Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, April 29, 2008

Ost gegen West, unten gegen oben (Berliner Zeitung)

Ost gegen West, unten gegen oben, rechts gegen links
Mike Fröhling Am 31. Oktober dieses Jahres wird Tempelhof geschlossen.
Die Mehrheiten für oder gegen den Weiterbetrieb Tempelhofs spalten die alte Frontstadt – entlang dem Mauerverlauf
Jan Thomsen

Die Meinungsgrenze verläuft tatsächlich fast exakt entlang dem alten Mauerstreifen. Hier dagegen, dort dafür, je nachdem, wo man steht: Der Berliner Osten stimmte beim Volksentscheid klar gegen den Flughafen Tempelhof, der Westen ebenso klar dafür – die Tempelhof-Frage scheint also doch die alte Frontstadt wiederzubeleben. Oder war sie etwa nie tot?

Wolfgang Brauer sieht das gelassen. „Kein Ostler hat sich beim Volksentscheid für irgendetwas gerächt“, sagt er. Nicht für das Schleifen des Palastes, nicht für die Abwicklung von Betrieben, Instituten, Lebensläufen. Der 53-jährige Kulturexperte Brauer von der Linkspartei, Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf, war in der DDR Geschichtslehrer. Die Aufregung um Tempelhof habe im Osten eben kaum jemanden interessiert, sagt er. Die emotionale Aufladung, mit der die Debatte im Westteil geführt wurde, verstand man nicht. „Der Ostler hat ja auch gelernt, dass scheinbar hochwichtige Symbole quasi über Nacht ihre Bedeutung verlieren können – daher lässt er sich nicht so leicht beeindrucken“, sagt Brauer. Zudem habe es im Osten ja nie einen „Mythos Tempelhof“ gegeben. Wurde die Luftbrücke von 1948 im Westen als Rettung vor dem kommunistischen Aushungerungsversuch interpretiert, sprach man im Osten von der „Sperrung der Zufahrtswege“ durch die Sowjetarmee, damit nach der West-Währungsreform nicht die Einheit der Stadt gefährdet werde. Schließlich gefährdete die Luftbrücke in offizieller Perspektive den Weltfrieden, erinnert sich Brauer.

Auch der CDU-Abgeordnete Mario Czaja – einziger Ost-Christdemokrat mit Direktmandat – sagt, Tempelhof habe die Ost-Berliner kaum interessiert. Die CDU müsse künftig in der Wirtschafts- oder Bildungspolitik Themen ansprechen, die auch im Ostteil wichtig seien. Etwa das Straßenausbaubeitragsgesetz und die Belastungen durch Gebühren. „Das betrifft und interessiert Ost- und West-Berliner gleichermaßen“, sagt Czaja.

Meinungsforscher Manfred Güllner vom Forsa-Institut sieht im Osten aber durchaus auch eine gewisse antikapitalistische Tendenz wirken, weil ja der Flughafen Tempelhof von seinen Gegnern als Airport der Bonzen geschmäht wurde. „Das wirkt bei den Genossen der Linken, wenn es gemeinsam gegen die Reichen gehen soll“, sagt Güllner. Auch der HU-Stadtsoziologe Hartmut Häußermann erkennt eine Oben-unten-Systematik im Ergebnis. „Vor allem in wohlhabenderen Bezirken wurde mit Ja gestimmt – dort wohnen die, die so einen Flughafen auch benutzen.“ Umgekehrt habe die massive Ja-Kampagne vor dem Abstimmungstermin zuletzt auf viele nur noch aufdringlich gewirkt. „Ich glaube, das hat etliche Menschen geärgert, dass ihnen hier offenbar etwas aufgezwungen werden soll.“ Entscheidend sei aber, glaubt Häußermann, dass sich im Westen die Hauptargumente für den weiteren Flugbetrieb auf die Vergangenheit Tempelhofs bezogen haben. „Da haben sich wohl viele gesagt: Das lassen wir uns jetzt nicht auch noch nehmen.“ Nicht auch noch, nachdem im Westen schon Schiller-Theater, Kudamm und Bahnhof Zoo so leiden mussten.

CDU und Linkspartei werfen sich derweil gegenseitig vor, mit der Flughafen-Auseinandersetzung zur „Spaltung der Stadt“ beigetragen zu haben. Der CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger schimpfte noch spät am Abstimmungsabend gegen die „politisch motivierte Anti-Tempelhof-Kampagne“ der Linken; die Linksfraktionschefin Carola Bluhm gab gestern zurück, dass Pflüger so doch nur selbst Ressentiments schüre. Bluhm schlägt nun – damit „die Gräben überwunden werden“ – die öffentliche Inbesitznahme des traditionsreichen Geländes am 1. November vor: Einen Tag nach der offiziellen Schließung Tempelhofs soll ein Volksfest das neue flugfreie Zeitalter einleiten.

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