Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, June 28, 2007

Ein lappenfreier Sommer (taz)

Ein lappenfreier Sommer
Wie schön ist doch ein Sommer ohne WM oder EM. Man schaut zum Fenster hinaus und das Hässlichste, was man sieht, sind 25-jährige Studenten mit ...
VON HARTMUT EL KURDI

Wie schön ist doch ein Sommer ohne WM oder EM. Man schaut zum Fenster hinaus und das Hässlichste, was man sieht, sind 25-jährige Studenten mit trendy Vollbärten im Gesicht und Flip-Flops an den Füßen. Damit kann man leben. Was man glücklicherweise nicht sieht, sind schwarzrotgoldene Fahnenmeere und grölende Massen.

Leider ist das nur die Ruhe vor dem Sturm. Im nächsten Sommer wird es schon wieder anders sein, denn nur ein Jahr ohne internationales Fußball-Event ist ein glückliches, fahnenloses Jahr. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, werden die Deutschen ihre Lappen wieder raus holen, doofe Lieder singen und - was fast das Schlimmste daran ist - gleichzeitig Vorträge darüber halten, dass das doch nur ein entspannter Patriotismus und kein Nationalismus sei. Oder wie es der Philosoph Gunther Gabriel in seinem Post-WM-Durchhalte-Lied "Lass die Fahne auf dem Dach" formulierte: "Ich sag es laut und zieh den Hut: Deutschland Ost und West - Du tust so gut".
Wobei Gunther G., dieser menschgewordene verbale Amoklauf ("Es steht ein Haus im Kosovo") ja immerhin kein Konvertit ist. Der war schon immer bekennender Fahnenschwenker. Bereits Anfang der Achtzigerjahre stand ich fassungslos auf dem Kassler Stadtfest und hörte ihn seine große national-besoffene Alliteration "D wie Deutschland, D wie Dosenbier" singen. Manche Dinge sind so monströs und dabei so wahr, die kriegt man nie wieder aus dem Kopf

Wie schlimm der Zustand in diesem Land wirklich ist, bemerkt man daran, dass ich neulich in einer Diskussion doch tatsächlich Maxim Biller verteidigen musste, der angesichts der deutschnationalen Erweckung mit Auswanderung nach Israel drohte. Allein das wird inzwischen schon als Affront gewertet, dass jemand nicht mittorkeln will im Teutonen-Taumel und überlegt, ob es woanders, zumindest individuell gesehen, nicht angenehmer sein könnte. Wenn es dann auch noch ein Jude ist, dann erträgt es die deutsche Seele überhaupt nicht mehr. Denn auch das spielt wieder eine Rolle: Ob man der Mehrheitsmeinung nach wirklich dazu gehört. Nation wird hier nach wie vor übers Blut definiert.

Auch mit einem arabischen Nachnamen bekommt man das immer wieder zu spüren, da kann man vorne noch so albern germanisch heißen. Als kürzlich der Oberbürgermeister meines Wohnortes Braunschweig gegen mich eine Art mittelalterliches Kontaktverbot verhängte, weil ihm nicht gefiel, dass ich ihn an seine frühere NPD-Mitgliedschaft erinnert hatte, wurde mir von diversen Seiten mitgeteilt, ich sei selbst schuld, ich solle doch lieber mal über die Zustände in meiner "Heimat" nachdenken. Wenn ich dann nachfragte, was denn in Nordhessen grad so Schlimmes passiere, erntete ich gepflegtes Unverständnis.

Deswegen wunderten sich manche Menschen im vergangenen Jahr auch so darüber, dass in Berlin-Kreuzberg auf einmal Deutschlandfahnen aus türkischen Fenstern hingen, um dieses Phänomen dann kurz darauf ganz flexibel in den neuen Patriotismus zu integrieren. Deutschland toll finden - das darf man jetzt als Kanacke. Wenn man Deutschland aber kritisiert, wird man "entspannt" an seine Gene erinnert.

Ein Abend in der Hölle (Berliner Zeitung)

Ein Abend in der Hölle
Lou Reed spielt im Tempodrom sein "Berlin"-Album
Jens Balzer

BERLIN. Am Dienstag hat Lou Reed im Tempodrom in Berlin sein 34 Jahre altes Album "Berlin" zu Gehör gebracht. Es war ein historischer Abend: das schlechteste, grauenerregendste Konzert, das seit langem auf einer Berliner Bühne zu sehen war; ein künstlerischer Bankrott, wie man ihn selbst von dem zeit seiner Karriere immer mal wieder zu Ausrutschern neigenden Reed nicht erwartet hätte.

"Berlin" erzählt in zehn Liedern die Geschichte einer scheiternden Liebesbeziehung. "In Berlin by the wall" treffen sich Caroline und Jim; erst küssen sie sich, dann schlagen sie sich, später schlitzt sich Caroline die Pulsadern auf. Im Original trägt Reed diese erschröckliche Geschichte im nüchternen Moritatenton vor. Auch wenn "Berlin" nicht sein bestes Album ist - diese Kühle, dieser spartanische Stil sind immerhin interessant.

Nicht so im Gedächtniskonzert: Hierfür hat sich Reed von dem Produzenten Hal Willner ein ultradickes Classic-Rock-Arrangement schneidern lassen, das mit den abgegriffensten Mitteln versucht, der Musik Groove und Fülle zu stiften. Unter den traurigen Weisen gurgelt jetzt unablässig ein Schulmädchenchor in bläulich-weißen Gewändern; eine voluminöse Frau mit soulvoller Stimme kreischt sich öde die Seele aus dem Leib. Ein Bläserquartett behupt jeden Taktwechsel, als befände man sich in einem "Blues Brothers"-Film; der schon bei früheren Lou-Reed-Tourneen unangenehm aufgefallene Fernando Saunders klebt mit seinem weichen Bass von unten an der Musik wie Schlick an einem Dampfer.

So zeitlos die "Berlin"-Songs in den Siebzigerjahren auch klangen, so verrottet wirkt jetzt ihr Retro-Makeup. Im Hintergrund flimmern Videofilmchen, in denen zwei Schauspieler die Story nachstellen - allerdings spielen sie nicht in Berlin, sondern in irgendeiner amerikanischen Stadt. Das Konzert hingegen findet direkt in der Hölle statt: in einer Hölle, in der die Betrunkenen ihren Banknachbarn hundert Mal erzählen, dass "der Lou" jetzt bestimmt gleich seinen "Klassiker" spielen wird, "Take the ride on the wild road, damit isser berühmt geworden in den Sechzigern, düd-de-düd-dü-düd-düd-düd"; in einer Hölle, in der Zombies mit Pferdeschwänzen und in schlabbernden Lederhosen noch die leisesten Stellen durch unermüdliches "Lou"-Rufen zerfetzen. "Ich hätte niemals begonnen", singt Lou Reed am Schluss von "Berlin", "hätte ich gewusst, wie das endet."

Berliner Zeitung, 28.06.2007

Wednesday, June 27, 2007

Traktor gegen Kernkraftwerk (taz)

die wahrheit
Traktor gegen Kernkraftwerk
Sommerpause im Fußball. Zeit, um Fragen zu stellen: Warum sind viele Vereinsnamen eigentlich so einfallslos? Und warum gibt es im Osten die schönsten Ausnahmen?
VON GUNNAR LEUE

Der Name eines Fußballvereins erklärt einfach alles
Vorn der VfB, dann S04 und Werder, unten: FSV, Alemannia und Borussia. Dazwischen lauter 1. FCs und VfLs. In punkto Namenswitz liegt die Bundesliga etwa auf der Ebene einer Volksmusikmoderation. Auch in den niederen Gefilden der organisierten Fußballtreterei prangen allerorten schnöde Kürzel einsam vor dem Ortsnamen auf den Trikotlogos. Allerdings entdeckt man dort noch am ehesten wirklich merkwürdige Vereinsnamen: Vorwärts Wacker Billstedt, Rasensport 1890 Elmshorn, Glückauf Wattenbach, Sachsenroß 1891 Hannover, Sparta 1970 Göttingen, Olympia Bocholt 1911.

Aus einer versunkenen Welt der Vereinsbezeichnungen finden sich dagegen in den ostdeutschen Ligen zahlreiche Zeugnisse. Hier gibt es vor allem für Westler rammsteinhaft anmutende Ballervereine wie Motor Eberswalde, Stahl Brandenburg, Fortschritt Lichtenstein. Da lebt die DDR munter fort. In der galt: Den Sozialismus in seinem fußballerischen Lauf hält zumindest sprachlich nichts auf. Vorwärts, Lokomotive, Empor - im Namenszug ging es oft stürmisch voran. Zwar war auch in der DDR der Ball rund und ein Spiel hatte 90 Minuten, aber ansonsten setzte die Diktatur des Proletariats im Vereinswesen neue Zeichen und Begriffe. Der Sieg der Arbeiterklasse über die Bourgeoise sollte sich auch im Spielbetrieb zeigen.

Bürgerliches Traditionsvokabular wie Eintracht, Viktoria und sogar die Zahlen früher Gründungsjahre wurden oft ersetzt durch Symbolbegriffe für die neue Zeit. Die Ergebnisse hießen: Aktivist Schwarze Pumpe oder Aufbau Magdeburg. Neutrales sprachliches Vorspiel wie bei Hansa Rostock, Sportfreunde Johannisthal oder Union Berlin war die absolute Ausnahme und hob die Teams bereits aus der Masse heraus. Mannschaften wie Einheit Wernigerode konnten gar mit doppeldeutigem Namen ins Spiel gehen. Offiziell stand der Name Einheit simpel für die Zugehörigkeit zum staatlichen Verwaltungswesen.

Alle Klubs oder Betriebssportgemeinschaften (BSG) waren eng mit Betrieben und Kombinaten verbandelt. Chemie Böhlen, Stahl Eisenhüttenstadt, Brauereien Pankow bezeugten die Branchenvielfalt der DDR-Volkswirtschaft. Vorwärts-Mannschaften hingen am Tropf der NVA, Dynamo-Teams an dem von Polizei oder Stasi. Die Landwirtschaftsbetriebe wiederum ließen ihre Mannschaften gern als BSG Traktor das Fußballfeld beackern. Wenngleich sie dabei kaum Erfolge ernteten, pflanzten sie immerhin jedem Ost-Fußballfan den wohl schönsten Vereinsnamen auf ewig ins Gedächtnis: Rotes Banner Trinwillershagen! "Rotes Banner" hieß die LPG des sozialistischen Vorzeigedorfs an der Ostseeküste. Unweit von dort gab es in der DDR jedoch ein Konkurrenzteam, dessen ebenfalls an den Trägerbetrieb angelehnter Name alles überstrahlte: Kernkraftwerk Greifswald. Er wurde auch nach dem GAU in Tschernobyl nicht abgelegt.

Das geschah erst nach dem Mauerfall, als die Vereinsumbenennungen zum Massensport gerieten. Plötzlich standen auf den Emblemen Namen wie Germania Halberstadt oder VfB Chemnitz, welcher aus Motor "Fritz Heckert" Karl-Marx-Stadt hervorging, einem Verein, bei dem immerhin Michael Ballack 1983 seine Laufbahn begann. Der BFC Dynamo versuchte sein Negativimage als Stasi-Klub durch die Umbenennung in FC Berlin abzustreifen. Nachdem die alten Erfolge mit dem neuen Namen jedoch nicht wiederkamen, wurde eine erneute Kehrtwende vollzogen. Und auch der 1. FC Lok Leipzig feierte im Jahr 2004 seine Auferstehung. Zwar ganz unten in der 11. Liga, aber dafür umso fröhlicher.

Dass Namen Schall und Rauch sind, weiß allerdings niemand besser als die Österreicher. Im Fußballtitanenland gilt längst: Wer zahlt, der ziert - auch das Wappen der Vereine. Die Liga-Tabelle liest sich nicht nur wie ein Firmenverzeichnis, die Vereinsnamen wechseln teilweise öfter als Spieler in einer Partie mit Verlängerung. Der SC Untersiebenbrunn verkaufte seinen Namen an den Meistbietenden und wurde so zum SC Interwetten.com, bis er Pleite ging. Aus Pasching wurde im Namen eines örtlichen Einkaufszentrums der SV PlusCity und daraus der FC Superfund. Superfund ist der Markenname einer Produktpalette des Hedge-Fonds-Anbieters Quadriga. Austria Salzburg mutierte erst zu Casino, dann zu Wüstenrot und zuletzt zu Red Bull Salzburg. Was noch relativ prickelnd klingt im Vergleich zu SV Stadtwerke Kapfenberg oder dem Haarwuchsmittelklub FC Capillaris Innsbruck, der davor mal Wacker Innsbruck hieß und danach unter anderem FC Tirol Milch.

In Deutschland ist man noch nicht ganz so weit. Wenn dort Firmen in den offiziellen Vereinsnamen integriert sind wie bei Bayer Leverkusen oder SG Quelle Fürth, hat das historische Wurzeln: Sie gingen ganz oder teilweise aus den Betriebsmannschaften hervor. Aber nachdem die Stadiennamen reihenweise verkauft werden, dürfte es wohl nicht lange dauern, bis die Klubs auch ihre traditionellen Vorsilben verhökern. Gasprom Gelsenkirchen klingt jedenfalls besser als FC Meister der Herzen.

Die Ideen an der Fußballbasis sind da schon besser. Nirgendwo gibt es schönere Vereinsnamen als in den Freizeitligen, wo Torschusspanik Witten/Ergste, SG Blaues Wunder Hannover oder Hand Gottes II auflaufen. Leider spielt Maradona in letzterer nicht mit.

US-Leser nehmen Günter Grass in Schutz (Welt)

US-Leser nehmen Günter Grass in Schutz
Eine Woche lang ist der deutsche Nobelpreisträger in Amerika. Gerade ist dort sein Buch "Beim Häuten der Zwiebel" erschienen. In New York stellte Grass sich dem Publikum. Und wurde natürlich kritisch zur Waffen-SS befragt. Dabei gab es eine Überraschung.

An diesem Montag erschien in den USA die englische Übersetzung von Günter Grass’ Autobiographie „Beim Häuten der Zwiebel“ – jenem Werk, in dem der Schriftsteller vor knapp einem Jahr in Deutschland erstmals öffentlichkeitswirksam über seine Zeit als jugendliches Mitglied der Waffen-SS berichtete.

Um „Peeling the Onion“ (Harcourt), das mit einer für deutsche Autoren (und seien es auch Nobelpreisträger) beachtlichen Startauflage von 40.000 Exemplaren auf den Markt kommt, zu bewerben, besucht der 79-Jährige zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder New York, um eine Woche lang fast täglich in ausverkauften Sälen aus seinem Buch zu lesen.

Jugendliche Verirrungen

Er erwarte eine „faire Aufnahme“ seines Werkes, ließ Grass im Vorfeld wissen, ohne „die Aufgeregtheiten“, die er im vergangenen Jahr in Deutschland erlebt habe. Offensichtlich tut ihm Amerika den Gefallen. Während die Reise im Vorfeld in Deutschland wieder für einige „Aufgeregtheiten“ sorgte, nahm New York von seinem berühmten Gast bislang freundlich, aber gelassen Notiz.

Über Grass’ Mitgliedschaft in der Waffen-SS wurde im vergangenen August natürlich berichtet, mit einem ähnlichen Tenor wie in Deutschland: Das Drama liege nicht so sehr in Grass’ jugendlicher Verirrung als vielmehr in der Tatsache, als erwachsener Mann mit höchsten moralischen Ansprüchen an andere selbst so lange darüber geschwiegen zu haben.

Ein Jahr später nun wiesen die Stadtmagazine, ebenso wie die "New York Times", nur kurz auf die Veranstaltungen mit dem Nobelpreisträger hin. Man scheint sich lieber – ganz im Sinne Grass’ – auf die Rezension der Autobiographie konzentrieren zu wollen. Einzig der „New Yorker“ widmete Grass Anfang Juni mit einem 14seitigen – unkommentierten - Vorabdruck aus „Peeling the Onion“ schon im Vorfeld breiten Raum.

Auftritt im jüdischen Kulturhaus

Vielleicht trifft das Szeneblatt „The Village Voice“ mit seiner Rezension der Memoiren den Punkt: Es sei ihm eigentlich ziemlich egal gewesen, schrieb dort der Kritiker, dass Grass Mitglied der Waffen-SS gewesen war – und seine Gleichgültigkeit sei wohl teilweise der „zugegeben zynischen“ Annahme zu verdanken, dass doch wohl „jeder Deutsche eines gewissen Alters zwischen die Mühlsteine des Nationalsozialismus geraten“ sei.

Wie um seinen Kritikern einigen Wind aus den Segeln zu nehmen, fand die erste Veranstaltung der New Yorker Günter-Grass-Woche im jüdischen Kulturhaus „92nd Street Y“ in Manhattan statt, wo ein gemischtes, vorherrschend älteres Publikum am Montagabend im ausverkauften 900-Plätze-Saal den Nobelpreisträger erwartete.

Er sei ganz sicher der wichtigste deutsche Schriftsteller seit Thomas Mann“, stellte der aus Wien stammende jüdischen Publizist Amos Elon seinen Kollegen vor, und „Vom Häuten der Zwiebel“ habe ihn gepackt wie einst die „Blechtrommel“, dieses Buch werde die Debatte darum sicher überleben. Nach einer wahren Eloge auf Grass kündigte Elon an, man werde aber natürlich auch auf eben diese Debatte, Grass’ spätes Bekenntnis, eingehen.

"a so called Arbeitsdienstmann"

Dann trat der Meister selbst auf, „good evening ladies and gentlemen“, er werde jetzt vom Sommer 1944 lesen, „I was 16 years old and I became a so called Arbeitsdienstmann“. Es folgte das Kapitel über den mittlerweile oft zitierten Kameraden, der sich standhaft weigerte, eine Waffe auch nur in die Hand zu nehmen, auch nicht nach den Strafen der Vorgesetzten und den Schikanen der anderen Jugendlichen, sondern immer nur mit einem Satz antwortete, der zum geflügelten Wort wurde: „Wir tun so was nicht.“

Dann las der junge amerikanische Broadway-Schauspieler Michael Stuhlbarg die Passage auf Englisch vor. Vielleicht war es die ungewohnte Sprache, vielleicht der bühnengeschulte Vortrag – aber plötzlich entfaltete sich die feine Ironie, der Humor des Buches ganz klar und bestimmte die Atmosphäre des Abends. Eine Atmosphäre, die Amos Elon verkannte.

Anstatt auf all den Diskussionsstoff einzugehen, den die Episode mit dem Totalverweigerer anbietet, erwähnte Elon das Vorgelesene mit keinem Wort. Von Günter Grass hätte man am allerwenigsten eine SS-Mitgliedschaft erwartet, hob er stattdessen an, um vorwurfsvoll zu ergänzen: „Wie konnte das passieren?“

In der Waffen-SS waren "die Helden"

Grass antwortete, ganz ruhig und entspannt, mit denselben Gründen, die ihm im vergangenen Sommer in Deutschland das Verständnis vieler Leser und einigen Hohn seiner Kritiker eingebracht hatte: Jugendliche Naivität sei es gewesen. Er habe an den Nationalsozialismus geglaubt. Wie alle. Man habe in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt. Die Waffen-SS sei für ihn eine Art Elitetruppe gewesen, „dort waren die Helden“. Von den Verbrechen habe er erst nach dem Krieg erfahren.

Wie das denn möglich sei, wunderte sich Elon, ob ihm denn nicht aufgefallen sei, dass Juden verschwanden, Menschen mit einem gelben Stern herumliefen? Sein Buch, so Grass zustimmend, handele von all diesen ungefragten Fragen, von all en Gelegenheiten, zu denen Seltsames geschah und von ihm nicht infrage gestellt wurde.

Er verstehe nicht, wieso Grass ein Jahr gebraucht habe, um die Augen geöffnet zu bekommen, wollte Elon weiter wissen, und blieb mit einer Hartnäckigkeit bei seinen vorwurfsvollen Fragen, die ihm schließlich sogar verwundertes Gelächter aus dem Publikum einbrachten. Und als Grass, der die Unterhaltung auf Englisch führte, schließlich durchaus freundlich, mit geradezu komischer Verzweiflung nur meinte, diese Fragen seien ihm im vergangenen Jahr ständig gestellt worden, er könne es nicht mehr hören, gab es gar Applaus.

Die Leser auf seiner Seite

Ganz klar: Man mag zu Grass simpler Argumentation stehen wie man will – hier hatte er seine Leser wie so oft auf seiner Seite, hier hatte sein Interviewpartner ganz klar die Situation verkannt. Man war gekommen, um einen geachteten, vielleicht sogar geliebten Schriftsteller zu hören, und nicht, um ihn ins Verhör genommen zu sehen.

Elon verrannte sich zunehmend stärker in die undankbare Rolle des störrischen Oberlehrers, der nervös mit erhobenem Zeigefinger vor dem gelassenen Klassenliebling herumfuchtelt, während dieser sein Publikum unbeirrt mit lustigen Anekdoten aus seiner Jugend unterhält. Und entsprechend gab es später einiges Murren in der meterlangen Schlange vor dem Signiertisch und draußen auf dem sommerwarmen Trottoir der Lexington Avenue: Was das den für eine Fragetaktik gewesen sei, echauffierte sich einer; man müsse seinem Gesprächspartner auch zuhören, schimpfte eine andere.

Ein freundlicher Auftakt also für Günter Grass. Spannender dürfte es an diesem Dienstagabend werden. In der New York Public Library moderiert der britische Schriftsteller Andrew O’Hagan eine Diskussion zwischen Günter Grass und Norman Mailer, dessen jüngster Roman, „The Castle in the Forest“ (“Das Schloss im Wald“, deutsche Ausgabe im September bei Langen Müller) wilde Spekulationen über Hitlers Jugend anstellt. Titel der Veranstaltung: „Das 20. Jahrhundert vor Gericht“.

Norman Mailer pflegt mit der amerikanischen Gesellschaft so liebevoll umzugehen wie Grass mit Deutschland nach dem Krieg. Da kann einem das 20. Jahrhundert fast Leid tun.

We don't want your Roma (The Guardian)

Italy tells Romania: We don't want your Roma
1,000 migrants a month arrive in Italian capital £20-a-week wages mean few are likely to go back
Tom Kington in RomeTuesday June 26, 2007The Guardian

Tourists gazing down from Rome's third-century BC Milvian bridge get a glimpse of an idyllic, tree-lined stretch of the Tiber winding its way into the heart of the city. But if they look closer, they can make out a cluster of well-hidden shacks on the river bank built by homeless Roma migrants - many from Romania, a new EU member.
Desperate families sleep under elevated roads that ring the capital, in suburban woods and even, in the case of 14 Romanians discovered by police last month, in a Roman cistern along the Appian Way.

Now, however, amid the surge in immigration - 1,000 Roma arrive from Romania every month - Italy's politicians are starting to take decisive, but controversial, action. Rome's mayor Walter Veltroni flew to Bucharest yesterday to urge the government to discourage its people from leaving in the first place. He has also announced the construction of four huge new camps in the suburbs of the Italian capital to house the arrivals.

"We need to contain the flow from Romania and part of that involves working with child welfare groups to improve conditions and convince parents to stay put," said a town hall official travelling with Mr Veltroni. The party will visit the mayors of three towns - Craiova, Calarasi and Turnu Severin - from where the majority of Rome's new arrivals hail.

There are now around 7,000 Romanian Roma in the Italian capital. "Of those only 1,500 are living in council-run facilities, the rest are in shacks or in the open," said town hall spokesman Enrico Serpieri.

Their presence has generated a succession of confrontations in Italy. An angry mob in Ascoli Piceno, near the Adriatic coast, torched a camp in April after a drunk-driving Roma youth killed four teenagers on a narrow road. Such scenes are yet to occur in Rome, but in May the regional president, Piero Marrazzo, was barracked by a crowd for being soft on immigration when he attended the funeral of Vanessa Russo, a girl from the gritty suburb of Borgata Fidene murdered by a Romanian prostitute during a row.

Livio Galos, an official from Romania's interior ministry who is liaising with the Italian police, said some Roma arrivals were involved in petty theft, although he played down hysterical Italian headlines about a wave of criminals taking Italy by storm. "Thanks to the Romanian education system a few have become expert credit card cloners, but the stories about circus acrobats becoming daredevil burglars is pure myth," he said.

While Mr Veltroni hopes his trip is a success, a Roma spokesman was dubious that many would want to return to Romania while available wages ranged from €20 to €40 (£13 to £27) a week.
Massimo Converso, a spokesman for Italian Roma group Opera Nomadi, said there was, however, an alternative to returning or entering the planned camps, which Mr Veltroni's opponents have likened to prison camps.

"We want to live in houses," he said. "So we are pushing the Italian government to hand over disused public buildings like stations and maintenance buildings along highways." Mr Converso said that after a pilot project saw Roma families move into old farmhouses near Venice he was now eyeing the many abandoned and semi-abandoned medieval hamlets that dot Italy, usually on isolated rocky outcrops.

Friday, June 22, 2007

Arrrgh! (Berliner Zeitung)

Arrrgh!
Andreas Lesch

Wie ein Drama im modernen Fußball funktioniert? Gute Frage. Die Zuschauer sind abgestumpft. Mit Blutgrätschen, Platzverweisen, Aufholjagden braucht man denen nicht mehr zu kommen; die finden sie so spannend wie einen falschen Einwurf. Verlängerungen? Tätlichkeiten? Übersehene Fouls? Alles tausend Mal da gewesen. Alles Kinderkram. Der Nachwuchs weiß, wie's besser geht. Er hat im Halbfinale der U 21-Europameisterschaft einen Thriller gezeigt, wie ihn lange keiner gesehen hat. Einen, der die Gesundheit gefährdet hat - speziell die der Spieler.

Der Thriller hat damit begonnen, dass England und Holland um den Einzug ins Endspiel stritten. Er ging damit weiter, dass die Holländer eine Minute vor dem Ende der regulären Spielzeit zum 1:1 ausglichen - und gewann an Spannung, als in der Verlängerung kein Tor fiel. Elfmeterschießen! England gegen Holland!! Arrrgh!!! Dazu hätte es nicht kommen dürfen. Das war ein Verstoß gegen die Genfer Menschenrechtskonvention, das war Folter. Jeder weiß doch: Engländer und Holländer können kein Elfmeterschießen. Die verlieren immer. Die wimmern schon, bevor es losgeht.

Alles wäre den Spielern lieber gewesen. Sie hätten es klaglos akzeptiert, wenn das Los über den Finaleinzug entschieden hätte, die schöneren Trikots, die schmutzigeren Stutzen oder die größeren Spielerfrauensonnenbrillen. Aber so kam es nicht. Es kam, wie es kommen musste: Treffer hier, Treffer dort, Fehlschuss hier, Fehlschuss dort. Alle Spieler mussten antreten, manche sogar zwei Mal. Nicht einmal der verletzte englische Verteidiger Steven Taylor wurde verschont: Er humpelte zum Punkt - und traf. Immer länger zog sich das Drama. Dann, als alle dachten, es werde niemals enden, war es vorbei: 13:12 für Holland, nach 32 Schüssen.

Der traurigste Mann des Abends ist Stuart Pearce gewesen, Englands Trainer, der als Spieler im WM-Halbfinale 1990 am deutschen Torwart Bodo Illgner scheiterte. Er kann jetzt nur noch Trainer in Holland werden - und auf ein Spiel gegen England hoffen. Dann könnte er alles wiedergutmachen, für seine Heimat, nicht für sich selbst.
Berliner Zeitung, 22.06.2007

penalty shoot-out drama (The Guardian)

England go out after 32-penalty shoot-out drama
England U21s 1 - 1 Holland U21s (aet)England lost 13-12 on penalties
Jeremy Wilson at the Abe Lenstra stadiumThursday June 21, 2007The Guardian

With Chris Waddle in the stands and Stuart Pearce on the touchline, there was a cruel irony about the way England's Under-21 team exited from the semi-finals of a major international tournament on penalties.

The two veterans of Italia 90 looked on as one of the most extraordinary shoot-outs in recent memory unfolded in Heerenveen and eventually ended in further disappointment for England as Holland progressed to the final of the European Under-21 Championships. In all, 32 penalties were taken during the shoot-out, of which 25 were converted.

Defeat in this fashion is a familiar scenario but, in general, England showed great poise from the penalty spot after a match which had swung back and forth during a thrilling two hours.
For 50 minutes they were on course to reach the final for the first time since 1984 but their progress stalled when Maceo Rigters equalised Leroy Lita's first-half goal in the 89th minute. England, who were being watched by the head coach Steve McClaren, then survived most of extra-time with only 10 men.

With three substitutes already used, Nedum Onuoha hobbled off and Steven Taylor had to play on despite being seriously impeded with a foot injury. "We had lost a centre-half, two or three were booked and missing the final, but we soldiered on," said Pearce. "I am proud of the effort we put in."

The Dutch left-winger Royston Drenthe has been the tournament's most eye-catching player and he provided the greatest attacking threat during the opening minutes. A stepover and a drop of the shoulder left Justin Hoyte chasing shadows and he then provided a tempting cross which just eluded Rigters before Leighton Baines intervened.

On the right, Gianni Zuiverloon also looked dangerous on the overlap, although Onuoha and Newcastle's Taylor were both tackling well. Pearce, as ever, was living every challenge and indulged in some light-hearted banter with Dutch fans behind the technical area.

England had been guilty during the first half of too many hopeful long balls in the direction of Lita and David Nugent, but the tactic paid rather sudden dividends in the 39th minute.
Lita outmuscled Ron Vlaar and turned to smash a left-footed shot inside the near post of the Dutch goalkeeper Boy Waterman. It was England's first shot on target and it reduced the home crowd to a stunned silence. It was Lita's third goal of the tournament and he displayed further evidence of his growing confidence early in the second half when he curled a free-kick on to the outside of the post after Ashley Young had been impeded.

England generally looked secure at the back but their discipline wavered. Mark Noble, who has been outstanding throughout the tournament, conceded a foul and then instinctively blocked the attempt at a quickly taken free-kick. The referee, Knut Kircher, produced a yellow card, meaning the West Ham midfielder would have missed Saturday's final. Minutes later the captain, Nigel Reo-Coker, made a reckless challenge from behind on Roy Beerens to also pick up his second booking of the tournament.

As the minutes ticked down, Ryan Babel rifled a ball across the six-yard box and then Rigters wasted a shot from the edge of the area. He was on target, however, with less than two minutes remaining when from Ryan Donk's accurate header across goal he produced an overhead kick beyond Scott Carson to take it to extra-time. England were effectively down to nine men but Holland wasted chances, leading to the penalty shoot-out.

Young fired England's first penalty and was followed with an equally emphatic finish by James Milner. For Holland, Drenthe was first to flinch, but although Noble put England 3-1 ahead a miss by Hoyte meant sudden death. Matt Derbyshire, Anton Ferdinand, Scott Carson and then Liam Rosenior all scored before Reo-Coker had his effort blocked by Waterman. The drama, though, was still not over as Arnold Kruiswijk blazed over.

Derbyshire missed England's 15th penalty but amazingly Daniel de Ridder followed suit. Ferdinand then became the fourth English player to miss and Zuiverloon put Holland into the final.

Facebook challenges MySpace (The Guardian)

Social networking
Facebook challenges MySpace as place for the cool set to hang out
Helping people stay in touch with friends online has become the latest battleground for moguls Richard Wray, communications editorThursday
June 21, 2007The Guardian

"I've added you as a friend on Facebook..." This plaintive introduction to the web's fastest growing social phenomenon has been appearing with growing frequency in email inboxes across the world as what started life as a way for American college friends to stay in touch has become one of the internet's hottest properties.

The rise of Facebook, created by Harvard drop-out Mark Zuckerberg three years ago, is challenging the dominance of MySpace in the social networking market, which may go some way to explain why that site's owner, Rupert Murdoch's News Corp, has considered exchanging it for a 25% stake in online portal and search giant Yahoo!

Yahoo! saw the potential for Facebook when it tried to buy the business last year. After an initial $1bn offer was rejected out of hand by Mr Zuckerberg, Yahoo! said it could raise that to $1.6bn - but he made it plain that he had no desire to bail out just yet. At the time, many internet watchers scoffed at the youthful "frat nerd" for not cashing in his chips, but today analysts reckon the business could be worth several times what Yahoo! initially contemplated.

In the UK alone, Facebook has gone from the 469th most popular website, in May last year, to 18th. Half the visits to the site, according to internet statistics company Hitwise, come from people in the 18-24 year old bracket, but the real growth over the past six months appears to have come from 24-35 year olds. The site seems to have reached what sociologists term a "tipping point", with usage blooming and even the name entering into the vocabulary of everyone from switched-on teens to Radio 4 listeners.

Network effect

The rapid growth in Facebook is due to the decision of Mr Zuckerberg, who created it while at Harvard to help students deal with the sometimes unfriendly atmosphere in Cambridge, Massachusetts, to open the network to all-comers. Before last autumn the site was effectively invitation only, with users needing to have an academic email address. Then in September the company threw open its doors to everyone.

"The growth started slowly in late September, early October last year and has really taken off since then," according to Heather Hopkins, vice president of research at Hitwise UK. "There is a network effect as more people join and get more of their friends to join."

It is adding more than 100,000 users a day and already has 27 million active users, with more than half of those returning daily. MySpace is still considerably larger, with 60 million users in the US alone, but Facebook is catching up. The growth has gathered pace due to the fact that new users are given the option of allowing Facebook to access their email account to look for friends who are already using the service, then email contacts who are not part of the network to invite them inside.

The success of Facebook has not gone unnoticed at News Corp. Asked earlier this month by the Wall Street Journal - which he is looking to buy - why he had not made an offer for another North American newspaper group, Tribune, Mr Murdoch said it was because readership of its newspapers was declining. "That's because everyone's going to MySpace," quipped the reporter. "I wish they were. They're all going to Facebook," the media mogul retorted.

That was taken by some media watchers as evidence of a growing dissatisfaction with MySpace. When Mr Murdoch bought the company in 2005 for $580m (£290m), the deal raised eyebrows among investors. But in August the following year, Mr Murdoch tied up a $900m deal with Google to provide adverts for MySpace. That deal has been a double-edged sword. The MySpace site has become cluttered with advertising. As it has become more commercial, its focus has also switched. According to Hitwise, many people visiting MySpace have been looking at record label or music sites before going onto the network. After leaving, the most popular sites next visited by MySpace users tend to be music sites and online retailers. "People are really using it to discover artists and bands and gigs and discuss fashion," says Ms Hopkins.

Online ad boom

Mr Murdoch's tie-up between MySpace and Google gave him a way into the world of online search advertising, by far the largest part of the booming online ad market. But it was only a foot in the door. There is a feeling among analysts, especially in the US, that News Corp needs to get further into the search market. Which is where a potential deal with Yahoo! becomes attractive.
Problems in rolling out the latest version of its ad platform, Panama, has made Yahoo! vulnerable. It has held tentative discussions with Microsoft and its Facebook dalliance shows an interest in social networking, which is why a swap of MySpace for a 25% stake in Yahoo! was worth a try. Talks between Mr Murdoch and Yahoo!, however, have hit a snag. Earlier this week, Yahoo! chief executive Terry Semel stepped down after intense pressure from investors. His replacement, co-founder Jerry Yang, will want time to get to grips with the problems in the business before re-opening negotiations with anyone.

But the allure of the internet advertising market for Mr Murdoch is not going to go away. PricewaterhouseCoopers will today publish its latest Global Entertainment and Media Market report. It shows that last year, online advertising worldwide grew 37.9% to $31.6bn, accounting for more than 7% of the total advertising market of $407bn. Globally the internet will remain the fastest growing advertising medium, with compound annual growth of 18.3% up to 2011. By that time the online advertising market will be worth $73bn, accounting for 14% of the global advertising market of $531bn. That's still a lot to play for.

Face to face

· Take everyone you've ever known - work colleagues, former schoolfriends, close family members, your boss, your ex-partner - and put them in a single room. Then give them intimate access to every corner of your life, from your trivial thoughts to your most recent holiday snaps and your plans for the weekend. Then sit back and watch the social experiment unfold.
· Financiers have been betting on which social networking site would make the leap to the adult world. Its viral power, elegance of its design and the flexibility and openness of its features have made Facebook the hot favourite to do so.

· Facebook, like most internet successes, taps into innate real life traits - curiosity, sociability and sharing. If MySpace is as messy and chaotic as a teenager's bedroom, Facebook is the frenzied networking of a cocktail party, delivering an unending reel of "news" on the lives of your friends.

· Like most technology, from email to the BlackBerry, Facebook promises to save you time but ends up eating it. It allows you to keep your friends and even your enemies close - but not so close you have to spend time personally interacting with them. You can remain in touch with minimum effort for maximum return. But it's worth considering if you really want your boss to see that photo of you drunk in the gutter.

Monday, June 18, 2007

Der Pupsgeräuschesammler

18.06.2007
die wahrheit
Der Pupsgeräuschesammler
Wolfgang Schäuble ist ein Vorbild, auch wenn es um seine persönliche Sicherheit geht VON FRITZ TIETZ

Die innere Sicherheit! Nichts liegt Dr.Wolfgang Schäuble mehr am Herzen. Sie zu garantieren, zieht der amtierende Bundesinnenminister derzeit alle Register. Von A wie Achselschweißfahndung bis Z wie Zeppelinüberwachung reichen die von ihm angeschobenen Präventionsmaßnahmen. Als Nächstes stehen die deutsche Penislängenkartei und das europäische Pupsgeräuschearchiv auf der politischen Agenda des halbseitig charismatischen Christdemokraten.

Keine Frage: Dieser Minister wird in puncto innere Sicherheit nicht eher nachlassen als bis jeder PC von einem Bundeswehrsoldaten bewacht wird, sämtliche Passbildautomaten mit der Mautkontrolle vernetzt sind und terroristische Anschläge prinzipiell nur noch mit schriftlicher Genehmigung der Behörden verübt werden dürfen.

Wer nun aber glaubt, ein so safety-ergebener Schäuble könne sich für nichts anderes begeistern als den Schutz des Gemeinwohls, muss leider als "schief gewickelt" gelten. Der sympathische Rollstuhlfahrer ist nämlich keineswegs nur der von Staats wegen besengte Sicherheitsfanatiker, als den ihn seine Feinde so gern schmähen. Dieser Wolle, dieser Wolferl, dieses Wölfchen, wie Schäubles Freunde ihn wohl rufen würden, wenn er welche hätte, ist in Wirklichkeit niemand, der in Sachen Schutz und Terrorabwehr nur immerzu an andere denkt. Nein, Dr. Wolfgang Schäuble ist mindestens genauso stark an der ganz privatimen, eigenen Sicherheit interessiert.

Nicht selten, dass er sich nach Feierabend - auf eigene Rechnung selbstverständlich - manch kleine Sicherheitsleistung gönnt. So lässt er beispielsweise regelmäßig seine privaten Telefongespräche abhören, auf dass so, wie er sagt, jedes Verbrechen verhindert wird, das er vielleicht mal plant. Auch führt Schäuble in seiner Freizeit ständig ein Stempelkissen bei sich, um, wann immer ihm dies angeraten erscheint, Fingerabdrücke von sich nehmen zu können. Nach Auslandsreisen lässt er sich von Spezialisten der Bundespolizei abtasten. Er habe sich zwar überhaupt nichts vorzuwerfen, pflegt er dann den Männern mit den weißen Handschuhen zu sagen, aber man wisse schließlich nie. Sie sollten ihn nur recht gründlich befühlen. Er jedenfalls wolle hundertprozentig sicher sein, dass er er an keiner Stelle seines Körpers irgendetwas an den Behörden vorbei ins Land zu schmuggeln versuche.

Eigens darum bitten, seine privaten Mails mitzulesen, muss Dr. Schäuble die Behörden nicht. "Das geschieht ja eh schon", schmunzelt der Mann, der mittelfristig plant, die Fahndungsfotos mutmaßlicher Kofferbomber künftig auch als Duplo- beziehungsweise Hanuta-Sammelbildchen zu verbreiten, "das ist gesetschlich längst geregelt." Und dann wirft Schäuble in der ihm so eigenen Schmallippigkeit gleich noch diese Frage auf: "Wissen Sie eigentlich, warum ich immer so nuschele und beim Lachen den Mund nie so ganz aufkriege?" Weil er, unten vor allem, so schlechte Zähne hat, wollen wir gerade vermuten, doch Dr. Schäuble ist mit seiner Antwort schneller: "Weil ich mir ein leider etwas zu sperriges Mikrofon in den Unterkiefer habe einbauen lassen. Damit die Behörden alles mithören können, was ich so den ganzen Tag lang quatsche. Aus Sicherheitsgründen, wenn Sie wissen, was ich meine."

Ganz spezielle Sicherheitsmaßnahmen hat Dr. Schäuble übrigens auch für sein Eigenheim im badischen Gengenbach ergriffen. Selbiges darf niemand betreten, ohne sich vorher Frau Schäuble gegenüber biometrisch ausgewiesen zu haben. Eine Regelung, die nicht nur für potenzielle Dienstboten oder mutmaßliche Besucher, sondern in ihrer ganzen Härte auch für den Hausherrn selbst gilt; wie dieser unlängst sehr schmerzlich am eigenen Leib erfahren musste.

Mit dem vorletzten ist nämlich ein Wochenende ins badische Land gegangen, an dem der Bundesinnenminister nach einer anstrengenden Dienstwoche mit G-8-Gipfel und Kirchentag nicht im eigenen Bett übernachten konnte - weil er seinen biometrischen Pass im Berliner Büro vergessen hatte. Ohne gültige Papiere aber keine Einreise, so hatte es Schäuble seiner Frau immer wieder eingebläut, die sich denn auch strikt an diese Direktive hielt und ihrem Gatten gnadenlos den Einlass verwehrte. Schäuble musste eine unbequeme Nacht im Diensthelikopter verbringen. Seinen Pass schaffte unterdessen die Bundeswehr heran. "Jedes andere Verhalten meiner Frau wäre für mich eine herbe Enttäuschung gewesen", so wird Schäuble später zitiert, ohne dass es dafür, wie übrigens für die ganze Geschichte hier, eine auch nur einigermaßen glaubhafte Quelle gäbe. Aber wozu auch? Man wird sich ja mal ein sicherheitsrelevantes Szenario ausdenken dürfen. Das macht Schäuble ja auch dauernd.

Altrocker auf Abschiedstournee (taz)

Gruppe 47
Altrocker auf Abschiedstournee

Die drei Ehrenspielführer der Literaturnationalmannschaft - Günter Grass, Martin Walser und Joachim Kaiser - erinnerten sich an die Gruppe 47.
VON ALEXANDER CAMMANN

Vielleicht ist es die erstaunlichste Abschiedstour der deutschen Literaturgeschichte. Die Säle sind voll, wo immer sie auftreten, die Stimmung ist bestens. Das in die Jahre gekommene Publikum liebt die alten Hits, die Fans können alles mitsingen. Die Nachgeborenen halten sich die Ohren zu: Wann hört das endlich auf? Doch sie touren einfach weiter, immer weiter. Skandale pflastern ihren Weg, wie es sich für Altrocker gehört. Allerdings werden keine Hotelzimmer verwüstet, und statt Koks in die Nase gibt es nur reichlich Rotwein für die Kehle. Ihre Droge ist schärfer und heißt Vergangenheit. Ihr Ich beherrscht den Lautstärkeregler: am besten voll aufgedreht.

Günter Grass und Martin Walser zelebrieren auf diese Weise seit geraumer Zeit ihren Abschied. Nun wäre die Annahme, diese beiden zeitlebens nie ein Megafon benötigenden Schriftsteller würden irgendwann still und leise in den Kulissen der Literaturgeschichte verschwinden, immer schon illusorisch gewesen. Doch ihre beiden medialen Endkämpfe um Unsterblichkeit entwickelten sich zu einem nicht vorhersehbaren Schauspiel. Ihre späten Jahre sind nunmehr eine einzige Dauerperformance, bestehend aus Friedens- und Nobelpreisen, aus Paulskirchen-, "Tod eines Kritikers"- und SS- Skandalen, aus unablässig veröffentlichten Büchern und autobiografischen Dokumenten, inklusive Dokumentarfilmen, aus Verlagswechseln mit Getöse, aus Entsetzensschreien der Öffentlichkeit, aus Anklagen und Verfolgungswahn - Freund und Feind bei alledem im Ritual polarisierter Debatten vereint. Grass und Walser mutierten zu zwei Gesamtkunstwerken, für die literarische Maßstäbe kaum mehr gelten können.

Denkwürdiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist zweifellos das dreiseitige Gespräch in der aktuellen Ausgabe der Zeit, zu dem sich die Solisten Walser und Grass in dessen Garten zum Duett vereint hatten. Ein zwischen Verrücktheit und Reflexion schwankender Altmännergesang aus kerligen Kehlen, mit gegenseitigen Liebeserklärungen: Heilandsack!, kann man da nur staunend mit Walser ausrufen.

Am Freitagabend folgte nun, perfektes Timing, der Live-Act vor ausverkauftem Haus. Auf der Bühne des Berliner Ensembles erinnerten Grass und Walser sich in sommerlich offenem Hemdkragen ihrer literarischen Ursprünge in der legendären, künstlerisch und politisch stets heftig umstrittenen Gruppe 47. Zu ihnen gesellte sich Joachim Kaiser, Jahrgang 1928, damals selbstbewusster Jungkritiker in der Gruppe, später Großfeuilletonist der Süddeutschen Zeitung.
Es wurde ein frotzeliges Zeitzeugengespräch in verschiedenen Rollen, über eine literarisch denkbar weit zurückliegende Epoche. Walser übernahm den Part des wohlwollenden Kritikers. Er erinnerte an die "Tribunalstimmung", die die spontane Kritik der in der Gruppe 47 vorgelesenen Texte begleitete. Schon 1964 hatte Walser die Gruppe als intellektuellen "Markenartikel" bezeichnet. Szenen "äußerster Peinlichkeit" fielen ihm ein, gerade im ignoranten Umgang mit Emigranten. Für Grass hingegen ist die Gruppe 47, die 1967 das letzte Mal regulär getagt hatte, immer noch eine identifikatorische Angelegenheit: "Ich habe ein Stück Sozialisierung dort erfahren." Vehement verteidigte er die hermetische Einladungspolitik des Gruppenchefs Hans Werner Richter gegen den Vorwurf der Emigrantenfeindlichkeit und nachwirkender brauner Kontamination: "Wir waren alle Beschädigte." Eingerahmt zwischen Kaiser, Walter Jens, Hans Mayer, Walter Höllerer hätte Marcel Reich-Ranicki als Kritiker seine beste Zeit gehabt. Jene Tagungen wollte Grass als bekennender Kleinbürger als bundesrepublikanisches Erbe nicht missen: "Endlich kamen die Kleinbürger zum Zug!"

Die Gruppe habe im Ausland Vertrauen in die junge intellektuelle Generation befördert, glaubte rückblickend Kaiser. Mit Blick auf Klagenfurt meinte er selbstbewusst, dass alle Preisträger der Gruppe "unvergleichlich viel besser" gewesen seien als die Gewinner aller anderen literarischen Wettbewerbe bis heute. Zudem: "Es hat enormen Spaß gemacht." Wie tief dieser anekdotenselige Abend in die Vergangenheit führte, illustriert eine denkwürdige Symbolik, die Jörg Magenau in seiner Walser-Biografie überliefert hat. Genau an jenem Maiwochenende 1955, als Walser und Grass sich bei einer Berliner Tagung der Gruppe 47 das erste Mal über den Weg liefen, hielt der beinahe 80-jährige Thomas Mann seine Rede zum Schiller-Jubiläum in Weimar. Eine geistige Wachablösung: Wenn man ein halbes Jahrhundert später dem knorrigen 80-Jährigen dort oben auf der Bühne lauschte, dann bekam solch eine zufällige literaturgeschichtliche Koinzidenz unwillkürlich eine besondere historische Aura.

Symbolik gab es auch an diesem Abend: Wenige Kilometer entfernt diskutierten just zum selben Zeitpunkt in der Akademie der Künste junge Autoren, unter anderem Terézia Mora und Navid Kermani, miteinander - und im Literaturhaus in der Fasanenstraße sezierte der Germanist Christoph König kritisch-hermeneutisch die Strategien der Häme in Grass Erinnerungsbuch "Beim Häuten der Zwiebel".

Und in fünfzig Jahren? Heute ist es schwer vorstellbar, dass dann Kathrin Passig, Katharina Hacker und Daniel Kehlmann Veteranentreffen abhalten, vor Fernsehkameras, mit VIP-Shuttle und unermüdlichen Fans. Welche ästhetischen Gewinne und Verluste daher auch immer zu verbuchen sein werden: Die buschigen Augenbrauen Walsers, den dicken Schnauzbart von Grass, die hängenden Lider Kaisers - Heilandsack, wir werden sie vermissen, irgendwann.

Monday, June 11, 2007

Trends
Die Ufos fliegen nicht mehr

Von Karin Ceballos Betancur

Es gab eine Zeit, da konnte man sommers in den Park gehen, sich auf die Wiese setzen und musste nicht lange warten, um von einem saftigen Nackenschlag niedergestreckt zu werden, wie er nur Jungfrauen mit schlaffer Oberarmmuskulatur gelingt. Wenn sie eine Frisbee-Scheibe werfen. Ich meine das überhaupt nicht gehässig. Ich selbst war einst eine dieser Jungfrauen. Ich weiß, wovon ich spreche. Und wie unschön es aussieht, wenn Rentnern gewölbte Plastikscheiben zwischen den Zahnreihen stecken. Deswegen habe ich das Werfen von Gegenständen inzwischen weitgehend eingestellt.

Angesichts dieser sportlichen Kollateralschäden mag sich die Zahl der Menschen, die den schleichenden Abschied der Frisbee-Scheiben vom öffentlichen Raum bedauern, in engen Grenzen halten. Ich war dort, ich habe sie gesucht, die Werfer und Schläger, aber sie waren nicht mehr da. Im Park spielen sie heute Badminton, Hacky-Sack oder Gitarre, essen Wurst und laufen ihren schreienden Kindern hinterher. Unbeschwerte Ödnis. Geworfen wird nichts, jedenfalls keine Frisbees. Und das ausgerechnet an ihrem 50. Geburtstag. Es ist schon auch ein bisschen traurig.

Vielleicht hält die Behauptung, dass die Welt gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch ziemlich in Ordnung war, keiner historisch-wissenschaftlichen Analyse stand, vor allem dann nicht, wenn man den Amerikanischen Bürgerkrieg in Betracht zieht. Fest steht allerdings, dass es dem Jahr 1871 gelang, genügend Zuversicht zusammenzukratzen, um einen jungen Konditor namens William Russell Frisbie, gebürtiger New Engländer, von Branford, Connecticut, ins beschauliche Bridgeport des nämlichen Bundesstaats umsiedeln zu lassen. Ursprünglich hatte man ihn als Manager einer neuen Bäckerei, der „Olds Baking Company“, angeworben. Doch bald übernahm er die Filiale, sein eigenes Geschäft, mit sechs Angestellten.

Die „Frisbie Pie Company“ verkaufte hausgemachte Kekse und Torten auf runden Blechen, und dem Inhaber gefiel es, selbige mit seinem Namen zu versehen. Man kennt das. Selbst große Fast-Food-Ketten haben sich dieser cleveren Marketingstrategie längst angeschlossen, allerdings verfügt ein Big-Mac-Karton über deutlich weniger Freizeitmehrwert als ein Tortenboden. Was nachzuweisen sein wird. Frisbie Senior jedenfalls verstarb im Jahr 1903. Fortan backte sein Sohn, Joseph P. Frisbie, auf den Blechen seines Vaters weiter, bis auch er 1940 verstarb. Seine Witwe backte weiter, bis zum Ende. In ihrer Blütezeit brachte es die „Frisbie Pie Company“ auf 200 Angestellte und eine Produktion von 80 000 Torten pro Tag. Eine Menge Blech, that’s it.

Während sich die Firmengeschichte einer gründlichen Dokumentation erfreut, ist bedauerlicherweise nicht überliefert, wer als Erster auf die aerodynamischen Eigenschaften der Frisbie’schen Tortenformen aufmerksam wurde. War es ein Wink des Schicksals, eine Windböe, die den Weg von der Hand zum Papierkorb zufällig beschwingte? Oder ein kreativer Geist, der absichtsvoll mit Müll experimentierte? Mitte der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts jedenfalls werden erstmals Studenten der Yale Universität vermehrt dabei beobachtet, wie sie Frisbie-Bleche über statt auf den Campus werfen, der in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bäckerei liegt.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Original-Frisbie-Bleche bei Ebay heute zwischen 25 und 50 Dollar gehandelt werden. Der Kenner unterscheidet zwischen Anzahl und Anordnung der Belüftungslöcher am Boden der Schalen (manchmal sternförmig, manchmal F-förmig, manchmal gar nicht vorhanden), zwischen runden und quadratischen Blechen, wobei sich der womöglich eingestanzte Hinweis „5 cents deposit“ positiv auf den Verkaufspreis auszuwirken vermag. Zudem gibt es zwei Schulen, die erbittert um die Deutungshoheit streiten. Die Tortenfraktion behauptet, dass es ursprünglich die Tortenbleche waren, die man einander zuwarf, während die Plätzchenfraktion schwört, es seien die Keksdeckel gewesen. Einvernehmen hat man offenbar darüber herstellen können, dass der Werfer das Wort „Frisbie“ ausrufen musste, bevor er sein Blech auf den Weg brachte. Ein Brauch, der über die Jahre leider in Vergessenheit geraten ist.

An diesem Punkt der Geschichte kommt nun völlig überraschend Walter Frederik Morrison ins Spiel. Die Legende will, dass der Mann als Kind Frisbie-Kuchen verkaufte. Was nicht ohne Folgen blieb. Sein Vater hatte dereinst die Monoblock-Scheinwerfer für Personenkraftfahrzeuge erfunden. Ein schweres Erbe. Und so begann Morrison früh, sich mit Großem zu beschäftigen, genauer gesagt: mit dem Weltraum, der uns umgibt, ein seinerzeit durchaus nicht ungewöhnlicher Zeitvertreib.

Um ein Stück vom außerirdischen Glück auf die Erde zu holen, entwickelte Morrison Anfang der 50er Jahre eine Scheibe, die der Form einer fliegenden Untertasse nachempfunden war. Dabei beschränkte er sich zunächst darauf, die durchaus nicht idealen Flugeigenschaften einer flachen Scheibe zu verbessern, indem er runde Metallplatten durch zusätzliche Ringe am Rand stabilisierte. Später stellte er die Produktion auf Plastik um. 1947 hatte er den ersten Prototypen erdacht, vier Jahre später den verbesserten Nachfolger, die „Pluto Platte“. Mit Rillen auf der Oberseite, um die Flugbahn zu stabilisieren. Schließlich erklärte sich die Firma Wham-O aus Kalifornien bereit, seine Erfindung im großen Stil herzustellen, so dass am 13. Januar 1957 in Spielzeugläden der amerikanischen Westküste die ersten schwebenden Scheiben zum Kauf angeboten werden konnten.

Kalifornische Strandbesucher wurden bald unsanft auf die ungewollten Nebenwirkungen des neuen Freizeitvergnügens aufmerksam. Und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass es nur sieben weitere Jahre dauerte, bis der stumme Oddjob in „James Bond – Goldfinger“ seinen Hut frisbiesk als Mordwaffe zum Einsatz brachte. Weil dem Unternehmen der Absatz aber dennoch zu schleppend verlief, machte sich Firmenpräsident Richard Knerr auf, um die Spielzeugscheiben kostenlos an den Universitäten der Ostküste verteilen zu lassen – womit er allerdings nur ein müdes Lächeln erntete, war das Frisbie-Torten- respektive Keksblech-Werfen in Yale und Harvard längst guter Brauch geworden. Weil ihm der Name gefiel, mit dem die Studenten die Ur-Scheibe bezeichneten, ließ Knerr das Spielzeug 1959 unter dem Namen „Frisbee“ registrieren. Angeblich ohne zu wissen, woher der Name stammte. Ein Jahr nach dem Aus für die alte Bäckerei Frisbie Pie Company aus Bridgeport, Connecticut.

Man könnte nun vermuten, dass auch die Geschichte an diesem Punkt endet, sich bestenfalls noch zu einem Appell aufschwingt, der dazu aufruft, die beinahe grenzenlosen und brachliegenden Müllmöglichkeiten der Gegenwart auszuloten, lustige Partyspiele mit Currywurstschalen und Pommesgabeln. Aber das tut sie nicht. Dies ist eine seriöse Geschichte.

In der deshalb erwähnt werden muss, dass es Menschen gibt, die durchaus wissen, was sie tun, wenn sie den raffinierten Plastikbruder eines nordamerikanischen Backblechs zur Hand nehmen und ihn beherzt in die Luft schleudern. Die das Ganze sogar als ernst zu nehmenden Sport betreiben, der unter dem Namen „Ultimate Frisbee“ läuft. Keine zehn Jahre nach dem Auftauchen der kommerzialisierten Frisbie-Scheibe wurde 1964 die International Frisbee Association (IFA) gegründet. 1968 präsentierten Studenten der Columbia High School in New Jersey Ultimate Frisbee als Mannschaftssportart, eine Disziplin, die Elemente des amerikanischen Basketballs und Footballs in sich vereint. Seit 1983 finden sogar Weltmeisterschaften statt.

Dazu braucht es zunächst einmal ein Spielfeld von 64 Metern Länge und 37 Metern Breite. Die Endzonen des Felds betragen zusätzlich jeweils 18 Meter, was 100 Meter Gesamtlänge macht. In der Halle spielen fünf gegen fünf, auf dem Feld sieben gegen sieben Spieler. Um einen Punkt zu machen, muss man die Scheibe in der gegnerischen Endzone fangen. Im Spiel darf die Scheibe maximal zehn Sekunden gehalten werden; wer sie hält, darf sich nicht mehr von seinem Standort wegbewegen. Das Spiel endet, wenn eine Mannschaft 19 Punkte erreicht hat.

Zu den besonderen Goodies aller Frisbee-Varianten gehört, dass es keine Schiedsrichter gibt. Irgendwie wäre die Vorstellung auch albern bei einem Sport, der seine Tradition darauf zurückführt, dass Studenten auf einem amerikanischen Universitätscampus eines Tages auf die Idee verfielen, sich mit Abfall zu bewerfen. Als kleinlich muss es allerdings jeder, der einmal Opfer einer Parkjungfrau geworden ist, empfinden, dass die Spieler sich während der Partie nicht einmal berühren dürfen.

Der Rekord für den weitesten Frisbeewurf liegt bei exakt 250 Metern und wird von Christian Sandstrom aus Schweden gehalten. Neben den USA und Kanada gilt Skandinavien als Frisbee-Mekka. In Deutschland gibt es rund 2000 aktive Spieler, die in 70 Vereinen und Gruppen organisiert sind, weltweit sind es mehr als 100 000. Geworfen wird, was gefällt, die original Wham-O-Scheiben, Discs, die im Dunkeln leuchten oder unter Wasser flitzen.

Beim „Frisbee-Golf“ zählt zu den Voraussetzungen für das Spielfeld, dass es sich als „Hindernisparcours“ eignen muss, Park oder Wald oder hügeliges Gebiet, wobei die Hindernisse nicht zwingend aus Menschen, sondern auch aus Bäumen bestehen dürfen. Es gibt unterschiedliche Scheiben für unterschiedliche Spielsituationen, die in Gewicht und Beschaffenheit variieren: Driver, Midrange, Putter. Als Ziele für die Scheibe können neben dem offiziellen Wettkampf-Disc-Golf-Korb in 1,40 Meter Höhe auch Mülleimer oder Pfosten gewählt werden. Bei dieser Variante werfen die Spieler abwechselnd in Richtung Zielkorb. Weitergespielt wird an der Stelle, an der die Scheibe zuletzt liegen geblieben ist. Eine Art anarchisches Mini-Golf-Spiel.

Die Variante Friskee zeichnet sich dadurch aus, dass zwei Mannschaften mit mindestens drei Spielern versuchen, die Scheibe auf einem ebenen Rasenplatz durch zwei Torfelgen zu bewegen, die einen Durchmesser von circa 70 Zentimetern haben und in etwa 2,40 Meter Höhe fest montiert sind. Das Spielfeld muss mit Pässen überbrückt werden.

Beim Freestyle-Frisbee handelt es sich um das, was uns schon am Baggersee immer genervt hat. Es geht um Posen. Um Delay zum Beispiel, bei dem die rotierende Scheibe auf den Fingernägeln ausbalanciert wird. Oder Body-Roll, bei dem es gilt, die Scheibe über Arme, Beine oder andere Körperteile rollen zu lassen. Brush bezeichnet das Verstärken der Rotation durch Schlagen mit der Hand oder mit dem Fuß, Catch das Fangen der Scheibe unter dem Bein hindurch, hinter dem Kopf oder dem Rücken. Punkte werden für Schwierigkeit, Ausführung und künstlerischen Ausdruck verteilt.

Schließlich kann man auch seinen Hund nach der Scheibe rennen lassen. Seit drei Jahren ist das sogenannte Disc-Dogging auch in Deutschland offiziell als Hundesportart anerkannt, inklusive spezieller Hunde-Frisbees mit hoher Bissfestigkeit. Erfunden wurde allerdings auch diese Variante in den USA, angeblich von einem Mann namens Alex Stein, der Anfang der 70er Jahre während der Pause eines Baseball-Spiels in Los Angeles mit seinem Hund und einer Frisbee-Scheibe über das Feld jagte und so auf die wieder ein Stück weniger begrenzten Möglichkeiten des Sports aufmerksam machte.

Die Internetseite „Zehn gute Gründe für die Einführung von Ultimate Frisbee in den Sportunterricht“ ist nicht mehr zugänglich. Das ist einerseits schade. Andererseits fällt es spontan nicht schwer, auf 100 gute Gründe zu kommen, die dagegen sprechen. Rund 80 davon sind Beulen und blaue Flecken. In der Präambel zur Satzung des Deutschen Frisbeesport-Verbands heißt es, für seine Mitglieder gelte es, „den besonderen Geist zu stärken und zu schützen, der den Frisbeesport auszeichnet. Dieser stellt sich ein, indem im sportlichen Wettkampf im Gegenüber der Partner und nicht der Gegner gesehen wird. Gekämpft wird nur um die Überwindung der eigenen sportlichen und persönlichen Grenzen. Die so entstehende friedliche Atmosphäre verdeutlicht den Anspruch des Frisbeesports, Menschen im gemeinsamen Vergnügen an Geschicklichkeit und Spiel zusammenzubringen, um schließlich im Spiel und durch das Spiel miteinander leben zu lernen.“ Das allerdings klingt gut und überzeugend. Vielleicht habe ich der Scheibe in der Vergangenheit Unrecht getan. Bestimmt sogar. Natürlich wirft diese Geschichte schwierige Fragen auf. Handelt es sich etwa beim Song „Das Blech“, mit dem die Gruppe Spliff 1982 einen Hit landete, um eine subtile Anspielung auf die Entstehungsgeschichte der Frisbee-Scheibe? Müssen wir die hintergründige Textzeile „Sie rütteln sich und schütteln sich, es geht squbidububabeludidudum – da fliegt mir doch das Blech weg“ vor diesem Hintergrund völlig neu bewerten? Und war das Tortenattentat des Kommune-1-Mitbegründers Fritz Teufel auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey am Ende gar kein revolutionärer Akt, sondern nur Resultat einer missverstandenen Gebrauchsanweisung? Hat er vergessen, die Torte zu entfernen? Wollte Teufel nur spielen? Fragen über Fragen. Und vor uns ein langer Sommer, um Antworten darauf zu finden. Die Ufos fliegen nicht mehr

Unter der Käseglocke (taz)

Unter der Käseglocke
Zwei Freies-Radio-MacherInnen haben beim G-8-Gipfel Medienvertreter beäugt: Viele blieben lieber unter sich und schrieben bei den Agenturen ab

5.000 JournalistInnen an der Ostsee: Der G-8-Gipfel war auch ein Medienereignis. Wiebke Dierkes (25) und Jochen Lüttich (29) vom Freien Radio Unerhört aus Marburg haben die Arbeit der Medienmeute kritisch begleitet.

taz: Dreadlocks, Sandalen, T-Shirt - vom Rest der JournalistInnen im G-8-Pressezentrum in Kühlungsborn haben Sie sich deutlich unterschieden.

Jochen Lüttich: Klar sind wir hier und da mal beäugt worden. Vor allem in Heiligendamm waren wir alles andere als overdressed. Die anderen Journalisten waren da im Anzug und stets superchic gekleidet.

Sie waren als Mitarbeiter eines Freien Radios beim G-8-Gipfel. Was war Ziel Ihrer Berichterstattung?

Wiebke Dierkes: Wir wollten hauptsächlich herausfinden, wie die Medien hier vor Ort arbeiten. Dafür haben wir mit vielen Kollegen gesprochen, auch wenn uns das nicht leichtgefallen ist.

Warum? Es sind doch auch nur Journalisten.

Dierkes: Es war gar nicht so leicht auszuwählen, wen wir ansprechen sollten. Wir haben dann gleich selbst so komische Kriterien entwickelt: Sieht der nett aus? Redet die mit uns? Was hat die an? - Absurd, eigentlich.

Sie haben drei Tage die KollegInnen beobachtet. Haben die ihren Job gut gemacht?

Dierkes: Ich fand sehr auffällig, dass sich die Journalisten zum Teil nur aus den Quellen bedienten, die die Leute draußen auch bekommen: Die standen vor den Bildschirmen im Pressezentrum und haben die O-Töne und die Bilder aus dem Fernsehen abgegriffen. Außerdem hatten alle akkreditierten Journalisten die ganze Zeit über freien Zugriff auf die Nachrichtenagentur dpa. Ich glaube nicht, dass alle die paar Kilometer nach Heiligendamm gefahren sind, um sich selbst ein Bild vor Ort zu machen. Hier wurde Material übernommen ohne es noch mal zu prüfen. Das finde ich schon bedenklich.

Wie haben Sie sich das denn vorgestellt? Dass knapp 5.000 Journalisten gleichzeitig zu den Pressekonferenzen laufen …

Dierkes: Nein, das nicht. In meinen Augen war das aber so eine Art medialer Event-Tourismus. Das finde ich albern, denn letztendlich macht es das Ereignis viel wichtiger, als es tatsächlich ist. Diese ganze Fixierung auf die Personen der G 8, auf das Familienfoto, auf die Fotos vom Aperitif: Das ist doch absurd. Es gibt spannendere und viel wichtigere Themen, über die man eigentlich hätte berichten können. Ich hatte ständig den Eindruck, das ganze Pressezentrum sei eine riesige Käseglocke. Wenn man nicht mitbekommen wollte, was draußen passierte und sich damit zufrieden gab, was man reingereicht bekam, konnte man hier auch ganz normalen Standardjournalismus machen.

Sie waren Grenzgänger: Bekannte von Ihnen haben gegen den Gipfel demonstriert - Sie standen auf der anderen Seite des Zauns. War das für Sie ein Konflikt?

Lüttich: Am letzten Tag gab es direkt vor dem Pressezentrum noch einmal eine Protestaktion der Clowns-Armee. Ein paar Leute sind dabei auch in Gewahrsam genommen worden. Diese Situation war besonders blöd. Wir kannten einen von den Leuten, die da abgeführt wurden. Wir standen also durchaus immer wieder vor Bekannten.

Dierkes: Bei dieser Demo habe ich mich ziemlich aufgeregt: Wir wollten mit den Leuten sprechen, wurden aber von der Polizei abgewiesen. Genauso wie ein ARD-Team, das neben uns stand. Ich wollte dann warten, um aufzupassen, dass den Leuten nichts passiert, und um Aufnahmen zu haben, falls etwas passiert. Außerdem wollte ich mich solidarisch zeigen. Aber der ARD-Mensch wollte unbedingt sofort mit den Demonstranten sprechen. "Wenn diese Maßnahme vorbei ist, ist es ja langweilig", hat er gesagt. Dem ging es überhaupt nicht um die Menschen oder deren Inhalte, dem ging es nur um die Bilder. Und das ist genau der Journalismus, der immer solche Proteste bestimmt und den ich echt satt habe.

Wie macht man es dann besser?

Dierkes: Den besten Journalismus macht man eigentlich am besten selber: Jeder kann mehr oder weniger aufschreiben, was er gesehen hat. Das machen Journalisten auch nicht anders. Und ich weiß immer noch am besten, wo was passiert und wie ich das zu beurteilen habe. Sobald ich eine Zwischeninstanz habe, wie zum Beispiel eine Agentur oder einen Journalisten, droht alles zu versickern.

Bleibt da nicht der Leser auf Strecke? Der müsste sich dann ja aus zahlreichen unterschiedlichen Quellen informieren. In einer Zeitung steht dagegen schon alles schön aufbereitet in einem Text.
Dierkes: Ja, aber im klassischen Journalismus fehlt auch was, das wird oft vergessen. Das Problem ist ja, dass die Presse als Wahrheit gilt. Aber das ist sie nicht, sie bringt nur die Sichtweise von Journalisten, die auch Sachen weglassen. So viel Vertrauen habe ich aber in die mündigen Rezipienten, dass sie das auf dem Schirm haben und lernen, mit Information umzugehen.
INTERVIEW: PHILIPP DUDEK
taz vom 11.6.2007, S. 18, 163 Z. (Interview), PHILIPP DUDEK

Der Zweifel fährt mit (Tagesspiegel)

Doping im Radsport
Der Zweifel fährt mit
Von Frank Bachner 09.06.2007 16:51 Uhr

Berlin - Einen genauen Terminplan gibt es wahrscheinlich noch nicht, aber Erik Zabel wird bald auftauchen. Das hat er versprochen. Er wird an Elite-Sportschulen und an Olympiastützpunkten über Doping reden. Er will aufklären, warnen, vorbeugen. Er wird über sich erzählen. Über die Geschichte des Rad-Profis Zabel, Dopingsünder. Er hat die Geschichte schon mal erzählt, weinend, aufgewühlt, vor einem Dutzend Kameras. Die Geschichte geht so: Der Telekom-Radprofi Zabel, exzellenter Sprinter, habe eine Woche lang Epo genommen, weil das doch alle nahmen. Aber dann kamen die Nebenwirkungen – „erhöhte Körpertemperatur, niedrigeren Ruhepuls morgens, Übelkeit“ –, und er habe das Zeug wieder abgesetzt. Neben Zabel saß sein früherer Team- und Zimmerkollege Rolf Aldag, gestand jahrelangen Epo-Konsum und sagte, er habe von Zabels Doping-Versuch nichts gewusst. Zabels Karriere schadete der angebliche Verzicht auf Epo nichts. Punktbester bei der Tour de France 1996 bis 2001, viermal Sieger von Mailand – San Remo (1997, 1998, 2000, 2001), Sieger Amstel Gold Race (2000). Sieger Paris – Tours (2003, 2005). Erik Zabel, ein sportlicher Star, auch ungedopt. Dieses Bild zeichnet er. Auch Jef d'Hont, der frühere Telekom-Masseur, der mit seinem Enthüllungsbuch die Geständnis-Welle erst ausgelöst hatte, erklärte: „Zabel war einer der saubersten Athleten seiner Generation. Ein einziges Mal hat er sich vor und während einer Tour de France einer Epo-Kur unterzogen. Danach wollte er noch nicht einmal die Minimum-Einheiten haben. er siegte weiterhin,(...), sein Körper blieb sauber.“

Aber es gibt viele Leute, die sehr daran zweifeln, dass Zabel die ganze Wahrheit gesagt hat. Zum Beispiel ein früherer, erfolgreicher Profi, der seinen Epo-Konsum auch eingestanden hat, der aber ungenannt bleiben möchte. Dem Tagesspiegel sagte er: „Die Nebenwirkungen, die Zabel da erwähnte, habe ich noch nie von irgendwelchen anderen Fahrern gehört. Und dass beste Freunde und Zimmerkollegen vor 1998 nichts voneinander gewusst haben, ist ein absoluter Witz. Jeder in einem Teams hat gewusst, wer dopt und wer nicht.“ Aldag und Zabel haben aber klar gesagt, keiner habe vom anderen etwas gewusst. Der Profi, der ihnen das nicht glaubt, ist selber Mailand – San Remo gefahren, den 290-Kilometer-Klassiker mit dem giftigen 3,7-Kilometer- Steilstück Poggio am Ende. Der Profi sagt: „Ich hätte nie und nimmer ohne Epo nach mehr als 280 Kilometern in der Spitzengruppe den letzten Berg hochfahren können.“ Zabel dagegen sagt, er sei nur bei der Tour de France 1996 gedopt gewesen.

Aber auch Dieter Quarz, Radsporttrainer mit Diplom und langjähriger Dopingexperte mit besten Kontakten zur Profiszene, sagt: „Ich habe größte Zweifel an Zabels Angaben.“ Denn am Poggio, bei teilweise sieben Prozent Steigung, fahren die Profis mit rund 30 Stundenkilometern den Berg hoch und treten dabei im Schnitt rund sechs Minuten lang über 400 Watt. „Allein das ist schon abartig, nach rund 280 Kilometern“, sagt Quarz. „Wenn sie dann auch noch Attacken machen, kommen sie bis auf 600 Watt. Diese Leistung ist trainingsmethodisch allein nicht mehr zu erklären.“ Der Schweizer Manfred Nüscheler, der hoch angesehene biomechanische Untersuchungen bei Radprofis vorgenommen hat, sagt: „Wenn einer in Führung liegend den Poggio hochfährt und dann noch gewinnt, ist das meiner Ansicht nach sauber fast nicht machbar. Das könnte nur gehen, wenn einer im Windschatten fährt und so Kraft spart.“ Doch Windschatten ist am Poggio kaum zu spüren, sagt Quarz: „Da kämpft sich im Prinzip jeder allein hoch, da ist kaum Windschatteneffekt. Falls leichter Wind von der Seite kommt, sowieso nicht.“ Zabel gewann Mailand – San Remo viermal. Nach seinen Angaben immer ungedopt. Auch das Amstel Gold Race gewann Zabel. Ungewöhnlich für einen Sprinter. Die Strecke hat 26 Steigungen, 3000 Höhenmeter sind zu überwinden. „Ein sehr anspruchsvolles Terrain“, sagt Quarz. „Man findet keinen Rhythmus, und das ist nach 250 Kilometern schon brutal.“ Das könne sich kein Fahrer im Feld verstecken und im Windschatten mitrollen. Der Schweizer Rolf Järmann hat das Amstel Gold Race zweimal gewonnen – er gestand Epo-Doping. Bjarne Riis hat einmal gewonnen – auch er gab Epo-Konsum zu.

Am bemerkenswertesten empfand Quarz allerdings eine Szene bei der Tour de France Mitte der Neunzigerjahre. Er erinnert sich, dass Zabel im Grünen Trikot des Punktbesten „am Ende einer Bergetappe zu der Gruppe auffuhr, in der die Führenden der Gesamtwertung waren und richtig Gas gegeben haben“. Da, sagt Quarz, „habe ich nur noch den Kopf geschüttelt. Trainingsmethodisch kann man das nicht erklären.“ Vor allem habe Zabel ja auch bei den Mannschaftszeitfahren mithalten müssen. „Andere Telekom-Profis gaben Doping zu, und Zabel hielt ungedopt mit, das soll gehen?", sagt Quarz ironisch. Nach Zabels Angaben war es aber so.

Auch Horst Pagel, Stellvertretender Direktor des Instituts für Physiologie an der Uni Lübeck und einer der profiliertesten deutschen Epo-Forscher, sagt: „Mir kommt die Erklärung von Zabel sehr ungewöhnlich vor. Denn kurzfristig gibt es bei Epo keine Nebenwirkungen. Sie sind nur langfristig erkennbar, und dabei handelt sich in erster Linie um Bluthochdruck.“ Die erhöhte Körpertemperatur die Zabel als Grund für sein Abbrechen des Epo-Konsums benannte, überzeugt ihn nicht: „Diese Begründung ist viel zu allgemein. Diese Symptome hängen aber ganz sicher nicht ursächlich nicht mit Epo zusammen.“ Auch Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Pharmazeutische Forschung in Nürnberg, der die umfassendsten Epo-Studien in Deutschland gemacht hat, sagt: „Die Erklärung Übelkeit ist mir zu lehrbuchhaft. Das kommt mir so vor, als hätte sich da einer erkundigt, was man als Nebenwirkung nennen kann. Das ist zu wenig individuell. Dass jemandem übel wird, beobachten wir immer wieder." Aber aus Zabels Sicht waren die Symptome bei ihm nun mal zu bemerken. Der Dopingexperte Ralf Meutgens, Herausgeber des Buchs „Doping im Radsport“, muss beim Gedanken an Zabels Outing sogar lachen: „Das war eine Showveranstaltung. Ich halte den ganzen Auftritt für inszeniert. Die haben genau darauf geachtet, dass ihnen nichts mehr passieren kann. Sowohl sportpolitisch wie auch strafrechtlich ist alles verjährt. Die haben doch nur einen kleinen Ausschnitt dessen zugegeben, was damals genommen wurde.“ Sattsam bekannt sei es, dass viele Profis neben Epo auch Wachstumshormon und Insulin genommen haben. Zabel betont aber, dass er nur eine Woche lang Epo konsumiert habe. Erik Zabel als Aufklärer an Schulen? Da bekommt die Stimme von Gert Hillringhaus einen harten Klang. Hillringhaus ist Cheftrainer des Radsportteam Lübeck, er arbeitet in der Doping-Prävention, seine Thesen zur Aufklärung in Sachen Doping sollen ins Trainingskonzept des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) aufgenommen werden. Hillringhaus ist vom Fach. Er sagt zornig: „Man darf ehemalige Gladiatoren nicht zu Ordensrittern im Kampf gegen Doping schlagen.“ Der Zweifel fährt mit

„Sie sollen uns damit in Ruhe lassen“

G-8-Gipfel
„Sie sollen uns damit in Ruhe lassen“
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Daniel Cohn-Bendit. Foto: Kai-Uwe Heinrich
09.06.2007 16:24 Uhr
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Herr Cohn-Bendit, wenn Ihr Sohn sich beim nächsten Gipfel der G 8 an Blockaden beteiligen wollte, was tun Sie?
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Ich würde mit ihm diskutieren. So ist das Leben, was sollte ich denn sonst machen? Der älteste Sohn meiner Frau war jetzt dort, da muss man sich eben auseinandersetzen über die Argumente gegen den Gipfel, die ja durchaus widersprüchlich sind.Warum?Man kann nicht einerseits sagen, die G 8 sind nicht legitim, Entscheidungen zu fällen, dann aber sagen, die sollen doch jetzt mal Entscheidungen fällen. Zum Beispiel zum Klima. Das ist das Problem. Waren Sie dafür, dass der Sohn Ihrer Frau zum Gipfel-Protest fährt?Das entscheidet er schon selbst, er ist 28. Ich bin ja nicht der oberste Zensor, der sagt, das ist richtig oder falsch.Sie fühlen sich mit 62 Jahren anscheinend zu alt, um zu demonstrieren. Sie diskutieren lieber auf dem Kirchentag. Warum waren Sie nicht in Rostock?Weil ich in Rostock die ganze Ambivalenz für falsch halte, die da heißt: Weg mit dem Dreck einerseits. Und andererseits: Her mit der Kohle für Afrika. Gipfel und Gegengipfel sind falsch.Mit welchen Worten hätten Sie sich denn in Rostock einen der jugendlichen Gewalttäter zur Brust genommen?In Rostock wäre es zu spät gewesen für Worte. Im Vorfeld hätte man sich viel klarer auseinandersetzen müssen. Wenn die sagen, wir gehören alle zu einer Bewegung und haben nur unterschiedliche Strategien, dann akzeptiert man, dass es Gruppen sind, die eben ihre eigene Agenda haben.Die Bewegung hat sich nicht rechtzeitig distanziert von Gewalt?Das ist mir ein bisschen zu kurz gegriffen. Im Vorfeld nicht über die unterschiedlichen Formen des Protestes gründlich gestritten zu haben, war ein grober Fehler. Wenn man aber alles unter dem Deckmantel „Wir sind eine Bewegung“ zulässt, ist es zu spät. Wie in Rostock. Welchen Sinn macht friedlicher Protest, wenn er im Schatten von Gewalt steht?Er macht nur Sinn, wenn diejenigen, die friedlich protestieren, sich wirklich aus Überzeugung dafür einsetzen, dass es friedlich bleibt. Die Kreuzberger Bürger haben es beim 1. Mai selbst geschafft, für mehr Gewaltfreiheit zu sorgen, weil sie die Gewaltbereiten ausgegrenzt haben. Das muss die Rolle von Demonstranten sein, sie dürfen sich nicht nur in Erklärungen gegen die Militanten wenden, sondern müssen es auch auf der Straße tun. Nur dann wird ihnen die Demonstration nicht entgleiten.Schaut man sich die Protestgenerationen der letzten Jahrzehnte an, hat sich da was verändert? Es scheint nichts Spontihaftes mehr da zu sein, die Demonstranten gehen heute vorher in Blockadeseminare wie Manager und trainieren so eifrig wie Jogi Löw die Nationalmannschaft.Nein, das ist Protestkultur, die es schon in den Sechzigerjahren gab, vor allem in Amerika. Die ganze Protestbewegung hat solche Formen hervorgebracht, auch mit den gleichen Vorbereitungen. Joan Baez hat ja eine ganze Friedensuni gehabt, wo genau solche Aktionsformen genau einstudiert wurden.Ist die Gewaltdimension neu?Nein, das glaube ich nicht. Gewalt eskaliert immer dann, wenn die Artikulation des Protestes ambivalent ist. Wenn in einem Flugblatt auch von Attac von den Gangstern der G 8 gesprochen wird, dann hat man die Büchse der Pandora aufgemacht. Dann hat man quasi die radikale Auseinandersetzung mit den Gangstern legitimiert.Kann man denn ohne Ideologie und Programmatik als Bewegung wachsen?Das ist schwierig. Richtig ist, dass eine Empörung auch eine radikale Ideologie braucht. Und je stärker die Empörung, je radikaler und vereinfachend ist die Ideologie. Aber hier muss man aufpassen, dass man nicht verflacht und sich im Kreis dreht. Das merken dann auch die eigenen Leute, und seien wir ehrlich: Es kamen viel weniger Gipfelgegner als erwartet. Protestbewegungen funktionieren wie Ebbe und Flut. Es gibt eine starke Flut, aber dann gibt es Ebbe. Und am Ende wird die Ebbe so stark, das sich die Bewegungen von selbst aufgelöst haben.Kann es bei der Komplexität der Globalisierung überhaupt eine durchgängige Ideologie der Anti-Globalisierungsbewegung geben oder muss sie diffus bleiben?Es gibt schon Dinge, die sind nicht diffus. Die Ungerechtigkeit auf dem Planeten ist nicht diffus. Eine Globalisierung, die nur darauf ausgerichtet ist, eine bestimmte Wirtschaftsform durchzusetzen, ohne dass Menschen die Möglichkeit haben, Herr darüber zu werden, hat fatale Folgen. Die Empörung gegenüber dieser Ungerechtigkeit ist nicht diffus. Es ist leicht zu sagen, ich bin gegen Atomkraftwerke, und ich will eine andere Energieform. Bei der Globalisierung muss man ein alternatives sozialpolitisches System mit entwickeln, das ist viel komplexer, viel schwieriger. Es geht darum, unsere Lebensgrundlagen hier und in der Welt fundamental zu reformieren. So ähnlich sagt das auch Heiner Geißler, und der ist jetzt Attac-Mitglied. Warum nicht Sie?Ach nein, ich bin bei den Grünen, und ich argumentiere auch nicht so allgemein wie Geißler. Wenn man die Ungerechtigkeit wirklich bekämpfen will, muss man beispielsweise die Welthandelsorganisation reformieren. Man muss fragen: Welche ökologischen und sozialen Kriterien spielen eine Rolle in der Regulierung der Globalisierung? Hier streite ich mit einem Teil der Globalisierungsgegner, ich sage: Wir brauchen multilaterale Institutionen wie die WTO, nur muss man sie reformieren, die anderen sagen: weg mit dem Dreck. Das ist falsch.Letztlich sagen viele Bürger, dass sie Angst haben vor dieser Entwicklung, weil es bei der Globalisierung nur Verlierer und Gewinner geben kann. Was sagen Sie denen?Das ist das Empfinden. Man muss Argumente dagegensetzen. Wenn arme Länder in eine Situation kommen, sich selbst ernähren zu können, müssen sie ihre Grenzen schließen, damit subventionierte Landwirtschaft aus Amerika oder Europa nicht ihre Lebensgrundlage raubt. Das nimmt hier niemandem die Angst.Moment. Es erklärt aber die Komplexität. Es hängt eben alles mit allem zusammen. Nehmen wir Burkina Faso, ein kleiner afrikanischer Staat. Da kostet Hähnchenfleisch von dort gezüchteten Hühnern fast doppelt so viel wie das Fleisch von Tierfabriken, das von uns rüberexportiert wird. Und an dieser Stelle müssen wir schauen: Wo schieben wir den Riegel vor, dass die reichen Länder nicht die Möglichkeit haben, alle anderen zu überrollen? Und dass kleine Staaten die Möglichkeit haben, die Globalisierung positiv für sich zu nutzen.In Deutschland gibt es immer weniger Metzgermeister, weil das Fleisch erst von weit her importiert wird oder Tiere in Tierfabriken von osteuropäischen Billiglöhnern zerteilt werden. Die deutschen Metzger sind die Verlierer, die haben Angst. Was sagen Sie denen?Drei Dinge. Erstens: Bio kehrt den Trend zumindest leicht um, das heißt, Qualität wird auch wieder bezahlt. Zweitens: Ja, das sind Defizite auch der Europäischen Union, wo soziale Regelungen nicht so formuliert sind, dass solche Marktverzerrungen verhindert werden. Und drittens: Die deutsche Wirtschaft hätte ohne die Öffnung der Märkte nie so viel exportiert. Die deutsche Wirtschaft profitiert am meisten von der Marktöffnung gerade nach Osteuropa. Das gehört zur Wahrheit und ist eine Erklärung, warum wir Exportweltmeister sind. Wir sind Profiteure dieser Globalisierung.Das sagt Guido Westerwelle auch.Ja, auch er sagt manchmal richtige Dinge. Das muss man auch sagen dürfen. Das bedeutet nicht, dass alle Profiteure sind. Und das wiederum verschweigt Westerwelle vermutlich. Jedenfalls brauchen wir für das Ungleichgewicht in bestimmten Märkten wie der Textilindustrie eine Regulierungsbehörde wie die WTO. Wir haben eine völlige Umverteilung der Handelswege. Nehmen wir China. Die sind Konkurrenz, aber nicht einmal der Arbeitgeberverband würde auf die Idee kommen, chinesische Löhne zu zahlen. Wir sind alle schizophren: Wir sind entsetzt über die Konkurrenz, aber wir kaufen am liebsten die billigen Textilwaren von dort.Aber inzwischen reden wir schon nicht mehr über das T-Shirt aus Bangladesch oder Fernseher aus Japan, sondern über viel hochwertigere Endprodukte aus China.Halt. Wir sind Exportweltmeister. Die ganze erneuerbare Energie ist in Deutschland entwickelt worden, und das ist ein Exportboom. Wir können unser Know-how und unsere Qualifikation auf dem expandierten Weltmarkt einbringen, um auf einer anderen Ebene zu konkurrieren als Länder, die Billiglöhne haben oder Qualitätsprodukte mit noch geringerer Produktivität. Jürgen Klinsmann hat mal gesagt, die Deutschen seien zu selbstzufrieden. Wir ruhen uns aus auf alten Erfolgen und wollen nicht mehr das gleiche investieren für neue Erfolge. Stimmt das?Ich würde nicht „die Deutschen“ sagen. Was ich dazu meine, gilt für Europa. Unser Problem ist doch, dass wir einen Lebensstandard entwickelt haben mit einer bestimmten Produktionsweise in einer bestimmten Welt. Und jetzt spüren viele von uns zum ersten Mal, dass dieser Lebensstandard nicht mehr zukunftsfähig zu sein scheint, dass die Kinder nicht mehr weiter ihr Leben verbessern werden können. Das macht Angst. Und das verstehe ich auch. Die Menschen sind für radikale Reformen meist nur unter der Bedingung zu haben, dass sich für sie selbst nichts ändert.Klinsmanns Motivationsschule funktioniert hier nicht?Er setzt auf Mystik, das funktioniert auch im Fußball nur kurze Zeit, in der Gesellschaft gar nicht. In der Gesellschaft müssen sie den Menschen das Vertrauen geben, dass Probleme auch kollektiv gelöst werden. Wir haben eine individualisierte Gesellschaft, die parallel auch egoistisch ist. Und wir, die Politik, haben es nicht geschafft, den Individualismus zu paaren mit Solidarität und ökologischem Bewusstsein. Das ist das Problem unserer modernen Gesellschaft.Lassen Sie uns noch einmal auf den vergangenen G-8-Gipfel kommen. Ist ein solches Ereignis mit einzelnen Delegationen von bis zu 1000 Personen noch zeitgemäß?Nein. Es ist absurd und irreal. Ich schlage vor, die sollen einen Luxusdampfer mieten, nicht Bescheid sagen, wo sie draufgehen, nicht Bescheid sagen, wo sie wieder runtergehen. Die sollen drei Tage mit Ehefrauen verbringen und uns damit in Ruhe lassen, weil ja nichts Substanzielles rauskommt. Ich finde, Helmut Schmidt hat recht, wenn er beklagt, es fehlen die erdölproduzierenden Länder, es fehlen die armen Länder. Und wenn ich das alles sage, dann sind wir schnell wieder bei der WTO oder den UN als Forum.Könnte man nicht umgekehrt sagen: Dieses Spektakel bietet Gegnern und Befürwortern eine großartige Bühne und obendrein die Möglichkeit zum Dialog?Gut. Beim Dialog bin ich dabei. Aber dann sage ich Ihnen, dann werden Bush, Blair, Merkel mehr davon haben, wenn sie zwei Tage nicht zu acht, sondern vielleicht jeweils zu viert mit den Vertretern der acht ärmsten Staaten wirklich für zwei Stunden mal einen Dialog führen. Ich glaube, es wäre spannend, wenn die G-8-Länder mal einen ganzen Tag verbringen würden mit Palästinensern und Israelis und mit denen ruhig diskutieren würden. Dialog ja, aber er darf nicht ins Leere laufen.Und wie hat Ihnen Frau Merkel gefallen?Sie hat einen diplomatischen Kompromiss als inhaltlichen Erfolg verkauft. Aber Fortschritte im Klimaschutz haben wir noch nicht erreicht. Und deswegen brauchen wir die sozialen Bewegungen, die die Politik zum Handeln zwingen.Das Gespräch führten Albrecht Meier und Armin Lehmann. „Sie sollen uns damit in Ruhe lassen“ „Sie sollen uns damit in Ruhe lassen“
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Friday, June 08, 2007

Kröten-Golf (taz)

gurke des tages
Kröten-Golf - das ist ein Wettbewerb in der australischen Gemeinde Townsville, in dem gewinnt, wer eine Kröte mit dem Golfschläger möglichst hart trifft und weit schleudert. Tierschützer sind empört über eine Werbekampagne, die Kröten-Golf auf Bierdeckeln anpreist. "Wir sehen ein, dass die Kröten am besten beseitigt werden, sie aber mit Golfschlägern zu traktieren, löst das Problem nicht", sagte ein Vertreter des Tierschutzvereins. "Das leitet junge Leute zur Tierquälerei an." Die Tiere, gelten in Australien als Landplage.

Ganz viel Frieden (taz)

Ganz viel Frieden
Kein Aufruf zum Krieg, keine Belege für Steinewerfer: Die Berichterstattung der Nachrichtenagenturen zu den G-8-Protesten strotzt vor Fehlern
AUS KÜHLUNGSBORN MALTE KREUTZFELDT

"Friedliche Proteste erneut eskaliert." "Steine flogen in Richtung von Polizisten." Mit diesen oder ähnlichen Sätzen begann am Donnerstag die Berichterstattung vieler Medien über die Sitzblockaden bei Heiligendamm, an denen sich am Mittwoch viele tausend Menschen beteiligt haben. Die dramatischen Aussagen beruhen meist auf Meldungen der großen Nachrichtenagenturen dpa (Deutsche Presseagentur) und AP (Associated Press). Bei den OrganisatorInnen der Proteste und vielen vor Ort anwesenden JournalistInnen sorgen die Meldungen für Verwunderung: Bei den großen Sitzblockaden blieben die Demonstranten nach übereinstimmenden Aussagen friedlich. Steine hat dort niemand fliegen sehen.

Wie sind die Meldungen zustande gekommen? "Die Angaben über Steinwürfe beruhen ausschließlich auf Angaben der Polizei", sagte dpa-Sprecher Justus Demmer am Donnerstag zur taz. Obwohl die Agentur mit mindestens 15 Mitarbeitern bei den Protesten vor Ort war, habe kein Reporter etwas davon mitbekommen. Auch Fotos von Ausschreitungen gebe es bei dpa nicht. In den ersten Meldungen hatte dpa noch geschrieben, dass es "nach Angaben der Polizei" zu Steinwürfen gekommen sei. In späteren Zusammenfassungen fiel diese Einschränkung weg - wohl aus Zeitdruck und Personalchaos. Plötzlich las sich scheinbar neutral: "Polizisten schlugen mit Gummiknüppeln zurück, als Steine auf sie niedergingen." Auch AP berichtete über die Steinwürfe aus der Sitzblockade heraus in späteren Zusammenfassungen ohne Nennung einer Quelle.

Die Berichterstattung habe auch intern durchaus für Kontroversen gesorgt, räumte dpa-Sprecher Demmer ein. "Wir sind in der Diskussion, ob das handwerklich korrekt war." Ähnlich die Situation bei AP: "Unsere Angaben beruhten ausschließlich auf Angaben der Polizei. Wenn die Quelle nicht dabei stand, ist das nicht hundertprozentig in Ordnung", sagte AP-Chefredakteur Peter Gehrig zur taz.

Öffentlich entschuldigt hat sich die Deutsche Presseagentur unterdessen für einen fehlerhaften Bericht von der Abschlusskundgebung bei der Demonstration am vergangenen Samstag in Rostock. Ein dpa-Korrespondent hatte geschrieben, dass ein Redner während der Ausschreitungen "die militante Szene noch mit klaren Worten aufstachelt" und ihn mit folgenden Worten zitiert: "Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts." Viele Zeitungen brachten dieses Zitat am nächsten Tag sogar als Überschrift. Später erklärte dpa dann, es habe sich um einen Übersetzungsfehler gehandelt; der Redner - es handelte sich um den prominenten Globalisierungskritiker Walden Bello, Träger des Alternativen Nobelpreises - habe lediglich gegen den Irakkrieg protestieren wollen. Nach Sichtung eines Mitschnitts der Rede musste die größte deutsche Presseagentur dann einräumen, dass das angebliche Zitat nie gefallen war. "Die sinnentstellte Fassung des Zitats in den Meldungen der dpa ist auf einen Übermittlungsfehler zurückzuführen, für den dpa allein die Verantwortung trägt. […]. Wir bitten - auch mit Blick auf den betroffenen Redner Walden Bello - um Entschuldigung", schreibt dpa in einer Erklärung. Was dieser tatsächlich gesagt hatte, war nämlich das Gegenteil von aufstachelnd: "Ohne Frieden gibt es keine Gerechtigkeit."

G-8-Beilage SEITE 25
taz vom 8.6.2007, S. 13, 115 Z. (TAZ-Bericht), MALTE KREUTZFELD

Thursday, June 07, 2007

Ein Chapeau den G-8-Blockierern (taz)

Ein Chapeau den G-8-Blockierern

Am Zaun von Heiligendamm wird nicht die Weltrevolution gewonnen. Auch der Neoliberalismus wird nicht final besiegt. Noch nicht einmal die Tobinsteuer kann herbeidemonstriert werden. Es geht darum, wer im Kampf der Bilder gewinnt. Denn der mitsamt dem dazugehörigen Spindoctorship ist das, worum sich heute zwar nicht alles, aber sehr viel dreht im Hegemoniewettstreit der Ideen.

Wenn sich die Lage nicht mehr dramatisch wendet, ist der Bilderkampf seit Mittwochnachmittag entschieden. So schnell kann es kippen: Tagelang war vom autonomen Gewaltexzess die Rede, mit dem fulminanten Erfolg der Block-G8-Aktionen ist alles anders geworden. Welch wunderbaren Bilder produzierte die Bewegung! Junge, fröhliche, trickreiche Leute in Kornfeld und Heidelandschaft, die sich nicht verscheuchen ließen, aber ebenso entschlossen waren, die Grenzen zu wahren. Und dazu der symbolische Triumph: der Landweg zum Gipfel abgeschnitten; der Gipfeltross, der von der Marine auf dem Seeweg in die Heiligendammer Hochsicherheitszone gebracht werden muss. Zuletzt hat das in Seattle so gut geklappt. Ein Chapeau denen, die das orchestriert haben.

Da kann man sich auch wegzerren lassen, zumal wenn die Wegzerrer Bilder produzieren wie die der groben, roh zupackenden Einsatzpolizisten in ihren Kampfmaschinenoutfits. Man fragt sich, wie dumm die eigentlich sind. Ein bisschen Medienbewusstsein kann man heute bei jedem Kleingärtner voraussetzen. Polizeieinsatzleitern dagegen verschwenden offenbar keinen Gedanken darauf, welche Figur ihre Leute in den Abendnachrichten machen. Dazu als Krönung: 1.000 Verletzte, rund 500 verletzte Polizisten, davon 20 schwer, hieß es nach Rostock. Jetzt wissen wir: Die zählen jede Bänderdehnung als schwere Verletzung. Zu den leichten Verletzungen zählt Augenreizung. Dabei zählt das doch eher zu Selbstverstümmelung beim Tränengasverschießen.

Nach diesem überzogenen Spindoctorship von "hunderten Verletzten" glaubt denen künftig keiner mehr etwas. Nicht einmal gutgläubige Leute wie ich, die bisher vorausgesetzt hatten, dass die Regeln moderner Kommunikationsstrategien mittlerweile auch die Behördenseite kennt.

taz vom 8.6.2007, S. V, 74 Z. (Kommentar), ROBERT MISIK

Hooligandamm (Tagesspiegel)

Hooligandamm
Von Caroline Fetscher 06.06.2007

Wie denn so die Stimmung sei im "schwarzen Block", wollte eine Reporterin der "taz" diese Woche von einem Demonstranten wissen. Dessen Wunsch war es, anonym zu bleiben. Er gab zur Antwort: "Man guckt sich an, sieht Sonnenbrillen und schwarze Kapuzen und erkennt, man gehört zusammen." Man erkenne einander, schwärmte der Mitte-Zwanzig-Jährige, offenbar nach Worten ringend, "am Nichterkennen". Das sei "ganz, ganz eigenartig", gab er zu. "Aber es gibt dieses verbindende Gefühl." Uns, dem Medienpublikum, haben sie nun noch mehr Krawall in Aussicht gestellt, die Regisseure und Randalisten der Inszenierung "schwarzer Block", Leute, die sich - wenn sie denn gelegentlich sprechen - relativ diffus als Anarchisten oder Syndikalisten, radikale Linke, Radikale, Anarcho-Autarkisten, autonome Anarchisten und vieles mehr bezeichnen.

Tausende der Demonstranten, die in und um Rostock gegen den G-8-Gipfel protestieren, hatten sich komplett in Schwarz gekleidet, ihre Gesichter mit schwarzen Motorradhelmen, Sonnenbrillen, Schals oder Skimasken verhüllt. Steinewerfen und Glas splittern lassen, Pflaster aufreißen, Marschieren und Brüllen gehören zu ihren Aktivitäten. In der Tat ist es "ganz, ganz eigenartig", dass diese Leute aneinander das Nichterkennen als Merkmal schätzen. Sowohl medial wie auch sozialpsychologisch stellt der "schwarze Block" ein hochinteressantes Phänomen dar. Als Gespenst des Gipfels geistert er dieser Tage durch die Nachrichten, um das Treffen der Mächtigen in Heiligendamm in ein Hooligandamm zu verwandeln, mittels einer beabsichtigten Unheimlichkeit, sozusagen anhand von kalkulierter schwarzer Magie.

Obwohl der "schwarze Block", anders als mediale Erscheinungen wie der "Blaue Bock", weder einen Sprecher, einen Sänger noch ein Gesicht hat, obwohl er nicht über ein Manifest verfügt noch einen "schwarzen Blog" unterhält oder eine andere Website, fasziniert er Redaktionen und Kameraleute. Neben dem Warten auf Krawattenmänner und eine Kostümfrau, die hinter verschlossenen Türen debattieren werden, neben den bunten Bildern, die die Regenbogen-Protestler bieten, mutiert der "schwarze Block" mit seinen jugendlichen, überwiegend männlichen Freizeit-Guerilleros aus ganz Europa und angeblich sogar aus Japan zum Medienereignis. Interessant daran ist, wie der "Block" sich selbst zur Aussage wird - seine Teilnehmer bilden keinen Verein, sie sammeln keine Spenden, streiten nicht um individuelle Aufmerksamkeit, sondern um das Wahrgenommenwerden als solches. Da sie sich weder verbal kohärent artikulieren noch einlösbare Forderungen stellen, werden sie selbst zur Botschaft, und operieren als politische "Black Box", ein Ausdruck, der aus der militärischen Fernmeldetechnik kam. So hieß erbeutetes Feindgerät, das Sprengstoff enthalten konnte.

Seine Botschaft zu dechiffrieren, überlässt der "schwarze Block" den anderen, wie ein Träumender einen Albtraum. Beim Versuch, die Botschaft zu analysieren, muss man sich zunächst am Augenschein orientieren. Schwarz tritt als Farbe hier von Kopf bis Fuß veräußerlicht auf, und in unserem kulturellen Kodex symbolisiert Schwarz das Negative, das Negierende. Es zeigt Nacht und Tod an, auch Ablehnung und Gewalt, oder die dunklen Seiten des Eros, wovon Sado-Maso-Rituale Gebrauch machen. Auf Friedhöfen, bei feierlichen Anlässen und in Diktaturen dominiert Schwarz in der Kleidervorschrift oder bei Uniformen, siehe die "Schwarzhemden" in Italien. "Hasskappen" nennt die Block-Szene ihre Kopfbedeckung gern, ein Indiz für den basalen Affekt, der über das bloße Nein hinausweist. Furchterregend soll das namenlose und gesichtslose Gothic-Kollektiv wirken, das da dieser Tage auftritt. Seit den 80er Jahren formieren sich schwarze Blöcke am Rand von Demonstrationen, im eklatanten Widerspruch zur Mainstream-Symbolik von Protest. Munter beruft sich der Mainstream auf Buntes, auf Farben, Regenbögen, Vielfalt und multikulturelles Miteinander, das oft karnevalesk auf die mediale und lokale Bühne gebracht wird. In dem Mikrokosmos kommen Lichterketten und Luftschlangen zum Einsatz, selbst gemalte Plakate, Masken, Fingerfarben, Pappmaché-Figuren, und, wie an der Ostsee, Aktionen, die mit Nacktheit spielen oder mit Blumen oder mit Baden und Booten.

Als wollten sie die Schattenseite, das Unbewusste dieses Protest-Kinderladens aber auch das der "Mächtigen" illustrieren, formieren die Leute vom "schwarzen Block" sich zum düsteren Gegenbild des Gipfels und des Faschings. Sie verstoßen gegen das Gesetz "Vermummungsverbot", sie bilden eine homogen anmutende Inszenierung von Widersprüchen. Mitten in der Unkenntlichkeit hoffen sie zugleich unbedingt darauf, gesehen, gefilmt, fotografiert zu werden - ohne die Blicke der Öffentlichkeit wäre ihre Inszenierung witzlos. Sie tragen die Farbe der unheimlichen Rabenvögel und Fledermäuse, reklamieren Teilhabe an einem Widerstand gegen bedrohliche Mächte. Am rührendsten vielleicht der unbewussteste aller Fehlschlüsse: Uniformiert, einfarbig, einsilbig - analog zu ihren Widersachern, den "Bullen" - wollen sie als jene gelten, denen es um Freiheit und Dialog geht. Würde der "schwarze Block" in sich selber hineinsehen, bekäme er wahrscheinlich einen ziemlichen Schrecken, ehe er, aufgewacht, hoffentlich über sich selber lachen müsste. Hooligandamm Hooligandamm

Porträt eines jungen Mannes (taz)

Porträt eines jungen Mannes
im Vodafone-Laden zu Königs Wusterhausen

Ja, von Leffers und von Sinn
dieser Anzug, der ist in.

Ja, die Brille, akkurat
neustes Gucci-Imitat.

Ja, dein Strähnchenhaarmodell -
up to date, topaktuell.

Ja, die Armbanduhr - Fossil
heißt sie, doch ist jüngster Stil.

Ja, auch dass du Wörter wie
Ranking, Must und Synergie

um dich wirfst, liegt voll im Trend.
Nur beim Sprechen dein Akzent

der ist klassisch, ist gewachsen.
Und zwar in Sachsen.

Martin Betz
taz vom 7.6.2007, S. 16, 24 Z. (Dokumentation), Martin Betz