Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, September 02, 2006

Bild dir zwei Meinungen (Tagesspiegel)

Bild dir zwei Meinungen
Der Axel-Springer-Verlag schreibt in Polen gegen die Deutschen und in Deutschland gegen die Polen.

Wie so oft hält der Fußball Analogien parat – sogar für das verminte Feld der deutsch-polnischen Beziehungen, auf dem sich auch der Axel-Springer-Verlag bewegt: So enthüllte Springers „Bild am Sonntag“ im Dezember vergangenen Jahres den „ersten WM-Skandal“, weil der damalige polnische Nationaltrainer Pawel Janas nach der Gruppenauslosung vermutet hatte, dass Deutschland nicht Weltmeister wird. Und das war, aus Sicht der „BamS“, eine Kollektivbeleidigung der Deutschen: „Polen-Trainer verhöhnt uns“, hieß es dort, denn Pawel Janas war der Meinung, dass „Deutschland keine Stars mehr hat, nur noch Ballack“. Anders fiel die Sicht auf Pawel Janas in Polen aus: „Fakt“, die größte polnische Tageszeitung, beschwerte sich gleichzeitig darüber, wie rüpelhaft die Deutschen doch mit „unserem Trainer“ umgehen. Zum Beweis druckte sie die „BamS“-Schlagzeile nach. Dabei gehören beide Blätter Springer, und bei der WM-Berichterstattung arbeiteten sie Hand in Hand.

Es bedurfte also nicht erst der Diskussionen um die Ausstellung der „Erzwungenen Wege“ oder Günter Grass als Beleg für die berechnenden wechselseitigen Schuldzuweisungen aus dem Hause Springer. So sagte der bekannte „Fakt“-Kolumnist Lukasz Warzecha, der dort täglich seinen „Brief von der Redaktion“ verfasst, im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Ich hätte mir im Leben nicht vorstellen können, für Deutsche zu arbeiten, aber mit dieser redaktionellen Linie ist das kein Problem.“ Zu dieser Linie gehört es, die Rückgabe der berühmten Schiffsglocke der „Wilhelm Gustloff“ zu fordern, die als polnisches Exponat in der Vertriebenenausstellung im Berliner Kronprinzenpalais steht. Oder den Auslandschef der „Berliner Zeitung“, Frank Herold, anzugreifen, weil der dem polnischen Premierminister Jaroslaw Kaczynski vorgeworfen hat, diese Ausstellung vereiteln zu wollen, ohne sie gesehen zu haben. „Man muss die Ausstellung von Erika Steinbach nicht anschauen, um zu erkennen, dass sie die Geschichte verkehrt und die Gefühle der Polen verletzt“, heißt es dort in einem Vierspalter neben einer Geschichte über Grass’ umstrittene Danziger Ehrenbürgerschaft. Beides wurde auch mit der Hilfe von Springer Polska zu einer einheitlichen antideutschen Debatte gebacken, mit der die rechtskonservative Regierungspartei PiS („Recht und Gerechtigkeit“) ihren Traum von einem nationalen Polen nährt. Und der Name des Premierministers und PiS-Chefs Jaroslaw Kaczynski taucht bei „Fakt“ so häufig in der Autorenzeile auf, dass es einen wundert, ihn nicht im Impressum zu finden.

Es bedarf auch keiner wissenschaftlichen Inhaltsanalyse, um den antideutschen Kurs von Springer in Polen zu belegen. Ein täglicher Blick in die Zeitung genügt: Da tauchen deutsche Kriegsschiffe an der deutsch-polnischen Ostseegrenze auf und landen prompt auf der Titelseite von Springers „Dziennik“: „Deutsche blockieren den Hafen von Swinemünde“. Dazu wird ein martialisch anmutendes Archivbild von einem deutschen Marinesoldaten am schussbereiten Bord-MG gezeigt. Ein ehemaliger polnischer Springer-Redakteur sagte dem Tagesspiegel dazu: „Natürlich wissen die in der Redaktion, was sie da machen, aber damit verdient Springer in Polen eben sehr viel Geld.“ Zu den regelmäßigen „Dziennik“-Autoren gehört auch der polnische Soziologe Zdislaw Krasnodebski, der an der Universität Bremen lehrt und auf einer ganzen Seite die These einer Verschwörung der Medien in Deutschland gegen die Polen vertrat.

In Deutschland wiederum zielen Springer-Zeitungen auf die Polen: „Angst vor den Klau-Polen“ hieß etwa eine Überschrift in der Ruhrgebietsausgabe der „Bild“-Zeitung vor dem Spiel in Dortmund zwischen Deutschland und Polen bei der Fußballweltmeisterschaft 2006. Dann folgte eine reißerische Geschichte darüber, dass sich der lokale Einzelhandel mit einer Armee von Kaufhausdetektiven verstärkt habe, um der gefährlichen Schar von polnischen Fans begegnen zu können.

Olaf Sundermeyer, Warschau

Nicolas Sarkozy (Berliner Zeitung)

Der forsche Kandidat
Nicolas Sarkozy möchte im Mai Präsident Frankreichs werden. Dafür geht er in allen Lagern auf Stimmenfang
Axel Veiel

PARIS. Sie haben ihn den kleinen Nick genannt. Napoleon wäre treffender. Da ist schließlich nicht nur der kleine Wuchs. Da ist auch große Willenskraft. Nicolas Sarkozy überlässt nichts dem Zufall, schon gar nicht, ob er im nächsten Jahr Präsident wird. Meinungsforscher sagen, er kann es werden. Als Frankreichs populärsten Politiker neben der Sozialistin Ségolène Royal weisen sie ihn aus. Sarkozy selbst gibt zu verstehen, er werde es ganz bestimmt. Und wenn er bisher etwas wollte, fand sich noch immer ein Weg. "Der Wille ist die wichtigste Eigenschaft, will man Frankreichs Politik neues Leben einhauchen", sagt der 51-Jährige.

Sturmfrisur und jungenhaftes Grinsen des Innenministers und Chefs der regierenden "Union für eine Volksbewegung" (UMP) scheinen die Worte zu unterstreichen. Die ganze Erscheinung signalisiert: Hoppla, jetzt komme ich. Als Sarkozy gestern Nachmittag in Marseille den Sommerparteitag der UMP eröffnet, ist da nur noch Sturm und Drang. "Lust, wieder Lust zu haben", röhrt Johnny Halliday, Frankreichs populärster Rocker. Einer seiner schönsten Songs und nun auch eine Wahlkampfhymne.

Sarkozy hat eine einfache Rechnung aufgemacht. Voraussetzung für den Einzug in den Élyséepalast sind die Stimmen von mindestens 50 Prozent der Franzosen. Um zum Ziel zu gelangen, heißt es, bis Mai nicht nur konservativ gesonnene Landsleute, sondern die halbe Nation auf sich einzuschwören. Der forsche Franzose handelt danach. Er wildert nach allen Seiten.

Mal geht er im Revier der rechtsradikalen Nationalen Front auf Stimmenfang, dann wieder wirbt er um die Linke. Als in den Vorstädten Nachfahren arabischer und afrikanischer Einwanderer rebellierten, schmähte er die aufbegehrenden Jugendlichen als Gesindel. Später forderte er Menschlichkeit gegenüber Kindern, deren ausländische Eltern trotz fehlender Aufenthaltserlaubnis vor Abschiebung zu bewahren seien. Widersprüche? Sarkozy nennt es Pragmatismus.

In Marseille, so verlautet im Umfeld des Parteichefs, werde er am Sonntag seine wirtschaftsliberale Seite hervorkehren. Mitte der Woche hatte er sich noch sehr sozial gegeben. Anstatt Steuersenkungen und einer Haushaltssanierung das Wort zu reden, rühmte er von der Regierung angekündigte Hilfen für einkommensschwache Haushalte: 4,2 Milliarden Euro für gering Verdienende sollen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen ausgeschüttet werden sowie Fahrt- und Benzinkostenzuschüsse für das ganze Volk.

Wobei sich Sarkozy schon lange nicht mehr als "Amerikaner" empfiehlt, dem es die Freiheit des Wirtschaftens in angelsächsischen Ländern angetan hat. Der Politiker, der einst den Bruch mit der Vergangenheit forderte, hat dazugelernt. Das Nein zur EU-Verfassung, die Massenproteste gegen eine im europäischen Vergleich vorsichtige Lockerung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger haben ihm gezeigt, dass in Frankreich mit wirtschaftsliberaler Politik keine Mehrheiten zu gewinnen sind.

Um die UMP muss sich der Politiker nicht mehr bemühen. Bereits im Herbst 2004 brachte er die Partei, die einst Staatschef Jacques Chirac zu Diensten war, unter seine Kontrolle und ließ sich in einer "Salbung" genannten Zeremonie zum Vorsitzenden küren. Die UMP liegt ihm seither zu Füßen. Und nicht nur sie. 78 Prozent der Sympathisanten der Rechten wünschen, dass die Partei ihren Chef im Januar zum Präsidentschaftskandidaten kürt. Auf Platz zwei folgt mit zehn Prozent Premierminister Dominique de Villepin. Vor einem Jahr galt der Regierungschef noch als ernst zu nehmender Rivale. Jetzt nicht mehr. Chirac, der lieber seinen politischen Ziehsohn Villepin als Nachfolger gesehen hätte, hat sich in sein Schicksal gefügt. Sarkozy ist dem Staatschef das kleinere Übel. Das größere wäre ein Sieg der Sozialisten.

Berliner Zeitung, 02.09.2006