Interview Noam Chomsky (Berliner Zeitung)
INTERVIEW
Vasallenstaaten an den Erdölquellen
Der amerikanische Friedensaktivist Noam Chomsky über die Ziele der USA in Nahost
Der Streit um das iranische Atomprogramm spitzt sich wieder zu, Beobachter erinnern daran, dass sich die US-Regierung ein militärisches Vorgehen gegen den Iran als Option vorbehalten hat. Noam Chomsky, Linguistik-Professor und einer der profiliertesten politischen Analytiker und Medienkritiker der USA, beurteilt den Kurs der Bush-Regierung im Nahen und Mittleren Osten.
Der US-Journalist Seymour Hersh will herausgefunden haben, dass der Libanon-Krieg unabhängig vom Anlass geplant war. Sehen Sie diesen Krieg als Probelauf für einen Krieg der USA gegen Iran, vielleicht auch gegen Syrien?
Es geht den USA und Israel um Palästina. Über 30 Jahre haben sie sich einer Zwei-Staaten-Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt widersetzt und Fakten geschaffen, die eine solche Lösung verhindern: Die fruchtbarsten Gebiete und wichtigsten Ressourcen im Westjordanland werden annektiert, die palästinensischen Restgebiete in lebensunfähige Kantone unterteilt. Gaza wird von israelischen Menschenrechtlern als großes Gefängnis bezeichnet. Die einzig bedeutungsvolle Hilfe, die die Palästinenser zuletzt noch bekamen, leistete die libanesische Hisbollah: Ziel des Krieges war ihre Vernichtung.
Es war natürlich ein willkommener Nebeneffekt, dass die Zerstörung der Hisbollah auch den Iran geschwächt hätte - was im Fall einer Konfrontation mit Iran vorteilhaft ist. Ich zweifle, dass es ein Interesse gibt, den Status quo im Verhältnis zu Syrien zu ändern. Syrien ist schwach und zeigt sich nachgiebig, ein Regimewechsel würde islamisch-fundamentalistische Kräfte an die Macht bringen.
Die Entwicklung in Nahost verläuft für die USA nicht wunschgemäß, insbesondere im Irak. Herrscht in Washington Ratlosigkeit oder wird dort tatsächlich eine Strategie -gerichtet auf Demokratisierung und Stabilisierung - verfolgt?
Die Bush-Regierung - also Leute wie Donald Rumsfeld, Dick Cheney, Paul Wolfowitz - wollen gar keinen souveränen und halbwegs demokratischen Irak , trotz aller Rhetorik. Ihr reales Handeln zielt auf die Etablierung eines Vasallenstaates, der auf seinem Territorium, einer der größten Erdöllagerstätten der Welt, US-Basen akzeptiert. Nun wird es aber mit jeden Tag für sie schwieriger, dieses Ziel zu erreichen. Mehr noch: Mit dem Irak-Krieg haben sie das Entstehen einer schiitischen Allianz befördert. Eine Allianz, die die Schiiten des Irak, des Iran und anderer Länder zusammenbringt. Das ist ein Albtraum für Washington - und wird als Horrorszenario nur noch übertroffen, wenn diese Allianz sich dem auf Russland und China basierenden asiatischen Energie- und Sicherheitsverbund anschließt.
Das wichtigste Ziel der US-Außenpolitik seit dem 2. Weltkrieg besteht darin, die Kontrolle über das Erdöl in der Golfregion zu erlangen und zu behalten. Über jene Quelle also, deren Besitz den USA die Veto-Macht über ihre Industrie-Rivalen gibt und ein entscheidendes Druckmittel gegenüber Europas und Asiens Ökonomien ist, wie einst Sicherheitsberater Zbygniew Brzezinski befand.
Zu dieser Ölregion gehört Iran. Werden die USA tatsächlich Militärschläge gegen Iran starten - trotz der Schwierigkeiten im Irak?
US-Militärs und die Geheimdienste lehnen solche Militärschläge gegen den Iran angeblich ab. Doch die kleine Clique der Politikplaner in Washington besteht aus Leuten, die zum Äußersten entschlossen sind und die über eine enorme Macht verfügen. Ich denke aber, dass sie eher zu subversiven Methoden greifen und separatistische Bewegungen im Iran unterstützen. Vor allem in Arabisch Khuzestan, wo sich die größten Erdöllagerstätten des Iran befinden. Ein solches Handeln wird negative Konsequenzen für die Stabilität der Region und der Welt haben.
Wieso ruft der aggressive Kurs der USA kaum Reaktionen hervor?
Die Friedensbewegung blieb während des Libanon-Krieges passiv. Diese Passivität war schockierend, aber nicht erstaunlich. Ein Grund dafür ist sicher die tief verwurzelte imperiale Mentalität im Westen. Die Vorwände, unter denen die USA und Israel den Libanonkrieg führten, wurden deshalb einfach akzeptiert.
Wie erklären Sie sich das?
Es gibt diejenigen, die über einen privilegierten Zugang zu Informationen verfügen. Ihnen eigen ist jedoch diese imperiale Mentalität, die eine unsichtbare, aber zentrale Komponente der herrschenden intellektuellen und moralischen Kultur ist. Ein Prinzip dieser Mentalität ist die Sicht: Die Verbrechen, die wir an den anderen begehen, werden als normale Vorkommnisse gesehen und als solche toleriert. Alles aber, was uns im Westen von den anderen angetan wird, wird als strafwürdiges Verbrechen eingestuft und muss geahndet werden.
Und die Normalbürger?
Die meisten Bürger wissen nicht, was in ihrem Namen und mit ihrer stillschweigenden Billigung tatsächlich geschieht und warum. Sie können es auch nicht wissen - es sei denn, sie beginnen danach zu suchen oder schließen sich Organisationen an, die sich den doktrinären Zwängen nicht unterwerfen. Diese Erklärung für die Passivität soll natürlich keine Rechtfertigung sein. Es ist vielmehr eine Anklage gegen jene, die die entscheidenden Fakten kennen oder wissen könnten - und trotzdem nichts tun.
Die Fragen stellte Martina Doering.
Berliner Zeitung, 25.08.2006
Vasallenstaaten an den Erdölquellen
Der amerikanische Friedensaktivist Noam Chomsky über die Ziele der USA in Nahost
Der Streit um das iranische Atomprogramm spitzt sich wieder zu, Beobachter erinnern daran, dass sich die US-Regierung ein militärisches Vorgehen gegen den Iran als Option vorbehalten hat. Noam Chomsky, Linguistik-Professor und einer der profiliertesten politischen Analytiker und Medienkritiker der USA, beurteilt den Kurs der Bush-Regierung im Nahen und Mittleren Osten.
Der US-Journalist Seymour Hersh will herausgefunden haben, dass der Libanon-Krieg unabhängig vom Anlass geplant war. Sehen Sie diesen Krieg als Probelauf für einen Krieg der USA gegen Iran, vielleicht auch gegen Syrien?
Es geht den USA und Israel um Palästina. Über 30 Jahre haben sie sich einer Zwei-Staaten-Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt widersetzt und Fakten geschaffen, die eine solche Lösung verhindern: Die fruchtbarsten Gebiete und wichtigsten Ressourcen im Westjordanland werden annektiert, die palästinensischen Restgebiete in lebensunfähige Kantone unterteilt. Gaza wird von israelischen Menschenrechtlern als großes Gefängnis bezeichnet. Die einzig bedeutungsvolle Hilfe, die die Palästinenser zuletzt noch bekamen, leistete die libanesische Hisbollah: Ziel des Krieges war ihre Vernichtung.
Es war natürlich ein willkommener Nebeneffekt, dass die Zerstörung der Hisbollah auch den Iran geschwächt hätte - was im Fall einer Konfrontation mit Iran vorteilhaft ist. Ich zweifle, dass es ein Interesse gibt, den Status quo im Verhältnis zu Syrien zu ändern. Syrien ist schwach und zeigt sich nachgiebig, ein Regimewechsel würde islamisch-fundamentalistische Kräfte an die Macht bringen.
Die Entwicklung in Nahost verläuft für die USA nicht wunschgemäß, insbesondere im Irak. Herrscht in Washington Ratlosigkeit oder wird dort tatsächlich eine Strategie -gerichtet auf Demokratisierung und Stabilisierung - verfolgt?
Die Bush-Regierung - also Leute wie Donald Rumsfeld, Dick Cheney, Paul Wolfowitz - wollen gar keinen souveränen und halbwegs demokratischen Irak , trotz aller Rhetorik. Ihr reales Handeln zielt auf die Etablierung eines Vasallenstaates, der auf seinem Territorium, einer der größten Erdöllagerstätten der Welt, US-Basen akzeptiert. Nun wird es aber mit jeden Tag für sie schwieriger, dieses Ziel zu erreichen. Mehr noch: Mit dem Irak-Krieg haben sie das Entstehen einer schiitischen Allianz befördert. Eine Allianz, die die Schiiten des Irak, des Iran und anderer Länder zusammenbringt. Das ist ein Albtraum für Washington - und wird als Horrorszenario nur noch übertroffen, wenn diese Allianz sich dem auf Russland und China basierenden asiatischen Energie- und Sicherheitsverbund anschließt.
Das wichtigste Ziel der US-Außenpolitik seit dem 2. Weltkrieg besteht darin, die Kontrolle über das Erdöl in der Golfregion zu erlangen und zu behalten. Über jene Quelle also, deren Besitz den USA die Veto-Macht über ihre Industrie-Rivalen gibt und ein entscheidendes Druckmittel gegenüber Europas und Asiens Ökonomien ist, wie einst Sicherheitsberater Zbygniew Brzezinski befand.
Zu dieser Ölregion gehört Iran. Werden die USA tatsächlich Militärschläge gegen Iran starten - trotz der Schwierigkeiten im Irak?
US-Militärs und die Geheimdienste lehnen solche Militärschläge gegen den Iran angeblich ab. Doch die kleine Clique der Politikplaner in Washington besteht aus Leuten, die zum Äußersten entschlossen sind und die über eine enorme Macht verfügen. Ich denke aber, dass sie eher zu subversiven Methoden greifen und separatistische Bewegungen im Iran unterstützen. Vor allem in Arabisch Khuzestan, wo sich die größten Erdöllagerstätten des Iran befinden. Ein solches Handeln wird negative Konsequenzen für die Stabilität der Region und der Welt haben.
Wieso ruft der aggressive Kurs der USA kaum Reaktionen hervor?
Die Friedensbewegung blieb während des Libanon-Krieges passiv. Diese Passivität war schockierend, aber nicht erstaunlich. Ein Grund dafür ist sicher die tief verwurzelte imperiale Mentalität im Westen. Die Vorwände, unter denen die USA und Israel den Libanonkrieg führten, wurden deshalb einfach akzeptiert.
Wie erklären Sie sich das?
Es gibt diejenigen, die über einen privilegierten Zugang zu Informationen verfügen. Ihnen eigen ist jedoch diese imperiale Mentalität, die eine unsichtbare, aber zentrale Komponente der herrschenden intellektuellen und moralischen Kultur ist. Ein Prinzip dieser Mentalität ist die Sicht: Die Verbrechen, die wir an den anderen begehen, werden als normale Vorkommnisse gesehen und als solche toleriert. Alles aber, was uns im Westen von den anderen angetan wird, wird als strafwürdiges Verbrechen eingestuft und muss geahndet werden.
Und die Normalbürger?
Die meisten Bürger wissen nicht, was in ihrem Namen und mit ihrer stillschweigenden Billigung tatsächlich geschieht und warum. Sie können es auch nicht wissen - es sei denn, sie beginnen danach zu suchen oder schließen sich Organisationen an, die sich den doktrinären Zwängen nicht unterwerfen. Diese Erklärung für die Passivität soll natürlich keine Rechtfertigung sein. Es ist vielmehr eine Anklage gegen jene, die die entscheidenden Fakten kennen oder wissen könnten - und trotzdem nichts tun.
Die Fragen stellte Martina Doering.
Berliner Zeitung, 25.08.2006
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