Die palästinensische Fieberkurve (FAZ)
Naher Osten
Die palästinensische Fieberkurve. Das israelische Militär gehört zum Leben in Nablus
Von Jörg Bremer, Nablus.
31. August 2006.
Die Fahrt von Jerusalem nach Nablus dauert an diesem Tag nur eine Stunde. Selbst an den Kontrollpunkten auf dem Weg sind die Schlangen kurz: Das Westjordanland schläft. Der Krieg im Libanon hat daran nichts geändert. Vor allem die Wirtschaft verharrt weiter wie eingefroren. Nur ein paar Hotels profitierten. Israelische Araber aus dem von Katjuscha-Raketen beschossenen Norden Israels zogen während des Krieges nach Jericho oder Bethlehem - „in die sichere Sommerfrische“ im Süden, wenn sie dafür israelische Genehmigungen erhielten, denn eigentlich dürfen Israelis, auch wenn sie Araber sind, nicht in die palästinensischen Gebiete.
In der „Kasba“, der Altstadt von Nablus, geht es zwischen den osmanischen Palästen und den Neubauten aus den siebziger Jahren im Marktviertel lebendig zu. Früher kamen auch Israelis dorthin, um bei Abu Ali Schaschlik und Houmus zu essen, woran ein vergilbter Zeitungsartikel aus „Jediot Ahronot“ hinter Glas erinnert. Jetzt kommen die Israelis nur noch als Soldaten im Panzer, oft mit Verstärkung aus der Luft. Sie schießen auf „Terroristen“ und „Widerstandskämpfer“ und legen dabei auch prächtige Gebäude in Schutt und Asche, die den Ruf der reichsten, grünsten und schönsten Stadt im Krisengebiet des Nahen Ostens begründeten. 200.000 Menschen leben zwischen den beiden hohen Bergen längs der historischen Straße, die schon Ägypter und Babylonier nutzten und wo römische Grabanlagen vom Erbe der Provinz Palästina berichten.
Ein Milliardär als letzte Wirtschaftskraft einer Stadt
Die Soldaten kommen täglich, meist in der Nacht. Dann suchen sie zum Beispiel auch im Flüchtlingslager Balata in der Nähe des historischen Teil des bronzezeitlichen Sichem nach Terroristen. An diesem Tag sind sie am Mittag auch in der Kasba. Den Betrieb des Kartonherstellers am Rand der Stadt beeinträchtigt das nicht. Die Firma scheint auf dem weitläufigen Gelände unter hohen Dächern ohnehin vor allem Stille und Leere herzustellen. Hazem al Aghar sitzt in der verstaubten Pracht des Chefbüros eines Betriebes, der sich großmundig „The National Carton Industry“ nennt. Dabei konnte das Unternehmen nur gerettet werden, weil es die Padico-Holding des Wirtschaftsmagnaten Munib al Masri kaufte und so vor dem Untergang rettete. Der Milliardär Masri, der oft als der nächste palästinensische Ministerpräsident genannt wird, ist wohl die letzte Wirtschaftskraft in seiner Heimatstadt. Sein Palladio-Palast hoch oben auf dem Gerezim neben den Ruinen des persischen Samaritaner-Tempels kündet von seiner Rolle in Nablus.
Aghbar ist einer seiner Angestellten. Da andere Padico-Unternehmen auch Kartons brauchen, haben er und seine 35 Mitarbeiter noch ihren Arbeitsplatz. Früher konnte der Betrieb 90 Mitarbeiter ernähren. Die meisten kommen aus dem Balata-Lager, das zuletzt eher als ein Zentrum von Kriminalität, Gewalt und Terror auf sich aufmerksam machte und Nablus den Beinamen „Chicago des Nahen Ostens“ eintrug. 1997 hatte der Kartonhersteller gut zwei Millionen Euro Umsatz gemacht, heute sind es 250.000 Euro. Damals gingen 80 Prozent der Produktion nach Israel; heute schulden die letzten Abnehmer Aghbar noch knapp eine Million Euro. Der Betrieb hat noch nicht einmal mehr Kunden überall in den palästinensischen Gebieten: Der Gazastreifen wird von Israel „allemal seit dem Abzug der Siedler als eigene Wirtschaftseinheit angesehen. Wegen der vielen Kontrollpunkte gehen aber auch kaum Waren über Nablus hinaus“, sagt al Aghbar. Vor Jahren konnte ein Fahrer am Tage mehrere Kunden zwischen Nablus und Hebron besuchen. Heute dauert die Tour nach Hebron einen Tag. Das verteuert den Transport einer Ladung von 80 Euro auf 500 Euro.
Palästinas beste Botschafter gegen Extremismus...
Aus Schweden, Finnland und Deutschland kommt das Papier für den Betrieb. „Nach einem Streik am Hafen sind wir Palästinenser die letzten Kunden, die abgefertigt werden.“ Israelische Fahrer bringen die Rohstoffe an die Stadtgrenze zum Warenkontrollpunkt Hawarta. Dort müssen sie auf einen palästinensischen Wagen umgeladen werden. Das bedeutet eine weitere Verzögerung und Verteuerung. Erst dann darf der Betrieb angesteuert werden. „Zum Glück kann Karton lange auf der Straße sein“, sagt Aghbar, „doch wer mit Obst oder Gemüse handelt, hat oft längst aufgegeben.“
Palästinenser sind traditionell Händler und Geschäftsleute. So wurde in Nablus, wo nicht ohne Grund die Lufthansa ein Büro unterhält, 1997 die Börse eröffnet. Unscheinbar auf ebener Erde in einem Hochhaus am Rande der Innenstadt, aber modern ausgestattet ist „The Palestine Securities Exchange“. Die Angestellten sitzen hier mit Schlips und Kragen vor den Computern. Meist ist von Terror und Gewalt die Rede, aber in Nablus oder Ramallah leben eben auch die jungen gutausgebildeten Palästinenser, die oft im Ausland studiert haben und in ihrer Heimat gerne Geschäfte und Gewinne machen würden. Sie haben mit der Politik wenig zu tun und wären die besten Botschafter gegen den Extremismus; aber auch sie können sich wie die Börsenmitarbeiter kaum bewegen.
... haben kaum Bewegungsfreiheit
Es gibt gerade einmal 300 Mitglieder im Club der Besitzer einer „Business Man Card (BMC)“, die, von der Autonomieregierung nach formalen Kriterien - Stellung, Umsatz, Mitarbeiter - ausgesucht, von Israel eine Computer-Karte erhalten haben. Sie erlaubt ihnen mehr Bewegungsfreiheit in den palästinensischen Gebieten und an den Grenzen, mehr als zum Beispiel einem deutschen Staatsbürger palästinensischer Herkunft, den Israel nicht als Deutschen anerkennt, sondern wie jeden anderen Palästinenser als möglichen Terroristen behandelt.
Wer als Palästinenser jünger als 35 Jahre alt ist - oder auch älter, aber unverheiratet und ohne Kinder -, ist ein „Sicherheitsrisiko“. Neulich erhielt ein palästinensischer Mitarbeiter in der Deutschen Industrie- und Handelskammer den wohl zuvorkommend gemeinten Anruf von einem israelischen Sicherheitsoffizier: Er wolle ihm die gute Nachricht geben, daß gegen ihn keine Sicherheitsbedenken vorliegen. „Aber da Sie unter 35 Jahre alt sind, können wir Ihnen leider keinen Passierschein geben.“
„Al-Quds-Index“ als Barometer der palästinensichen Wirtschaft
Wegen der beiden wichtigsten Konzerne Padico und Paltel, die über Munib al Masri mit Nablus verbunden sind, kam die Börse in diese Stadt. Diese beiden Firmen bringen 80 Prozent des Firmenvolumens der insgesamt 28 Gesellschaften ein, deren Aktien in Dollar oder jordanischem Dinar gehandelt werden. Zunächst hatten auch die meisten Brokerfirmen in Nablus ihren Sitz. Heute sind nur noch zwei in der Stadt; fünf dagegen in Ramallah, der „politischen Hauptstadt“. Mit einem Aktienkapital von mindestens 750.000 Dollar, 100.000 Anteilen und mindestens 100 Aktionären kann eine Firma an die Börse gehen. Das Telekommunikationsunternehmen Paltel ist mit einer halben Milliarde Dollar dabei und gehört zu 30 Prozent dem größten Unternehmen Padico.
Die kleine Börse ist Barometer für die palästinensische Wirtschaft. Kurz nach der Eröffnung wuchs der „Al-Quds-Index“ um 50 Prozent. Keine anderer arabischer Index konnte damals ähnliche Zuwächse verzeichnen. Der Beginn der „zweiten Intifada“ im Herbst 2000 ließ die Kurse vom höchsten Stand bei knapp 293 auf den damals niedrigsten bei 142 fallen. Ende 2004 zog die Börse mit dem Tod von PLO-Chef Arafat an. Nachfolger Abbas war die Hoffnung. Völlig überbewertet, sanken die Kurse dann 2005 wieder, als die Padico-Dividende deutlich unter den Erwartungen ausfiel. Seither bewegt sich die Fieberkurve der palästinensischen Wirtschaft auf niedrigem Niveau; der Wahlsieg der islamistischen Hamas war der letzte Querschläger. „Der Libanon-Krieg hat an den schlechten Kursen nichts mehr geändert. Es konnte nicht schlimmer werden“, sagt der Präsident der Börse, Abdu Libdeh.
Israelische Kontrollpunkte verhindern kaum den Terror
Schon der Weg zur „Nationalen Aluminium und Profil-Gesellschaft“ (NAPCO) zeigt das Dilemma. Der Betrieb liegt am Rande der Stadt und ist nur über einen israelischen Kontrollpunkt an der Hauptstraße erreichbar, wo Soldaten nach dem Weg fragen: „Wenn die nicht wollen, kommen die Arbeiter zu spät oder gar nicht; und den Behelfsweg aus der Stadt, den wir eigens bauten, sollen wir schließen, weil ihn ja auch Terroristen benutzen könnten, sagt die Armee. Wir aber sind ein Schichtbetrieb und brauchen pünktliche Arbeitnehmer“, erläutert der Geschäftsführer.
Die Armee benehme sich „lächerlich“; denn wer Bomben transportieren wolle, könne die unbeobachtet über Land tragen: „Die israelischen Kontrollpunkte halten vor allem den zivilen Verkehr auf und entwürdigen die Menschen, aber sie verhindern kaum den Terror.“ Weil Israel dem Unternehmen verbietet, Schwefelsäure zur Tiefenlackierung des Aluminiums aus Israel einzuführen, liegt das Unternehmen weitgehend lahm. Die Säure könnte nämlich auch zur Herstellung von Sprengstoffen benutzt werden, sagt das Militär. Nun muß dieser Arbeitsgang in Israel erledigt werden, was die Produktion nicht nur verteuert. Die Wettbewerber bedienen NAPCO als letzten ihrer Kunden und drängen zudem in seinen palästinensischen Markt vor. Während sich NAPCO bestimmten Warenkontrollen stellt, überfluten israelische Siedler mit Billigprodukten die Kunden. Das Aktienunternehmen konnte nie zu voller Kapazität ausfahren. 50 Prozent Auslastung waren im Jahr 2000 das Maximum mit 22.000 Tonnen; im ersten Halbjahr 2006 schaffte es der Betrieb auf 600 Tonnen.
Wirtschaftsförderung böte langfristige Sicherheit
Die Druckerei Hijjawi hat andere Probleme. Zwar verfügt das Unternehmen über die besten Druckmaschinen von einem Spitzenhersteller in Heidelberg. Aber die Heidelberger scheuen sich, ihre Maschinen auch zu warten. Sie geben Furcht vor Terroranschlägen vor, reisen nach Israel und Jordanien, aber nicht in die besetzten Gebiete. Husam Hijjawi hat wie alle Unternehmer den israelischen Markt verloren. Jetzt fällt wohl auch der Hauptauftraggeber weg: Die Autonomiebehörde, die bei Hijjawi Schulbücher und Formulare bestellte, kann seit der Machtergreifung der islamistischen Hamas die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Derzeit druckt Hijjawi für das neue Schuljahr Anfang September, beschäftigt 120 Arbeitnehmer und sagt resigniert: „Ich kann nur hoffen.“
Sieben Kontrollpunkte riegeln den Großraum Nablus ab, zählt Hijjawi. „Ich würde gerne gegen Terror und Gewalt wirken: doch was kann ich meinen jungen Arbeitnehmern bieten? Bis sie 35 Jahre alt sind, dürfen sie vielleicht einmal mit einer Ausnahmegenehmigung zu einem Kurs.“ Und ist ihr Arbeitsplatz sicher? „Ginge es Israel wirklich um langfristige Sicherheit, dann würde es die Wirtschaft fördern und mindestens im Westjordanland die ,Vereinbarung über Bewegung und Zugang' umsetzen“, sagt Hijjawi.
Verarmung stärkt die Islamisten
Die amerikanische Außenministerin Rice hatte im November einen Vertrag über mehr Freizügigkeit durchsetzen können. Aber die Umsetzung blieb stecken. Und die islamistische Hamas verfolgt keine marktwirtschaftliche Politik, will womöglich die Krise noch verschärfen; denn die Verarmung stärkt die Islamisten. Israels Militär denkt dagegen nur in Begriffen kurzfristiger Sicherheit und scheut Risiken. So sind bei Nablus die Schlangen der Lastwagen am Warenkontrollpunkt Hawarta lang. Am Übergang für Personen dagegen werden Fahrzeuge mit israelischen Kennzeichen wie auch an allen anderen Kontrollpunkten durchgewinkt. Der Transport einer Bombe wäre hier nicht aufgefallen.
Text: F.A.Z., 31.08.2006, Nr. 202 / Seite 3 Bildmaterial: AP, REUTERS
Die palästinensische Fieberkurve. Das israelische Militär gehört zum Leben in Nablus
Von Jörg Bremer, Nablus.
31. August 2006.
Die Fahrt von Jerusalem nach Nablus dauert an diesem Tag nur eine Stunde. Selbst an den Kontrollpunkten auf dem Weg sind die Schlangen kurz: Das Westjordanland schläft. Der Krieg im Libanon hat daran nichts geändert. Vor allem die Wirtschaft verharrt weiter wie eingefroren. Nur ein paar Hotels profitierten. Israelische Araber aus dem von Katjuscha-Raketen beschossenen Norden Israels zogen während des Krieges nach Jericho oder Bethlehem - „in die sichere Sommerfrische“ im Süden, wenn sie dafür israelische Genehmigungen erhielten, denn eigentlich dürfen Israelis, auch wenn sie Araber sind, nicht in die palästinensischen Gebiete.
In der „Kasba“, der Altstadt von Nablus, geht es zwischen den osmanischen Palästen und den Neubauten aus den siebziger Jahren im Marktviertel lebendig zu. Früher kamen auch Israelis dorthin, um bei Abu Ali Schaschlik und Houmus zu essen, woran ein vergilbter Zeitungsartikel aus „Jediot Ahronot“ hinter Glas erinnert. Jetzt kommen die Israelis nur noch als Soldaten im Panzer, oft mit Verstärkung aus der Luft. Sie schießen auf „Terroristen“ und „Widerstandskämpfer“ und legen dabei auch prächtige Gebäude in Schutt und Asche, die den Ruf der reichsten, grünsten und schönsten Stadt im Krisengebiet des Nahen Ostens begründeten. 200.000 Menschen leben zwischen den beiden hohen Bergen längs der historischen Straße, die schon Ägypter und Babylonier nutzten und wo römische Grabanlagen vom Erbe der Provinz Palästina berichten.
Ein Milliardär als letzte Wirtschaftskraft einer Stadt
Die Soldaten kommen täglich, meist in der Nacht. Dann suchen sie zum Beispiel auch im Flüchtlingslager Balata in der Nähe des historischen Teil des bronzezeitlichen Sichem nach Terroristen. An diesem Tag sind sie am Mittag auch in der Kasba. Den Betrieb des Kartonherstellers am Rand der Stadt beeinträchtigt das nicht. Die Firma scheint auf dem weitläufigen Gelände unter hohen Dächern ohnehin vor allem Stille und Leere herzustellen. Hazem al Aghar sitzt in der verstaubten Pracht des Chefbüros eines Betriebes, der sich großmundig „The National Carton Industry“ nennt. Dabei konnte das Unternehmen nur gerettet werden, weil es die Padico-Holding des Wirtschaftsmagnaten Munib al Masri kaufte und so vor dem Untergang rettete. Der Milliardär Masri, der oft als der nächste palästinensische Ministerpräsident genannt wird, ist wohl die letzte Wirtschaftskraft in seiner Heimatstadt. Sein Palladio-Palast hoch oben auf dem Gerezim neben den Ruinen des persischen Samaritaner-Tempels kündet von seiner Rolle in Nablus.
Aghbar ist einer seiner Angestellten. Da andere Padico-Unternehmen auch Kartons brauchen, haben er und seine 35 Mitarbeiter noch ihren Arbeitsplatz. Früher konnte der Betrieb 90 Mitarbeiter ernähren. Die meisten kommen aus dem Balata-Lager, das zuletzt eher als ein Zentrum von Kriminalität, Gewalt und Terror auf sich aufmerksam machte und Nablus den Beinamen „Chicago des Nahen Ostens“ eintrug. 1997 hatte der Kartonhersteller gut zwei Millionen Euro Umsatz gemacht, heute sind es 250.000 Euro. Damals gingen 80 Prozent der Produktion nach Israel; heute schulden die letzten Abnehmer Aghbar noch knapp eine Million Euro. Der Betrieb hat noch nicht einmal mehr Kunden überall in den palästinensischen Gebieten: Der Gazastreifen wird von Israel „allemal seit dem Abzug der Siedler als eigene Wirtschaftseinheit angesehen. Wegen der vielen Kontrollpunkte gehen aber auch kaum Waren über Nablus hinaus“, sagt al Aghbar. Vor Jahren konnte ein Fahrer am Tage mehrere Kunden zwischen Nablus und Hebron besuchen. Heute dauert die Tour nach Hebron einen Tag. Das verteuert den Transport einer Ladung von 80 Euro auf 500 Euro.
Palästinas beste Botschafter gegen Extremismus...
Aus Schweden, Finnland und Deutschland kommt das Papier für den Betrieb. „Nach einem Streik am Hafen sind wir Palästinenser die letzten Kunden, die abgefertigt werden.“ Israelische Fahrer bringen die Rohstoffe an die Stadtgrenze zum Warenkontrollpunkt Hawarta. Dort müssen sie auf einen palästinensischen Wagen umgeladen werden. Das bedeutet eine weitere Verzögerung und Verteuerung. Erst dann darf der Betrieb angesteuert werden. „Zum Glück kann Karton lange auf der Straße sein“, sagt Aghbar, „doch wer mit Obst oder Gemüse handelt, hat oft längst aufgegeben.“
Palästinenser sind traditionell Händler und Geschäftsleute. So wurde in Nablus, wo nicht ohne Grund die Lufthansa ein Büro unterhält, 1997 die Börse eröffnet. Unscheinbar auf ebener Erde in einem Hochhaus am Rande der Innenstadt, aber modern ausgestattet ist „The Palestine Securities Exchange“. Die Angestellten sitzen hier mit Schlips und Kragen vor den Computern. Meist ist von Terror und Gewalt die Rede, aber in Nablus oder Ramallah leben eben auch die jungen gutausgebildeten Palästinenser, die oft im Ausland studiert haben und in ihrer Heimat gerne Geschäfte und Gewinne machen würden. Sie haben mit der Politik wenig zu tun und wären die besten Botschafter gegen den Extremismus; aber auch sie können sich wie die Börsenmitarbeiter kaum bewegen.
... haben kaum Bewegungsfreiheit
Es gibt gerade einmal 300 Mitglieder im Club der Besitzer einer „Business Man Card (BMC)“, die, von der Autonomieregierung nach formalen Kriterien - Stellung, Umsatz, Mitarbeiter - ausgesucht, von Israel eine Computer-Karte erhalten haben. Sie erlaubt ihnen mehr Bewegungsfreiheit in den palästinensischen Gebieten und an den Grenzen, mehr als zum Beispiel einem deutschen Staatsbürger palästinensischer Herkunft, den Israel nicht als Deutschen anerkennt, sondern wie jeden anderen Palästinenser als möglichen Terroristen behandelt.
Wer als Palästinenser jünger als 35 Jahre alt ist - oder auch älter, aber unverheiratet und ohne Kinder -, ist ein „Sicherheitsrisiko“. Neulich erhielt ein palästinensischer Mitarbeiter in der Deutschen Industrie- und Handelskammer den wohl zuvorkommend gemeinten Anruf von einem israelischen Sicherheitsoffizier: Er wolle ihm die gute Nachricht geben, daß gegen ihn keine Sicherheitsbedenken vorliegen. „Aber da Sie unter 35 Jahre alt sind, können wir Ihnen leider keinen Passierschein geben.“
„Al-Quds-Index“ als Barometer der palästinensichen Wirtschaft
Wegen der beiden wichtigsten Konzerne Padico und Paltel, die über Munib al Masri mit Nablus verbunden sind, kam die Börse in diese Stadt. Diese beiden Firmen bringen 80 Prozent des Firmenvolumens der insgesamt 28 Gesellschaften ein, deren Aktien in Dollar oder jordanischem Dinar gehandelt werden. Zunächst hatten auch die meisten Brokerfirmen in Nablus ihren Sitz. Heute sind nur noch zwei in der Stadt; fünf dagegen in Ramallah, der „politischen Hauptstadt“. Mit einem Aktienkapital von mindestens 750.000 Dollar, 100.000 Anteilen und mindestens 100 Aktionären kann eine Firma an die Börse gehen. Das Telekommunikationsunternehmen Paltel ist mit einer halben Milliarde Dollar dabei und gehört zu 30 Prozent dem größten Unternehmen Padico.
Die kleine Börse ist Barometer für die palästinensische Wirtschaft. Kurz nach der Eröffnung wuchs der „Al-Quds-Index“ um 50 Prozent. Keine anderer arabischer Index konnte damals ähnliche Zuwächse verzeichnen. Der Beginn der „zweiten Intifada“ im Herbst 2000 ließ die Kurse vom höchsten Stand bei knapp 293 auf den damals niedrigsten bei 142 fallen. Ende 2004 zog die Börse mit dem Tod von PLO-Chef Arafat an. Nachfolger Abbas war die Hoffnung. Völlig überbewertet, sanken die Kurse dann 2005 wieder, als die Padico-Dividende deutlich unter den Erwartungen ausfiel. Seither bewegt sich die Fieberkurve der palästinensischen Wirtschaft auf niedrigem Niveau; der Wahlsieg der islamistischen Hamas war der letzte Querschläger. „Der Libanon-Krieg hat an den schlechten Kursen nichts mehr geändert. Es konnte nicht schlimmer werden“, sagt der Präsident der Börse, Abdu Libdeh.
Israelische Kontrollpunkte verhindern kaum den Terror
Schon der Weg zur „Nationalen Aluminium und Profil-Gesellschaft“ (NAPCO) zeigt das Dilemma. Der Betrieb liegt am Rande der Stadt und ist nur über einen israelischen Kontrollpunkt an der Hauptstraße erreichbar, wo Soldaten nach dem Weg fragen: „Wenn die nicht wollen, kommen die Arbeiter zu spät oder gar nicht; und den Behelfsweg aus der Stadt, den wir eigens bauten, sollen wir schließen, weil ihn ja auch Terroristen benutzen könnten, sagt die Armee. Wir aber sind ein Schichtbetrieb und brauchen pünktliche Arbeitnehmer“, erläutert der Geschäftsführer.
Die Armee benehme sich „lächerlich“; denn wer Bomben transportieren wolle, könne die unbeobachtet über Land tragen: „Die israelischen Kontrollpunkte halten vor allem den zivilen Verkehr auf und entwürdigen die Menschen, aber sie verhindern kaum den Terror.“ Weil Israel dem Unternehmen verbietet, Schwefelsäure zur Tiefenlackierung des Aluminiums aus Israel einzuführen, liegt das Unternehmen weitgehend lahm. Die Säure könnte nämlich auch zur Herstellung von Sprengstoffen benutzt werden, sagt das Militär. Nun muß dieser Arbeitsgang in Israel erledigt werden, was die Produktion nicht nur verteuert. Die Wettbewerber bedienen NAPCO als letzten ihrer Kunden und drängen zudem in seinen palästinensischen Markt vor. Während sich NAPCO bestimmten Warenkontrollen stellt, überfluten israelische Siedler mit Billigprodukten die Kunden. Das Aktienunternehmen konnte nie zu voller Kapazität ausfahren. 50 Prozent Auslastung waren im Jahr 2000 das Maximum mit 22.000 Tonnen; im ersten Halbjahr 2006 schaffte es der Betrieb auf 600 Tonnen.
Wirtschaftsförderung böte langfristige Sicherheit
Die Druckerei Hijjawi hat andere Probleme. Zwar verfügt das Unternehmen über die besten Druckmaschinen von einem Spitzenhersteller in Heidelberg. Aber die Heidelberger scheuen sich, ihre Maschinen auch zu warten. Sie geben Furcht vor Terroranschlägen vor, reisen nach Israel und Jordanien, aber nicht in die besetzten Gebiete. Husam Hijjawi hat wie alle Unternehmer den israelischen Markt verloren. Jetzt fällt wohl auch der Hauptauftraggeber weg: Die Autonomiebehörde, die bei Hijjawi Schulbücher und Formulare bestellte, kann seit der Machtergreifung der islamistischen Hamas die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Derzeit druckt Hijjawi für das neue Schuljahr Anfang September, beschäftigt 120 Arbeitnehmer und sagt resigniert: „Ich kann nur hoffen.“
Sieben Kontrollpunkte riegeln den Großraum Nablus ab, zählt Hijjawi. „Ich würde gerne gegen Terror und Gewalt wirken: doch was kann ich meinen jungen Arbeitnehmern bieten? Bis sie 35 Jahre alt sind, dürfen sie vielleicht einmal mit einer Ausnahmegenehmigung zu einem Kurs.“ Und ist ihr Arbeitsplatz sicher? „Ginge es Israel wirklich um langfristige Sicherheit, dann würde es die Wirtschaft fördern und mindestens im Westjordanland die ,Vereinbarung über Bewegung und Zugang' umsetzen“, sagt Hijjawi.
Verarmung stärkt die Islamisten
Die amerikanische Außenministerin Rice hatte im November einen Vertrag über mehr Freizügigkeit durchsetzen können. Aber die Umsetzung blieb stecken. Und die islamistische Hamas verfolgt keine marktwirtschaftliche Politik, will womöglich die Krise noch verschärfen; denn die Verarmung stärkt die Islamisten. Israels Militär denkt dagegen nur in Begriffen kurzfristiger Sicherheit und scheut Risiken. So sind bei Nablus die Schlangen der Lastwagen am Warenkontrollpunkt Hawarta lang. Am Übergang für Personen dagegen werden Fahrzeuge mit israelischen Kennzeichen wie auch an allen anderen Kontrollpunkten durchgewinkt. Der Transport einer Bombe wäre hier nicht aufgefallen.
Text: F.A.Z., 31.08.2006, Nr. 202 / Seite 3 Bildmaterial: AP, REUTERS
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