Knaller an der Zeitungsfront

Friday, June 22, 2007

Arrrgh! (Berliner Zeitung)

Arrrgh!
Andreas Lesch

Wie ein Drama im modernen Fußball funktioniert? Gute Frage. Die Zuschauer sind abgestumpft. Mit Blutgrätschen, Platzverweisen, Aufholjagden braucht man denen nicht mehr zu kommen; die finden sie so spannend wie einen falschen Einwurf. Verlängerungen? Tätlichkeiten? Übersehene Fouls? Alles tausend Mal da gewesen. Alles Kinderkram. Der Nachwuchs weiß, wie's besser geht. Er hat im Halbfinale der U 21-Europameisterschaft einen Thriller gezeigt, wie ihn lange keiner gesehen hat. Einen, der die Gesundheit gefährdet hat - speziell die der Spieler.

Der Thriller hat damit begonnen, dass England und Holland um den Einzug ins Endspiel stritten. Er ging damit weiter, dass die Holländer eine Minute vor dem Ende der regulären Spielzeit zum 1:1 ausglichen - und gewann an Spannung, als in der Verlängerung kein Tor fiel. Elfmeterschießen! England gegen Holland!! Arrrgh!!! Dazu hätte es nicht kommen dürfen. Das war ein Verstoß gegen die Genfer Menschenrechtskonvention, das war Folter. Jeder weiß doch: Engländer und Holländer können kein Elfmeterschießen. Die verlieren immer. Die wimmern schon, bevor es losgeht.

Alles wäre den Spielern lieber gewesen. Sie hätten es klaglos akzeptiert, wenn das Los über den Finaleinzug entschieden hätte, die schöneren Trikots, die schmutzigeren Stutzen oder die größeren Spielerfrauensonnenbrillen. Aber so kam es nicht. Es kam, wie es kommen musste: Treffer hier, Treffer dort, Fehlschuss hier, Fehlschuss dort. Alle Spieler mussten antreten, manche sogar zwei Mal. Nicht einmal der verletzte englische Verteidiger Steven Taylor wurde verschont: Er humpelte zum Punkt - und traf. Immer länger zog sich das Drama. Dann, als alle dachten, es werde niemals enden, war es vorbei: 13:12 für Holland, nach 32 Schüssen.

Der traurigste Mann des Abends ist Stuart Pearce gewesen, Englands Trainer, der als Spieler im WM-Halbfinale 1990 am deutschen Torwart Bodo Illgner scheiterte. Er kann jetzt nur noch Trainer in Holland werden - und auf ein Spiel gegen England hoffen. Dann könnte er alles wiedergutmachen, für seine Heimat, nicht für sich selbst.
Berliner Zeitung, 22.06.2007

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