminke und spitze Witze
Leggins, Locken und ein großes Ego – das ist Cindy aus Marzahn. Im Quatsch Comedy Club tritt sie auf
Von Sebastian Leber

Es soll niemand behaupten, in Marzahn könne man keinen Spaß haben. Cindy hat ihn nämlich. Zusammen mit ihren Busenfreundinnen Britney Schulze, Naomi Krüger und Jennifer Lopinski alias J.Lo. Den Türsteher Enrico, ihren absoluten Traumtypen, hat sie auch in Marzahn kennengelernt. Obwohl die Beziehung rückblickend gar nicht so spaßig war, der Kerl hat irgendwann mit Peggy geschlafen. Warum? Weiß ich nicht, sagt Cindy. Der Zuschauer hat eine leise Ahnung.

Ihre ersten Lacher kassiert Cindy auf der Bühne schon, bevor sie in Reichweite des Mikrofons kommt. Weil die füllige Cindy unbestreitbar komisch aussieht: die blondierten Ringellocken, die tigergemusterten Leggins und die pinke Schminke, der Witz erklärt sich von selbst. Sie ist die Cindy aus Marzahn. Seit zwei Jahren tritt sie im Kabarett auf, inzwischen auch im Fernsehen. Dort erklärt sie, wie das Leben in ihrem Bezirk abläuft. Heute und morgen ist sie mit drei anderen Comedians im Quatsch Comedy Club in der Friedrichsstraße zu Gast.

In Wirklichkeit heißt Cindy ja Ilka Bessin. Sie ist 35, lebt nicht in Marzahn, sondern in Wilmersdorf. Am Freitagmittag im Café am Fehrbelliner Platz trägt sie kein Pink, sie sitzt ganz in Schwarz gekleidet vor einer Tasse Tee. Die blonden Locken fehlen auch, die gehören zu einer Perücke, Bessins echte Haare sind glatt und dunkler. Nein, sagt sie, sie hat nie in Marzahn gelebt. Aber immerhin ist sie im brandenburgischen Luckenwalde aufgewachsen, jetzt nicht direkt in einem Plattenbau, aber in einem sechsstöckigen Hochhaus. Und ihre Eltern wohnen immer noch da.

Bessins Figur Cindy ist arbeitslos, seit zwölf Jahren schon. Sie mag Hunde, vor allem Pitbulls, Mastinos und „was sonst noch so auf Spielplätzen rumläuft“. Und sie findet, dass Männer in Liebesdingen mehr Verantwortung übernehmen sollten. Sie müssen ja nicht gleich an die Verhütung denken. Aber zumindest die Abtreibungen könnten sie ruhig bezahlen.

Bessin sagt, sie wolle sich nicht über die Marzahner lustig machen. Und dass ihre Cindy nicht nur schrecklich, sondern auch liebenswert sei. „Die Frau glaubt an sich. Sie glaubt, dass sie singen und tanzen kann und dass sie gut aussieht.“ Und das wichtigste im Leben, das meint Bessin jetzt ausnahmsweise ganz ernst, sei doch, dass man Träume hat und dafür kämpft. Sie selbst war früher Köchin, dann Kellnerin, irgendwann Geschäftsführerin einer Potsdamer Diskothek. Und Animateurin auf einem Clubschiff. Später war Bessin drei Jahre arbeitslos. Bis sie im Quatsch Comedy Club anrief. Sie sei ziemlich lustig und wolle auftreten, erzählte sie denen am Telefon. Man hat ihr sofort geglaubt. Und da sie gerade im Fernsehen gesehen hatte, wie der Berliner Komiker Kurt Krömer einen Witz über eine gewisse Shakira aus Hohenschönhausen gemacht hatte, kam ihr die Idee mit Cindy aus Marzahn. Den Rest hat sie sich beim Kaffeetrinken in der Küche ausgedacht.

Falls sie sich überhaupt über jemanden lustig mache, dann über sich selbst, sagt Bessin. Und über ihr Übergewicht. „Alzheimer Bulimie“ steht auf ihrem Pulli. Diese Krankheit habe man, erklärt sie, wenn man den ganzen Tag esse und abends vergesse, sich zu übergeben. Als sie voriges Jahr bei Stefan Raab zu Gast war, ausgerechnet in der Sendung nach dem Finale von „Germany’s Next Top Model“, behauptete Cindy vor vier Millionen Zuschauern, dass sie sich selbst auch bei Heidi Klums Modelshow beworben habe. Und dass man sie abgelehnt habe. Weil sie zu klein sei. Seitdem wird Bessin auch von anderen Sendern gebucht.

Dass sie „abends als dicke, pinkfarbene Frau auf der Bühne“ stehe, bedeute aber nicht, dass sie tagsüber gegen Witze über ihr Gewicht immun sei. Ja, es gebe Menschen, die es nicht gut mit ihr meinten. Das seien aber keine Marzahner. Von denen bekommt sie nach eigener Aussage überwiegend positive Rückmeldungen. Zum Beispiel Sätze wie: „Meine Nachbarin sieht genauso aus.“ Nur eine Marzahnerin, die sich bei Bessin gemeldet hatte, kann über das Programm gar nicht lachen. Die Frau heißt Cindy mit Vornamen und muss sich in letzter Zeit einiges anhören.

Geld oder Leben (Berliner Zeitung)

Geld oder Leben
Der Berlinale-Wettbewerbsfilm "Die Fälscher" erzählt eine unglaubliche Geschichte aus der Nazizeit. Adolf Burger hat sie erlebt
Frank Junghänel

PRAG. Als Adolf Burger die Filmzeitschrift mit dem Schauspieler August Diehl auf dem Titel sieht, gerät er kurz in Verlegenheit. "Ein geschickter Junge", sagt er, "ich habe ihn getroffen". Ob er das Heft behalten dürfe, zumindest das Titelblatt.

In gewisser Hinsicht blickt Burger seiner Jugend ins Gesicht. Im Spielfilm "Die Fälscher", der heute als erster deutscher Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale läuft, wird sich Adolf Burger in August Diehl erkennen. Er wird einen jungen Mann sehen, sympathisch, kämpferisch und gut aussehend - selbst als Häftling im Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Er wird aber auch daran denken müssen, dass es keinen Regisseur gibt, der diese Geschichte so wahrhaftig erzählen könnte, wie er sie in Erinnerung hat. Der Film seines Lebens überblendet die Kinobilder.

Kurz vor dem Kriegsende gehört der Slowake Adolf Burger zu einer Gruppe von 142 jüdischen Häftlingen, die im KZ Sachsenhausen im Geheimauftrag der SS Devisen herstellen. Mit den gefälschten Pfund- und Dollarscheinen will die NS-Führung das internationale Finanzsystem destabilisieren. Noten im Wert von 134 Millionen Pfund werden in der Manufaktur gedruckt. Als staatlich initiierte Falschgeldaktion ist das "Unternehmen Bernhard", so benannt nach seinem Organisator, SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger, historisch beispiellos.

Beispiellos auch die Gefühlslage, in die die Häftlinge geraten. Während ihre Familien in den Vernichtungslagern getötet werden, sind sie in Sachsenhausen geschützt. Ihre Arbeit für die Nazis bewahrt ihnen das Leben. Es gibt genug zu essen, sie dürfen zivile Anzüge tragen und müssen sich die Köpfe nicht kahl rasieren. Sie schlafen in Doppelstockbetten auf weißen Laken und im Hof steht eine Tischtennisplatte. "Ich als Jude spiele dort mit einem SS-Mann Tischtennis", sagt Burger, "das ist doch verrückt".

Und wer hat gewonnen?

"Wissen sie, der Hauptscharführer Werner, der konnte gar nichts. Ich war früher in der Jugendbewegung aktiv. Da habe ich mir erlaubt, ihn zu besiegen."

Adolf Burger ist ein Mensch, der auch mit seinen bald neunzig Jahren penibel auf sein Äußeres achtet. Zu Hause in Prag empfängt er den Besucher nicht in Pantoffeln, sondern in Straßenschuhen. Die offene Manschette am linken Ärmel seines weißen Oberhemdes kann also keine Nachlässigkeit sein. Jede Form von Nachlässigkeit verbietet er sich.

Adolf Burger spricht nahezu akzentfrei deutsch. Seine Stimme ist markant, nur manchmal fällt er in diesen schweijkschen Singsang, der das Erzählte wie eine Schelmengeschichte erscheinen lässt. Was es noch schwerer macht, sich das Unvorstellbare vorstellen zu können.
Geboren wird Adolf Burger im August 1917 in Großlomnitz, heute Velka Lomnica, einem Bergdorf am Fuße der Hohen Tatra. Seit Jahrhunderten leben in diesem Zipfel der österreichisch-ungarischen Monarchie Menschen mehrerer Nationen leidlich friedvoll zusammen. Als die Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg unabhängig wird, gewinnen in der Slowakei die Nationalisten an Einfluss. Eine Entwicklung, die 1938 zur Gründung eines diktatorischen Separatstaates führt. Für Alfred Burger, der zu dieser Zeit als Drucker in Bratislava arbeitet, sollte sich das Leben dramatisch ändern. "Eine Freundin fragte mich, ob ich mit ihr für die kommunistische Partei arbeiten wolle", erzählt er. "Ich habe nicht lange überlegt, sie war ein bildhübsches Mädchen."

Burger geht in den Untergrund. Seine Fähigkeiten sind gefragt, als es gilt, Taufscheine zu fälschen, die es den von der Deportation bedrohten slowakischen Juden erlauben, sich als Katholiken auszuweisen. Es ist eine gefährliche Zeit, aber auch eine romantische Zeit. An den Wochenenden geht er mit Freunden in der Tatra wandern. Er lernt Gisela kennen, sie wird seine Frau. "Wir waren jung, wir waren glücklich. Manchmal dachten wir nur an uns." Einen Tag vor seinem 25. Geburtstag wird er verhaftet.

Die offene Manschette. Als man schon nicht mehr darauf achtet, zieht Adolf Burger den losen Ärmel zurück. "Wollen Sie schauen, hier?"

Auf der Innenseite seines Unterarms ist in tintenblauer Schrift die Zahl 64401 zu lesen. Sie wird ihm am 19. September 1942 in die Haut tätowiert. Das ist der Tag, an dem er in Auschwitz ankommt, es ist zugleich der Tag, da er an den Bahngleisen des Vernichtungslagers seine Frau Gisela aus den Augen verliert. Sie ist zweiundzwanzig, als sie in der Gaskammer ermordet wird.
Für Adolf Burger gibt es ein Entkommen; und zwar unter Umständen, die kaum begreifbar sind. Im Frühjahr 1944 verlässt er Auschwitz, wohin er im Viehwagon gebracht worden war, in einem Reisezug. "Sie fahren nach Berlin, Herr Burger", hatte ihm ein Offizier mitgeteilt.

Plötzlich sollte er keine Nummer mehr sein, sondern Herr Burger.

Ausgerechnet er, dem ein Wachmann mit dem Gewehrkolben vier Vorderzähne ausgeschlagen hatte, weil er es nicht fassen konnte, dass der Jude mit Vornamen Adolf heißt. Ausgerechnet er, der nur noch 35 Kilogramm wog; der anderthalb Jahre lang im Räumkommando an der Rampe von Auschwitz-Birkenau mitansehen musste, wie Doktor Josef Mengele Frauen und Kinder mit einem Fingerzeig in den Tod schickte und dabei Arien aus "Tosca" pfiff.

Ausgerechnet er, selbst todgeweiht, sollte wie ein Mensch behandelt werden? Das konnte nicht sein. Und das war auch nicht so.

Wenn Adolf Burger seine Häftlingsnummer zeigt, dann hat das einen Grund. Er will seine Erinnerungen nicht nur erzählen, er will sie beglaubigen, denn was er erlebt hat, klingt unglaublich. Er will seine Geschichte beweisen - selbst mit seinem Körper. Nicht nur mit den Listen, Blaupausen und Fotografien, die er sich über die Jahre beschafft hat. "Man muss Dokumente haben, sonst begreift das ja keiner." Immer wieder sagt er diesen Satz.

Sein Wohnzimmer ist auch sein Archiv. Neben den Bücherregalen, in denen er fast ausschließlich Literatur zur NS-Zeit sammelt, stehen Karteikästen. Die Schlagworte lauten: Auschwitz, Mauthausen, Sachsenhausen. Der klobige Bürokopierer vor dem Fenster ist praktisch, er ist aber auch sinnbildlich zu verstehen. Nachdem Burger lange geschwiegen hatte - bis ihn in den siebziger Jahren die Auschwitz-Lüge erreichte - tut er nun alles, um seine Erinnerung zu vervielfachen. Er ist von der Idee beseelt, als einer der letzten Zeugen über das, was geschehen ist, sprechen zu können.

"Dafür lebe ich", sagt er. Dafür hat er seine Erinnerungen geschrieben, dafür tritt er so oft es möglich ist vor Schülern auf, dafür hat er diesem Spielfilm zugestimmt.

Mit der dritten Drehbuchfassung des Regisseurs Stefan Ruzowitzky war er endlich einverstanden. "Ich habe nichts zugelassen, was nicht stimmt." Einmal war Burger bei den Dreharbeiten in den Babelsberger Studios. Dort wurden die Baracken der Häftlinge nachgebaut. Burger, der Augenzeuge sagt, "meiner Ansicht nach ging das in Ordnung."

Der Block 18, wohin Adolf Burger am 5. Mai 1944 gelangt, liegt am Rande des Lagers Sachsenhausen. Zusammen mit dem benachbarten Block 19 ist die Unterkunft mit Stacheldraht förmlich umspult. Selbst der schmale Geländestreifen zwischen den beiden Hütten ist mit einem Drahtgeflecht überdacht. Die Fenster sind weiß getüncht. "Wir saßen in der Mausefalle", sagt Burger. "Wenn wir einmal die Woche zum Duschen geführt wurden, die mussten uns ja gesund halten, gab es Lagersperre. Keiner sollte uns sehen."

Adolf Burger war klar, was das zu bedeuten hatte: Sie würden den Ort niemals lebend verlassen. Sie waren für die SS keine Menschen, sondern bloß Werkzeuge. "Sobald wir unsere Schuldigkeit getan hatten, sollten wir liquidiert werden. Auch deshalb hat man nur Juden genommen."
In seinem Archiv bewahrt er die Namen aller Mitgefangenen auf, die wie er in der Fälscherwerkstatt gearbeitet haben; sie waren Schriftsetzer, Typografen, Drucker, Grafiker, Buchbinder, Graveure - aus halb Europa zusammengeholt. Zu ihnen zählte der Zeichner Peter Edel, der in der DDR mit seiner Autobiografie bekannt wurde. Von ihm stammen etliche Bleistiftskizzen, die den Alltag in Block 18/19 illustrieren.

Manchmal spielen die Häftlinge Samstagabend für sich und für die SS-Leute in ihrer Baracke Kabarett. "Wir haben uns verkleidet, gesungen, getanzt", sagt Adolf Burger, der die Programmhefte druckte. Es war ein Tanz mit dem Teufel.

Als es mit Fälschungen einmal nicht wie geplant vorangeht, sollen die ersten von ihnen erschossen werden. "Sturmbannführer Krüger hat mit der einen Hand Zigaretten verteilt und mit der anderen Leute in den Tod geschickt."

An der Rolle, die der SS-Mann Bernhard Krüger für das Schicksal der Häftlinge gespielt hat, sollten sich nach dem Krieg die Geister scheiden. Einige haben später für ihn gebürgt, sie nennen ihn Lebensretter. Nicht so Adolf Burger. Fünf Häftlinge der Fälscherwerkstatt seien direkt auf Krügers Befehl ermordet worden, sagt er. "Es gab keinen guten SS-Mann."

Bernhard Krüger bleibt straffrei. Er stirbt 1989 in Hamburg. Adolf Burger hat sich eine Kopie seines Totenscheins besorgt.

War es wirklich so, dass Krüger sie mit "Liebe Juden" angeredet hat, wie es in einer Szene zu sehen ist? "Nein, nein", sagt Burger. "Schauen Sie, es ist nur ein Spielfilm."

Ein Spielfilm braucht einen tragenden Konflikt; deshalb wird in "Die Fälscher" einmal heftig gestritten. August Diehl, also Adolf Burger, der in dem Film als einziger mit seinem richtigen Namen erscheint, gerät mit seinen Kameraden aneinander. Es geht darum, ob man die Fälscherei sabotieren soll, selbst wenn man damit sein Leben riskiert.

Im Film wird die Debatte durch den Ehrgeiz eines professionellen Geldfälschers befeuert, den die Nazis auf den Dollar ansetzen; in Wirklichkeit hieß er Smolianoff, der einzige Berufsverbrecher unter lauter Politischen. Er will den Dollar machen, unbedingt. Die anderen wollen es eigentlich auch. Nur Burger nicht. Er stellt die Gewissensfrage.

"Es gab aber gar keinen Streit", sagt er heute und wird auf einmal laut, beinahe sechzig Jahre danach. "Smolianoff hat gefragt, ,willst du zurück nach Auschwitz?' Der wollte leben. Wir haben nicht gezankt."

Sie können die Fabrikation der Dollarnoten immer wieder stören. Erst 200 Scheine sind dem Meisterfälscher Salamon Smolianoff gelungen, da wird das Geheimkommando nach Mauthausen und weiter in das Außenlager Ebensee evakuiert. Dort, in den österreichischen Alpen, werden die Häftlinge aus Sachsenhausen am 5. Mai 1945 von den Amerikanern befreit.

In Adolf Burgers Zimmer hängt das Porträt eines jungen Mannes, sympathisch, kämpferisch, gut aussehend, selbst in der Häftlingskluft. Der alte Mann erzählt. "Eines Tages kam Smolianoff zu mir: ,Weißt du, ich werde dich zeichnen'. Ich habe gesagt: Wir gehen doch sowieso alle durch den Kamin. Hat er gesagt: ,Weißt du, kann man nie wissen'."

Berliner Zeitung, 10.02.2007

Thursday, February 08, 2007

Ein Spacko blamiert sich (SZ)

Das Internetvideo der Woche
Ein Spacko blamiert sich
Mit diesem Film wollte er allen zeigen, dass er der Stärkste ist. Zur Freude des Publikums ging das voll daneben: "Idiot With A Barbell” in der Clip-Kritik.
Von Christian Kortmann


Am Vorabend ist er wahrscheinlich wieder mal viel zu spät ins Bett gegangen. Nach dreieinhalb Stunden Schlaf klingelte der Wecker um halb acht, um zehn vor stand er auf, um sich ab 8 Uhr 10 für sechs Schulstunden durch die gymnasiale Mittelstufe zu schleppen. Das schlauchte ihn, müde kam er nach Hause und ertrug wortlos ein Mittagessen mit seinen Eltern. Doch dann folgte ein kleiner tiefer Mittagsschlaf und ein starker Kaffee. Rasch hat er die paar Hausaufgaben erledigt und jetzt fühlt er dieses gewisse, im Kopf wie Champagner prickelnde Nicht-Ausgelastetsein. Die Uhr im Zimmer zeigt halb vier: Zeit für den Quatsch am Nachmittag.

Der Quatsch muss unbedingt dokumentiert werden, auf Film oder – falls man mal wieder eine Band gegründet hat – mindestens als MP3 oder auf Tonband: Es könnte ja einen Moment lang etwas Gelungenes dabei aufscheinen, und das dürfte man keinesfalls verpassen. Das war auch die Absicht des Clips "Idiot With A Barbell”. Doch dann wurde ein Moment festgehalten, der nicht in den eigenen Augen, sondern in denen der anderen besonders gelungen ist.

Anders als die absichtsvoll inszenierten "ysabellabrave"-Videos in der Clip-Kritik der Vorwoche ist dieser Clip gegen den Willen des Machers witziger als er absichtlich jemals geworden wäre: Ein junger Mann will im Selbstportrait zeigen, wie stark er ist, demonstriert dann aber nur nur sein halbstarkes Spackotum. Fortan saust er als kleine Filmdatei namens "Idiot mit einer Hantel" um die Welt.

Die Details verraten die Bedingungen der Situation: der nackte Oberkörper des Jungen, seine Camouflage-Hose, unter der der Bund der Unterhose sichtbar ist, die fette Stereoanlage auf der Holzkiste, die Schlüsselbändersammlung an der Wand, der Fahrradhelm und der Rucksack, liegt da ein aufgeschlagenes Schulbuch auf dem Schreibtisch und eine Schachtel Zigaretten daneben?

Emblem der Blamage

Es handelt sich um die eindeutige Ikonografie des pubertären Aufbruchs in ein selbst bestimmtes Leben. Aber zugleich steht noch das Aquarium im Raum, es ist wohl aus dem Kinderzimmer übrig geblieben. Wenn seine Freunde zu Besuch sind und sie Hardcore und Hip-Hop hören, ist ihm das Aquarium peinlich, und er hängt einen Kapuzenpullover und ein T-Shirt drüber, damit das blaugrün leuchtende Wasserbecken nicht so auffällig kleinbürgerlich im Raum steht.

Man sieht die Bilder des Films vor sich, der ursprünglich entstehen sollte: In diesem Clip hätte der Junge die Hantel ein paar Mal gestemmt und dabei immer wieder in die Kamera geblickt, die seine Herkulestat festhalten sollte. So aber brechen die Dreharbeiten in dem Moment zusammen, in dem er nach einem prüfenden Blick in die Kamera in medias res gehen will: Der Junge zerstößt mit der Hantelstange die fragile Aquariumsscheibe und eine mit Todesangst erfüllte Fisch-Fontäne ergießt sich ins Jugendzimmer. Die starre Kameraperspektive überlasst das Chaos, das sich nun auch außerhalb ihres Blicks entfaltet, der Imagination.

"Mama, Mama!" schreit der Junge mit Stimmbruchstimme. Dieser Hilferuf ist ein Eingeständnis seines Daseins als Kind. Genau das Gegenteil, dass er nämlich ein erwachsener starker Mann ist, wollte er seinen Freunden beweisen, die den Clip auf dem Mobiltelefon oder im Netz gesehen hätten. "Eimer, Eimer!" schreit seine Mutter und greift geistesgegenwärtig zum blauen Mülleimer: Mama weiß mal wieder Rat.

Sehenswert ist dieser Clip weniger wegen seines Pleiten-Pech-und-Pannen-Charakters, sondern weil die Gegensätzlichkeit der intendierten und der entstandenen Bilderwelt die Grenzerfahrung der Pubertät visualisiert: Denn als Teenager ist man Kind und Erwachsener zugleich, oft wechselt man von dem einen Bewusstseinszustand unkontrolliert in den anderen.

Diese Kolumne heißt zwar "Das Leben der Anderen", aber die Internetvideos handeln immer auch von uns: "Idiot With A Barbell" ist ein filmisches Emblem für all die Momente, in denen wir besonders glänzen wollen und uns dann unendlich blamieren.

Tuesday, February 06, 2007

I'm a commuter, get me out of here! (The Guardian)

I'm a commuter, get me out of here

Overcrowded, overpriced and underserviced: conditions on our trains are igniting increasing anger and protest among passengers around the country. But are services really that bad? We took a ride on seven commuter trips

Liverpool to Norwich, via Manchester

Monday morning beneath the elaborate Victorian wrought-iron arches of Warrington Central station. The train, a vivid lime colour, pulls in to platform 1 on time at 8.16am, and about 80 people surge on to a service that already has no empty seats.

This 20-minute leg of the Liverpool-Norwich train service to Manchester is so regularly overcrowded that it has given birth to the Warrington Rail Users Group - just one example of a growing fight-back mood among passengers on the rail lines with the worst conditions. This train rage erupted into rebellion last month when Somerset and Wiltshire commuters, fed up with being packed into shortened trains, staged a fares strike against First Great Western. The head of railways at the Department for Transport helped fuel such anger when he told a parliamentary committee that at peak travel times, passengers should accept that they might have to stand for up to half an hour.

As we pull out of Warrington, around a dozen people huddle by the doors in each of the four Central Trains carriages. Another 10 people are crowded in the aisle amid the display of reserved tickets above the seats. The temperature in the carriage is oppressively warm. "Not in service, please alight," blinks the electronic sign at the end of carriage A, confusingly.

Elaine Burgess, who works in human resources in Manchester, travels from Birchwood each day with her colleague, Jason Tarry. She is trying to stand and balance a cup of tea as the train lurches towards the city. "I have only been doing this journey for three months and I didn't have any expectations that it would be great," she says. "But the train is rubbish and there are never any spare seats."

Tarry says: "Every time we get the train we have to stand up. It is very rare for us to get a seat. The only good thing about this train is it is quicker than the stopping trains. The problem is we can't afford to park in Manchester."

On the outskirts of Manchester, the train shudders dramatically, flinging some of the standing passengers across the carriages. Most of the commuters pour out at Manchester Oxford Road and for the first time, there are seats. As the train approaches the station, the passenger announcement system crackles inaudibly. "We are none the wiser," laughs Tarry.

Michael Jones, a software engineer, has calculated that it costs him precisely the same to drive into Manchester as the return ticket. "Eighty pence in diesel and then another £6 to park, which is the same cost as the train journey," Jones says. "I used to live in Kent and commute into London and this journey is just as bad. But at least in Kent you got trains with 12 coaches." He mostly uses his car, as the train is so unreliable.

Mark Horrocks, a web designer from Warrington, has been using the 8.16am train service for seven years. "They don't have enough carriages on, but in the past six months it has got a bit better. I would say that six of the seven years have been bad. I have seen people fainting and having panic attacks because they are suffering from claustrophobia. Sometimes the toilet is blocked and the door is open and it stinks. It is not a great service and the most that you hope for is it is running on time." He thinks the train company should put on extra carriages and jettison them at Manchester when they are no longer needed. He is so frustrated by the journey, he is thinking of starting a blog.

There may be some comfort, though, for frazzled commuters. Central Trains says it will soon increase the number of carriages on the service.

Bedford to Sutton, via central London

Passengers on the former Thameslink route running into central London and southwards on to Wimbledon and Sutton had high hopes when the franchise changed hands in April last year. Surely the new company - First Capital Connect - had won the franchise because it was going to provide big improvements, more trains and better punctuality? Wrong, wrong and wrong.

The new company has put its stickers over the old Thameslink ones but they are the same, tired old trains, and there are fewer of them. The company says Thameslink had 86 of the special trains needed for the network but loaned out 12 to Southern Railways. Those are not due back until 2009, although First Capital Connect is hoping to get them earlier. "Capacity is our biggest single issue. It is completely unacceptable that people have to travel like this," said a spokeswoman. Passengers agree. "The overcrowding has got worse. It is simply ghastly. It makes me so angry," says Jeff Segal, who has just spent the journey to Herne Hill station squashed against a window.

Passengers often can't get on trains northbound from south London in the mornings or southbound from Blackfriars station in the evening. They thump on the windows and yell at squashed up people inside to squash up more. Passengers say First Capital Connect has cut some of the peak-hour trains from eight carriages to four, making the trains even more packed. The company says the trains had already been shortened by Thameslink. So that's that. "When they went for the franchise they specifically promised to increase the number of eight-carriage trains. And all I can see is that they have stuck FCC stickers over Thameslink ones," complains Tim Musgrave, a regular commuter to Blackfriars.

First Capital Connect blames the Department for Transport for drawing up the franchise badly and claims it is not allowed, under the terms of the franchise, to buy more rolling stock. The DfT acknowledges it gave the franchise to FCC because it offered good value for money to taxpayers, not necessarily the best service for customers. It is clear that the system, by selling to the highest bidder, gives little incentive to a train operator to lease more rolling stock - quite the contrary, as it wants to maximise profit.

The DfT cannot answer why FCC runs shorter trains in the rush hour or why its timetable does not have more peak-hour services. For that you are directed to the Office of the Rail Regulator. It in turn refers questions to Porterbrook Leasing, which owns the rolling stock. Everyone passes responsibility.

Still, the DfT says, First Capital Connect is investing money in CCTV cameras and "revenue protection" at stations. "We don't want bloody CCTV, we just want more seats," says Desmond Kelly, as he boards another crowded service.

Warminster to Cardiff Central, via Bath and Bristol

At the centre of last month's rail-fare rebellion over cattle-car conditions, which saw them proffering spoof "Worst Late Western" tickets to bemused inspectors, my fellow commuters on this particular day have a new and surprising beef - they can get a seat. It's not that they have a masochistic streak; rather, they suspect that the improvement has happened only because the media descended in force to witness the rebellion, and when the publicity has died down it will be back to standing room only.

"It's too good to be true," says Dave Jones, 32, an office worker who commutes into Bristol every day. "First Great Western have been embarrassed that the protest put them into the spotlight and for the moment they've got it sorted, but it won't last. Come back in a few weeks' time and you'll see."

The train we've caught is the 8.03am at Bath Spa station. It is five minutes late but we easily get a seat. Anna, the photographer, and I are disappointed that we ditched our cups of tea at Bath thinking it would be so full that we'd be spilling them over our fellow commuters.

We jump off at Keynsham, a stop short of Bristol, to see if the next train is any busier. This one, the 8.32am, is seven minutes late and more crowded. We squeeze into the corridor between two carriages with a lawyer, Rebecca Cobb, civil servant, Mark Billing, and nanny, Anna Rule, who is going to the zoo with her charges, two-year-old twins Lola and Louis. Louis certainly doesn't mind that the train is a little crowded - as a big Thomas the Tank Engine fan, he's just glad to be on a train.

Billing, who is perched on a flip-up seat, is another commuter who seems upset that the train isn't desperately cramped. "It just shows it can be done - but I'm not sure it will last."

The train arrives at Bristol Temple Meads a few minutes late but, in truth, it hasn't been too uncomfortable. Which seems only right for a journey that lasts less than 20 minutes and costs £6.50 return.

Gravesend to London Charing Cross, via Dartford

This isn't too bad, I think at first, when I get on Southeastern's 8.06am train at Dartford. The sun is shining, the fields are green ... and I get a seat. I don't even have to push a pregnant woman over to get it - I just stroll through the empty carriage. "This is great, it's not usually this quiet," says Colin Best, who commutes every day from Swanscombe in Kent to Lewisham in south London, where he works for the council. "But it won't last."

He's right. We hit Barnehurst, then Eltham, then Kidbrooke and the people keep on coming. A handful of stations later, and the carriage is packed. I get up to investigate. People tut as I squeeze past and I wonder if I'm going to spark some train rage. Cathy Judge, who works for a law firm in Westminster, got on at Falconwood and is resigned to standing, crammed up against the seats in the middle of the carriage, for her half-hour journey. "When the trains are like this, they're terrible," she says. "The fares keep going up and the service gets worse." (In January, Southeastern's fares rose by an above-average 6.3%.)

By the time we reach London Bridge station, we're jam-packed like livestock. Nobody talks and nobody looks at anyone else, even though our bodies are intertwined as if we were in some strange, fully clothed orgy. The doors open and people spill out like fish guts. A disabled man, who has been forced to stand for his journey, carefully gets off with his wheeled walker.

Kelly Flynn has been waiting at London Bridge since the train she was on was forced to stop there because someone was taken ill (perhaps not the train company's fault, but I choose to believe it is - maybe someone who felt faint and sick, as I do, after having their head wedged under somebody else's armpit for half an hour). Flynn commutes every day from New Eltham to central London, where she works for the National Patient Safety Agency, and has seen four packed trains come and go before the one I am on has enough space on it. "They've removed seats and loos on the trains so they can cram in more people, and they say this is what passengers want. But I don't. Nobody has ever asked me what I want." She adds (and here's a familiar theme): "And the ticket prices just keep on rising."

The relief of reclaimed personal space is short-lived - even more people get on at London Bridge. As we approach Charing Cross, condensation streams down the inside of the doors. There's a fug of hot breath and body heat. "This is hideous, isn't it," I say to a woman's armpit. "Hell," agrees the armpit.

London Euston to Crewe

As soon as the departure board flashes up the platform number, the waiting crowd swarms through the station, breaking into a run, desperate to get aboard the Virgin Trains service first. We heave our way through hot bodies, but we're too late - no seats are available."It's like a bleeding refugee camp in here," grumbles one sweating man. "And today's a good day." The train wobbles furiously. I feel seasick. Out of service, screams a sign taped to the toilet door. The next two loos have also malfunctioned, a handwritten sign informs us. Curled in a ball near by is Martin from Rugby. "It's cramped and stinky," he says. "We need some aromatic [sic]."

But then amid the misery I meet Richard Branson's biggest fan: "I've done this twice a week for eight years and it's infinitely better than it was - more seats, faster, cleaner. This is not bad", insists Barbara Stevens from Cumbria, who works in London. Chinwe, who is going to visit her parents in Glasgow and is relieved to have seats for her three kids, agrees that the service is good.

The manager's voice crackles over the speakers to inform us where we are, but the system's electronic screeching drowns him out.

Kirkcaldy to Edinburgh

If you are strap-hanging on train lines in England and value the remains of your sanity, look away now. It will do you no good to read about the record 88% satisfaction rates that Scottish rail commuters report, nor the £1.9bn, seven-year programme to introduce extra carriages, longer platforms and new rail lines across Scotland, or that train operators rarely breach their promise that no one should stand for more than 10 minutes. Even a recent BBC Radio Scotland phone-in on commuting struggled to find hair-raising stories. In fact, several callers bandied words such as "excellent" and "very comfortable".

This is not to say that all commuting in Scotland is bliss. But even at its worst it's more like a light singe, compared to the flame-roasted-on-a-spit kind of hell that many commuters in the south-east of England would recognise.

If local mythology were to be believed, one of Scotland's black spots is the Fife Circle line that links up commuter towns such as Gordon Brown's birthplace Kirkcaldy, Dunfermline and Inverkeithing in west Fife with Edinburgh. Yet Kirkcaldy commuters can choose between five trains within half an hour on the morning commuter run, and capacity has been increased by a third recently, so when we hop aboard the 7.30am from Kirkcaldy on a Friday, I find many travellers exuding an aura of sleepy calm as the train clatters sedately in the early morning sunlight across the Forth Bridge. Our carriage is two-thirds full. One man stands by the doors, but only to better enjoy a movie on his iPod. Oh, there is one flutter of rebelliousness in the otherwise empty corridor, from a cyclist who finds her bicycle-rack space blocked by another bike and the restraining strap broken.

There are some bad routes. Services into Glasgow Central can be tedious and, for some people boarding at Paisley Gilmore Street and Motherwell, standing can be routine. But the journey takes only 10 or 11 minutes, so the local public transport executive, Strathclyde Partnership for Transport, neatly meets its "10-minute standing" target.

There are some justified complaints about reliability on the likes of the single line running from the outlying towns of Bathgate, Livingstone and Uphall to Edinburgh. Scottish ministers say the line will be "dualed" in 2007, but there are no signs of any shovels being lifted so far.

Birmingham to Edinburgh, via York

Boarding the 8.03am from Birmingham New Street to York on a Monday morning I am salivating at the thought of the horrors I am about to endure, courtesy of the less than universally beloved Virgin Trains. Would that have been too much to ask? Apparently so. Did it have to be so pleasant? So prompt? Typical! As we slide smoothly out of New Street at exactly three minutes past the hour, the words of a fellow passenger pretty much sum it up: "Hi, it's Sue, I'm on the train. No, no, it's fine. There's loads of room."

The route cuts a confident path through the heart of England, via Burton-on-Trent, Tamworth and Derby. Outside, bouncing streams overhung with brown winter trees speed past; inside, it looks like an advert for rail travel. Stress-free passengers conduct cordial conversations, classic DVDs are viewed on dinky laptops and the only person left in the world who hasn't read The Da Vinci Code contentedly whips through the last few chapters.

It is not always thus, however. "I have had some terrible journeys on this route," says Helen Frank, who uses the line to visit her family in Leeds from her home near Birmingham. "There was the train that stopped for an hour, about 10 minutes from the station I needed to get off at. And the time in December when all the heating on the train broke. There always seems to be some problem. But today," she looked around with the air of someone not quite daring to believe it, "it's been all right."

As we push on from Sheffield, I lurch down to the buffet car. Passing a couple of people sitting in the vestibule, I point out that there are still plenty of spare seats. "It's OK," says Dan Mitchell, a student. "I don't mind it here. I can play my music loud and not annoy anyone."

While I buy my cup of tea from them, Matt and Mike solve some of the riddle for me. "This is a train we've hired from Midland Mainline," says Matt. "It's got more carriages that the Virgin train would have, so normally it would be a bit more busy than this. And the train coming back down gets really packed. People standing up, people standing everywhere. It can be pretty bad."

But not this morning. There have been blue skies all the way up and as we pull quietly into York, dead on time, the sun comes out. This is how taking the train is meant to be.

Monday, February 05, 2007

Krieg der Scheine (Tagesspiegel am Sonntag)

(04.02.2007)
Krieg der Scheine
Die Nazis haben Adolf Burger ins KZ verschleppt und die Zähne ausgeschlagen. Dann brauchten sie den Drucker für die größte Geldfälschung aller Zeiten. Wie die SS 1942 mit dem „Unternehmen Bernhard“ eine neue Geheimwaffe entwickelte.
Von Andreas Austilat

So sieht er also aus, der Schein, mit dem die Nazis den Krieg gewinnen wollten – oder am Ende wenigstens ihre Flucht bezahlen. Für eine Banknote ist er ziemlich groß, größer als eine Männerhand, die Oberfläche fühlt sich leicht wattig an, wichtiger aber ist der Text, der in schwarz auf der weißen Vorderseite steht: Die Bank von England garantiert jedem Überbringer dieses Scheins fünf Pfund. Dafür kriegt man heute in England vielleicht zwei Bier. Vor 70 Jahren bedeutete solch eine Summe für einen Arbeiter einen Wochenlohn.

Ein Versprechen, das die Old Lady, wie die Zentralbank in London auch genannt wird, teuer zu stehen kommen sollte. Denn der alte Geldschein, der jetzt hier auf einem Kaffeetisch in einem Raum hinter der Bar des Berliner Hotels Intercontinental liegt, sieht mit seiner verschnörkelten Schrift zwar so gediegen aus wie die hölzerne Täfelung ringsherum, aber er ist falsch. So falsch wie die beiden anderen, die Adolf Burger gerade aus seiner Mappe kramt.

„Der hier ist noch ein bisschen wertvoller“, sagt der fast 90-Jährige mit dem vollen, sorgfältig zurückgekämmten Haar, „weil er so lange im Wasser lag“. 55 Jahre, um genau zu sein, die der Schein auf dem Grund des Toplitzsees in den österreichischen Alpen verbrachte, bevor er aus 100 Meter Tiefe geborgen wurde. Ein bisschen angefressen sieht er aus, aber er ist immer noch lesbar.

Lächelnd beugt sich Burger vor. „Ich werde Ihnen das Geheimnis der Bank von England verraten“, sagt er in seinem slowakischen Akzent, bei dem die Vokale manchmal ein bisschen gedehnt klingen. Dabei senkt er die Stimme, und plötzlich kriegt der ganze Raum mit seinen dunklen Möbeln, der hölzernen Kassettendecke und dem gedämpften Licht etwas Konspiratives. „Schauen Sie auf das Wasserzeichen, das ist ein Code, der muss zur Seriennummer passen.“ Während er den Schein gegen das Licht hält, registriert Burger ein bisschen unwirsch, dass sein Zuhörer nicht recht kapiert, aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist: „Den hatte vorher noch keiner geknackt.“

Darf man solch eine Banknote überhaupt besitzen? Was für eine Frage, Burger beachtet sie gar nicht. Wahrscheinlich, weil er diese drei Scheine als seine betrachtet. Er hat sie gedruckt, Millionen davon, die besten Fälschungen, die je von britischen Banknoten gefertigt wurden. Ihnen verdankt er sein Leben. Sie haben ihn herausgebracht aus der Hölle von Auschwitz, wo man ihm die Zähne eingeschlagen hat, weil ein SS-Mann gar nicht lustig fand, dass da ein Jude Adolf heißt. Die Scheine befreiten ihn aus dem Vernichtungslager Birkenau, wo seine Frau, seine Gisela, für immer verschwand, wo Burger die Nummer 64401 war, die Nummer, die er nie vergessen kann, denn sie haben sie ihm in den blassen Unterarm tätowiert. Und sie haben ihn nach Sachsenhausen gebracht, in einen abgeschirmten Bereich, wo er plötzlich genug zu essen hatte, ein richtiges Bett und richtige Kleidung.

War das nicht das Paradies, nach dem Horror des Vernichtungslagers? Nein, sagt Burger, das war der Tod auf Urlaub. 140 Häftlinge, allesamt Juden, wurden isoliert von den anderen, und jedem war klar, warum: „Unternehmen Bernhard“, wie die Nazis dieses Projekt nannten, war so geheim, dass ein Überleben nicht vorgesehen war. Niemand sollte je erzählen können, was sich zwischen 1942 und 1945 in den Baracken 18 und 19 abspielte.Hinter weißgetünchten Scheiben wurde eine Druckerei eingerichtet, die in rauen Mengen Devisen drucken sollte, denn die gingen den Deutschen langsam aus.

Die Vorgeschichte zu diesem Plan begann unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Idee war nicht einmal besonders originell. In England schrieb am 24. September 1939 Winston Churchill an den Finanzminister, ob es nicht eine gute Idee wäre, kleine Päckchen mit Reichsmarkbündeln über dem Feindgebiet abzuwerfen, um dort Verwirrung zu stiften.

Der Gedanke wurde verworfen. Man fürchtete, solch eine Aktion würde Großbritannien bei den neutralen Staaten in Verruf bringen. Vor allem aber, wie hätte man nennenswerte Summen in Hitlers totalitärer Zwangswirtschaft in Umlauf bringen sollen? Gab es doch dort sowieso nicht viel zu kaufen. Dass der Gegner zu solchen Mitteln greifen würde, sie zur selben Zeit sogar schon plante, hielt man für unwahrscheinlich. Das Pfund, damals noch eine Leitwährung in der Welt, wurde für fälschungssicher gehalten.

Wer die Idee auf deutscher Seite hatte, weiß keiner so genau. War es Reinhard Heydrich, später Organisator der „Wannseekonferenz“ und als Chef des Reichssicherheitshauptamtes einer der mächtigsten SS-Männer im Land? Oder war es Heydrichs Kumpan Alfred Naujocks, den er zum Leiter des Referats F im Amt VI der SS machte, zuständig für technische Hilfsmittel der Spionageabteilung? Naujocks durfte für sich den zweifelhaften Ruf in Anspruch nehmen, den Zweiten Weltkrieg ausgelöst zu haben. Er war es, der den Zwischenfall um den Sender Gleiwitz inszeniert hatte, der den Deutschen am 1. September 1939 den Vorwand zum Überfall auf Polen geliefert hatte.

Nun, rund drei Wochen später, wurde er mit der Aufgabe betraut, das britische Pfund zu fälschen.

Die Truppe bezog zunächst Quartier in der Delbrückstraße 6 in Berlin-Grunewald. Die SS unterhielt dort eine Druckerei, die alles produzierte, was Agenten so brauchen, falsche Pässe zum Beispiel. Jetzt sollte es also das Pfund sein.

Allein die Herstellung des handgeschöpften Papiers erwies sich als schwer zu nehmende Hürde. Mathematiker knobelten monatelang an dem Code, mit dem die Seriennummern verschlüsselt waren. Graveure beugten sich über vielfach vergrößerte Originale und fanden bis zu 160 Merkmale, die die englischen Drucker auf ihrer Note versteckt hatten: hier ein Spalt im Kleid der Britannia, dort ein geflügeltes Ende im „f“ bei „of“, da ein verrutschter Punkt in der Unterschrift von Sir Peppiatt, dem „Chief Cashier“. Doch im Mai 1941, nach fast anderthalb Jahren, waren die ersten gelungenen Pfundnoten fertig. Und was das beste war: Die Schweizer Bankkassierer im neutralen Zürich befanden die Blüten für echt, obwohl doch der deutsche Agent, der die Noten testweise übergab, ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Fälschung hingewiesen hatte.

Warum sollte man Banknoten dieser Qualität einfach verschenken? Der ursprüngliche Plan, die Scheine über England abzuwerfen, um damit das englische Währungssystem zu zerrütten, war kein Thema mehr. Stattdessen versickerten die Scheine irgendwo. Naujocks fiel derweil in Ungnade, manche behaupten, der Oberspion soll seinen Chef Heydrich abgehört haben und dafür zur Strafe an die Front versetzt worden sein. Heydrich, Organisator des Massenmords an den Juden, wurde von tschechischen Untergrundkämpfern in Prag in die Luft gesprengt. Niemand scherte sich mehr um die Falschmünzer in der Delbrückstraße.

Neuer Spionagechef im Reichssicherheitshauptamt war Walter Schellenberg. Der hatte ein Faible für technische Spielereien. Ausführlich beschreibt er in seinen nach dem Krieg erschienenen Memoiren sein Büro in der Berkaer Straße 31 in Berlin – heute ist dort eine Klinik für Geriatrie. Fotozellen steuerten die Alarmanlage in den Räumen, sein ganzer Stolz aber war der Schreibtisch mit zwei eingebauten Maschinenpistolen: „Sobald die Tür aufging, richteten sich die Läufe automatisch auf den Eintretenden“.

Schellenberg setzte alles daran, die Geldfälscherei im großen Stil wieder aufzunehmen. Denn trotz eines beispiellosen Raubzugs durch die besetzten Länder wurden 1942 die Devisen knapp. Die sollte „Unternehmen Bernhard“ einbringen, wie die Operation nach ihrem neuen Leiter, SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger, getauft wurde. Und Krüger hatte eine Idee, wo eine Druckerei in der dafür nötigen Größe geheim bleiben würde.

Zwei Jahre später. Es war ein Appell, wie Adolf Burger in Birkenau schon viele erlebt hatte. Die Häftlinge rührten sich nicht, wer im falschen Moment Aufmerksamkeit auf sich zog, konnte des Todes sein. Plötzlich wurden acht Nummern aufgerufen, darunter die von Burger. Er sollte sich beim Lagerführer melden.

„,Sind Sie Herr Burger’, hat der mich gefragt.“ Burger erzählt das, als ob er immer noch nicht fassen kann, was damals passierte: Ein SS-Mann nannte seinen Namen, und es kostete ihn keinen weiteren Zahn. Im Gegenteil. „,Sie sind Buchdrucker,’ hat er zu mir gesagt, ,solche Leute wie Sie, die brauchen wir in Berlin.’“

Sein Handwerk hatte Adolf Burger ins KZ gebracht. Zwar hatte die slowakische Marionettenregierung auch die so genannten Rassegesetze der Nazis übernommen, aber wer vor 1938 katholisch getauft war, dem blieb in der Slowakei der Judenstern erspart. Also druckte Burger in einer Kartonagenfabrik in Bratislava falsche Taufscheine und rettete so Leben. Bis ihm die Gestapo 1942 auf die Spur kam. Jetzt, nach fast zwei Jahren in Auschwitz und Birkenau, öffneten sich für den Drucker die Tore, und Burger verließ dieses KZ, nicht in einem Viehwaggon, wie er gekommen war, sondern in einem Eisenbahn-Coupé.

In Oranienburg brachten SS-Leute eine kleine Gruppe aus Birkenau zum Lager Sachsenhausen. Heute wie damals führt der Weg durch die halbe Stadt. „Natürlich waren da überall Frauen und Kinder, aber nein, niemand nahm Notiz von uns.“ Längst hatten sich die Oranienburger an den Anblick der ausgemergelten Gestalten auf ihren Straßen gewöhnt. Schließlich durchliefen 200 000 Menschen Sachsenhausen, das zwar kein Vernichtungslager war, aber für Zehntausende den Tod bedeutete, durch Prügel, durch Genickschuss, durch die 1000 Volt, die den Zaun sicherten, durch Erschöpfung.

Die Baracken 18 und 19 befanden sich in der südöstlichen Ecke des Lagers. Heute liegen Gedenksteine an ihrer Stelle. Die zwei flachen Holzhütten, jeweils 60 Meter lang und zwölf Meter breit, waren ringsum mit einem eigenen Zaun versehen, selbst nach oben, so dass der Komplex von außen wirkte wie ein Käfig. Ein Holzzaun, drei Meter hoch, verband die beiden Baracken, die so einen Hof bildeten. Drinnen bekam man nichts mit von dem, was draußen vorging, und umgekehrt war es genauso.

„Krüger hielt eine kleine Rede, er war ganz offen zu uns, ,ihr werdet hier britische Pfunde drucken und es wird euch gut gehen, wenn ihr nicht sabotiert’“, erinnert sich Burger. Die Druckerei existierte bereits seit zwei Jahren, erst 30, inzwischen 140 Männer waren aus verschiedenen Konzentrationslagern hierhergeholt worden, Drucker, Setzer, Bankkassierer zum Prüfen der Noten, aber auch Friseure, weil Krüger glaubte, dass Friseure so geschickte Finger hätten. Die Baracken waren Werkstatt und Unterkunft zugleich, denn verlassen durften die Männer den Komplex nur sonntags. „Lagersperre“ wurde dann über Lautsprecher verkündet, und erst, wenn sich niemand mehr draußen aufhielt, marschierten die 140 über das menschenleere Gelände zu den Duschräumen.

Krüger sorgte für seine Spezialisten. Sie mussten sich die Köpfe nicht mehr scheren lassen, es gab genug Essen, sogar Kaffee und Zigaretten. Aus Lautsprechern spielte Musik in den Werkstätten, und Krüger ließ eine Tischtennisplatte aufstellen. „Ich habe Ping-Pong gespielt“, sagt Burger, „gegen einen SS-Mann.“ Sonntags habe man sogar frei gehabt, manchmal führten die Häftlinge dann ein Kabarett auf, und die SS-Leute lachten zu den Scherzen ihrer Gefangenen.

War Bernhard Krüger ein Menschenfreund in Totenkopf-Uniform? Es gab Häftlinge, die haben nach dem Krieg zu seinen Gunsten ausgesagt, wie Lawrence Malkin in seinem Buch „Hitlers Fälscher“ schreibt, das im vergangenen Herbst erschien. Malkin hatte wie kein Rechercheur vor ihm Zugang zu den Verhörprotokollen in US-Archiven. Burger lächelt. „Es gibt keine guten SS-Männer“, sagt er dann. Sechs Häftlinge ließ Krüger umbringen, sie waren krank geworden. In der Krankenbaracke aber hätten sie über ihr Geheimnis reden können.

Schließlich wurde eine kleine Gruppe, unter ihnen Burger, damit beauftragt, Dollars zu fälschen. Sogar ein neuer Häftling wurde dafür eigens nach Sachsenhausen geholt, Salamon Smolianoff, ein Russe und der einzige, der einen grünen Winkel trug, der ihn im KZ als Kriminellen kennzeichnete. Alle anderen trugen den roten Winkel der politischen Häftlinge. Smolianoff galt als Meisterfälscher. Aber auch mit ihm hatte die Gruppe keinen Erfolg, weil sie keinen Erfolg haben wollte.

Es war der einzige Sabotageakt, den die Häftlinge riskierten, wie Burger sagt. Erst als Krüger in der Baracke Geiseln nehmen ließ und mit deren Erschießung drohte, lieferte die Gruppe täuschend echte Dollars. Für die Produktion war es zu spät, die Werkstatt wurde im Februar 1945 demontiert. Die Häftlinge wurden nach Österreich transportiert, in die „Alpenfestung“, wie sie die SS nannte. Dort sollte das letzte Gefecht stattfinden, dort sollten wohl auch die Häftlinge aus der Fälscherwerkstatt im Konzentrationslager Ebensee liquidiert werden. Doch die Wachen machten sich davon, ihre Gefangenen wurden von den Amerikanern befreit.

Für die Bank von England hätte „Unternehmen Bernhard“ eine ernste Bedrohung werden können. Fünfer, Zehner, Zwanziger und Fünfziger für 134 Millionen Pfund wurden in Sachsenhausen gedruckt. Wären alle in Umlauf gekommen, hätten die Blüten 13 Prozent der zirkulierenden Geldmenge ausgemacht, eine Katastrophe für das britische Finanzsystem.

Aber es wurde auch so ernst genug. 1941 wurden in der Bank die ersten Scheine mit Seriennummern registriert, die eigentlich schon eingegangen waren, also doppelt vorhanden sein mussten. 1942 liefen binnen eines halben Jahres 3000 falsche Noten ein, 1944 weigerten sich Schweizer Banken, überhaupt noch Pfundnoten anzunehmen, und die britische Währung, die bei Kriegsbeginn im Verhältnis zum Dollar eins zu vier bewertet wurde, fiel trotz günstigen Kriegsverlaufs auf eins zu eins. Blüten tauchten nicht nur in der Schweiz auf, sondern auch in chilenischen Kontoren, auf tunesischen Basaren und serbischen Schwarzmärkten. Die Nazis kauften Waffen, Rohstoffe, alles was knapp war. Sie bezahlten mit falschen Pfund. Auch ihr Topagent Elyesa Bazna alias „Cicero“, Kammerdiener des britischen Botschafters in Ankara, bekam 300 000 in Blüten. Nach dem Krieg verklagte er die Bundesrepublik vergeblich auf 1,7 Millionen Mark Schadensersatz. Die Briten sahen sich ihrerseits gezwungen, 1946 einen Sicherheitsfaden in den Fünfer einzuziehen, die Produktion höherer Noten war vorübergehend sogar eingestellt.

Wo aber sind die Millionen Blüten geblieben, die nicht mehr in Umlauf kamen? Sie sollen 100 Meter tief auf dem Grund des Toplitzsees liegen. Seit Jahrzehnten zieht der österreichische Alpensee Taucher aus aller Welt an. Immer wieder wurden ganze Notenbündel aus dem Wasser gezogen, die sich in der sauerstoffarmen Tiefe erstaunlich gut gehalten haben.

Ist Adolf Burger, der nach dem Krieg nach Prag zog und wieder als Drucker arbeitete, manchmal stolz auf den handwerklichen Teil seiner Arbeit, auf die so viele reingefallen sind? „Sehen Sie“, sagt er und zeigt noch einmal auf die Scheine, „diese feinen Linien, die waren wirklich schwer zu drucken. Aber stolz? Es lastet auf mir, dass dieses Geld den Krieg vielleicht verlängert hat.“ Und dann packt er sie alle wieder ein, legt sie sorgsam in seine Mappe. Erinnerungen, die er ebenso wenig loswerden kann wie die Nummer auf seinem Arm.

Kein Dank des Vaterlands (Tgaesspiegel)

(05.02.2007)
Kein Dank des Vaterlands
Lothar Scholz saß in einem sowjetischen Straflager. Seit Jahren kämpft er nun für eine Opferpension – aber Almosen will er nicht
Von André Glasmacher

Das weiße Haar ist voll, der Blick konzentriert. Lothar Scholz sitzt aufrecht in seinem Arbeitszimmer in Berlin-Lichterfelde. Im Hintergrund reihen sich Aktenordner, neben dem Computer stapeln sich Faxe und E-Mail-Ausdrucke. Und seit dem 24. Januar steht sein Telefon nicht mehr still. An diesem Tag wurde bekannt, dass SPD und CDU/CSU eine Rente in Höhe von rund 250 Euro für bedürftige Opfer des SED-Staates beschlossen hätten.

Jetzt rufen täglich SED-Opfer an, um ihre Empörung loszuwerden. Bei ihm, dem 78-jährigen stellvertretenden Vorsitzenden der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Die Union vereint 30 Verbände von Verfolgten des SED-Regimes. In deren Namen hat Scholz am 27. Januar einen Kranz im KZ-Sachsenhausen niedergelegt, nahm am Festakt teil und stand stundenlang in der Kälte. Nun schmerzen wieder die Zehen. „Das ist, als ob Ihnen einer mit dem Hammer draufschlägt. Zum Glück nur phasenweise“, sagt er.

Seit dem Frühjahr 1948 hat Lothar Scholz dieses Gefühl in den Zehen. Da hat er als 19-Jähriger auf Filzsocken bei minus 42 Grad in Sibirien den Polarkreis überschritten. Um seine Haftstrafe als verurteilter „Spion“ anzutreten. 15 Jahre sollten es sein, abgesessen hat er acht. Aber ehe er davon erzählt, möchte er noch etwas zur Opferrente sagen: Ein Almosen sei das. Schließlich sei es ihnen um eine staatliche Anerkennung als Widerständler einer Diktatur gegangen, sagt Scholz. Und das sollte sich auch in einer staatlichen „Ehrenpension“ ausdrücken. Jetzt aber sollen die Zahlung nur Verfolgte erhalten, die bedürftig sind. Etwa wenn das monatliche Einkommen unter 1035 Euro liegt. „Die Stasi-Kader lachen sich in Fäustchen“, sagt Scholz. Er blättert jetzt in einem Papierstapel, zieht ein Blatt hervor. Rund 1,3 Milliarden Euro Rente zahle der Staat für die SED-Funktionäre, nur 50 Millionen sollen künftig für SED-Verfolgte ausgeben werden: „Da zweifelt man an unserer Demokratie.“

Ein SED-Verfolgter war Lothar Scholz selbst nie. Aber er nennt sich ein „Opfer des Kommunismus“. Nach dem Krieg beginnt er eine Lehre in Fürstenwalde. Eines Tages verlangt der sowjetische Ortskommandant nach ihm. Der Russe sucht Spitzel, bietet Geld und Lebensmittelkarten. Lothar Scholz weigert sich, er wird verprügelt. Am Ende unterschreibt er eine Erklärung, Spitzeldienste zu leisten. Mit dem Hintergedanken, dann zu fliehen.

Er schlägt sich nach Hamburg durch, in den britischen Sektor. Dort findet er Arbeit in einem Offizierskasino der Briten. Im Juni 1947 kehrt Scholz nach Fürstenwalde zurück, da er glaubt, dass man ihn vergessen hat. Ein Irrtum, denn bald wird er während einer Tanzveranstaltung verhaftet. Lothar Scholz wird nach Eberswalde transportiert und ein halbes Jahr lang verhört. Anklagegrund: „Spionage.“ Jeden Abend wird er zum Verhör geholt, das die ganze Nacht dauert. Trotz der Schläge, trotz des Schlafentzugs gesteht er nicht. Verurteilt wird er trotzdem: 15 Jahre Arbeitslager wegen Spionage.

Im Januar 1948 geht es im Viehwaggon auf die Reise in die Sowjetunion. Tagelang fährt der Zug bei Minusgraden. Von den 28 Häftlingen in seinem Waggon seien bei der Ankunft in Moskau nur noch 19 übrig gewesen, erzählt Scholz. Jeden Morgen klopften die Rotarmisten an die Tür, fragten, ob es Tote gäbe: „Wenn das so war, wurden die Türen geöffnet und die Leichen rausgeschmissen.“

Nach einer Zwischenstation in Moskau fährt der Zug weiter ins sibirische Workuta, wo sich Kohlebergwerke befinden. Dort angelangt, marschiert Scholz zu Fuß in eines der 100 Lager, die sich entlang der Bahnlinie befinden. Während dieses Gewaltmarsches holt er sich auch die Erfrierungen an den Zehen.

Im Lager selbst wird er dann zu Nummer „ÿ 763“. So steht auf dem Rücken seiner Sträflingsjacke, und nur so reden ihn die Wachen an. Der Arbeitstag dauert zwölf Stunden, zweimal im Jahr gibt es frei: am Tag der russischen Oktoberrevolution und am Geburtstag von Stalin.

Als so genannter „Faschist“ steht Lothar Scholz in der Lagerhierarchie ganz unten, gibt es neue Kleidung, wird sie ihm sofort gestohlen. In den Baracken schlafen die Häftlinge in Etagenbetten, oben die Russen und Scholz auf dem Fußboden: „Nachts haben die dann ihre Wanzen auf mich runtergeschmissen.“

Auch wenn Scholz sich als einen „zähen Brocken“ bezeichnet, der sich nicht unterkriegen lässt: Hätte es 1948 nicht einen Lageraufstand gegeben, wäre er wohl nicht mehr aus Sibirien zurückgekehrt. Er wird nach Süden verlegt, an die mittlere Wolga. Dort ist es wesentlich wärmer. Scholz fällt Holz, schneidert Uniformen, baut Radios zusammen.

Ab 1953, nach dem Tod von Stalin, gibt es spürbare Verbesserungen für die Häftlinge. Jetzt ist alle zehn Tage ein Ruhetag, die Arbeitszeit wird auf zehn Stunden festgelegt, und Scholz bekommt Lohn. Damit kann er im Lager Brot kaufen oder Marmelade. Jetzt besteht auch die Möglichkeit zur Gestaltung der kargen Freizeit, Bücher können ausgeliehen werden. Er liest sich durch die klassische russische Literatur. Und Lothar Scholz, der zu Beginn seiner Haft kein Wort Russisch sprach, beherrscht die Sprache bald fließend. Nun bitten ihn sogar Russen, dass er ihre Begnadigungsersuchen schreibt.

Mit seiner Heimat hat Lothar Scholz inzwischen abgeschlossen. Man hatte ihm gesagt, dass er auch nach der Verbüßung seiner Haft in Sibirien bleiben müsse. Als Trost sagt ihm ein russischer Lagerkamerad: „Du wirst eine hübsche Russin heiraten und viele Kinder bekommen!“

1954 deutet sich endlich eine Wende an. Die deutschen Häftlinge werden in einem Lager zusammengezogen, dürfen eine Postkarte nach Hause schreiben. Wenn Lothar Scholz über die erste Karte spricht, die er von seiner Mutter erhielt, kommen ihm noch immer die Tränen in die Augen.

Im Oktober 1955 wird er entlassen. Über Moskau fahren die Deutschen nach Frankfurt/Oder. Dort steigen diejenigen aus, die in der DDR bleiben werden. Scholz fährt weiter ins Durchgangslager Friedland und dann nach Westberlin, wo die Mutterr wohnt. Er lebt sich langsam wieder ein im Wirtschaftswunderland BRD, macht einen Schulabschluss und wird Handelskaufmann. 1964 heiratet er, bekommt zwei Töchter.

1994 ist er als 67-Jähriger noch einmal nach Workuta gefahren. Auch diesmal dauerte die Fahrt 40 Stunden, und draußen herrschten minus 42 Grad. Doch diesmal wird er in Workuta auf dem Bahnhof freundlich empfangen. Zwei russische Mitglieder der Organisation einstiger Zwangsarbeiter erwarten ihn mit warmer Kleidung, Brot und Salz, der traditionellen russischen Begrüßung.

Die Jahre im Straflager hat Scholz nie vergessen können: „Ich träume oft, ich sei auf der Flucht vor Lagerposten, die mich mit Hunden verfolgen. Aber meine Füße sind am Boden festgefroren.“ Mit seinem Schicksal hadere er aber dennoch nicht, Hass gegen das russische Volk empfinde er nicht, sagt er.

Vor einiger Zeit hat Scholz ein Buch über seine Lagerhaft geschrieben, er erzählt als Zeitzeuge in Berliner Gymnasien von seinem Schicksal. Dann nimmt er seine graue, wattierte Häftlingsjacke mit, die er aus Sibirien mitgebracht hat. Manchmal zieht er sie an, sie passt ihm noch immer.

Diese Zeitzeugenarbeit sei ihm sehr wichtig, sagt Lothar Scholz. Die Schüler sollten sehen, dass man Nein sagen müsse. Er habe damals nicht als Spitzel arbeiten wollen. Und so seine Jugend verloren. Die Ehrenpension solle deshalb auch ein Zeichen für zukünftige Generationen sein: Widerstand gegen Unrecht und Gewalt lohne sich, werde vom Rechtsstaat anerkannt. Deshalb will Lothar Scholz für eine Nachbesserung der Opferrente kämpfen: „Wir haben auf ein Dankeschön durch das Vaterland gehofft und einen warmen Händedruck bekommen. Almosen brauchen wir nicht.“

Saturday, February 03, 2007

Nachtasyl (Berliner Zeitung)

Nachtasyl
Streuner, Flüchtlinge und Anarchisten - bis zum Morgengrauen im Kulturkaufhaus Dussmann
Kathrin Schrader

Auf der Lesegalerie im zweiten Stock sind die Schlafgäste in ihren Sesseln eingenickt. Es ist kurz vor Mitternacht.

Die Frau mit der Baskenmütze schläft nicht. Sie steht auf und knipst den Strahler aus, der auf ihren Platz gerichtet ist. Sie setzt sich wieder und schaut weiter in das Buch auf ihrem Schoß. Ihre Ellenbogen, spitz ausgebreitet wie Flügel, ruhen auf den Armlehnen. Graue Haarsträhnen ringeln aus der Mütze.

Ab und an blickt sie hinüber zu den Leuten, die an den Bücherregalen entlang- schlendern, Paare meist, die eben aus dem Theater oder der Oper kommen, und andere, die unterwegs sind durch die Nacht und noch im Kulturkaufhaus in der Friedrichstraße vorbeischauen.
Neben ihr schläft einer, als sei er ganz plötzlich erstarrt. Kerzengerade sitzt er im Sessel, den Mund zu einem erstorbenen Ruf geöffnet, die Beine übereinander geschlagen. Ein anderer, jüngerer, hat sein Gesicht mit einem roten Basecap bedeckt. Er trägt blütenweiße Tennissocken. Seine Beine liegen auf der Reisetasche vor dem Sessel. Die Haare, zu einem Zopf gebunden, hängen über der Rückenlehne. Er verströmt den erdigen Duft von Patschuli.
Sie werden bleiben, die ganze Nacht. Das geht jetzt, seit das Kulturkaufhaus manchmal Freitagnacht durchgehend geöffnet ist. Sie werden sich still verhalten, kultiviert. Man wird sie kaum bemerken.

Sie könnten ruhiger schlafen. In der Abteilung Wirtschaft zum Beispiel stehen breite, schwarze Sofas zum Fenster nach der Friedrichstraße. Man kann sich darauf ausstrecken. Bequemer sind auch die Sessel in der Abteilung Psychologie und Lebensführung. Doch diese Sessel bleiben leer. Leser ohne Ziel fürchten die Einsamkeit. Sie ziehen die Anonymität des Lärms vor, die Gemeinsamkeit in der Lounge. Das Piepen der Kassen unter ihnen, die Schritte auf den Marmortreppen, das leise Rascheln der Buchseiten, die immer gleiche Musik-Frequenz aus dem Videorekorder in der Filmabteilung. Liquid Music steht in der Anzeige auf dem Monitor. In der Flüssigkeit wabern Einzeller über den Bildschirm.

Ein Uhr. Die Kundin mit dem lockigen Rothaar und der silbernen Jacke spiegelt noch den Tag wider. Sie federt durch die Klassik-Abteilung im Untergeschoss, blickt übermütig durch ihre schmale, schwarz gerahmte Brille. Sie trägt ihr Wachsein zur Schau. Sie wird ihren Freundinnen erzählen, wie verrückt es sich anfühlt, nachts um eins bei Dussmann zu shoppen. Sie gehört nicht zur Nacht.

Die Frau im stillen Lesesalon über der Abteilung Belletristik sieht müde aus und blass, sie liest unkonzentriert, blickt oft auf. Das Buch nimmt sie nicht gefangen. Es lenkt sie nicht einmal ab. Manchmal lacht sie kurz auf, aber es ist nicht das überraschte Lachen einer Leserin. Ihr Lachen hat mit etwas anderem zu tun, mit dem, was sie heute erlebt hat. Vielleicht sind in der großen Tasche unter ihrem Sessel alle notwendigen Dinge, die sie braucht, um neu zu beginnen, irgendwo. Vielleicht.

Um zwei Uhr ist sie verschwunden. Die Studenten an den Kassen blättern in Comics, lernen Vokabeln, besuchen sich gegenseitig und reden über ihre Professoren und die WG. Die Rolltreppen schaufeln unermüdlich ins Leere. Der lange Gang liegt verlassen. Grauer Teppichboden, rot gesäumt. An seinem Ende klappert der Verkäufer auf einer Tastatur. Im Kamin an der Wand wedeln künstliche Flammen.

Später springt ein Mann die Stufen hinab, als flüchte er vor etwas da oben. Mit wenigen Schritten ist er bei Schostakowitsch, blättert, greift nach dem Violinenkonzert No. 1. Er reißt die Hülle auf, schiebt die Platte in den CD-Player, stülpt die Kopfhörer auf. Er senkt den Kopf. Die langen, glänzenden Haare verbergen sein Gesicht.

Die Frau mit der Baskenmütze ist in einen anderen Sessel umgezogen, auf die andere Seite der Galerie. Ein Mann hat sich zu ihr gesellt, trotz der kalten Nacht geht er barfuß in Sandalen. Er zeigt ihr die Bücher vom Ramschtisch im Windfang. "Das musst du einfach finden. Das findest du nicht in den Rezensionen. Das musst du finden. Man darf nicht suchen. Man muss finden."
Die Frau blickt ihn aus dunklen Augen an. Sie nickt. "Sechstausend Bände." Er hebt den Zeigefinger. Er trägt Bindfaden und Gummis um Finger und Handgelenke. "Ich sammle immer noch. Die Antiquariate rufen mich an. Kennst du jemanden, der Bücher sucht?" Die Frau schüttelt den Kopf. "Ich habe einen Freund in Krefeld." Sie spricht mit französischem Akzent.
Seine Augen blicken verschreckt aus knochigen Höhlen. "Die haben meine Wohnung aufgebrochen. Die haben gesagt, dass die Bücher zu schwer sind, dass sie das Haus kaputt machen. Die Balken. Ja." Er nickt. Die Frau blickt ihn an.

Er zieht ein Buch hinter seinem Rücken hervor. "Lies mal. Ein ganzes Buch, 124 Seiten, ein einziger Satz. Es ist in einem Satz geschrieben. Sieh dir das an. Das muss man finden. Eine Anarchistin. Ich bin auch Anarchist. Soll ich dir meine Visitenkarte geben?"

Er wühlt einen Stempel aus seiner Tasche, sucht in den Bücherstapeln neben dem Sessel nach einem Fetzen Papier. Er findet einen Werbeprospekt. Er druckt darauf seine Visitenkarte. "Kommst du aus Köln? Meine Schwester lebt in Köln."

Die Frau mit der Baskenmütze schüttelt den Kopf. "Mein Freund lebt in Krefeld", sagt sie.
Sie beugt sich über die winzigen Buchstaben der Visitenkarte. @rchiv-biblio-theke-ex-kursionen-gratis-kultur k.f. lehrstuhl f. kreativen wahnSinn-LEONAR.DEL.L.L.-manifest, dann folgen die Nummern zweier Postfächer.

Die Frau schiebt den Zettel zwischen die Seiten ihres Buches: "Harry Potter et l'Ordre du Phénix."

Im Untergeschoss ist der Flüchtling noch immer bei Schostakowitsch. Er sei nur zufällig hier, sagt er. Er sei direkt nach der Arbeit gekommen. Aus der Oper. Er spiele im Orchester. "Wenn ich tagsüber komme, muss ich mit den Verkäufern reden. Sie kennen mich alle. Das ist lästig. Ich habe keine Lust, mit den Verkäufern zu reden. Deshalb komme ich in der Nacht. Die Studenten lassen mich in Ruhe."

Also doch kein Zufall, dass er hier ist. Er antwortet nicht. Ein Flüchtling vor der Anonymität des Tages, der undeutlichen Masse an Menschen und belanglosen Sätzen, auf die man etwas erwidern muss, weil es der Tag so gebietet. Er gehört zur Nacht. Nachtmenschen sehnen sich nach der Deutlichkeit, mit der sie in diesen wenigen Stunden hervortreten. Wie die Scherbe des Mondes.

"Es ist hier ein bisschen wie bei Hemingway, ‘a clean, well lighted place‘ sagt ein Junge mit Wollmütze oben bei den Englisch sprachigen Büchern. "Da sind diese beiden Kellner. Einer ist wütend auf den letzten Gast, weil er nach Hause will, der andere ist froh, dass dieser Gast noch da ist, weil er nicht nach Hause will und die anderen Cafés nicht so sauber und hell sind wie das, in dem er arbeitet." Der Junge hat fiebrige Augen. Er blättert, ziellos scheinbar.

Drei Uhr. Die Bestsellerlisten schweigen. Erst am Tag beginnen sie wieder zu flattern wie die Anzeigen für Züge und Flieger, wie die Börsenkurse. Kommen Sie! Lesen Sie! Beeilen Sie sich! Sie verpassen sonst den Anschluss! Schnell! Kaufen Sie!

Gegen vier Uhr tritt ein Riese aus dem Labyrinth der Belletristik hervor, dem es gelungen ist, sich zu verstecken. Seit Stunden. Er schleicht mit gesenktem Kopf zur Kasse, baut einen Stapel Bücher und Platten auf die Theke. "Hat ein bisschen länger gedauert", sagt er schüchtern. Der Kassiererin ist das egal. Sie muss sowieso bis morgens um neun hier stehen.

Die offene Nacht ist eigentlich für die Käufer gedacht, aber die kommen nicht. Nur die Streuner wissen Bescheid. Es hat sich herumgesprochen. Im Sommer werden sie wieder hier übernachten können, wenn Touristen und Nachtschwärmer nach Berlin kommen und Dussmann das nächste Mal durchgehend öffnet.

Die Klimaanlage rauscht. Liquid Music perlt. LEONAR.DEL.L.L. ist eingeschlafen. Die Französin blickt in ihr Buch. Der mit dem roten Basecap und den weißen Tennissocken ist aufgewacht. Er läuft durchs Haus, als wäre es seine Wohnung, als suche er nach der Kaffeemaschine.

"Die Dussmanns kennen mich gut", sagt er. "Ich war hier, als Bill Clinton gelesen hat. Ich habe ihm danach zwei Bücher überreicht. Den Greenpeace-Führer für genmanipulierte Lebensmittel und das Buch eines Indianerhäuptlings. Ich mag Indianer, obwohl sie Fleisch essen. Indianer haben Respekt vor den Tieren, die sie töten."

Er zählt auf, was alles nicht in seinen Körper darf: Kaffee, schwarzer Tee, Nikotin, Schokolade, Fleisch, Alkohol. "Ich dusche jeden Tag kalt. Es gibt da einen Ort. Da kann man hingehen und duschen. Kostet nichts." Er schläft gern bei Dussmann, lieber als in der S-Bahn.

Der Anarchist öffnet die Augen, blinzelt. Er beginnt wieder zu rasseln: "Nur wer schreibt, kann Probleme lösen. Weißt du, ich hatte die Idee, auf Klorollen zu schreiben, auf das, was die Leute benutzen und wegwerfen. So viel verschenkter Platz."

Die Frau mit der Baskenmütze zieht ein Päckchen Milch aus ihrer Tasche, schaut es kurz an, packt es wieder ein.

"Am Montag bekomme ich eine Wohnung", sagt der Mann mit dem roten Basecap. "Der Mietvertrag ist so gut wie unterschrieben." Dann will er Unternehmensberater werden. Er hat gelesen, dass das alles Idioten sein sollen, die Unternehmensberater. Das könne er sicher besser.
"Ich habe einen Freund in Krefeld", sagt die Frau. Der Anarchist schweigt.
Fünf Uhr morgens. Bald werden die ersten Kunden des Tages das Kulturkaufhaus betreten.
Berliner Zeitung, 03.02.2007