Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, June 27, 2007

US-Leser nehmen Günter Grass in Schutz (Welt)

US-Leser nehmen Günter Grass in Schutz
Eine Woche lang ist der deutsche Nobelpreisträger in Amerika. Gerade ist dort sein Buch "Beim Häuten der Zwiebel" erschienen. In New York stellte Grass sich dem Publikum. Und wurde natürlich kritisch zur Waffen-SS befragt. Dabei gab es eine Überraschung.

An diesem Montag erschien in den USA die englische Übersetzung von Günter Grass’ Autobiographie „Beim Häuten der Zwiebel“ – jenem Werk, in dem der Schriftsteller vor knapp einem Jahr in Deutschland erstmals öffentlichkeitswirksam über seine Zeit als jugendliches Mitglied der Waffen-SS berichtete.

Um „Peeling the Onion“ (Harcourt), das mit einer für deutsche Autoren (und seien es auch Nobelpreisträger) beachtlichen Startauflage von 40.000 Exemplaren auf den Markt kommt, zu bewerben, besucht der 79-Jährige zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder New York, um eine Woche lang fast täglich in ausverkauften Sälen aus seinem Buch zu lesen.

Jugendliche Verirrungen

Er erwarte eine „faire Aufnahme“ seines Werkes, ließ Grass im Vorfeld wissen, ohne „die Aufgeregtheiten“, die er im vergangenen Jahr in Deutschland erlebt habe. Offensichtlich tut ihm Amerika den Gefallen. Während die Reise im Vorfeld in Deutschland wieder für einige „Aufgeregtheiten“ sorgte, nahm New York von seinem berühmten Gast bislang freundlich, aber gelassen Notiz.

Über Grass’ Mitgliedschaft in der Waffen-SS wurde im vergangenen August natürlich berichtet, mit einem ähnlichen Tenor wie in Deutschland: Das Drama liege nicht so sehr in Grass’ jugendlicher Verirrung als vielmehr in der Tatsache, als erwachsener Mann mit höchsten moralischen Ansprüchen an andere selbst so lange darüber geschwiegen zu haben.

Ein Jahr später nun wiesen die Stadtmagazine, ebenso wie die "New York Times", nur kurz auf die Veranstaltungen mit dem Nobelpreisträger hin. Man scheint sich lieber – ganz im Sinne Grass’ – auf die Rezension der Autobiographie konzentrieren zu wollen. Einzig der „New Yorker“ widmete Grass Anfang Juni mit einem 14seitigen – unkommentierten - Vorabdruck aus „Peeling the Onion“ schon im Vorfeld breiten Raum.

Auftritt im jüdischen Kulturhaus

Vielleicht trifft das Szeneblatt „The Village Voice“ mit seiner Rezension der Memoiren den Punkt: Es sei ihm eigentlich ziemlich egal gewesen, schrieb dort der Kritiker, dass Grass Mitglied der Waffen-SS gewesen war – und seine Gleichgültigkeit sei wohl teilweise der „zugegeben zynischen“ Annahme zu verdanken, dass doch wohl „jeder Deutsche eines gewissen Alters zwischen die Mühlsteine des Nationalsozialismus geraten“ sei.

Wie um seinen Kritikern einigen Wind aus den Segeln zu nehmen, fand die erste Veranstaltung der New Yorker Günter-Grass-Woche im jüdischen Kulturhaus „92nd Street Y“ in Manhattan statt, wo ein gemischtes, vorherrschend älteres Publikum am Montagabend im ausverkauften 900-Plätze-Saal den Nobelpreisträger erwartete.

Er sei ganz sicher der wichtigste deutsche Schriftsteller seit Thomas Mann“, stellte der aus Wien stammende jüdischen Publizist Amos Elon seinen Kollegen vor, und „Vom Häuten der Zwiebel“ habe ihn gepackt wie einst die „Blechtrommel“, dieses Buch werde die Debatte darum sicher überleben. Nach einer wahren Eloge auf Grass kündigte Elon an, man werde aber natürlich auch auf eben diese Debatte, Grass’ spätes Bekenntnis, eingehen.

"a so called Arbeitsdienstmann"

Dann trat der Meister selbst auf, „good evening ladies and gentlemen“, er werde jetzt vom Sommer 1944 lesen, „I was 16 years old and I became a so called Arbeitsdienstmann“. Es folgte das Kapitel über den mittlerweile oft zitierten Kameraden, der sich standhaft weigerte, eine Waffe auch nur in die Hand zu nehmen, auch nicht nach den Strafen der Vorgesetzten und den Schikanen der anderen Jugendlichen, sondern immer nur mit einem Satz antwortete, der zum geflügelten Wort wurde: „Wir tun so was nicht.“

Dann las der junge amerikanische Broadway-Schauspieler Michael Stuhlbarg die Passage auf Englisch vor. Vielleicht war es die ungewohnte Sprache, vielleicht der bühnengeschulte Vortrag – aber plötzlich entfaltete sich die feine Ironie, der Humor des Buches ganz klar und bestimmte die Atmosphäre des Abends. Eine Atmosphäre, die Amos Elon verkannte.

Anstatt auf all den Diskussionsstoff einzugehen, den die Episode mit dem Totalverweigerer anbietet, erwähnte Elon das Vorgelesene mit keinem Wort. Von Günter Grass hätte man am allerwenigsten eine SS-Mitgliedschaft erwartet, hob er stattdessen an, um vorwurfsvoll zu ergänzen: „Wie konnte das passieren?“

In der Waffen-SS waren "die Helden"

Grass antwortete, ganz ruhig und entspannt, mit denselben Gründen, die ihm im vergangenen Sommer in Deutschland das Verständnis vieler Leser und einigen Hohn seiner Kritiker eingebracht hatte: Jugendliche Naivität sei es gewesen. Er habe an den Nationalsozialismus geglaubt. Wie alle. Man habe in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt. Die Waffen-SS sei für ihn eine Art Elitetruppe gewesen, „dort waren die Helden“. Von den Verbrechen habe er erst nach dem Krieg erfahren.

Wie das denn möglich sei, wunderte sich Elon, ob ihm denn nicht aufgefallen sei, dass Juden verschwanden, Menschen mit einem gelben Stern herumliefen? Sein Buch, so Grass zustimmend, handele von all diesen ungefragten Fragen, von all en Gelegenheiten, zu denen Seltsames geschah und von ihm nicht infrage gestellt wurde.

Er verstehe nicht, wieso Grass ein Jahr gebraucht habe, um die Augen geöffnet zu bekommen, wollte Elon weiter wissen, und blieb mit einer Hartnäckigkeit bei seinen vorwurfsvollen Fragen, die ihm schließlich sogar verwundertes Gelächter aus dem Publikum einbrachten. Und als Grass, der die Unterhaltung auf Englisch führte, schließlich durchaus freundlich, mit geradezu komischer Verzweiflung nur meinte, diese Fragen seien ihm im vergangenen Jahr ständig gestellt worden, er könne es nicht mehr hören, gab es gar Applaus.

Die Leser auf seiner Seite

Ganz klar: Man mag zu Grass simpler Argumentation stehen wie man will – hier hatte er seine Leser wie so oft auf seiner Seite, hier hatte sein Interviewpartner ganz klar die Situation verkannt. Man war gekommen, um einen geachteten, vielleicht sogar geliebten Schriftsteller zu hören, und nicht, um ihn ins Verhör genommen zu sehen.

Elon verrannte sich zunehmend stärker in die undankbare Rolle des störrischen Oberlehrers, der nervös mit erhobenem Zeigefinger vor dem gelassenen Klassenliebling herumfuchtelt, während dieser sein Publikum unbeirrt mit lustigen Anekdoten aus seiner Jugend unterhält. Und entsprechend gab es später einiges Murren in der meterlangen Schlange vor dem Signiertisch und draußen auf dem sommerwarmen Trottoir der Lexington Avenue: Was das den für eine Fragetaktik gewesen sei, echauffierte sich einer; man müsse seinem Gesprächspartner auch zuhören, schimpfte eine andere.

Ein freundlicher Auftakt also für Günter Grass. Spannender dürfte es an diesem Dienstagabend werden. In der New York Public Library moderiert der britische Schriftsteller Andrew O’Hagan eine Diskussion zwischen Günter Grass und Norman Mailer, dessen jüngster Roman, „The Castle in the Forest“ (“Das Schloss im Wald“, deutsche Ausgabe im September bei Langen Müller) wilde Spekulationen über Hitlers Jugend anstellt. Titel der Veranstaltung: „Das 20. Jahrhundert vor Gericht“.

Norman Mailer pflegt mit der amerikanischen Gesellschaft so liebevoll umzugehen wie Grass mit Deutschland nach dem Krieg. Da kann einem das 20. Jahrhundert fast Leid tun.

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