Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, April 03, 2008

"Das rächt sich jetzt" (SZ)

Stasi-Vorwürfe gegen Redakteure
"Das rächt sich jetzt"

Bei der Berliner Zeitung ist die Stimmung am Boden. Zwei leitende Redakteure haben jahrelang der Stasi zugearbeitet. Jetzt wird über Verrat in der DDR und die eigene Vergangenheit des Blattes diskutiert.Von Constanze von Bullion


Es spielen sich in diesen Tagen bei der Berliner Zeitung Szenen ab, die sich eigentlich schon vor 19 Jahren hätten abspielen müssen. Eine ganze Redaktion diskutiert da über ihre eigene Vergangenheit, über Moral und Verrat in der DDR, über den Staatssicherheitsdienst und darüber, wie Journalisten eigentlich mit der Wahrheit über ihr eigenes Leben umzugehen haben.
Auch am Dienstag wurde im Plattenbau am Alexanderplatz stundenlang und in großer Runde gestritten - zur Klärung der Atmosphäre hat das wohl nur wenig beitragen können. Nachdem bekannt geworden ist, dass nicht nur der Leitende Redakteur der Berliner Zeitung, Thomas Leinkauf, sondern auch der stellvertretende Politikchef Ingo Preißler jahrelang der Stasi zugearbeitet haben, ist die Stimmung am Boden.

Grund für die Aufregung sind die 120 Blatt Papier, die die Stasi mit Hilfe Leinkaufs, des Magazinchefs der Berliner Zeitung, zusammengetragen hat. Die Existenz der Akte ist vor wenigen Tagen bekannt geworden, und wer sie liest, der dürfte Mühe haben, Sympathie für den ehemaligen Stasi-Zuarbeiter "IM Gregor" aufzubringen, der zwischen 1975 und 1977 für den DDR-Geheimdienst geschnüffelt hat.

"Ich habe gesagt, ich schnüffle keinem hinterher. Ich habe erklärt, es wird hier freiheitlicher Journalismus gemacht, wer da nicht mitziehen kann, der kann gehen." «Erich Böhme
Nun ist der Jammer groß, denn der Berliner Verlag steckt nach seinem Verkauf ohnehin in der Krise. Viele Redakteure gehen, andere werden entlassen oder wollen weg. Nun also auch noch die Stasi-Vergangenheit, das erschüttere das ganze Haus, schrieb Chefredakteur Josef Depenbrock am Dienstag auf der Seite drei: "Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit sind beschädigt."

Die Verlagsleitung will radikale Aufklärung, sie darf Stasi-Akten ihrer Mitarbeiter aber nicht anfordern. Nun sollen Forscher der Freien Universität Berlin die Redaktion durchleuchten.
Die Redaktion will eine anonyme Umfrage im Haus starten, die klärt, wie viele Redakteure bereit sind, ihre Stasi-Akte freiwillig zu veröffentlichen.

Der ebenfalls Leitende Redakteur Christian Bommarius, gehört zu den schärfsten Kritikern des ehemaligen Stasi-Zuträgers Leinkauf. Bommarius kritisiert nicht nur dessen jahrelanges Schweigen, er zweifelt auch an den Selbstreinigungskräften der Redaktion. Die hätten sich schon in den entscheidenden ersten Jahren selten bemerkbar gemacht, als aus dem ehemaligen SED-Blatt eine demokratische Zeitung wurde. Auch die Verlagsspitze habe die Vergangenheit verdrängt. "Die haben damals offensiv nichts gemacht, und dieses Versagen der Anfangsphase rächt sich ."


Gemeint sind Gründer wie Erich Böhme, der von 1990 bis 1994 Herausgeber war und mal erklärt hat, er wünsche sich eine Flut, die alle Stasi-Akten wegspült. Laute Debatten über die DDR-Vergangenheit der Redakteure hat sich Böhme bei der Berliner Zeitung "verbeten": "Ich habe gesagt, ich schnüffle keinem hinterher. Ich habe erklärt, es wird hier freiheitlicher Journalismus gemacht, wer da nicht mitziehen kann, der kann gehen." Das habe ihm genügt. Man habe eine gute Zeitung machen wollen, keine nutzlose "Fragebogenaktion".

Wer Michael Maier fragt, der von 1996 bis 1998 Chefredakteur der Berliner Zeitung war, warum die DDR-Aufarbeitung so wenig interessierte, hört andere Töne. Es seien damals etwa 70 Leute ausgetauscht worden, wenn auch nicht unbedingt aufgrund von Stasi-Akten. "Ich weiß noch, dass ich mit jedem dreimal geredet habe, sicher auch über die Vergangenheit", sagt er. Angeblich hat Leinkauf seine Stasi-Vergangenheit intern offenbart. Ob ihm gegenüber, konnte Maier Dienstag nicht sagen. Er müsse erst in seinen Unterlagen nachsehen.

Der Fall Thomas Leinkauf
Die Aussagen ehemaliger Führungfiguren im Verlag könnten mitentscheiden über die Zukunft von Thomas Leinkauf. Wenn er schon vor Jahren über seine Stasi-Vergangenheit berichtet hat, zumindest bei der Chefredaktion, könne ihn das von dem Vorwurf befreien, als meinungsbildender Redakteur kein Wort über seine eigenen DDR-Vergangenheit verloren zu haben.

Wenn stimmt, was in den Akten steht, wurde der Diplomatensohn Leinkauf 1975 von der Stasi angeworben. Er war Student für Marxismus-Leninismus und hat sich bei der NVA als verlässlicher Genosse profiliert. Als "IM Gregor" machte er, was der Sprecher der Birthler-Behörde "ordinäre Spitzelei" nennt. Mal referierte er, was seine Frau bei einem Gespräch mit einem West-Berliner redete. Mal ließ er sich über eine junge Frau aus, die lernen müsse, "sich in ihrem Verhalten zu anderen Männern zu kontrollieren, d. h. nicht gleich intimere Beziehungen aufzunehmen, wenn man mal paar Schluck getrunken hat".

Seitenweise geht das so, und es sind, es vorsichtig ausgedrückt, keine erfreulichen Berichte. Sie handeln vom Eifer eines Studenten, der Journalist werden will und dafür viele hintergeht. Aus den Akten geht nicht hervor, ob den Bespitzelten Schaden entstanden ist. Es steht da nur, dass Leinkauf 1977 von der Stasi abgenabelt wird, weil ihm bei einem Militärlager 1976 eine Missbilligung ausgesprochen wird: Da er das "Singen und Gitarre Spielen nach 22 Uhr" nicht einstelle und zu einer "destruktiven, oppositionellen Haltung" neige.

Leinkaufs Funktionen in der Redaktion ruhen nun, er ist aber nach wie vor im Haus. Nach einer Versammlung der Redakteure soll er einfach auf seinem Stuhl sitzen geblieben sein - um dann an der Planung für den nächsten Tag teilzunehmen. Eine peinliche Szene, fand einer, der dabei war.
Ganz anders soll sich der Politikredakteur Ingo Preißler gezeigt haben. Er outetet sich selbst und erklärte erschüttert der Redaktion, er habe über zehn Jahre für die Stasi gespitzelt und geschwiegen - seinen Kindern zuliebe.

Die Erklärung fanden manche unzureichend, Preißler habe aber aufrichtig gewirkt. Leinkauf dagegen soll einen eher gelassenen Eindruck machen.

Fragt man Thomas Leinkauf, ob das stimme, sagt er: Er sei jetzt "sehr nachdenklich und beschäftigt mit den Dingen". Auf weitere Frage will er nicht antworten. Noch nicht.

(SZ vom 2.4.2008/gdo)

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