Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, April 29, 2008

Leben am Abgrund (Berliner Zeitung)

Leben am Abgrund
Immer wieder brechen Kreidefelsen und Hänge an der Steilküste der Ostseeinsel Rügen ab. Nun könnte erstmals ein Dorf ins Meer rutschen
Andreas Förster
LOHME. Ostseeblick heißt die alte Dorfstraße von Lohme erst seit knapp zwei Jahren. Die Gemeinde hat die Straße umbenannt, weil man von hier aus nun den Leuchtturm von Arkona sehen kann und die Schaabe, den feinen Sandstrand an der Tromper Wiek, wie die langgezogene Bucht zwischen Kap Arkona und den Kreidefelsen des Jasmunder Nationalparks heißt. Über Jahrhunderte hinweg war dieses Panorama hinter Bäumen verborgen. Sie standen auf dem gut vierzig Meter hohen Steilhang, der vom Strand hoch zum alten Fischerdorf Lohme reichte. Bis in einer Märznacht vor drei Jahren ein gewaltiger Erdrutsch 150 000 Kubikmeter Hangwald in die Ostsee stürzen ließ.
An Rügens Kreideküste gibt es seit Jahrhunderten immer wieder spektakuläre Steilhangabbrüche. Im Jahr 2005 brachen die weltberühmten Wissower Klinken im Jasmunder Nationalpark ab, vor wenigen Wochen stürzten unweit von Kap Arkona Kreidefelsen und Geröll in die Tiefe. Wetter und Frost sind die Ursache, meist rutschen die Steilhänge in unbewohnten Gebieten der Insel weg. Im Februar 2005 wurde eine Spaziergängerin am Strand von herabstürzenden Kreidefelsen erschlagen, bislang sind Unglücke dieser Art aber selten.
Bei Lohme liegt der Fall anders. Hier ist eine ganze Gemeinde gefährdet. Der Ort, der vor 150 Jahren Rügens erstes Seebad war, liegt im Norden der Insel Rügen, seine rund fünfzig Häuser stehen auf einem Plateau am Rande der vierzig Meter hohen Steilküste. Hier können keine Felsen abbrechen wie an der nahen Kreideküste in der Gegend um den Königsstuhl. Die Zukunft des Dorfes mit seinen 320 Einwohnern ist durch einen Hang bedroht. Ingenieure haben festgestellt, dass er ins Rutschen kommen und Häuser mit in die Tiefe reißen könnte. Vor drei Wochen sind deshalb Teile der Gemeinde gesperrt worden.
An der alten Dorfstraße in Lohme kniet eine Frau im Garten ihres Hauses und zupft Unkraut aus dem Blumenbeet. "Kapitänshaus Trost, Zimmer frei" steht auf einem Schild am Zaun. Das Grundstück liegt gut hundert Meter von der Stelle entfernt, wo vor drei Jahren ein Stück Steilhang zum Strand abstürzte. Hat sie keine Angst, dass auch hier der Boden plötzlich in Bewegung kommen könnte? "So ein Quatsch", sagt die Frau unfreundlich. An dieser Stelle sei alles sicher, Panik würden nur die Medien machen, so wie vor drei Jahren, als wegen ein paar toter Vögel am Strand die Vogelgrippe in Rügen ausgerufen wurde. "Anderthalb Monate lang hatte ich keinen Urlauber wegen dieses Theaters", schimpft sie.
Andere Einwohner Lohmes pflichten ihr bei. Peter Müller etwa, der hier geboren wurde und heute einen Andenkenladen in der Nähe vom Hafen betreibt. "An der alten Abbruchstelle ist immer schon mal was abgerutscht, aber der Rest vom Hang ist sicher, da ist noch nie was runtergekommen", sagt er. "Na klar bewegt sich das Ufer, aber das ist doch alles nicht so dramatisch, wie es jetzt gemacht wird", meint auch Fred Schneewitz, der seit fünf Jahrzehnten in Lohme lebt.
Jörg Gothow kennt solche Argumente. Mit Argwohn wird der junge Ingenieur aus Bergen von vielen Lohmern betrachtet, weil er den Untergrund des alten Fischerdorfes seit dem Abbruch vor drei Jahren regelmäßig untersucht und jetzt Alarm geschlagen hat. In dem Bereich zwischen der alten Abbruchstelle im Westen und dem Hafen im Ortszentrum besteht seiner Überzeugung nach die Gefahr, dass der zum Teil bebaute Hang bei extrem hohen Grundwasserständen ins Rutschen kommen könnte.
Die Gefahr bestand wohl schon immer. Doch erst seit der Hang untersucht wird, ist sie auch bekannt. Nach den starken Regenfällen Anfang April ist nun der malerisch gelegene Hafen, der in der Saison von vielen Segelbooten angelaufen wird, ebenso gesperrt wie die vom Ort hinunter führende Holztreppe, eine der Attraktionen des alten Seebades. Das Grundwasser steht zu hoch, der Hang ist gefährlich durchfeuchtet, wie Ingenieur Gothow sagt. Die Sperrung gilt vorerst bis 5. Mai. "Vielleicht müssen wir sie auch verlängern", sagt er.
Der Ingenieur hockt auf der alten Dorfstraße und hebt eine kleine, oval geformte Stahlabdeckung aus der Erde. Zwei Rohre führen darunter in die Tiefe, sie sind vierzig und sechzig Meter lang. Es ist eine von zehn Grundwassermessstellen, die Gothows Firma Wastra-Plan in den letzten Jahren in Lohmes Untergrund gebohrt hat. Darin wird elektronisch gemessen, wie hoch das Wasser im Uferhang steht. Normalerweise werden die Werte alle zwei Wochen abgelesen. Nach den Regenfällen von Anfang April kommen die Bergener Ingenieure aber nun täglich hierher und kontrollieren von Hand mittels eines Lichtlots die Wasserstände.
Gothow hängt das Lichtlot, eine kleine metallene Röhre, in das Messrohr und wickelt das daran befestigte Bandmaß ab. Nach einigen Sekunden hört man einen Piepton, das Lichtlot hat die Grundwasserschicht erreicht. "13,72 Meter", liest der Ingenieur ab und trägt den Wert in eine Tabelle ein. Er ist niedriger als an den Vortagen, aber immer noch deutlich höher als der sogenannte Referenzwert. Der wurde Ende Juli 2007 gemessen, nach einem zwei Tage andauernden Starkregen, und galt bislang als der höchste in den vergangenen drei Jahren gemessene Pegel.
Jörg Gothow holt ein Blatt Papier hervor, um die komplizierte Untergrundstruktur des Lohmer Hanges zu verdeutlichen. Mit Bleistiftstrichen zieht er die verschiedenen Bodenschichten nach: Wasserundurchlässige Lehm- und Mergeladern, dazwischen die sogenannten Wasserleiter, in denen sich das Grundwasser sammelt. Auf all dem liegt eine zwischen vierzig Zentimetern und einem Meter starke Erdschicht aus Mutterboden und Sand. "Wenn diese oberflächliche Schicht feucht ist, muss man jederzeit damit rechnen, dass sie ins Rutschen kommt", erklärt Gothow. "Wir haben daher einen Sicherheitskorridor für den am stärksten gefährdeten Bereich des Ortes festgelegt."
Der Sicherheitskorridor beginnt an der alten Dorfstraße, dem Ostseeblick, die unmittelbar an der Abbruchstelle von 2005 einen Knick macht. Hier befindet sich das inzwischen leer stehende Diakoniezentrum, an dessen Vorderkante vor drei Jahren der Hang in die Tiefe gerutscht war. Jetzt soll das absturzgefährdete Haus von einer Spezialfirma abgerissen werden.
Vom Diakoniezentrum aus verläuft der Sicherheitskorridor an zwei nahe gelegenen Ferienhäusern und einem Wohnhaus am Ostseeblick vorbei und biegt dann auf unbebautes Gelände ab, um in der Ortsmitte, am oberen Teil der Hafentreppe, zu enden.
Nur gut hundert Meter weiter westlich und damit außerhalb des Sperrgebiets liegt das Panorama-Hotel, das erste Haus am Platz. Und dasjenige, das sich am kühnsten über den Steilhang der Lohmer Küste erhebt. Bei schönem Wetter ist die Hotelterrasse hoch über dem steinigen Ostseestrand stets voll belegt, weil man von hier aus den schönsten Blick über die Tromper Wiek nach Kap Arkona hat.
"Mein Haus ist absolut sicher", sagt Hotelbesitzer Matthias Ogilvie zur Begrüßung und eilt ins Büro, um das Gutachten eines Geologen zu holen. Darin steht, dass sein Hotel auf einer massiven so genannten Kreideschuppe steht. "Der Boden ist hier so fest, dass man nicht tiefer als zwanzig Meter in den Kreidefelsen bohren kann", sagt Ogilvie nicht ohne Stolz. Außerdem bezeugten alte Messungen, dass die Küste zu Füßen des Hotels in den letzten hundert Jahren um keinen Zentimeter zurückgewichen ist.
Die Baubehörde des Landkreises vermag Ogilvie mit seinen Fakten allerdings nicht zu überzeugen. "Ich will anbauen, ein neues exklusives Hotelgebäude auf meinem Grundstück errichten. Aber ich bekomme keine Baugenehmigung, obwohl dieser Teil Lohmes überhaupt nicht gefährdet ist", klagt er. Seit dem Abbruch vor drei Jahren sei praktisch ein Baustopp über den ganzen Ort verhängt worden.
Ilona Reimann hat es noch härter getroffen als den Hotelier. Sie betreibt einen kleinen Imbisskiosk an dem seit drei Wochen gesperrten Hafen. Und auch die Holztreppe, die vom Ortszentrum hinunter führt zu den Booten und zu ihrem Kiosk, ist mit einem Metallgitter abgeriegelt. Ein Plastikschild mit der Aufschrift "Achtung Lebensgefahr! Betreten verboten" hängt daran. "Von einem Tag auf den anderen hieß es, ich muss meinen Kiosk dicht machen", sagt sie. "Aber mit dem Geld, das ich jetzt in der Saison verdiene, muss ich über den Winter kommen. Nun ist mir schon ein Monat verloren gegangen - wer ersetzt mir den Verlust?"
Karl-Heinz Walter, Leiter des Amtes Rügen-Nord, zu dem neben sieben weiteren Gemeinden auch Lohme gehört, weicht einer Antwort darauf aus. Die Frage der Entschädigung müsse noch gemeinsam mit der Gemeinde geklärt werden, sagt er vorsichtig. Auch weil er weiß, dass es schon die ersten besorgten Urlauber gibt, die ihre Hotelbuchung stornieren wollen.
Und dann referiert Walter in seinem Amtsbüro in Sagard eine halbe Stunde lang über Grundbrüche und Oberflächenrutschungen, über Bodenschichten und Gefahrenabwehr, über Monitoring, wie er die Grundwassermessungen nennt, und die "tickende Zeitbombe" im Lohmer Untergrund. Geduldig breitet er Zeichnungen aus und liest aus Gutachten vor. Als er endet, sieht er erschöpft aus - und resigniert. "Wissen Sie, was am schlimmsten ist", sagt er dann. "Dass die grundsätzliche Frage noch immer nicht geklärt ist: Wollen wir Lohme retten - oder geben wir den Ort auf?"
Rein technisch gesehen gibt es laut Walter bereits konkrete Ideen, wie der gefährdete Steilhang im Ort gesichert werden kann. Mit horizontal verlaufenden Leitungen könnte demnach das Wasser aus dem Boden zur Seeseite abgeführt werden, eine etwa fünf Meter hohe Schüttung am Hangfuß würde den Hang zusätzlich stabilisieren. Dazu ließe sich mit sogenannten Erdnägeln die obere Hangschicht mit den tiefer liegenden, stabileren Bodenschichten verbinden. Die Kosten veranschlagen Experten auf insgesamt vier Millionen Euro.
"Aber es ist kein Geld dafür da", sagt Amtsleiter Walter. Zwar existiert in der Schweriner Landesregierung seit drei Jahren eine interministerielle Arbeitsgruppe, die regelmäßig über Maßnahmen zur Rettung Lohmes diskutiert. In der entscheidenden Frage jedoch, welche Ministerien wie viel Geld für das Projekt beisteuern, hat man bislang keine Einigung gefunden. "Die Zeit verrinnt, und ich hab die Angst im Nacken, dass was passiert", sagt er. Dabei seien schon eine halbe Million Euro allein in die Gutachten und den Bau der Messstellen geflossen. "Das ist doch aber rausgeschmissenes Geld, wenn man nach dem A nicht auch B sagt und Lohme vor der Katastrophe bewahrt."
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"Die grundsätzliche Frage ist: Wollen wir Lohme retten - oder geben wir den Ort auf?" Karl-Heinz Walter, Leiter des Amtes Rügen-Nord
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Foto: Ingenieur Jörg Gothow am Diakoniezentrum in Lohme. Vor drei Jahren brach hier der Steilhang ab - das Haus wird jetzt abgerissen.

Ost gegen West, unten gegen oben (Berliner Zeitung)

Ost gegen West, unten gegen oben, rechts gegen links
Mike Fröhling Am 31. Oktober dieses Jahres wird Tempelhof geschlossen.
Die Mehrheiten für oder gegen den Weiterbetrieb Tempelhofs spalten die alte Frontstadt – entlang dem Mauerverlauf
Jan Thomsen

Die Meinungsgrenze verläuft tatsächlich fast exakt entlang dem alten Mauerstreifen. Hier dagegen, dort dafür, je nachdem, wo man steht: Der Berliner Osten stimmte beim Volksentscheid klar gegen den Flughafen Tempelhof, der Westen ebenso klar dafür – die Tempelhof-Frage scheint also doch die alte Frontstadt wiederzubeleben. Oder war sie etwa nie tot?

Wolfgang Brauer sieht das gelassen. „Kein Ostler hat sich beim Volksentscheid für irgendetwas gerächt“, sagt er. Nicht für das Schleifen des Palastes, nicht für die Abwicklung von Betrieben, Instituten, Lebensläufen. Der 53-jährige Kulturexperte Brauer von der Linkspartei, Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf, war in der DDR Geschichtslehrer. Die Aufregung um Tempelhof habe im Osten eben kaum jemanden interessiert, sagt er. Die emotionale Aufladung, mit der die Debatte im Westteil geführt wurde, verstand man nicht. „Der Ostler hat ja auch gelernt, dass scheinbar hochwichtige Symbole quasi über Nacht ihre Bedeutung verlieren können – daher lässt er sich nicht so leicht beeindrucken“, sagt Brauer. Zudem habe es im Osten ja nie einen „Mythos Tempelhof“ gegeben. Wurde die Luftbrücke von 1948 im Westen als Rettung vor dem kommunistischen Aushungerungsversuch interpretiert, sprach man im Osten von der „Sperrung der Zufahrtswege“ durch die Sowjetarmee, damit nach der West-Währungsreform nicht die Einheit der Stadt gefährdet werde. Schließlich gefährdete die Luftbrücke in offizieller Perspektive den Weltfrieden, erinnert sich Brauer.

Auch der CDU-Abgeordnete Mario Czaja – einziger Ost-Christdemokrat mit Direktmandat – sagt, Tempelhof habe die Ost-Berliner kaum interessiert. Die CDU müsse künftig in der Wirtschafts- oder Bildungspolitik Themen ansprechen, die auch im Ostteil wichtig seien. Etwa das Straßenausbaubeitragsgesetz und die Belastungen durch Gebühren. „Das betrifft und interessiert Ost- und West-Berliner gleichermaßen“, sagt Czaja.

Meinungsforscher Manfred Güllner vom Forsa-Institut sieht im Osten aber durchaus auch eine gewisse antikapitalistische Tendenz wirken, weil ja der Flughafen Tempelhof von seinen Gegnern als Airport der Bonzen geschmäht wurde. „Das wirkt bei den Genossen der Linken, wenn es gemeinsam gegen die Reichen gehen soll“, sagt Güllner. Auch der HU-Stadtsoziologe Hartmut Häußermann erkennt eine Oben-unten-Systematik im Ergebnis. „Vor allem in wohlhabenderen Bezirken wurde mit Ja gestimmt – dort wohnen die, die so einen Flughafen auch benutzen.“ Umgekehrt habe die massive Ja-Kampagne vor dem Abstimmungstermin zuletzt auf viele nur noch aufdringlich gewirkt. „Ich glaube, das hat etliche Menschen geärgert, dass ihnen hier offenbar etwas aufgezwungen werden soll.“ Entscheidend sei aber, glaubt Häußermann, dass sich im Westen die Hauptargumente für den weiteren Flugbetrieb auf die Vergangenheit Tempelhofs bezogen haben. „Da haben sich wohl viele gesagt: Das lassen wir uns jetzt nicht auch noch nehmen.“ Nicht auch noch, nachdem im Westen schon Schiller-Theater, Kudamm und Bahnhof Zoo so leiden mussten.

CDU und Linkspartei werfen sich derweil gegenseitig vor, mit der Flughafen-Auseinandersetzung zur „Spaltung der Stadt“ beigetragen zu haben. Der CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger schimpfte noch spät am Abstimmungsabend gegen die „politisch motivierte Anti-Tempelhof-Kampagne“ der Linken; die Linksfraktionschefin Carola Bluhm gab gestern zurück, dass Pflüger so doch nur selbst Ressentiments schüre. Bluhm schlägt nun – damit „die Gräben überwunden werden“ – die öffentliche Inbesitznahme des traditionsreichen Geländes am 1. November vor: Einen Tag nach der offiziellen Schließung Tempelhofs soll ein Volksfest das neue flugfreie Zeitalter einleiten.

Ost gegen West, unten gegen oben (Berliner Zeitung)

Ost gegen West, unten gegen oben, rechts gegen links
Mike Fröhling Am 31. Oktober dieses Jahres wird Tempelhof geschlossen.
Die Mehrheiten für oder gegen den Weiterbetrieb Tempelhofs spalten die alte Frontstadt – entlang dem Mauerverlauf
Jan Thomsen

Die Meinungsgrenze verläuft tatsächlich fast exakt entlang dem alten Mauerstreifen. Hier dagegen, dort dafür, je nachdem, wo man steht: Der Berliner Osten stimmte beim Volksentscheid klar gegen den Flughafen Tempelhof, der Westen ebenso klar dafür – die Tempelhof-Frage scheint also doch die alte Frontstadt wiederzubeleben. Oder war sie etwa nie tot?

Wolfgang Brauer sieht das gelassen. „Kein Ostler hat sich beim Volksentscheid für irgendetwas gerächt“, sagt er. Nicht für das Schleifen des Palastes, nicht für die Abwicklung von Betrieben, Instituten, Lebensläufen. Der 53-jährige Kulturexperte Brauer von der Linkspartei, Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf, war in der DDR Geschichtslehrer. Die Aufregung um Tempelhof habe im Osten eben kaum jemanden interessiert, sagt er. Die emotionale Aufladung, mit der die Debatte im Westteil geführt wurde, verstand man nicht. „Der Ostler hat ja auch gelernt, dass scheinbar hochwichtige Symbole quasi über Nacht ihre Bedeutung verlieren können – daher lässt er sich nicht so leicht beeindrucken“, sagt Brauer. Zudem habe es im Osten ja nie einen „Mythos Tempelhof“ gegeben. Wurde die Luftbrücke von 1948 im Westen als Rettung vor dem kommunistischen Aushungerungsversuch interpretiert, sprach man im Osten von der „Sperrung der Zufahrtswege“ durch die Sowjetarmee, damit nach der West-Währungsreform nicht die Einheit der Stadt gefährdet werde. Schließlich gefährdete die Luftbrücke in offizieller Perspektive den Weltfrieden, erinnert sich Brauer.

Auch der CDU-Abgeordnete Mario Czaja – einziger Ost-Christdemokrat mit Direktmandat – sagt, Tempelhof habe die Ost-Berliner kaum interessiert. Die CDU müsse künftig in der Wirtschafts- oder Bildungspolitik Themen ansprechen, die auch im Ostteil wichtig seien. Etwa das Straßenausbaubeitragsgesetz und die Belastungen durch Gebühren. „Das betrifft und interessiert Ost- und West-Berliner gleichermaßen“, sagt Czaja.

Meinungsforscher Manfred Güllner vom Forsa-Institut sieht im Osten aber durchaus auch eine gewisse antikapitalistische Tendenz wirken, weil ja der Flughafen Tempelhof von seinen Gegnern als Airport der Bonzen geschmäht wurde. „Das wirkt bei den Genossen der Linken, wenn es gemeinsam gegen die Reichen gehen soll“, sagt Güllner. Auch der HU-Stadtsoziologe Hartmut Häußermann erkennt eine Oben-unten-Systematik im Ergebnis. „Vor allem in wohlhabenderen Bezirken wurde mit Ja gestimmt – dort wohnen die, die so einen Flughafen auch benutzen.“ Umgekehrt habe die massive Ja-Kampagne vor dem Abstimmungstermin zuletzt auf viele nur noch aufdringlich gewirkt. „Ich glaube, das hat etliche Menschen geärgert, dass ihnen hier offenbar etwas aufgezwungen werden soll.“ Entscheidend sei aber, glaubt Häußermann, dass sich im Westen die Hauptargumente für den weiteren Flugbetrieb auf die Vergangenheit Tempelhofs bezogen haben. „Da haben sich wohl viele gesagt: Das lassen wir uns jetzt nicht auch noch nehmen.“ Nicht auch noch, nachdem im Westen schon Schiller-Theater, Kudamm und Bahnhof Zoo so leiden mussten.

CDU und Linkspartei werfen sich derweil gegenseitig vor, mit der Flughafen-Auseinandersetzung zur „Spaltung der Stadt“ beigetragen zu haben. Der CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger schimpfte noch spät am Abstimmungsabend gegen die „politisch motivierte Anti-Tempelhof-Kampagne“ der Linken; die Linksfraktionschefin Carola Bluhm gab gestern zurück, dass Pflüger so doch nur selbst Ressentiments schüre. Bluhm schlägt nun – damit „die Gräben überwunden werden“ – die öffentliche Inbesitznahme des traditionsreichen Geländes am 1. November vor: Einen Tag nach der offiziellen Schließung Tempelhofs soll ein Volksfest das neue flugfreie Zeitalter einleiten.

Kein Homerun ohne T-Bone-Steak (taz)

Kein Homerun ohne T-Bone-Steak
Seit Baseball-Profi Prince Fielder sich vegetarisch ernährt, bleiben die Homeruns aus. Die Fans sind schockiert und skandieren: "Iss mal ein Steak!". VON THOMAS WINKLER

Seit Baseball-Profi Prince Fielder sich vegetarisch ernährt, bleiben die Homeruns aus und die Fans skandieren: "Iss mal ein Steak!"

Der Ball flog. Und flog. Flog weiter, übers Feld hinweg und hinein in die Zuschauerreihen. Ein Homerun, dessen Flug die Kommentatoren später "gigantisch" nennen würden, "majestätisch" gar. Doch für Prince Fielder, dessen Schläger den Ball auf seinen weiten Weg befördert hatte, war es nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zurück zur Normalität.
Denn Fielder, gerade mal 23 Jahre alt, hoffnungsvollster Homerun-Prügler im Baseball und seit wenigen Monaten überzeugter Vegetarier, steckt in einer tiefen Krise. Der Homerun half seinen Milwaukee Brewers zwar die Florida Marlins mit 4:3 zu besiegen, war aber erst sein vierter in dieser Saison. Im vergangen Jahr hatte er insgesamt 50 Mal den Ball über den Zaun geschickt, so oft wie niemand sonst.

Für die Fans in Milwaukee gibt es eine einfache Erklärung für das Schwächeln des 120 Kilo schweren Schlagmanns: Der hat sich letzten Winter entschieden, seinen Athletenkörper fortan nur noch vegetarisch zu ernähren. Der Grund ist kein medizinischer oder gesundheitlicher: Fielder las einen Artikel über Tierhaltung und war erschüttert.

Der bis zu seiner folgenschweren Entscheidung nicht gerade austrainiert wirkende Fielder hat mittlerweile drei Kilo abgespeckt und fühlt sich so fit wie nie zuvor. Doch als die Homeruns ausblieben, skandierte das Publikum in Milwaukee, wo eine große deutschstämmige Community lebt, vor dem Stadion traditionell Koteletts in Bier gegrillt werden und eine zünftige Bratwurst unbedingt zum Baseball gehört: "Iss mal ein Steak!" Kein Wunder: Ist es im Miller Park doch Tradition, dass nach dem sechsten Inning fünf bedauernswerte Menschen um die Wette laufen - verkleidet als Würstchen.

Von einigen Fans immerhin bekam Fielder vegetarische Kochbücher zugeschickt und Brewers-Manager Ned Yost äußerte Verständnis: "Was immer er tut, wird schon das Richtige für ihn sein." Dann aber stellte Yost erst mal klar, dass er keine Ahnung habe, was zum Teufel Tofu sei, und heuerte einen Ernährungsberater an, der der ganzen Mannschaft einen Vortrag über die Unverzichtbarkeit von Proteinen hielt.

Tatsächlich ist Fielder der einzige Vegetarier in den beiden großen Major Leagues. Jedenfalls der Einzige, der sich dazu bekennt, in einem Sport, der so sehr verwurzelt ist wie kein anderer in der amerikanischen Kultur - und dazu gehören neben Homeruns nun einmal auch T-Bone-Steaks und Spare Ribs. THOMAS WINKLER

Thursday, April 03, 2008

Es schimmert was im Zwielicht (SZ)

31.03.2008 15:08 Uhr
Es schimmert was im Zwielicht
IM "Gregor": Schweigen, Kleinhalten, Verdrängen - so wollte der Chefredakteur der Berliner Zeitung offenbar die Stasi-Affäre rund um einen leitenden Mitarbeiter überstehen. Erst ein gepfefferter Brief aus der Redaktion brachte Bewegung in die unappetitliche Sache. sueddeutsche.de dokumentiert ihn. Von Hans-Jürgen Jakobs
In der alten DDR war die Berliner Zeitung als SED-Zeitung eingebettet in die Propaganda des Systems. Nach der Wende wollte das Blatt unter Ägide des Bertelsmann-Konzern so etwas wie eine "deutsche Washington Post“ werden, ehe sie schließlich an den Investor David Montgomery verkauft wurde.

Eine unangenehme Altlast stört jetzt die ohnehin von Erschütterungen geplagte Zeitung – die Welt enthüllte die offensichtliche Stasi-Vergangenheit eines wichtigen Redakteurs: Demnach war Thomas Leinkauf, der Verantwortliche für die Seite 3 und das Magazin der Berliner Zeitung, einst als Spitzel IM "Gregor" aktiv gewesen. Die Art, wie der von Montgomery eingesetzte Chefredakteur Josef Depenbrock mit der Affäre umging, warf intern viele Fragen auf, wie aus der Redaktion zu erfahren ist.

Davon kündet ein Brief, den der leitende Redakteur Christian Bommarius am Samstag dem Verantwortlichen Depenbrock geschrieben hat. "Was nicht vergeht, was seit 1990 mit jedem Jahr gewachsen ist, das ist der dramatische Mangel an Integrität und Glaubwürdigkeit Thomas Leinkaufs“, schreibt er: Sollten sich die in der Akte der Birthler-Behörde vermerkten Ausforschungen von Kommilitonen als wahr herausstellen, dann habe Leinkauf "mit jedem Monat, mit jeder Woche, mit jeder Ausgabe der Berliner Zeitung, in der er seine Rolle in der DDR verschwieg, das alles in den vergangenen 18 Jahren restlos verspielt und zugleich die mühsam erarbeitete Glaubwürdigkeit des ehemaligen SED-Parteiblatts Berliner Zeitung auf das Höchste gefährdet“.

Dann sprach Bommarius direkt seinen Chefredakteur an, dem gegenüber Leinkauf seine Stasi-Tätigkeit wohl eingestanden hatte. In diesem Fall sei es "mit einem Wort hinter verschlossenen Türen durchaus nicht getan“ gewesen, klagt der Redakteur: "Dieses Wort hätte Thomas Leinkauf schon zur Redaktion, vor allem aber zu den Lesern sprechen müssen.“ Von einem Journalisten sei ein gutes Gedächtnis in eigener Sache schon deshalb zu verlangen, "weil sonst jedes kritische Wort von ihm über Angelegenheiten Dritter unlauter, ja verlogen erscheint“.
Thomas Leinkauf, Verantwortlicher für die Seite 3 und das Magazin der "Berliner Zeitung" soll einst als Spitzel IM "Gregor" aktiv gewesen sein.

Beleg sind die Artikel über Stasi-Themen, die Leinkauf in den vergangenen Jahren bei der Berliner Zeitung initiiert oder selbst verfasst hat – sie "schimmern im Zwielicht“, schreibt Bommarius. Da ging es zum Beispiel in einem Magazin-Beitrag des freien Autors Paul Kaiser über den als unerbittlichen Stasi-Aufklärer bekannten Hubertus Knabe, den Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen. Das sei "ein Text mit eindeutiger Diffamierungstendenz“ gewesen, dessen "gravierende handwerkliche Fehler zu einer umfangreichen Gegendarstellung“ geführt hätten.

Das Fazit des leitenden Redakteurs ist klar: "Glaubwürdigkeit ist das einzige Kapital, über das Journalisten verfügen. Geht es verloren, ist es mit dem Journalisten vorbei. Die Berliner Zeitung hat Jahre gebraucht, um ihre Glaubwürdigkeit nicht etwa zurückzugewinnen, sondern ganz neu zu erarbeiten. Was sie bis 1989 vom Neuen Deutschland unterschied, war nur der geringere Grad ihrer Verlogenheit. Ihren Ruf als einzigartiges Ost-West-Labor, den sie in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten erworben hat, verdankt sie auch ihrer unvoreingenommenen Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit, nicht zuletzt ihrer eigenen. Das 18 Jahre lange Schweigen Thomas Leinkaufs droht diesen Erfolg schlagartig zunichte zu machen.“

In eigener Sache hat Depenbrock bisher nur in Spurenelementen berichten lassen. Dabei ist klar, dass die IM-Akte Leinkaufs eine persönliche Verpflichtungserklärung sowie handschriftliche Spitzelberichte enthält. "Ich war damals jung, ich war Student“, sagte Leinkauf selbst.

Nach Bekanntwerden der Stasi-Verwicklungen war zunächst unklar, was mit dem Beschuldigten geschehen würde. Erst der Bommarius-Brief hat offenbar Dynamik in die unappetitliche Angelegenheit gebracht – am Wochenende wurde bekannt, dass Leinkauf seine Ämter ruhen lässt. Damit verliert Depenbrock eine weitere wichtige Stütze in der Redaktion. Viele andere tragenden Kräfte sind bereits gegangen oder werden sich verändern.

Der Chefredakteur – der für Montgomery beachtliche Renditen erzielen muss - gibt sich auch in schwieriger Stunde offensiv. Auf die Anregung des Berliner CDU-Parlamentariers Michael Braun, der Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin solle die Akte "Gregor“ sichten und bewerten, erklärt Depenbrock kurzerhand: Er werde nicht zulassen, dass einer seiner Mitarbeiter vor ein öffentliches Tribunal gestellt werden.

Vielleicht liest er den Brief seines Redakteurs Bommarius noch einmal.

"Das rächt sich jetzt" (SZ)

Stasi-Vorwürfe gegen Redakteure
"Das rächt sich jetzt"

Bei der Berliner Zeitung ist die Stimmung am Boden. Zwei leitende Redakteure haben jahrelang der Stasi zugearbeitet. Jetzt wird über Verrat in der DDR und die eigene Vergangenheit des Blattes diskutiert.Von Constanze von Bullion


Es spielen sich in diesen Tagen bei der Berliner Zeitung Szenen ab, die sich eigentlich schon vor 19 Jahren hätten abspielen müssen. Eine ganze Redaktion diskutiert da über ihre eigene Vergangenheit, über Moral und Verrat in der DDR, über den Staatssicherheitsdienst und darüber, wie Journalisten eigentlich mit der Wahrheit über ihr eigenes Leben umzugehen haben.
Auch am Dienstag wurde im Plattenbau am Alexanderplatz stundenlang und in großer Runde gestritten - zur Klärung der Atmosphäre hat das wohl nur wenig beitragen können. Nachdem bekannt geworden ist, dass nicht nur der Leitende Redakteur der Berliner Zeitung, Thomas Leinkauf, sondern auch der stellvertretende Politikchef Ingo Preißler jahrelang der Stasi zugearbeitet haben, ist die Stimmung am Boden.

Grund für die Aufregung sind die 120 Blatt Papier, die die Stasi mit Hilfe Leinkaufs, des Magazinchefs der Berliner Zeitung, zusammengetragen hat. Die Existenz der Akte ist vor wenigen Tagen bekannt geworden, und wer sie liest, der dürfte Mühe haben, Sympathie für den ehemaligen Stasi-Zuarbeiter "IM Gregor" aufzubringen, der zwischen 1975 und 1977 für den DDR-Geheimdienst geschnüffelt hat.

"Ich habe gesagt, ich schnüffle keinem hinterher. Ich habe erklärt, es wird hier freiheitlicher Journalismus gemacht, wer da nicht mitziehen kann, der kann gehen." «Erich Böhme
Nun ist der Jammer groß, denn der Berliner Verlag steckt nach seinem Verkauf ohnehin in der Krise. Viele Redakteure gehen, andere werden entlassen oder wollen weg. Nun also auch noch die Stasi-Vergangenheit, das erschüttere das ganze Haus, schrieb Chefredakteur Josef Depenbrock am Dienstag auf der Seite drei: "Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit sind beschädigt."

Die Verlagsleitung will radikale Aufklärung, sie darf Stasi-Akten ihrer Mitarbeiter aber nicht anfordern. Nun sollen Forscher der Freien Universität Berlin die Redaktion durchleuchten.
Die Redaktion will eine anonyme Umfrage im Haus starten, die klärt, wie viele Redakteure bereit sind, ihre Stasi-Akte freiwillig zu veröffentlichen.

Der ebenfalls Leitende Redakteur Christian Bommarius, gehört zu den schärfsten Kritikern des ehemaligen Stasi-Zuträgers Leinkauf. Bommarius kritisiert nicht nur dessen jahrelanges Schweigen, er zweifelt auch an den Selbstreinigungskräften der Redaktion. Die hätten sich schon in den entscheidenden ersten Jahren selten bemerkbar gemacht, als aus dem ehemaligen SED-Blatt eine demokratische Zeitung wurde. Auch die Verlagsspitze habe die Vergangenheit verdrängt. "Die haben damals offensiv nichts gemacht, und dieses Versagen der Anfangsphase rächt sich ."


Gemeint sind Gründer wie Erich Böhme, der von 1990 bis 1994 Herausgeber war und mal erklärt hat, er wünsche sich eine Flut, die alle Stasi-Akten wegspült. Laute Debatten über die DDR-Vergangenheit der Redakteure hat sich Böhme bei der Berliner Zeitung "verbeten": "Ich habe gesagt, ich schnüffle keinem hinterher. Ich habe erklärt, es wird hier freiheitlicher Journalismus gemacht, wer da nicht mitziehen kann, der kann gehen." Das habe ihm genügt. Man habe eine gute Zeitung machen wollen, keine nutzlose "Fragebogenaktion".

Wer Michael Maier fragt, der von 1996 bis 1998 Chefredakteur der Berliner Zeitung war, warum die DDR-Aufarbeitung so wenig interessierte, hört andere Töne. Es seien damals etwa 70 Leute ausgetauscht worden, wenn auch nicht unbedingt aufgrund von Stasi-Akten. "Ich weiß noch, dass ich mit jedem dreimal geredet habe, sicher auch über die Vergangenheit", sagt er. Angeblich hat Leinkauf seine Stasi-Vergangenheit intern offenbart. Ob ihm gegenüber, konnte Maier Dienstag nicht sagen. Er müsse erst in seinen Unterlagen nachsehen.

Der Fall Thomas Leinkauf
Die Aussagen ehemaliger Führungfiguren im Verlag könnten mitentscheiden über die Zukunft von Thomas Leinkauf. Wenn er schon vor Jahren über seine Stasi-Vergangenheit berichtet hat, zumindest bei der Chefredaktion, könne ihn das von dem Vorwurf befreien, als meinungsbildender Redakteur kein Wort über seine eigenen DDR-Vergangenheit verloren zu haben.

Wenn stimmt, was in den Akten steht, wurde der Diplomatensohn Leinkauf 1975 von der Stasi angeworben. Er war Student für Marxismus-Leninismus und hat sich bei der NVA als verlässlicher Genosse profiliert. Als "IM Gregor" machte er, was der Sprecher der Birthler-Behörde "ordinäre Spitzelei" nennt. Mal referierte er, was seine Frau bei einem Gespräch mit einem West-Berliner redete. Mal ließ er sich über eine junge Frau aus, die lernen müsse, "sich in ihrem Verhalten zu anderen Männern zu kontrollieren, d. h. nicht gleich intimere Beziehungen aufzunehmen, wenn man mal paar Schluck getrunken hat".

Seitenweise geht das so, und es sind, es vorsichtig ausgedrückt, keine erfreulichen Berichte. Sie handeln vom Eifer eines Studenten, der Journalist werden will und dafür viele hintergeht. Aus den Akten geht nicht hervor, ob den Bespitzelten Schaden entstanden ist. Es steht da nur, dass Leinkauf 1977 von der Stasi abgenabelt wird, weil ihm bei einem Militärlager 1976 eine Missbilligung ausgesprochen wird: Da er das "Singen und Gitarre Spielen nach 22 Uhr" nicht einstelle und zu einer "destruktiven, oppositionellen Haltung" neige.

Leinkaufs Funktionen in der Redaktion ruhen nun, er ist aber nach wie vor im Haus. Nach einer Versammlung der Redakteure soll er einfach auf seinem Stuhl sitzen geblieben sein - um dann an der Planung für den nächsten Tag teilzunehmen. Eine peinliche Szene, fand einer, der dabei war.
Ganz anders soll sich der Politikredakteur Ingo Preißler gezeigt haben. Er outetet sich selbst und erklärte erschüttert der Redaktion, er habe über zehn Jahre für die Stasi gespitzelt und geschwiegen - seinen Kindern zuliebe.

Die Erklärung fanden manche unzureichend, Preißler habe aber aufrichtig gewirkt. Leinkauf dagegen soll einen eher gelassenen Eindruck machen.

Fragt man Thomas Leinkauf, ob das stimme, sagt er: Er sei jetzt "sehr nachdenklich und beschäftigt mit den Dingen". Auf weitere Frage will er nicht antworten. Noch nicht.

(SZ vom 2.4.2008/gdo)