Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, September 02, 2006

Nicolas Sarkozy (Berliner Zeitung)

Der forsche Kandidat
Nicolas Sarkozy möchte im Mai Präsident Frankreichs werden. Dafür geht er in allen Lagern auf Stimmenfang
Axel Veiel

PARIS. Sie haben ihn den kleinen Nick genannt. Napoleon wäre treffender. Da ist schließlich nicht nur der kleine Wuchs. Da ist auch große Willenskraft. Nicolas Sarkozy überlässt nichts dem Zufall, schon gar nicht, ob er im nächsten Jahr Präsident wird. Meinungsforscher sagen, er kann es werden. Als Frankreichs populärsten Politiker neben der Sozialistin Ségolène Royal weisen sie ihn aus. Sarkozy selbst gibt zu verstehen, er werde es ganz bestimmt. Und wenn er bisher etwas wollte, fand sich noch immer ein Weg. "Der Wille ist die wichtigste Eigenschaft, will man Frankreichs Politik neues Leben einhauchen", sagt der 51-Jährige.

Sturmfrisur und jungenhaftes Grinsen des Innenministers und Chefs der regierenden "Union für eine Volksbewegung" (UMP) scheinen die Worte zu unterstreichen. Die ganze Erscheinung signalisiert: Hoppla, jetzt komme ich. Als Sarkozy gestern Nachmittag in Marseille den Sommerparteitag der UMP eröffnet, ist da nur noch Sturm und Drang. "Lust, wieder Lust zu haben", röhrt Johnny Halliday, Frankreichs populärster Rocker. Einer seiner schönsten Songs und nun auch eine Wahlkampfhymne.

Sarkozy hat eine einfache Rechnung aufgemacht. Voraussetzung für den Einzug in den Élyséepalast sind die Stimmen von mindestens 50 Prozent der Franzosen. Um zum Ziel zu gelangen, heißt es, bis Mai nicht nur konservativ gesonnene Landsleute, sondern die halbe Nation auf sich einzuschwören. Der forsche Franzose handelt danach. Er wildert nach allen Seiten.

Mal geht er im Revier der rechtsradikalen Nationalen Front auf Stimmenfang, dann wieder wirbt er um die Linke. Als in den Vorstädten Nachfahren arabischer und afrikanischer Einwanderer rebellierten, schmähte er die aufbegehrenden Jugendlichen als Gesindel. Später forderte er Menschlichkeit gegenüber Kindern, deren ausländische Eltern trotz fehlender Aufenthaltserlaubnis vor Abschiebung zu bewahren seien. Widersprüche? Sarkozy nennt es Pragmatismus.

In Marseille, so verlautet im Umfeld des Parteichefs, werde er am Sonntag seine wirtschaftsliberale Seite hervorkehren. Mitte der Woche hatte er sich noch sehr sozial gegeben. Anstatt Steuersenkungen und einer Haushaltssanierung das Wort zu reden, rühmte er von der Regierung angekündigte Hilfen für einkommensschwache Haushalte: 4,2 Milliarden Euro für gering Verdienende sollen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen ausgeschüttet werden sowie Fahrt- und Benzinkostenzuschüsse für das ganze Volk.

Wobei sich Sarkozy schon lange nicht mehr als "Amerikaner" empfiehlt, dem es die Freiheit des Wirtschaftens in angelsächsischen Ländern angetan hat. Der Politiker, der einst den Bruch mit der Vergangenheit forderte, hat dazugelernt. Das Nein zur EU-Verfassung, die Massenproteste gegen eine im europäischen Vergleich vorsichtige Lockerung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger haben ihm gezeigt, dass in Frankreich mit wirtschaftsliberaler Politik keine Mehrheiten zu gewinnen sind.

Um die UMP muss sich der Politiker nicht mehr bemühen. Bereits im Herbst 2004 brachte er die Partei, die einst Staatschef Jacques Chirac zu Diensten war, unter seine Kontrolle und ließ sich in einer "Salbung" genannten Zeremonie zum Vorsitzenden küren. Die UMP liegt ihm seither zu Füßen. Und nicht nur sie. 78 Prozent der Sympathisanten der Rechten wünschen, dass die Partei ihren Chef im Januar zum Präsidentschaftskandidaten kürt. Auf Platz zwei folgt mit zehn Prozent Premierminister Dominique de Villepin. Vor einem Jahr galt der Regierungschef noch als ernst zu nehmender Rivale. Jetzt nicht mehr. Chirac, der lieber seinen politischen Ziehsohn Villepin als Nachfolger gesehen hätte, hat sich in sein Schicksal gefügt. Sarkozy ist dem Staatschef das kleinere Übel. Das größere wäre ein Sieg der Sozialisten.

Berliner Zeitung, 02.09.2006

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