Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, June 28, 2007

Ein lappenfreier Sommer (taz)

Ein lappenfreier Sommer
Wie schön ist doch ein Sommer ohne WM oder EM. Man schaut zum Fenster hinaus und das Hässlichste, was man sieht, sind 25-jährige Studenten mit ...
VON HARTMUT EL KURDI

Wie schön ist doch ein Sommer ohne WM oder EM. Man schaut zum Fenster hinaus und das Hässlichste, was man sieht, sind 25-jährige Studenten mit trendy Vollbärten im Gesicht und Flip-Flops an den Füßen. Damit kann man leben. Was man glücklicherweise nicht sieht, sind schwarzrotgoldene Fahnenmeere und grölende Massen.

Leider ist das nur die Ruhe vor dem Sturm. Im nächsten Sommer wird es schon wieder anders sein, denn nur ein Jahr ohne internationales Fußball-Event ist ein glückliches, fahnenloses Jahr. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, werden die Deutschen ihre Lappen wieder raus holen, doofe Lieder singen und - was fast das Schlimmste daran ist - gleichzeitig Vorträge darüber halten, dass das doch nur ein entspannter Patriotismus und kein Nationalismus sei. Oder wie es der Philosoph Gunther Gabriel in seinem Post-WM-Durchhalte-Lied "Lass die Fahne auf dem Dach" formulierte: "Ich sag es laut und zieh den Hut: Deutschland Ost und West - Du tust so gut".
Wobei Gunther G., dieser menschgewordene verbale Amoklauf ("Es steht ein Haus im Kosovo") ja immerhin kein Konvertit ist. Der war schon immer bekennender Fahnenschwenker. Bereits Anfang der Achtzigerjahre stand ich fassungslos auf dem Kassler Stadtfest und hörte ihn seine große national-besoffene Alliteration "D wie Deutschland, D wie Dosenbier" singen. Manche Dinge sind so monströs und dabei so wahr, die kriegt man nie wieder aus dem Kopf

Wie schlimm der Zustand in diesem Land wirklich ist, bemerkt man daran, dass ich neulich in einer Diskussion doch tatsächlich Maxim Biller verteidigen musste, der angesichts der deutschnationalen Erweckung mit Auswanderung nach Israel drohte. Allein das wird inzwischen schon als Affront gewertet, dass jemand nicht mittorkeln will im Teutonen-Taumel und überlegt, ob es woanders, zumindest individuell gesehen, nicht angenehmer sein könnte. Wenn es dann auch noch ein Jude ist, dann erträgt es die deutsche Seele überhaupt nicht mehr. Denn auch das spielt wieder eine Rolle: Ob man der Mehrheitsmeinung nach wirklich dazu gehört. Nation wird hier nach wie vor übers Blut definiert.

Auch mit einem arabischen Nachnamen bekommt man das immer wieder zu spüren, da kann man vorne noch so albern germanisch heißen. Als kürzlich der Oberbürgermeister meines Wohnortes Braunschweig gegen mich eine Art mittelalterliches Kontaktverbot verhängte, weil ihm nicht gefiel, dass ich ihn an seine frühere NPD-Mitgliedschaft erinnert hatte, wurde mir von diversen Seiten mitgeteilt, ich sei selbst schuld, ich solle doch lieber mal über die Zustände in meiner "Heimat" nachdenken. Wenn ich dann nachfragte, was denn in Nordhessen grad so Schlimmes passiere, erntete ich gepflegtes Unverständnis.

Deswegen wunderten sich manche Menschen im vergangenen Jahr auch so darüber, dass in Berlin-Kreuzberg auf einmal Deutschlandfahnen aus türkischen Fenstern hingen, um dieses Phänomen dann kurz darauf ganz flexibel in den neuen Patriotismus zu integrieren. Deutschland toll finden - das darf man jetzt als Kanacke. Wenn man Deutschland aber kritisiert, wird man "entspannt" an seine Gene erinnert.

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