Muskuläre Aufrüstung (FAZ)
Doping im Bodybuilding
„Medikamentenabhängige Mutanten“
Jörg Börjesson, 39 Jahre, hat als Bodybuilder in den achtziger Jahren regelmäßig „Kuren“ mit Anabolika gemacht. Heute muß er deswegen mit großen gesundheitlichen Problemen fertig werden. Er hat sich die Aufklärung über die Folgen des Anabolika-Mißbrauchs zum Anliegen gemacht.
Herr Börjesson, am Dienstag sind acht Personen wegen Verdachts auf illegalen Anabolikahandel festgenommen worden. Einer von ihnen war früher deutscher Meister im Bodybuilding. Kannten Sie ihn?
Solche Leute kennt man aus den Bodybuildingmagazinen, in denen das Thema Doping und Drogen nicht vorkommt. Die dort als Bodybuilder bezeichnet werden, sind in Wahrheit medikamentenabhängige Mutanten.
Es scheint sich bei den Festgenommenen um Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu handeln.
Tatsächlich haben die Leute, die die Mittel vertreiben, mit dem Sport oft gar nichts zu tun, sondern sind Dealer, die neben anderen Drogen auch Anabolika verkaufen. Bekannte Bodybuilder dienen oft als Mittelsmänner, zu denen die Jugendlichen aufschauen. Vor kurzem hat mich ein Dealer angerufen, selbst ein Bodybuilder, mit einem Armumfang von 52 Zentimetern. Er wolle aussteigen, hat er gesagt, wegen der Brutalität in der Szene. Wenn dir einer eine Knarre an den Kopf hält, dann helfen 52 Zentimeter Armumfang nicht viel.
Sie selbst sind auch über einen bekannten Bodybuilder zum Anabolikakonsum gekommen...
Das Fitnessstudio, in dem ich trainierte, hatte den damaligen deutschen Meister im Bodybuilding zu einem Seminar eingeladen. Der Kerl war zwei Meter groß, schaffte 250 Kilogramm im Bankdrücken. Das war kein dreckiger Dealer von der Straße. In der Umkleidekabine haben ein paar Jugendliche gefragt, ob er Tips hat. Dann hat er jedem ein paar Anabolikapillen gegeben. Auch mir.
Nach jahrelangem Steroidmißbrauch haben Sie heute große gesundheitliche Probleme und versuchen in Seminaren, Jugendliche aufzuklären. Welche vor allem?
Das Zeug wird von Leuten genommen, die sich ausschließlich über ihre Körper definieren. Sie könnten Kokain schnupfen, um gesprächiger zu werden. Statt dessen nehmen sie Anabolika oder spritzen sich ein Öl in den Bizeps, was eine allergische Reaktion auslöst: Der Muskel schwillt an. Ich habe mit Deutschtürken geredet, die Schwierigkeiten mit Neonazis haben. Die pumpen sich voll und laufen dann mit Muskelshirts durch deren Viertel. Muskuläre Aufrüstung nennt man das: Wer den dicksten Arm hat, hat am meisten zu sagen.
Zur Körperlichkeit gehört auch die Libido, die unter Anabolikamißbrauch leidet. Schreckt das die Jugendlichen nicht ab?
Die Dealer sprechen nicht von solchen Nebenwirkungen. Zu Beginn der Einnahme, gerade bei Pubertierenden, bei denen der Testosteronspiegel von Haus aus sehr hoch ist, tritt sogar der gegenteilige Effekt auf: Sie haben praktisch eine Dauererektion. Nach und nach stellt der Körper seine eigene Testosteronherstellung ein, was zu sexuellen Schwierigkeiten führt. Dann müssen die Konsumenten nachlegen.
Beschränkt sich der Drogenmißbrauch im Breitensport auf soziale Randgruppen?
Nein. Ich habe Manager reiferen Alters erlebt, die es ihren jüngeren Kollegen beim Berlin-Marathon mal so richtig zeigen wollten. Einer fragte mich nach Mittelchen, mit denen er innerhalb von drei Wochen fit werden könnte. Für einen Marathon! Ich kenne Soldaten, die sich mit Drogen für die Einzelkämpferausbildung bei der Bundeswehr fit zu machen versuchen. Unter Gogo-Tänzern ist es wiederum nicht unüblich, auf den Strich zu gehen, um Anabolika zu kaufen, mit denen sie in der Disko besser auszusehen glauben.
Wer ist schuld an der Misere?
Die Fitnessstudios haben zu lange weggeschaut, sie wollten sich keine Schwierigkeiten einhandeln. Hinzukommt, daß die Pharmaindustrie ihre Überproduktion überhaupt nicht im Griff hat. Es muß zumindest undichte Stellen geben. Wie sonst ist zu erklären, daß bei Razzien immer wieder Originalverpackungen bekannter Unternehmen gefunden werden? Im übrigen kommt man heute im Internet so einfach an anabole Steroide wie an Reisen bei Neckermann. Sogar an Präparate, die in der Medizin nie zugelassen worden sind.
Die Fragen stellte Timo Frasch.
Text: F.A.Z., 31.08.2006, Nr. 202 / Seite 7Bildmaterial: dpa/dpaweb
„Medikamentenabhängige Mutanten“
Jörg Börjesson, 39 Jahre, hat als Bodybuilder in den achtziger Jahren regelmäßig „Kuren“ mit Anabolika gemacht. Heute muß er deswegen mit großen gesundheitlichen Problemen fertig werden. Er hat sich die Aufklärung über die Folgen des Anabolika-Mißbrauchs zum Anliegen gemacht.
Herr Börjesson, am Dienstag sind acht Personen wegen Verdachts auf illegalen Anabolikahandel festgenommen worden. Einer von ihnen war früher deutscher Meister im Bodybuilding. Kannten Sie ihn?
Solche Leute kennt man aus den Bodybuildingmagazinen, in denen das Thema Doping und Drogen nicht vorkommt. Die dort als Bodybuilder bezeichnet werden, sind in Wahrheit medikamentenabhängige Mutanten.
Es scheint sich bei den Festgenommenen um Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu handeln.
Tatsächlich haben die Leute, die die Mittel vertreiben, mit dem Sport oft gar nichts zu tun, sondern sind Dealer, die neben anderen Drogen auch Anabolika verkaufen. Bekannte Bodybuilder dienen oft als Mittelsmänner, zu denen die Jugendlichen aufschauen. Vor kurzem hat mich ein Dealer angerufen, selbst ein Bodybuilder, mit einem Armumfang von 52 Zentimetern. Er wolle aussteigen, hat er gesagt, wegen der Brutalität in der Szene. Wenn dir einer eine Knarre an den Kopf hält, dann helfen 52 Zentimeter Armumfang nicht viel.
Sie selbst sind auch über einen bekannten Bodybuilder zum Anabolikakonsum gekommen...
Das Fitnessstudio, in dem ich trainierte, hatte den damaligen deutschen Meister im Bodybuilding zu einem Seminar eingeladen. Der Kerl war zwei Meter groß, schaffte 250 Kilogramm im Bankdrücken. Das war kein dreckiger Dealer von der Straße. In der Umkleidekabine haben ein paar Jugendliche gefragt, ob er Tips hat. Dann hat er jedem ein paar Anabolikapillen gegeben. Auch mir.
Nach jahrelangem Steroidmißbrauch haben Sie heute große gesundheitliche Probleme und versuchen in Seminaren, Jugendliche aufzuklären. Welche vor allem?
Das Zeug wird von Leuten genommen, die sich ausschließlich über ihre Körper definieren. Sie könnten Kokain schnupfen, um gesprächiger zu werden. Statt dessen nehmen sie Anabolika oder spritzen sich ein Öl in den Bizeps, was eine allergische Reaktion auslöst: Der Muskel schwillt an. Ich habe mit Deutschtürken geredet, die Schwierigkeiten mit Neonazis haben. Die pumpen sich voll und laufen dann mit Muskelshirts durch deren Viertel. Muskuläre Aufrüstung nennt man das: Wer den dicksten Arm hat, hat am meisten zu sagen.
Zur Körperlichkeit gehört auch die Libido, die unter Anabolikamißbrauch leidet. Schreckt das die Jugendlichen nicht ab?
Die Dealer sprechen nicht von solchen Nebenwirkungen. Zu Beginn der Einnahme, gerade bei Pubertierenden, bei denen der Testosteronspiegel von Haus aus sehr hoch ist, tritt sogar der gegenteilige Effekt auf: Sie haben praktisch eine Dauererektion. Nach und nach stellt der Körper seine eigene Testosteronherstellung ein, was zu sexuellen Schwierigkeiten führt. Dann müssen die Konsumenten nachlegen.
Beschränkt sich der Drogenmißbrauch im Breitensport auf soziale Randgruppen?
Nein. Ich habe Manager reiferen Alters erlebt, die es ihren jüngeren Kollegen beim Berlin-Marathon mal so richtig zeigen wollten. Einer fragte mich nach Mittelchen, mit denen er innerhalb von drei Wochen fit werden könnte. Für einen Marathon! Ich kenne Soldaten, die sich mit Drogen für die Einzelkämpferausbildung bei der Bundeswehr fit zu machen versuchen. Unter Gogo-Tänzern ist es wiederum nicht unüblich, auf den Strich zu gehen, um Anabolika zu kaufen, mit denen sie in der Disko besser auszusehen glauben.
Wer ist schuld an der Misere?
Die Fitnessstudios haben zu lange weggeschaut, sie wollten sich keine Schwierigkeiten einhandeln. Hinzukommt, daß die Pharmaindustrie ihre Überproduktion überhaupt nicht im Griff hat. Es muß zumindest undichte Stellen geben. Wie sonst ist zu erklären, daß bei Razzien immer wieder Originalverpackungen bekannter Unternehmen gefunden werden? Im übrigen kommt man heute im Internet so einfach an anabole Steroide wie an Reisen bei Neckermann. Sogar an Präparate, die in der Medizin nie zugelassen worden sind.
Die Fragen stellte Timo Frasch.
Text: F.A.Z., 31.08.2006, Nr. 202 / Seite 7Bildmaterial: dpa/dpaweb
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