Knaller an der Zeitungsfront

Monday, August 27, 2007

Optimale Völkerführung (taz)

Bienenkunde
Optimale Völkerführung
Seit Jahren gibt es Berichte über das Bienensterben - eine Spezies, die aus unserem Leben nicht wegzudenken ist. Trotdem ginge es auch ohne sie weiter, sagt Bienenforscherin Elke Genersch. VON GABRIELE GOETTLE

Ihr Honigvögelein, die ihr von den Violen und Rosen abgemeyet den wundersüßen Safft. Die ihr dem grünen Klee entzogen seine Krafft. Die ihr das schöne Feld so oft und viel bestohlen. Ihr Feldeinwohnerin, was wollet ihr doch holen, was so euch noch zur Zeit hat wenig Nutz geschafft, weil ihr mit Dienstbarkeit des Menschen seyd behafft. Und ihnen mehrenteils das Honig musset zohlen? Martin Opitz, 1623

"Stirbt die Honigbiene aus?", "Mysteriöses Bienensterben" - "Dramatische Völkerverluste auch in Deutschland" - "Bestäubung der Obstblüte in Gefahr!" Seit Jahren gibt es alarmierende Schlagzeilen über das Bienensterben. Von 1993 bis 2006 gingen bei uns knapp 43 Prozent der Bienenvölker verloren, schätzen Experten. Rundfunk und Fernsehen brachten Berichte, die Zeitungen - vom Imkerblatt bis zur FAZ - widmeten sich dem Thema. Es wurde umfangreich geschrieben über das rätselhafte Verschwinden von zigtausend Bienenvölkern in den USA, es gibt Mutmaßungen, dass sich eine solche Katastrophe auch hier in Europa anbahnt.

600.000 bis 800.000 Bienenvölker mit bis zu 13 Milliarden Bienen wären in Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Folgen wären unabsehbar, denn die Bienen sind ja nicht nur Honigproduzenten, sie bestäuben auch mehr als 80 Prozent des deutschen Obst- und Gemüseanbaus, dazu noch Wildblüten. Wir können uns die Bienen nicht wegdenken, sie sind ein fester Bestandteil in unserem kulturellen Gedächtnis, was nicht zuletzt auch Wilhelm Busch in seiner Bildergeschichte "Schnurrdiburr oder die Bienen" wunderbar dargestellt hat. Wenn sie also krank sind, ist das ein Grund zur Sorge. Gründe, so ist zu lesen, gibt es viele. Welche es - außer den 40.000 Tonnen an Schädlingsbekämpfungsmitteln, die jährlich auf unsere Nutzpflanzen niedergehen - sein könnten, was sie krank werden lässt, das möchten wir Frau Dr. Elke Genersch fragen. Wir fahren hinaus nach Hohen Neuendorf, das nördlich vor den Toren Berlins im Bundesland Brandenburg liegt. Hier residiert seit 1952 das Länderinstitut für Bienenkunde (LBI, gegr. 1923) in einer alten Villa mit Park und eigener Imkerei. Die Aufgabe des LBI besteht in praxisorientierter Forschung zum Erhalt der Honigbiene, in der Lehre und Betreuung von Diplom- und Doktorarbeiten, in Dienstleistungen wie Schulung und Beratung, Honiganalytik und Krankheitsdiagnostik sowie in Veranstaltungen für Besucher.

Frau Dr. Genersch empfängt uns in ihrem Büro. Über das dramatische Szenario in den Medien lächelt sie mild und erklärt, es gebe aktuell kein dramatisches Bienensterben. "Tatsache ist, dass die Winterverluste deutschlandweit bei unter 10 Prozent lagen. Der Normalwert liegt zwischen 10 und 20 Prozent. Verluste gibt es immer. Und es kann natürlich auch schon im Herbst zu Verlusten kommen, wenn zum Beispiel gegen die Varroamilbe schlecht oder falsch behandelt wurde. Wenn das Volk an der Varroamilbe eingeht, an zu starkem Varroabefall, dann passiert es sehr häufig, dass die Bienen tatsächlich verschwinden. Sie sind plötzlich weg. Wir haben dafür den Fachbegriff 'kahlfliegen'. Also das, was jetzt in den USA als vollkommen neues Phänomen dargestellt wird, das Bienenverschwinden, ist eigentlich normal und liegt in der Biologie der Biene. Ihr letzter Dienst am Volk ist, dass sie zum Sterben wegfliegt. Die Bienen sehen ihren Stock nicht als Hospiz, wenn sie sich schlecht fühlen. Die Bienen fliegen aus, um zu sammeln, wie es ihre Aufgabe ist, und sie sterben dann eben außerhalb irgendwo, weil sie nicht mehr können. Also sie verlassen den Stock nicht als Schwarm, der verschwindet, sondern als einzelne Biene, die dann eben draußen bleibt und stirbt. Und es gibt ja auch das ganz normale Bienensterben - wir sind jetzt am Ende des Bienenjahres. Es gehen momentan, das müssen Sie sich mal vorstellen, etwa zweieinhalbtausend Bienen pro Volk und Tag verloren, ein starkes Volk kann im Sommer bis zu 80.000 Bienen haben, aber sie haben nur eine Lebenszeit von zwei bis drei Wochen im Sommer, länger leben sie nicht, die Arbeiterinnen. Bei den Winterbienen ist es anders, sie müssen vier bis sechs Monate überleben. Jetzt grade - ab Juli, August - werden die Winterbienen großgezogen. Und weil das Bienenjahr zu Ende ist, müssen wir demnächst anfangen, die Bienen einzufüttern. Sie fliegen natürlich noch bis Oktober, aber was sie da eintragen, das reicht ja nicht, um das Volk über den Winter zu bringen. Weil wir ihnen ja vorher allen Honig geklaut haben, können wir sie nicht auf dem bisschen sitzen lassen, das sie über die Spätsommerwiesen noch reinkriegen. Ich habe meine Bienen letztes Jahr mit ganz normalem Haushaltszucker, in Wasser aufgelöst, gefüttert. Das ist eine der Methoden. Und das ist nicht wirklich schlechter als der Honig. Alles, was Heilkraft ist am Honig, das hat die Biene reingebracht, sozusagen durch Bienenspucke. Wenn nun die Bienen Zuckerwasser eintragen, dann verarbeiten sie es genauso wie den Blütennektar, geben ihre Enzyme und alles dazu und machen daraus ihr Winterfutter. Die Bienen sind es ja gar nicht mehr anders gewöhnt. Seit 8.000 Jahren wird Bienenhaltung betrieben, und es ist natürlich auch ein Ergebnis der Zucht, dass sie viel mehr sammeln, als sie brauchen, bis zum Zehnfachen dessen, was sie als Winterfutter bräuchten. So ein Wirtschaftsvolk kann in einem Jahr 40 bis 50 Kilogramm Honig sammeln. In Syrien zum Beispiel liegt die Leistung bei 5 bis 10 Kilogramm pro Jahr.

Zur Person: Elke Genersch
PD Dr. rer. nat. Elke Genersch, stellv. Direktorin am Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf e. V., Leiterin d. Abt. Diagnostik u. Molekularbiologie. Dr. Elke Genersch hat a. d. Universität zu Köln Biologie mit Schwerpunkt Molekularbiologie/Genetik studiert und ihre Promotion im Fach Biochemie a. d. Ludwig-Maximilian-Universität zu München u. am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried angefertigt (mit summa cum laude bewertet). Danach bearbeitete sie tumor- und zellbiologische Fragestellungen am MPI in Martinsried, i. d. onkologischen Forschungsabteilung der Schering AG in Berlin, am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch, am Biomedical Center Lund in Schweden u. a. d. Universität daselbst sowie a. d. Medizinischen Hochschule Hannover. 2001 wechselte sie zum Länderinstitut für Bienenkunde, um sich fortan mikrobiologischen Fragestellungen u. Bienenkrankheiten zu widmen. 2006 Habilitation in Molekulare Mikrobiologie am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin (Thema: Paenibacillus larvae, der Erreger der Amerikanischen Faulbrut der Bienen-Klassifizierung, Molekulare Typisierung und Virulenzunterschiede). Ihre Forschungsarbeiten sind in vielen Veröffentlichungen dokumentiert. Frau Dr. Genersch wurde 1960 in Essen-Werden geboren, sie ist verheiratet und hat ein Kind.

Mein Fachgebiet ist ja Bienenkrankheiten. Dadurch, dass die Biene seit Jahrtausenden das Nutzinsekt ist, haben wir die einmalige Situation, dass wir ihre Krankheiten recht gut kennen, wir wissen, wie die Krankheiten aussehen, das ist sehr gut beschrieben, aber sie sind bei weitem nicht so gut untersucht. Bienenkrankheiten sind zu lange stiefmütterlich von der Forschung behandelt worden. Bienen können, vom Erreger her, alle Infektionskrankheiten bekommen, die auch bei anderen Tieren und beim Menschen vorkommen, also Viruskrankheiten, bakterielle Erkrankungen, Pilzkrankheiten, und Bienen haben Parasiten. Die Bienenkrankheiten sind eine fantastische Nische, jede Frage, die wir als Molekularbiologen stellen, ist quasi noch unbeantwortet und eröffnet ein neues Projekt. Da ist noch eine direkte Wirkung der Forschungsergebnisse möglich, ich kann richtig von unten anfangen. Wie faszinierend das ist, können Sie am Beispiel der amerikanischen Faulbrut sehen. Die AFB ist eine bakterielle Erkrankung der Honigbienenlarven, ist weltweit verbreitet, hoch ansteckend und führt in der Regel zum Zusammenbruch der erkrankten Völker. In Deutschland ist sie eine anzeigenpflichtige Tierseuche. Bereits der Verdacht muss dem Amtstierarzt gemeldet werden. In Deutschland ist die AFB extrem häufig. Sie ist nicht zu behandeln, wenn sie erst einmal ausgebrochen ist. In aller Regel wird der Amtstierarzt das Abschwefeln der erkrankten Völker verfügen, also das Töten. Der Erreger der AFB ist ein Bakterium, das Sporen bildet. Die infektiöse Form sind die Sporen. Wenn die im Futtersaft sind, dann verfüttern sie die Ammenbienen an die Larven, und die zersetzen sich dann zu einer fadenziehenden Masse. Beim Versuch, die Zellen für die nächste Eiablage zu reinigen, kontaminieren sich die Ammenbienen mit den Sporen, die sie dann auf die nächste Brut übertragen, die immer kränker wird. Dadurch schaukelt es sich auf.

Und was nun die Forschungsarbeit betrifft, so haben wir ein Rätsel in der Faulbrutdiagnostik lösen können, unsere Arbeitsgruppe hier am Institut. Es gab bis dahin Diagnoseprobleme, es gab Fälle, in denen das Volk sichtbar krank war, das Labor konnte aber, wenn es sich an die Regeln gehalten hat, den Erreger nicht nachweisen. So konnte der Amtstierarzt die Seuche auch nicht offiziell als ausgebrochen erklären. Das war natürlich ein großes Problem. 100 Jahre nach der Erstbeschreibung des Erregers haben wir das Rätsel gelöst. Wir haben gezeigt mit molekularen Methoden, dass der Glaube, der 50 Jahre existierte, es gebe einen nahen Verwandten, der aber nicht gefährlich ist für die Bienen, der Glaube an ein Märchen war. Er ist genauso gefährlich für die Bienen! Und wir konnten beweisen, dass alle Vertreter dieser Spezies die Symptome der Faulbrut verursachen, nämlich Zersetzung zur fadenziehenden Masse. Das heißt, wir bewegen doch wirklich was. Wir bekommen auch Anerkennung, muss ich sagen. Sie läuft über die Veröffentlichung in einem internationalen Journal, es ist zuständig dafür, die korrekte Klassifizierung von Mikroorganismen zu veröffentlichen. Die haben einen extrem genauen Gutachterprozess. Vor jeder Veröffentlichung wird akribisch überprüft, denn im Moment der Veröffentlichung ist es international verbindlich. Wir haben auch gezeigt, dass es Gefährlichkeitsunterschiede bei Erregern gibt, das war bisher nicht untersucht worden - eigentlich eine Banalität -, aber wir konnten zeigen, es gibt Virulenzunterschiede. Also für unseren Bereich ist natürlich die Anerkennung in den USA immer so ein Maßstab dafür, dass man es jetzt geschafft hat, über die eigenen Grenzen hinaus bekannt zu sein. Ich bin jetzt auch beteiligt an der Annotierung von dem Genom des Bakteriums, ich bin zuständig für die Gefährlichkeitsfaktoren. Und dazu bin ich eben eingeladen worden aus den USA. Wir gehören also, was das angeht, möchte ich mit Stolz sagen, weltweit zu den führenden Laboren. Unser kleines Labor hier.

Das muss auch anerkannt werden, damit es nicht so eine Nischenexistenz in einem Bieneninstitut fristet, Bienenphologie muss ein eigenständiges Forschungsgebiet werden, was auch Geld braucht und wo man die Kompetenz bündelt, um die richtigen Zusammenhänge zu finden, beispielsweise bei der Virusforschung. Das ist übrigens unser drittes Standbein. Wir haben drei Standbeine: Amerikanische Faulbrut, Darmparasiten und Viren. Mich interessiert Varroa als Virusübertragung. Der Überträger, die Varroamilbe, ist ein sogenannter Ektoparasit, ein Spinnentier mit acht Beinen. Es siedelt auf der Biene, saugt Haemolymphe durch die Zwischenringhäutchen aus ihrem Wirt und ist mit bloßem Auge zu sehen. Es verbreitet sich, ebenso wie auch die anderen Krankheiten, durch Übertragung von Stock zu Stock, durch Räuberei und Verflug. Die Bienen verfliegen sich manchmal, finden nicht in den eigenen Stock und fliegen woanders rein. Und die Bienen räubern! Also wenn ein Volk schwach wird, merken das andere Bienen, dann fliegen sie los und räubern das Volk aus und holen sich den Honig. Ist ja viel einfacher, statt sich Blüten zu suchen, den fertigen Honig auszuräubern." Wir lachen, meine Freundin Elisabeth bemerkt trocken: "Wie menschlich!" Frau Dr. Genersch lächelt und sagt: "Richtig! Oder es gibt auch das Einbetteln, Bienen aus einem schwachen Volk kommen angeflogen und betteln sich vorsichtig bei den Wächterbienen ein, geben ihnen etwas Honig und dürfen rein. So ein Parasit wie die Varroamilbe, der hat genug Möglichkeiten, sich zu verbreiten. Durch das Verhalten der Bienen, aber auch durch imkerliche Praktiken. Imker stellen die Waben von einem Volk ins andere und so weiter.

Und jetzt kommen wir zum Eigentlichen: Die Varroamilbe vermehrt sich nicht auf der Biene, sondern auf der Bienenbrut bzw. in der verdeckelten Zelle. Mit Beginn der Metamorphose verdeckeln die Ammenbienen die Zellen der Streckmaden, und kurz vor der Verdeckelung steigt die Varroamilbe, also das Muttertier, hinein, lässt sich mit verdeckeln und legt zuerst ein Ei, aus dem sich ein Männchen entwickelt. Danach legt sie ein paar Eier, aus denen sich Töchter entwickeln, die vom Sohn befruchtet werden. Danach stirbt der Sohn. Die Milben entsteigen zusammen mit der fertigen Biene der Zelle, und bis dahin saugen sie auch Haemolymphe. Dabei können sie das Flügeldeformationsvirus übertragen.

Das Flügeldeformationssymptom ist unser Hauptmodellsystem, weil es relativ einfach zu untersuchen ist. Normalerweise haben Sie bei Bienenviren nur die zwei Zustände: lebend oder tot. Es gibt keine Symptombeschreibungen, wie bei unseren Viruserkrankungen. Das ist beim Flügeldeformationsvirus (DWV-Virus) anders. Dieses Virus verursacht, wenn es von der Varroamilbe, während sie auf der Puppe parasitiert, übertragen wird, verkrüppelte Flügel bei den schlüpfenden Bienen. Aber nicht in jedem Fall! Wenn ich 100 mit Varroa infizierte Puppen habe, dann mögen 10 mit verkrüppelten Flügeln schlüpfen - im Herbst vielleicht mehr -, der Rest schlüpft ganz normal. Aber wir haben wenigstens lebende Bienen, die Symptome haben, die wir einem bestimmten Virus zuordnen. Diese Bienen sind nicht wirklich lebensfähig, weil sie ja ihre Arbeit nicht richtig ausführen können und weil sie im Stock nicht geduldet werden. Ob sie sofort beseitigt werden, scheint davon abzuhängen, wie schwer die Symptome sind, spätestens aber wenn sie rausfliegen sollen und nicht können, weil die Flügel fehlen oder verkrüppelt sind, werden sie rausgeschmissen. Da kommen ein bis zwei Bienen, schnappen sich die, es gibt so ein Knäuel, und draußen lassen sie die Kranke einfach fallen. Die krabbelt dann vor dem Stock rum, bis sie verhungert oder an der Virusinfektion eingeht.

Das sind alles Sachen, die sind noch nicht geklärt. Verhungern die? Gehen sie an dem Virus ein? Wie breitet sich das Virus im Körper aus? Wie kommt es zu den Verkrüppelungen? Was läuft in der Puppe ab, damit dieses Virus als Symptom verkrüppelte Flügel verursachen kann? Diese und andere Fragen stellen wir uns. Gut, das ist also die Virensache, mit der wir uns grade beschäftigen, und dadurch, dass sie wirklich neu ist, können wir auch sehr gut international veröffentlichen.

Es gibt natürlich noch viele andere Viren, aber an denen arbeiten Kollegen im In- und Ausland, da sind die Gebiete ein bisschen abgesteckt. Mit Pilzen zum Beispiel befassen wir uns ganz bewusst nicht. Weil wir einfach auch die Labormöglichkeiten nicht haben, um alle Erreger sicher nebeneinander behandeln zu können.

Ich habe kein Pilzlabor, ich möchte auf keinen Fall meine Bakterienkulturen verpilzt bekommen. Und - ich habe keine Ahnung von Pilzen. Das ist ein extrem schwieriges Gebiet. Wir haben jetzt allerdings mit einem Darmparasiten, mit Nosema, das ist - und jetzt widerspreche ich mir - fast ein Pilz!"

Sie lacht. "Ein Mikrosporidium, und die Klassifizierung, was es jetzt genau ist, ist noch nicht ganz abgeschlossen. Das machen aber nicht wir. Es gab eine Form von Nosema, mit der sich die europäische Biene (Apis mellifera) arrangiert hatte: Nosema apis. Die Sporen sind in vielen Völkern, die Nosemose muss aber nicht ausbrechen. Bricht sie aber aus, dann können die Bienen auch eingehen. 1996 wurde in Asien ein Verwandter von Nosema apis bei der asiatischen Honigbiene (Apis cerana) gefunden. Und der hat jetzt im letzten Jahrzehnt den Wirt gewechselt, von der asiatischen auf die europäische Honigbiene, und sich rasant ausgebreitet.
In vielen Gebieten gibt es heute nur noch Nosema ceranea. Das heißt, dieser neue Darmparasit scheint den alten zu verdrängen, und dies kann mit höheren Völkerverlusten einhergehen. Da fängt die Erkenntnisgewinnung grade erst an. Nosema ceranae ist auch bei uns schon weit verbreitet, viele Völker haben beide Darmparasiten. Jetzt müssen wir herausfinden: Gibt es wirklich ursächliche Zusammenhänge zwischen Völkersterben und Nosema ceranae? Wenn die Bienen Durchfall bekommen, überträgt es sich schneller? Das sind alles Fragen, die wir beantworten müssen, und zeitweise müssen wir schon daran arbeiten, eine Behandlungsmöglichkeit zu finden. Früher, bei Nosema apis, konnte der Imker durch optimale Völkerführung diese Krankheit wieder in den Griff bekommen, indem er zum Beispiel mehr Jungbienen gefördert hat, weil eben vorwiegend die Altbienen erkranken. Womöglich, wir wissen es noch nicht, ist das bei Nosema ceranae nicht möglich. Es gab früher auch Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika oder Antiinfektiva bei Bienenvölkern, das ist in Europa aber inzwischen verboten, wegen der Rückstandsproblematik im Honig. Es muss zum Beispiel etwas sein, was natürlicherweise auch im Honig vorkommt. Die Varroamilbe wird jetzt in der Regel mit organischen Säuren wie Ameisen-, Milch- und Oxalsäure behandelt, man kann sie einsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass es zu Resistenzentwicklungen kommt. Die Anwendung ist recht gut wirksam und verschafft uns genug Zeit für das, was Professor Bienefeld macht - der Leiter unseres Instituts hier -, die Vorroa-tolerante Biene zu züchten. Das wäre bei Nosema auch ein Fernziel, also die entsprechende Immunabwehr gegen solche Krankheiten in den Bienen heranzuzüchten. Aber in der Zwischenzeit müssen wir sie behandeln können.

Sehr wichtig ist auch die Art und Weise, wie neue Pathogene, neue Krankheitserreger hier reinkommen. Eben nicht nur über Bienenforscher, wie im Fall der Varroamilbe " Wir geben unserer Überraschung Ausdruck. "Na ja es ist ja allgemein bekannt. Die Varroamilbe, Varroa destructor, ist in den 70er-Jahren von Bienenforschern eines Bieneninstituts - Namen tun hier nichts zur Sache - nach Deutschland eingeschleppt worden. Sie brachten die asiatischen Bienen Apis cerana mit, um daran zu forschen. Die Varroamilbe sitzt auf der Apis cerana, richtet dort aber keinen Schaden an. Aber wie gesagt, die Pathogene kommen eben nicht nur über die Bienenforscher zu uns, sondern natürlich über den Handel mit Bienen weltweit, mit Königinnen. Also ich kann mir Königinnen schicken lassen, Bienenköniginnen muss man sowieso immer mit Pflegebienen verschicken. Ich kann mir aber auch so ein kleines Volk gleich als 'Paketbienen' kaufen, die werden im Paket verschickt. Es ist in Europa verboten wegen des hohen Risikos, aber es sind die Imker selbst, die dieses Risiko und das Verbot ignorieren, weil sie gehört haben, dass diese Biene, diese Königin besonders gut sein soll. Bienen gehören zur menschlichen Kultur - auch weil sie nützlich sind.

Das Verbot von Bienenimporten einzuhalten ist sehr wichtig, vor allem wegen des Kleinen Beutenkäfers, der in den USA bereits verheerende Schäden angerichtet hat. Es besteht die große Gefahr, dass er auch nach Europa eingeschleppt wird. Ursprünglich stammt er aus Afrika, 1996 wurde er im Süden der USA entdeckt und hat sich inzwischen im ganzen Land ausgebreitet, bis hinauf nach Kanada. Noch spielt er bei uns keine Rolle, es gibt aber vorsorglich eine Anzeigepflicht in der EU. Der ist in der Lage, Imkereien mit tausenden von Völkern dem Erdboden gleichzumachen, das kann man sich nicht vorstellen. Der ernährt sich von allem, was in dem Volk drin ist, Eier, Blut, Honig, Pollen, der vermehrt sich ganz fantastisch in den Völkern. In einem Film wurde eine amerikanische Großimkerei gezeigt, man sah eine riesige Lagerhalle mit Betonfußboden. Der Imker ging in Gummistiefeln durch diese Lagerhalle, weil er zentimeterhoch durch die Maden dieses Kleinen Beutenkäfers gewatet ist. Diese Imkerei war platt. Also es war sehr eindrucksvoll.

Aber kommen wir wieder zurück zu den Krankheiten, die wir hier haben. Noch mal zu den Ursachen: Ein Bienenvolk hat so viele Faktoren um sich herum, nicht nur Krankheiten, auch Umweltbedingungen usw. Ich muss, wenn ich über Bienensterben rede, nicht zwanghaft nach einem einzigen Grund suchen. Ich kann vielleicht sagen, dieses Jahr hat die Varroamilbe das Fass zum Überlaufen gebracht. Und zwar in Regionen, in denen Pflanzenschutzmittel ein Problem waren, aber auch in Regionen, in denen die Trachtversorgung ein Problem war, und auch in Regionen, in denen das Wetter ein Problem war. Wir haben drei verschiedene Bedingungen, die bedeuten, diesen Völkern geht es nicht gut. Und jetzt kommt noch ein Faktor drauf, und alle kippen um. Hier hängt eine Tabelle an der Wand. Das sind die Völkerverluste in der Vergangenheit. Sie sehen hier: 1945/1946 außergewöhnliche Winterverluste. Es war ein sehr kalter Winter und just Kriegsende, Zucker war Mangelware. Aber 1962/1963, 1972/73 und 1974/75 gab es die Verluste ebenso, 1995/96 und 2002/03 waren sie teilweise zwar höher, aber die Winterverluste gab es immer, schon vor dem Saatgutbeizmittel, schon vor der Varroamilbe, schon vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Das heißt, es muss Gründe geben, die unabhängig davon sind. Was nicht heißt, dass zum Beispiel die Varroamilbe keinen Schaden anrichtet. Sie ist einfach ein zusätzlicher Faktor gewesen. Ebenso verhält es sich mit Saatgutbeizmitteln und gentechnisch veränderten Organismen, GVOs. Bei uns sind nur 0,16 Prozent der Flächen mit GVOs belastet, aber die Bienenverluste waren flächendeckend. Gentechnisch veränderte Organismen können als zusätzlicher Faktor dazukommen. Es muss aber nicht so sein. Ich darf sie nicht als alleinigen Faktor an den Pranger stellen wollen. Die Gefahr, die ich dabei sehe, ist: Wenn ich aus ideologischen Gründen einen bestimmten Schuldigen anprangere, dann kann es mir passieren, dass ich den wahren Schuldigen laufen lasse, dass ich nicht mehr neutral das Ganze angucke.

Natürlich, ich kann nur gute, fundierte Antworten liefern in dem Gebiet, das ich beherrsche. Das sind die Bienenkrankheiten. Das sind nicht Pflanzenschutzmittelvergiftungen und Ähnliches. Aber ich interessiere mich dafür, halte mich auf dem Laufenden. Es gibt grade jetzt zu genmanipulierten Pflanzen extrem gute Studien. Aber grade, weil sie gut sind und zeigen, dass es keine negativen Effekte gibt, die schlimmer sind als die Effekte der Pestizide, werden sie als Auftragsforschung diffamiert. Wenn ich natürlich hergehe und ein Maisfeld, auf dem GVO angebaut wird, mit einem Maisfeld ohne jedes Pestizid vergleiche, dann habe ich einen negativen Effekt. Nun, die Wirklichkeit ist die: Ich habe nicht diese Alternative in der Regel, sondern die Praxis in der Landwirtschaft ist: Pestizide oder GVO. Und da schneiden die GVO-Felder besser ab, was die Effekte auf die sogenannten Nichtzielorganismen betrifft. Vom wissenschaftlichen Standpunkt her ist gegen MON 810 [Mais d. Saatgutkonzerns Monsanto, der mit einem Giftgen gegen den Maiszünsler ausgestattet wurde; Anm. G. G.] nichts zu sagen, weil das, was in MON 810 als Toxin exponiert wird, das wurde vorher tonnenweise auf den Feldern aufgebracht." Auf unsere Frage, weshalb die Imker zum Beispiel anderer Meinung sind und ihren Honig untersuchen ließen, sagt Frau Dr. Genersch: "Dass man im Honig was findet, ist schon richtig, weil dieses Konstrukt, was da in die Maispflanze eingebaut wurde, das befindet sich ja dann in der DNA der Pflanze. Und die DNA der Pflanze befindet sich im Pollen, und etwas davon befindet sich auch im Honig. Aber das ist kein Problem! Es gibt keinen Nachweis der Schädlichkeit. Und es gibt eine gesetzliche Regelung, die klar sagt, es gibt keine Kennzeichnungspflicht für Honig. Aber wenn die Imker weiter so auftreten und dauernd behaupten, das sei eine Gefahr und der Verbraucher könne das fordern, dann bekommen sie ein Problem. Ja sicher, diese Verbraucher gibt es, das ist die Klientel, wenn ich die frage, ob diese Tomate schon Gene hatte, bevor sie eine Gentomate wurde, dann sagen die: 'nein'. Also, wenn ich das in den Diskussionen schon höre: Gentomate " Wir werfen ein, dass es ja nicht um irgendwelche Gene geht, sondern um gentechnisch veränderte Pflanzen.

Sie sagt leidenschaftlich: "Okay, aber Zucht ist immer eine genetische Veränderung. Wie findet denn Zucht heute statt? Die auch von den Grünen akzeptierte Zucht?" - "Durch Kreuzung", vermute ich. "Falsch! Die Pflanzen werden mit mutagenen Strahlen bearbeitet, um Mutanten zu erzeugen, völlig ungerichtet. Kein Mensch guckt nach, was durch die Strahlen alles kaputtgegangen ist, was die Nebenwirkung und was die Hauptwirkung ist! Die Auflage gibt es nur bei GVO. Oder ein anderes Beispiel: Die Imker behandeln ihre Waben mit einem Pulver, das Bacillus thuringiensis enthält. Dasselbe Bacillus thuringiensis, das im BT-Mais MON 810 ist. Wenn aber die Imker ihre Waben damit behandeln, dann kräht kein Hahn danach, dass ich dann diese DNA von diesem Bacillus thuringiensis aufnehme, das gilt als biologische Bekämpfung. Nur der MON 810 wird verteufelt. Seehofer hat ja jetzt entschieden, dass das Saatgut nur verkauft werden darf, wenn es ein groß angelegtes Umweltmonitoring parallel dazu gibt. [Das Bundesamt für Verbraucherschutz hat im Mai dieses Jahres keine Bewilligung mehr erteilt für MON-810-Mais, erst sollen die offenen Fragen geklärt werden; Anm. G. G.] Das ist eine politische Entscheidung gewesen. Die wird jetzt aber von den GVO-Gegnern als Beweis dafür genommen, dass hier noch eine Gefahr besteht." Auf die Frage, ob sie uneingeschränkt für genmanipulierte Pflanzen sei, sagt sie, ohne zu zögern: "Nein, nein." Ich frage, wo denn die Einschränkung sei? "Bei mir ist die Einschränkung da, wo ich sage, ich verurteile alles, was mit einer bestimmten Methode erreicht wurde. Ich will mir das Ergebnis angucken. Ob dieses Ergebnis, diese Pflanze, durch Züchtung oder durch Gentechnik hergestellt wurde, ist für mich egal." Elisabeth sagt, dass in der Natur quasi die Evolution die Auslese trifft.

"Gut. Da ist der Mais das Paradebeispiel. Der Mais ist über Jahrtausende hinweg gezüchtet worden. So sehr gezüchtet worden, dass nicht einmal die Molekularbiologen feststellen können, was einmal die Ursprungspflanze war. Tatsache ist, dass der Mais nicht mehr lebensfähig ist! Das, was wir an Mais haben, ist auf die Aussaat durch den Menschen angewiesen. Er würde, wenn er nicht ausgesät wird, von der Erdoberfläche verschwinden. So viel zur Evolution." Ich sage, dass ja wohl niemand etwas gegen Kulturmais einzuwenden hat. "Nein, aber wenn ich durch Züchtung jetzt zum Beispiel eine Rapspflanze erreiche, deren Blüten sich nicht mehr öffnen - und das gibt es -, wieso soll das besser sein, nur weils gezüchtet wurde, ohne Gentechnik? Ich muss mir das Ergebnis angucken, ich darf nicht alles verteufeln, nur weil es GVO ist." Wir hingegen finden sowohl das eine als auch das andere verteufelnswert.
ach einem erquickenden Rundgang übers Gelände, bei dem uns Frau Dr. Genersch ihr Labor zeigte, in dem ihre Doktorandin grade mit Bienenlarven arbeitet, kehren wir zurück ins Institutsgebäude. Im Erdgeschoss betrachten wir einen Schauraum, angefüllt mit Vitrinenschränken, auf denen alte geflochtene Bienenkörbe stehen. Es gibt große, auseinandernehmbare Bienenmodelle, Waben, Honig und altmodische Rollbilder, auf denen Bienen den Stock ausfegen, den Maden das Fläschchen geben und eimerweise Honig herbeischleppen. Wieder im Büro, seufze ich: "Die Bienen sind nicht wegzudenken."
"Sie sind tatsächlich unverzichtbar für unser Ökosystem, so wie es jetzt ist", sagt Frau Dr. Genersch und fügt hinzu: "In unserem jetzigen Ökokultursystem, weil ja auch viel Kulturlandschaft dabei ist. Da würde sich dramatisch was ändern, wenn es die Honigbiene nicht mehr gäbe. Keine Frage. Die Bestäubung wäre nicht mehr ausreichend, um die Quantität und Qualität zu bringen, an die wir uns so gewöhnt haben. Wenn wir aber damit leben könnten, dass der Apfel nicht EU-Handelsklasse 1 hat und nicht endlos zur Verfügung steht, dann könnten wir auch mit der Bestäubung leben, die die übrigen Insekten leisten. Der Mensch stirbt nicht aus ohne die Bienen. In Amerika hat es vor den Siedlern keine Honigbienen gegeben. Die Siedler haben sie im 18. Jahrhundert eingeschleppt. Und die Menschen dort haben vorher auch gelebt. Die Biene ist für uns unverzichtbar. Überleben können wir ohne sie."

Die nackten Schleimer (taz)

Die nackten Schleimer
Biodiversität ist wichtig. Die Spanische Wegschnecke ist trotzdem eine bittere Plage. VON RICHARD ROTHER

BERLIN taz Wer die Spanische Wegschnecke einmal mit bloßen Fingern angefasst hat, vergisst sie so schnell nicht wieder. Die rotbraune Nacktschnecke, die bis zu 18 Zentimeter lang werden kann, sondert einen extrem klebrigen Schleim ab, der sich nur mit viel Mühe entfernen lässt.

Das Weichtier fällt am liebsten über zartes, junges Gemüse und Blättchen her; über Nacht kann sie mit ihren Artgenossen ganze Beete kahlfressen. In diesem Jahr ist die Spanische Wegschnecke (Arion lusitanicus) zu einer besonderen Plage geworden. Grund ist der milde Winter, in dem nur wenige Tiere erfroren sind, und der verregnete, warme Sommer - Schnecken brauchen Feuchtigkeit. In England sollen bis zu tausend Exemplare pro Quadratmeter gefunden worden sein, auch in Dänemark klagen Kleingärtner über die Invasion der Schnecken.

Das Problem: Die Spanische Wegschnecke ist in den 1960er-Jahren durch Gemüsetransporte nach Deutschland gekommen und hat als eingeschleppte Art kaum natürliche Feinde. Da müssen die Gärtner selber ran: Zäune, Gitter, Kalk, Gift - alles wird versucht, um die Tiere aus den Beeten zu halten. Karla Paliege vom Berliner Naturschutzbund warnt vor Panikmache: "Das chemische Gift im Schneckenkorn richtet viel mehr Schaden an als Nutzen." Denn es töte auch andere Gartenbewohner.

Die aufwändigste, aber sicherste Bekämpfungsmethode ist laut einem Faltblatt des baden-württembergischen Landesamtes für Pflanzenschutz das Absammeln. Am besten soll man die Schnecken in den Abend- und frühen Morgenstunden oder an Regentagen auflesen.

Was aber tut man mit den gesammelten Schleimern? Die Pflanzenschützer empfehlen: "Viele Gärtner bringen die gesammelten Tiere in ein naturnahes Gelände wie Wald, Wiese, Fluss- oder Bachböschung oder teilen sie mit dem Messer oder Schere durch und werfen sie auf den Kompost."

So können Gemüseliebhaber und Schneckenhasser ihre sadistischen Triebe im Garten ausleben. Für eine kulinarische Verwendung eignen sich die muskulösen, eiweißreichen Tiere aber nicht. Während andere Schnecken als Köstlichkeit gelten, ist die Spanische Wegschnecke nicht einmal zu Tisch zu gebrauchen: Schneckenkenner beschreiben sie als sehr bitter.

Im September will Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) seine nationale Biodiversitätsstrategie vorstellen. Und im Mai 2008 streiten in Bonn 5.000 Politiker auf einer UN-Konferenz, wie Tiere und Pflanzen geschützt werden können. Denn in den nächsten 100 Jahren werden 30 bis 50 Prozent aller Arten ausgestorben sein. Trotzdem mal ehrlich: Ethisch und politisch mag das ja alles korrekt sein. Aber es gibt doch auch Arten, die gern verschwinden dürften. Mit der Serie "Kreaturen, die die Welt nicht braucht" macht die taz der Evolution ein paar Vorschläge.

Wednesday, August 01, 2007

„Ostdeutsche verstehen keine Ironie" (Welt)

31. Juli 2007, 14:34 Uhr
Von Josef Engels
Funny van Dannen

„Ostdeutsche verstehen keine Ironie"

"Nana Mouskouri" oder "Gutes Tun" heißen bekannte Hits von Funny van Dannen. Im Interview mit WELT Online erzählt der Liedermacher von seinen Abneigungen gegen Herbert Grönemeyer und Berlin – und warum man in der DDR mit Ironie nichts anfangen konnte.

Stacheliger Charmeur: Auf den ersten Blick wirkt Funny van Dannen harmlos und lieb. In seinen Texten und bei Interviews kann der Liedermacher aber auch ganz schön bissig sein.
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Mit Songs wie „Als Willy Brandt noch Bundeskanzler war“ machte Funny van Dannen den vom Aussterben bedrohten Beruf des Liedermachers im Deutschland der Neunziger wieder populär. Er wurden von Udo Lindenberg oder den Toten Hosen nachgespielt.
Weiterführende links

Jetzt veröffentlicht der Sänger und Buchautor, der 1958 als Franz-Josef Hagmanns im deutsch-niederländischen Grenzgebiet geboren wurde, seine zehnte CD. Die Stücke auf „Trotzdem Danke“ (JKP/Warner) handeln von Sandra Bullock, Hartz IV und Hunden mit dem Namen Gazprom.
WELT ONLINE: Dem Pressetext zu Ihrer neuen CD lässt sich entnehmen, dass Ihr zweitgeborener Sohn Dionysos bei der Aufnahme behilflich war. Heißt der wirklich so?
Funny van Dannen: Ja. Der Name rührt von Dion and the Belmonts her, „Why must I be a teenager in love“. Mein Sohn kommt gut mit dem Namen zurecht. Er hat sich im Keller ein kleines Studio eingerichtet für seinen HipHop, und da hat er mich jetzt aufgenommen. Normalerweise macht er für seinen älteren Bruder die Samples und die Beats. Der Große tritt auf damit.
WELT ONLINE: HipHop? Gibt es da keine musikalischen Generationenkonflikte in der Familie?
Funny: Gut, ich find an dem HipHop jetzt nicht groß was. Ich dachte ja, dass der schon vor zehn Jahren gegessen wäre. In der Einschätzung war ich wohl nicht so kompetent. Ich glaube, meine Musik mögen meine Söhne schon. Die sind ja damit aufgewachsen. Es gab zumindest nie den Punkt, an dem einer gesagt hätte: Alter, bleib uns von der Jacke mit dem Zeug.
WELT ONLINE: Haben Ihre Kinder Sie bei Ihren manchmal doch recht albernen Texten beeinflusst?
Funny: Denken viele. Aber das ist nicht so. Obwohl: Einmal habe ich von Dion den Spruch übernommen für einen Song, dass Jesus und Tarzan die gleichen Unterhosen haben. Eine sehr gute Beobachtung.
WELT ONLINE: Bei Ihren Konzerten trifft man hauptsächlich jüngere Leute. Finden Sie das seltsam?
Funny: Ist schon erstaunlich. Ich wundere mich selber. Allerdings, wenn man sich mal das aus dem Aspekt der Liedermacher-Geschichte anschaut – Leute aus meiner Generation sind da sehr vorbelastet. Sobald du mit einer Gitarre die Bühne betrittst und dir dazu eine Mundharmonika umhängst, bis du Bob Dylan. Und dann kommen noch Namen wie Degenhardt, Wader, Biermann – also Leute, mit denen ich im Grunde nix zu schaffen habe. Das blockiert die Wahrnehmung meiner Sachen. Man wird irgendwo in die Schublade gesteckt und ist dann der zweite Reinhard Mey oder so ein Blödsinn. Die jüngeren Leute sind da freier im Kopf. Die sehen das als frische Alternative zu diesem durchtechnisierten Pop, den sie normalerweise hören.
WELT ONLINE: Was hat Ihr Erfolg mit der viel beschworenen Ironie der Neunzigerjahre zu tun?
Funny:: Das Ironische ist auf jeden Fall da. Das hatte ich aber immer schon. Das hat nichts mit den Neunzigern oder mit der Comedywelle zu schaffen. Und was die Ironie angeht: Im Osten funktioniert die gar nicht. Die Leute, die im Osten groß geworden sind, haben für Ironie keine Antennen.
WELT ONLINE: Wirklich?
Funny: Das ist tatsächlich so. Das merkt man immer wieder. Die im Osten haben anscheinend eine andere Art zu denken entwickelt. Wahrscheinlich war für die, wenn die in der DDR oppositionell waren, das Ironische auch schon zu offensichtlich. So doof ist die Diktatur dann doch nicht. Deshalb müssen die ganz andere Dinge entwickelt haben, Code-Geschichten, ich habe mich damit noch nicht so eingehend befasst. Möchte ich eigentlich auch nicht.
WELT ONLINE: Wie wichtig ist es für Ihr Schaffen, dass Sie Rheinländer sind?
Funny: Das sieht man an meinem Anspruch, die Leute zu unterhalten, ruhig auch karnevalistisch. Da habe ich auch meine Wurzeln. Ich habe ja schon mit neun Jahren beim Kinderkarneval mitgemacht, mit Büttenreden oder Playback-Auftritten als Heino. Da musste ich vorher immer zum Küster zum Üben. Der hatte die künstlerische Leitung. War toll.
WELT ONLINE: Beim Küster haben sich gewisse Scherze wohl verboten?
Funny: Nö. Rheinischer Katholizismus. Da geht alles.
WELT ONLINE: Wie halten Sie es mit dem rheinischen Buddhismus, der Gelassenheit, alles mit dem gleichen Wohlgefallen zu betrachten?
Funny: Die Menschenfreundlichkeit, die der Rheinländer hat, dass er die anderen erst mal so sein lässt, wie sie sind – die spielt da auch schon so eine Rolle bei mir. Obwohl die bei mir auch ihre Grenzen hat (lacht).
WELT ONLINE: Das macht das Berliner Exil.
Funny: Ja, vielleicht. Mit dieser Distanz hier kann man niemals warm werden. Ich werde Berlin auch niemals als meine Heimat empfinden. Obwohl: Wenn man manchmal aus dem Rheinland zurückkommt, freut man sich. Endlich, diese Enge ist futsch. Aber die Schroffheit in der Kommunikation ist nicht so lustig. Beim Berliner hast du das Gefühl: Alles, was zum Gelderwerb notwendig ist, wird gemacht. Jeder Satz, der darüber hinausgeht, ist Luxus.
WELT ONLINE: Was hat Sie zur Liedermacherei gebracht?
Funny: Herbert Grönemeyer und Marius Müller-Westernhagen. Die fand ich Mitte der Achtziger derart ätzend, dass ich dachte: Da muss ich mir die Lieder selber machen.
WELT ONLINE: War das nicht extrem punkig, im Berlin der Achtzigerjahre als Liedermacher aufzutreten?
Funny: Ja, schon. Aber ich war nie Punk im eigentlichen Sinn. Ich bin 1978 nach Berlin gezogen, richtig angekommen bin ich 1980. Da war Punk schon wieder Geschichte.
WELT ONLINE: Parallel fing ja auch die Neue Deutsche Welle an...
Funny: Ja, Bands wie „Ideal“.
WELT ONLINE: Das war doch eigentlich das erste Mal, dass man nach dem Krieg auf Deutsch singen konnte und dabei cool wirkte.
Funny: Moment, man sollte nicht die Hildegard Knef vergessen! Ich finde, Knef-Songs ragen heraus. Für mich ist es immer noch das Beste, was es gibt. „Ideal“ und Rio Reiser waren auch nicht schlecht, auch die Liedermacher hatten gute Sachen, das will ich gar nicht bestreiten. Was bei mir noch hinzukommt, ist der Schlagereinfluss. Da gibt's punktuell ganz wunderbare Sachen. Adamo etwa. Oder Kurt Hertha, der leider unlängst verstorben ist: „Dich erkenne ich mit verbundenen Augen, ohne Licht und in der Dunkelheit“. Perlen deutscher Poesie, herrlich!
WELT ONLINE: Würde es Sie reizen, wie Kollege Peter Licht mal in Klagenfurt aufzutreten?
Funny: So was würde ich nie machen. Mit Jury-Geschichten habe ich nix am Hut. Ich lasse mir auch nicht gerne Preise verleihen. Da habe ich schon einiges abgesagt.
WELT ONLINE: Was halten Sie von dem Vorwurf, dass Ihre Stücke immer gleich klingen?
Funny: Meine Stimme ist, wie sie ist. Ich geh nicht über drei Oktaven. Aber ich finde, meine Stücke haben einen eigenen Charakter und unterscheiden sich sehr. Weshalb es auch nicht einfach ist, die im Konzert so hintereinander zu spielen. Die Leute fragen mich ja immer: Warum trittst du nicht öfter auf? Singst du die Liedchen mal... Von wegen Liedchen! Hildegard Knef meinte das auch mal: Wie anstrengend das ist, ständig die Welten zu wechseln. Mal Melancholie, im nächsten Moment musst du wieder was Albernes bringen. Das ist schon Arbeit.
WELT ONLINE: Die Texte auf der neuen CD prangern grassierenden Zynismus und miese Stimmung an. Ist Deutschland momentan wirklich so schlimm?
Funny: Stimmt, ich denke, das Gemeckere ist vorbei und auch die Zeit, sich über das Gemecker aufzuregen. Aber das kann sich schnell ändern. Den Aufschwung halte ich nicht für allzu stabil.
WELT ONLINE: Wie könnte man die Laune denn grundsätzlich verbessern?
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Funny: Bescheidenheit finde ich immer ganz gut. Das ist ein Rezept für bessere Laune. Wenn man sich mal auf die grundlegenden Dinge des Lebens konzentriert. Ich sage das aus meiner persönlichen Erfahrung. Ich war als Kind oft krank. Ich hatte ständig Bronchitis. Wenn du keine Luft kriegst, weißt du es zu schätzen, wie es ist, frei atmen zu können. Ich ärgere mich, wenn ich ganz gesunde Leute sehe, die das nicht zu schätzen wissen. Die sich nicht über einen neuen Tag in Gesundheit freuen können, wenn die Sonne scheint.
Funny van Dannen: Trotzdem Danke (JKP/Warner)

"In Brandenburg kann ich bald allein wohnen" (Welt)

13. Mai 2007, 14:46 Uhr
Von Friedrich Pohl
Volksmusik

"In Brandenburg kann ich bald allein wohnen"

Die Hymne „Brandenburg" machte ihn berühmt. Jetzt triumphiert Liedermacher und Schauspieler Rainald Grebe mit einer neuen CD und einem Liederbuch. Seine Songs handeln fast immer vom Scheitern, und sie tragen gelegentlich autobiografische Züge.

Wenn Rainald Grebe, 36, bei seinen Konzerten die Zeile „Es gibt Länder, wo was los ist“ anstimmt, bricht im Publikum ein Jubelorkan los. Meist muss er minutenlang warten, bis der Applaus auf ein Normalmaß zurückgegangen ist. Erst dann kann Grebe fortsetzen: „...und es gibt Brandenburg“.
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Grebes wunderbares Lied „Brandenburg“ ist über drei Jahre alt, wurde nie als Single veröffentlicht und konnte keine Charterfolge verbuchen. Doch wer einmal diesen Trauergesang auf das Bundesland gehört hat, wird ihn nicht mehr vergessen. Hier schafft es Grebe, die ganze Tristesse einer Region zu thematisieren – und dabei witzig („In Berlin bin ich einer von drei Millionen/in Brandenburg kann ich bald alleine wohnen“) zu sein. Mithilfe schwarz gebrannter CDs und Videoportalen im Internet ist das Werk immer populärer geworden.
Von diesem Erfolg wird der Sänger, Schauspieler, Kabarettist, Comedian und Schriftsteller jetzt profitieren, da er seine neue und ausgesprochen gelungene CD „Volksmusik“ veröffentlicht.
Gibt Grebe auf der Bühne gelegentlich den Choleriker, wirkt er im Gespräch eher zurückhaltend. Im Café „Keyser Soze“ in Berlin-Mitte, wo er häufig zu finden ist, macht er aus seiner anfänglichen Unsicherheit gegenüber der Hauptstadt heute keinen Hehl: „Ich hab mich nicht getraut, hier aufzutreten. Ich dachte: Die verstehen mich nicht.“
Das war Anfang der 90er. Grebe kam aus der Provinzstadt Frechen bei Köln nach Berlin, wollte unbedingt in den Osten, lernte Russisch und fühlte sich als Außenseiter, weil er glaubte, dass hier alle „schlauer und besser sind“ und „total differenziert denken“. Doch nachdem Grebe in Kabaretts und Varietés mitbekam, über welchen banalen Unfug der gemeine Berliner tatsächlich lacht, hielt er sich in dieser Stadt auf der Bühne erst recht für völlig fehl am Platz.
Grebe ging an die ruhmreiche Schauspielschule Ernst Busch und studierte das wenig Ruhm versprechende Fach Puppenspiel. Ein paar Jahre später konnte er sich in Festanstellung am Theaterhaus Jena austoben. Zudem ließ ihn „Quatsch Comedy Club“-Chef Thomas Herrmanns regelmäßig in seinen Sendungen auftreten. Doch Grebe behagte die Rolle als Comedian-Figur nicht, und so versuchte er sich immer öfter als Liedermacher und gründete 2005 die Band Kapelle der Versöhnung, mit der er seitdem seine CDs einspielt.
Grebes Songs handeln fast immer vom Scheitern, und sie tragen gelegentlich autobiografische Züge. Allein die Entstehung von „Brandenburg“ ist Grebes Unfähigkeit zu verdanken, eine Berlin-Hymne zu komponieren. Denn die sollte das Lied nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt ursprünglich werden. Aber erst über das unglamouröse Nachbarbundesland Brandenburg als Gegenstück funktionierte der großartige Refrain „Hallelujah Berlin“.
Auch auf Grebes neuer CD „Volksmusik“ spürt man den Geist von „Brandenburg“. Vordergründig natürlich bei den herrlichen Heimatliedern, dem schon fast nach Pop klingenden „Doreen aus Mecklenburg“ oder dem fragmenthaften „Annaberg-Buchholz“.

Einen begnadeteren Liedermacher gibt es in Deutschland nicht.

Selbst wenn ihm das manche als Selbstreferenz vorwerfen, einen begnadeteren Liedermacher als Grebe gibt es in Deutschland im Moment nicht. Allein wie er Befindlichkeiten, Wahrheiten und Lächerlichkeiten in „Single in Berlin“ zusammenfasst, ist ein Verdienst ohne Vergleich. Denn dabei gelingt es ihm, innerhalb eines Liedes eine sinnige Einheit zwischen Alltagssätzen herzustellen, wie „Ich halt's nicht aus, diese Arschparade“, „Ich mach jetzt Bauchmuskeltraining“, „Sex ist total überbewertet“ und „Berlin, das ist doch keine Stadt, das ist doch Deko.“
Schon die Größenverhältnisse der Songs sind bemerkenswert. Benötigt Grebe für prächtige Song-Epen wie „Massenkompatibel“ oder „Dreißigjährige Pärchen“ bis zu sieben Minuten und seitenweise Text, begnügt er sich bei den pointierten Drei- bis Vierzeilern „Modephilosoph“ oder „Zwiebelschneidende Nazis“ lediglich mit einigen Sekunden.
Der Grund für dieses Phänomen ist Grebes Arbeitsweise. Gefällt ihm eine Zeile, schreibt er sie auf, legt sie in einen großen Zettelkasten und versucht sie früher oder später weiterzuentwickeln. Grebes Logik: „Das sind manchmal nur Schnipsel. Wenn die zu nichts führen, bleiben sie eben so kurz.“
Für die musikalischen Grebe-Liebhaber sind seine gesammelten Werke jetzt auch in Liederbuchform erschienen. Doch so leicht wie sich Grebe anhört, ist er nicht zu interpretieren. Allein um „Brandenburg“ ordentlich darzubieten, muss man als Gitarrist in der Lage sein, komplizierte Akkorde wie Ces-Dur und As-Moll-Sieben schnell und souverän zu greifen.
Als Bonus bekommt man im Gesangbuch einen kurzen Eintrag zu jedem Prominenten, der in den Texten erwähnt wird, von Achim Mentzel bis Guido Knopp. „Wer weiß, ob jemand in fünf Jahren noch Sabine Christiansen kennt“, begründet Grebe diese Maßnahme. Rainald Grebe selbst braucht sich keine Sorgen machen. Wer Lieder wie „Brandenburg“ schreibt, wird so schnell nicht vergessen.

Der Cowboy von Köpenick (tagesspiegel)

Der Cowboy von Köpenick

Millionen Platten verkauft, Star von Chile bis Sibirien. Nur in Westdeutschland kannte ihn keiner – Dean Reed, Amerikaner und Wahl-DDRler. Das soll sich nun ändern. Mit einem Film über sein rätselhaftes Leben und Sterben: „Der rote Elvis“
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Am Morgen des 17. Juni 1986 wurde im Zeuthener See, Ost-Berlin, die Leiche eines Mannes gefunden. Es war sehr heiß, aber er trug zwei dicke Jacken übereinander.

Am Abend meldete die „Aktuelle Kamera“ des DDR-Fernsehens einen tragischen Unglücksfall. Der Tagesspiegel fand Tod durch Erhängen zutreffender. Die „Bild“-Zeitung fragte: „US-Popstar von DDR-Geheimdienst ertränkt?“ Amerikanische Blätter druckten dieselbe Vermutung, aber meist ohne Fragezeichen.

Dean Reed, geboren 1938 in Denver, Colorado, der Mann des gelebten Paradoxons, war tot. Ein Cowboy in der DDR. Ein bekennender Amerikaner, wohnhaft in Ost-Berlin. Weltbekannt, aber schon im zweiten Berlin unbekannt zugleich. Er hat Millionen von Platten verkauft, von Kap Hoorn bis Sibirien, doch Manfred Krug glaubte trotzdem nie, dass Dean Reed singen konnte. Aber reiten konnte er. Und laufen, schon als Jugendlicher hatte er ein Wettrennen gegen ein Muli gewonnen. Gleich darauf stellte er einen Langstreckenrekord auf: 175 Kilometer in 22 Stunden. Seitdem war Dean Reed nicht unbedingt langsamer geworden. Und so einer stirbt in knietiefem Wasser im Zeuthener See?

Leopold Grün, Filmemacher, steht vorm S-Bahnhof Grünau. Rechts geht’s nach Rauchfangswerder zu Reeds Haus und zum Zeuthener See. Aber wir, sagt Grün, fahren trotzdem nach links. Nicht nur, weil Reed sein Leben lang in diese Richtung unterwegs war – ein weiter Weg von Wheat Ridge bei Denver, Colorado, aus gesehen. Und von seinem Vater, dem Kommunistenhasser. Cyril Reed, vom Sohn später kurz der „Diktator“ genannt, zählte zu den Kreisen, die genau wussten, worum es sich beim „Sergeant Pepper’s“-Album der Beatles wirklich handelte: um eine „internationale kommunistische Verschwörung“.

Grün hat einen Dokumentarfilm über Dean Reed gemacht. Er heißt „Der rote Elvis“ und kommt am Donnerstag in die Kinos. Immerhin hat der Mann, der nun schon seit über 20 Jahren tot ist, noch immer eine weltweite Fangemeinde. Tom Hanks will einen Film über ihn drehen, mit Steven Spielbergs Produktionsgesellschaft und sich selbst in der Hauptrolle.

Nicht, weil er Dean Reed nicht vergessen konnte, hat Leopold Grün, 1968 in Dresden geboren, seinen Dokumentarfilm gemacht. Im Gegenteil, weil er ihn irgendwann komplett vergessen hatte. So wie man manchmal jemanden vergisst, fast ohne Spur, von heute auf morgen.

Grüns Vergessen währte bis zu dem Tag in den 90ern, als er mit Freunden im Prater-Garten, Prenzlauer Berg, über die schrägsten Cowboys aller Zeiten nachdachte. Reeds Name fiel. Die Westler am Tisch fragten: Wer ist das denn? Die Ostler am Tisch nickten. Der Eiserne Vorhang war nur in einer Richtung wirklich undurchsichtig.

Die Frage „Wer ist das denn?“ ging nicht mehr weg. „Dieser Ami mit der erhobenen Faust und dem Zahnpasta-Lächeln“ (Grün), plötzlich war er ein Rätsel. Da passte doch nichts zusammen. Andererseits passte alles zusammen, für Augenblicke wenigstens. Und dann wurde nach der Wende Reeds Abschiedsbrief – große zittrige Buchstaben – gefunden. Grüns fünfjährige Reise in eine fremd-vertraute Bewusstseinslage begann.

Seine Musik, sagt Grün, als wir in die Straßenbahnlinie 68 einsteigen, mochte ich eigentlich noch nie. „Der hat zum Schluss beinahe Schlager gesungen.“ In Grüns noch fast jungenhaftem Gesicht steht plötzliche Qual. Dann schon lieber die frühen Rock -’n’- Roll-Sachen, die Grüns schönem Film, der wie ein Puzzle ist, das jeder für sich zusammenlegen muss, den Takt vorgeben.

Kam eigentlich auch „Our Summer Romance/ I Ain’t Got You“ drin vor, der 1960er-Superhit in Südamerika? Reed reiste seinem Song hinterher für ein paar Konzerte. Zum ersten Mal ins Ausland, nach Chile. Woanders keinen Menschen zu kennen heißt nicht, dass man nicht vom Flughafen abgeholt wird. Tausende waren da. Für den Stau auf dem Weg in die Stadt war er verantwortlich, auch weil ein Radiosender live die aktuelle Position seiner Limousine bekannt gab. Aber schon auf diesen ersten Kilometern im fremden Land begann der Rock ’n’ Roller sich wie Dean Reed zu benehmen. Zum ersten Mal. Ohne Rücksicht hatte sein Fahrer sich den Weg durch die Menge gebahnt, Reed protestierte, stieg aus und – ging zu Fuß. In Chile wurde er zum Fußgänger des Lebens. Man sieht anders, riecht anders ohne eine Autoglasscheibe zwischen sich und der Welt. In Santiago sah Reed zum ersten Mal ein Getto. Auch das war also Amerika. 1960 wurde Dean Read in Südamerika zum beliebtesten Popstar gewählt. Vor Elvis Presley, Paul Anka und Ray Charles.

Wir müssen raus, hier!, ruft der Regisseur, und plötzlich stehen wir im Niemandsland zwischen Grünau und Köpenick. Man glaubt kaum, dass hier überhaupt noch etwas ist. Doch, sagt Grün, da ist was. Wir laufen in eine Siedlung, die Vorurteilsvollere gewiss auch Getto nennen würden. Aber es ist ein Getto mit blühenden Vorgärten und grünen Wiesen. Eine sanierte 60er-Jahre-Plattenbausiedlung, seltsam still. Das perfekte Versteck. Friedrich-Wolf-Straße. Wir sind da, sagt Grün, das ist sie. Er zeigt auf einen Block und ein halb geöffnetes Fenster im ersten Stock. Reeds geheime Zweitwohnung. Hier hat er die amerikanische Flagge überm Tisch ausgerollt und eine Frau geliebt, die nicht seine Frau war, die aber genauso wenig wie seine Frau verstand, was die Stars und Stripes auf einem Tisch machen.

Er war ein Patriot, sagt Grün, er fühlte sich durch und durch als Amerikaner. Ohne das zu verstehen, versteht man gar nichts.

Aber die Amerikaner haben das bis heute nicht begriffen. „Unamerikanisches Verhalten“ lautete der immergleiche Vorwurf seiner Landsleute. Reed hat Ende der 60er Jahre in Santiago vor laufender Kamera eine US-Fahne gewaschen. Im Namen eines Amerika, das nicht Krieg führen würde in Vietnam.

Er hat die Fahne verbrannt, glauben noch heute manche Chilenen in Grüns Film. Nie, niemals hätte er das getan!, widerspricht später in einem Café am Hackeschen Markt die Redakteurin der Dean-Reed-Website. Es klingt sehr streng. Gewaschen ja, aber nie hat er sie verbrannt! Das sind die kleinen Differenzen um alles. Andrea Witte, Anfang 40, kurzer selbstbewusster Bürstenhaarschnitt, kennt sie alle, diese Differenzen. Vielleicht auch, weil sie ihm einmal sehr nah war, ohne ihm je nahe gewesen zu sein. Weil sie einmal ihre Seele zu seiner gemacht hat, wie es jungen Mädchen leicht geschehen kann. Das war, nachdem sie den Defa-Indianerfilm „Blutsbrüder“ gesehen hatte.

Dean Reed machte eine Erfahrung, wie sie nicht jedem Mann zuteil wird. Man muss gar nicht mit Maultieren um die Wette laufen, um aufzufallen, es genügt, ganz einfach auf einer Bühne zu stehen, um weibliche Massenpaniken auszulösen. Die Globalisierung der Gefühle von Santiago bis Moskau. Dabei war dieser Mann zu schön, um noch interessant zu sein. Ein Gesicht ohne Tiefen. Männern fällt das auch auf im Film: Er sieht eben aus wie ein Amerikaner, ein guter. Wie das zeitlose Urbild des Cowboys.

Umso irritierender, was in dieser Wohnung geschah. Denn sie war der Treffpunkt einer temporären Zweier-Selbsthilfegruppe für schwer Depressive. Eine schwermütige Zahnärztin aus Sachsen und ein schwermütiger Schauspieler trafen sich in ihrer Geheimwohnung. Dieser Sonnyboy war depressiv?

Grün hebt langsam die Schultern zu einem „Ja, sicher“. Aber wann begann das? Vielleicht, als Manfred Krug ihn fragte: Na, heute schon für den Frieden gekämpft? Und die ganze DDR sah ihn doch irgendwann an, als wollte sie dieselbe Frage stellen. Dass der nicht ganz normal war, wusste jeder. Geht freiwillig in ein Land, aus dem andere weg wollen.

In Argentinien hatte Reed 1965 eine eigene Fernsehshow bekommen, die „Dean-Reed-Show“, jeden Samstag um 21 Uhr. Und einmal saß da Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltraum, eine Russin. Eine Woche später holte der argentinische Geheimdienst den Showmaster ab und fragte: Wie viel haben sie dir bezahlt? Bist du ein Agent der Sowjetunion? Tags darauf verfehlten ihn Schüsse, das wiederholte sich.

Argentinien warf ihn als Sicherheitsrisiko aus dem Land, die neuen Regierenden wollten durch nichts den Unmut der USA erregen. So wie Salvador Allende, der neue Präsident von Chile, für dessen Wahlsieg Reed sang. Allende und viele Menschen, die Reed in Chile liebte, würden diesen Sieg nicht lange überleben. Für seinen ermordeten Freund, den Sänger Victor Jara, machte Reed später den Film „El Cantor“. Und da fragt dieser Krug: Na, heute schon für den Frieden gekämpft?

Grüns Freund aus dem Prater-Garten, der nicht wusste, wer Dean Read ist, hat inzwischen ein Buch über Reed geschrieben, fast titelgleich. Dabei hat kein Mensch Dean Reed in der DDR den „roten Elvis“ genannt. Das Buch ordnet das Phänomen Reed lakonisch ein in die Cowboyfilmhistorie und Popmusikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aber bei Grün liegt darunter und darüber noch die Reise in eine sehr fremde, sehr vertraute Bewusstseinslage. Reeds gereckte Faust, irgendwann war sie peinlich, aber konnte er das wissen? Reed besaß, wie jeder Cowboy, einen elementaren Gerechtigkeitssinn. Der war sein Kompass. Kompliziertere geistige Navigationselemente brauchte er nicht.

Im Unterschied zu den meisten Cowboys war er nicht der Meinung, dass, wer sich mit ihm unterhalten wollte, schon seine Sprache sprechen würde. Im Gegenteil, Reed hatte binnen kurzer Zeit Spanisch gelernt, dann Russisch, schließlich Deutsch. Denn Anfang der 70er Jahre sagte auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche eine junge blonde Lehrerin zu ihm: You are the bestlooking man of the world! Die Auskunft überraschte ihn zwar nicht, geheiratet hat er die Lehrerin trotzdem.

Dean Reed lebte den größten Teil seines Lebens in einer fremden Sprache. Wissen Sie, wie das ist, fragt Andrea Witte von „www.deanreed.de“. Dein ganzes Denken wird einfacher, du verstehst keinen Witz, über den die anderen lachen, und nicht nur dann nicht, wenn Manfred Krug ihn macht. Wissen Sie, wie traurig das ist? Andererseits drehte Reed mit dieser Einfachheit, ja Naivität seinen wohl schönsten Film: Celino Bleiweiß’ „Aus dem Leben eines Taugenichts“ nach Joseph von Eichendorff. Der Junge aus Wheat Ridge als Alter Ego eines deutschen Romantikers. Ein Fremder fast überall. Es stimmte.

Es wird kühl auf der Bank in der Friedrich-Wolf-Straße. Eine Stelle in seinem Film mag Grün besonders: Reed, Anfang der 80er von der Polizei angehalten wegen überhöhter Geschwindigkeit, steigt aus seinem Lada, legt die Hand vor den Hals und brüllt: Ich habe es so satt wie die übrigen 17 Millionen auch!

Er wollte zurück nach Amerika. Könnte er nicht Senator in Denver werden? Und wer weiß, ob er sein neues Filmprojekt „Bloody Heart“ je beginnen würde? Einen Film über die Belagerung des Indianer-Reservats am Wounded Knee 1973. Koproduktion mit der Sowjetunion. Da war nun Gorbatschow, aber das machte es nicht besser, vermutet Grün. Gorbatschow wollte mit Reagan, dem alten Cowboy da drüben, abrüsten, sollte man ihn verstimmen durch einen Film über die jüngste US-Geschichte? Ein bisschen Diplomatie kann nie schaden.

Und wer zurück will in die USA, muss nicht alles sagen, was er denkt. Erst recht nicht in „60 Minutes“, einer amerikanischen TV-Sendung. Er muss nicht sagen, dass er Ronald Reagan in letzter Konsequenz für einen Staatsterroristen hält. Er muss nicht einmal die Mauer verteidigen, nur weil er in dem Land lebt, das dieses Bauwerk erschaffen hat. Reed hatte es getan. Grün nickt anerkennend. Cowboys sterben aufrecht?

Eine Welle von Empörung schlug hoch in den USA, gute Amerikaner forderten die Gaskammer für Reed. Das war 1986.

Du bist nur ein Showman, du schaffst es ja nicht mal, dich selbst umzubringen, sagte Reeds dritte Frau, die Schauspielerin Renate Blume, zu ihm. Seine Handgelenke waren verbunden. Dutzende Schnitte sollen es gewesen sein darunter. Das war im Juni ’86. Sie waren beide zermürbt vom Warten auf den Drehbeginn von „Bloody Heart“, von Streits und von den „60 Minutes“ wohl auch.

Leopold Grün holt seinen Laptop aus der Tasche, wir lesen auf dem Bildschirm Reeds Abschiedsbrief, den Erich Honecker jahrelang unter Verschluss hielt. Es ist ein viele Seiten langer Verzweiflungsbrief: „Ich wollte bis der Tod uns scheidet mit Renate leben – aber sie hat mich umgebracht – Tag für Tag … sie hat immer weiter angeschrien, daß ich war nur ein schlechter amerikanischer Showman.“

Am 12. Juni 1986 zwischen 22 Uhr und Mitternacht ist Dean Reed im Zeuthener See ertrunken. Eine Woche später sollten die Dreharbeiten zu „Bloody Heart“ beginnen. Die Potsdamer Schule, die Reeds Namen trug, legte ihn nach der Wende wieder ab.