Der Cowboy von Köpenick (tagesspiegel)
Der Cowboy von Köpenick
Millionen Platten verkauft, Star von Chile bis Sibirien. Nur in Westdeutschland kannte ihn keiner – Dean Reed, Amerikaner und Wahl-DDRler. Das soll sich nun ändern. Mit einem Film über sein rätselhaftes Leben und Sterben: „Der rote Elvis“
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Am Morgen des 17. Juni 1986 wurde im Zeuthener See, Ost-Berlin, die Leiche eines Mannes gefunden. Es war sehr heiß, aber er trug zwei dicke Jacken übereinander.
Am Abend meldete die „Aktuelle Kamera“ des DDR-Fernsehens einen tragischen Unglücksfall. Der Tagesspiegel fand Tod durch Erhängen zutreffender. Die „Bild“-Zeitung fragte: „US-Popstar von DDR-Geheimdienst ertränkt?“ Amerikanische Blätter druckten dieselbe Vermutung, aber meist ohne Fragezeichen.
Dean Reed, geboren 1938 in Denver, Colorado, der Mann des gelebten Paradoxons, war tot. Ein Cowboy in der DDR. Ein bekennender Amerikaner, wohnhaft in Ost-Berlin. Weltbekannt, aber schon im zweiten Berlin unbekannt zugleich. Er hat Millionen von Platten verkauft, von Kap Hoorn bis Sibirien, doch Manfred Krug glaubte trotzdem nie, dass Dean Reed singen konnte. Aber reiten konnte er. Und laufen, schon als Jugendlicher hatte er ein Wettrennen gegen ein Muli gewonnen. Gleich darauf stellte er einen Langstreckenrekord auf: 175 Kilometer in 22 Stunden. Seitdem war Dean Reed nicht unbedingt langsamer geworden. Und so einer stirbt in knietiefem Wasser im Zeuthener See?
Leopold Grün, Filmemacher, steht vorm S-Bahnhof Grünau. Rechts geht’s nach Rauchfangswerder zu Reeds Haus und zum Zeuthener See. Aber wir, sagt Grün, fahren trotzdem nach links. Nicht nur, weil Reed sein Leben lang in diese Richtung unterwegs war – ein weiter Weg von Wheat Ridge bei Denver, Colorado, aus gesehen. Und von seinem Vater, dem Kommunistenhasser. Cyril Reed, vom Sohn später kurz der „Diktator“ genannt, zählte zu den Kreisen, die genau wussten, worum es sich beim „Sergeant Pepper’s“-Album der Beatles wirklich handelte: um eine „internationale kommunistische Verschwörung“.
Grün hat einen Dokumentarfilm über Dean Reed gemacht. Er heißt „Der rote Elvis“ und kommt am Donnerstag in die Kinos. Immerhin hat der Mann, der nun schon seit über 20 Jahren tot ist, noch immer eine weltweite Fangemeinde. Tom Hanks will einen Film über ihn drehen, mit Steven Spielbergs Produktionsgesellschaft und sich selbst in der Hauptrolle.
Nicht, weil er Dean Reed nicht vergessen konnte, hat Leopold Grün, 1968 in Dresden geboren, seinen Dokumentarfilm gemacht. Im Gegenteil, weil er ihn irgendwann komplett vergessen hatte. So wie man manchmal jemanden vergisst, fast ohne Spur, von heute auf morgen.
Grüns Vergessen währte bis zu dem Tag in den 90ern, als er mit Freunden im Prater-Garten, Prenzlauer Berg, über die schrägsten Cowboys aller Zeiten nachdachte. Reeds Name fiel. Die Westler am Tisch fragten: Wer ist das denn? Die Ostler am Tisch nickten. Der Eiserne Vorhang war nur in einer Richtung wirklich undurchsichtig.
Die Frage „Wer ist das denn?“ ging nicht mehr weg. „Dieser Ami mit der erhobenen Faust und dem Zahnpasta-Lächeln“ (Grün), plötzlich war er ein Rätsel. Da passte doch nichts zusammen. Andererseits passte alles zusammen, für Augenblicke wenigstens. Und dann wurde nach der Wende Reeds Abschiedsbrief – große zittrige Buchstaben – gefunden. Grüns fünfjährige Reise in eine fremd-vertraute Bewusstseinslage begann.
Seine Musik, sagt Grün, als wir in die Straßenbahnlinie 68 einsteigen, mochte ich eigentlich noch nie. „Der hat zum Schluss beinahe Schlager gesungen.“ In Grüns noch fast jungenhaftem Gesicht steht plötzliche Qual. Dann schon lieber die frühen Rock -’n’- Roll-Sachen, die Grüns schönem Film, der wie ein Puzzle ist, das jeder für sich zusammenlegen muss, den Takt vorgeben.
Kam eigentlich auch „Our Summer Romance/ I Ain’t Got You“ drin vor, der 1960er-Superhit in Südamerika? Reed reiste seinem Song hinterher für ein paar Konzerte. Zum ersten Mal ins Ausland, nach Chile. Woanders keinen Menschen zu kennen heißt nicht, dass man nicht vom Flughafen abgeholt wird. Tausende waren da. Für den Stau auf dem Weg in die Stadt war er verantwortlich, auch weil ein Radiosender live die aktuelle Position seiner Limousine bekannt gab. Aber schon auf diesen ersten Kilometern im fremden Land begann der Rock ’n’ Roller sich wie Dean Reed zu benehmen. Zum ersten Mal. Ohne Rücksicht hatte sein Fahrer sich den Weg durch die Menge gebahnt, Reed protestierte, stieg aus und – ging zu Fuß. In Chile wurde er zum Fußgänger des Lebens. Man sieht anders, riecht anders ohne eine Autoglasscheibe zwischen sich und der Welt. In Santiago sah Reed zum ersten Mal ein Getto. Auch das war also Amerika. 1960 wurde Dean Read in Südamerika zum beliebtesten Popstar gewählt. Vor Elvis Presley, Paul Anka und Ray Charles.
Wir müssen raus, hier!, ruft der Regisseur, und plötzlich stehen wir im Niemandsland zwischen Grünau und Köpenick. Man glaubt kaum, dass hier überhaupt noch etwas ist. Doch, sagt Grün, da ist was. Wir laufen in eine Siedlung, die Vorurteilsvollere gewiss auch Getto nennen würden. Aber es ist ein Getto mit blühenden Vorgärten und grünen Wiesen. Eine sanierte 60er-Jahre-Plattenbausiedlung, seltsam still. Das perfekte Versteck. Friedrich-Wolf-Straße. Wir sind da, sagt Grün, das ist sie. Er zeigt auf einen Block und ein halb geöffnetes Fenster im ersten Stock. Reeds geheime Zweitwohnung. Hier hat er die amerikanische Flagge überm Tisch ausgerollt und eine Frau geliebt, die nicht seine Frau war, die aber genauso wenig wie seine Frau verstand, was die Stars und Stripes auf einem Tisch machen.
Er war ein Patriot, sagt Grün, er fühlte sich durch und durch als Amerikaner. Ohne das zu verstehen, versteht man gar nichts.
Aber die Amerikaner haben das bis heute nicht begriffen. „Unamerikanisches Verhalten“ lautete der immergleiche Vorwurf seiner Landsleute. Reed hat Ende der 60er Jahre in Santiago vor laufender Kamera eine US-Fahne gewaschen. Im Namen eines Amerika, das nicht Krieg führen würde in Vietnam.
Er hat die Fahne verbrannt, glauben noch heute manche Chilenen in Grüns Film. Nie, niemals hätte er das getan!, widerspricht später in einem Café am Hackeschen Markt die Redakteurin der Dean-Reed-Website. Es klingt sehr streng. Gewaschen ja, aber nie hat er sie verbrannt! Das sind die kleinen Differenzen um alles. Andrea Witte, Anfang 40, kurzer selbstbewusster Bürstenhaarschnitt, kennt sie alle, diese Differenzen. Vielleicht auch, weil sie ihm einmal sehr nah war, ohne ihm je nahe gewesen zu sein. Weil sie einmal ihre Seele zu seiner gemacht hat, wie es jungen Mädchen leicht geschehen kann. Das war, nachdem sie den Defa-Indianerfilm „Blutsbrüder“ gesehen hatte.
Dean Reed machte eine Erfahrung, wie sie nicht jedem Mann zuteil wird. Man muss gar nicht mit Maultieren um die Wette laufen, um aufzufallen, es genügt, ganz einfach auf einer Bühne zu stehen, um weibliche Massenpaniken auszulösen. Die Globalisierung der Gefühle von Santiago bis Moskau. Dabei war dieser Mann zu schön, um noch interessant zu sein. Ein Gesicht ohne Tiefen. Männern fällt das auch auf im Film: Er sieht eben aus wie ein Amerikaner, ein guter. Wie das zeitlose Urbild des Cowboys.
Umso irritierender, was in dieser Wohnung geschah. Denn sie war der Treffpunkt einer temporären Zweier-Selbsthilfegruppe für schwer Depressive. Eine schwermütige Zahnärztin aus Sachsen und ein schwermütiger Schauspieler trafen sich in ihrer Geheimwohnung. Dieser Sonnyboy war depressiv?
Grün hebt langsam die Schultern zu einem „Ja, sicher“. Aber wann begann das? Vielleicht, als Manfred Krug ihn fragte: Na, heute schon für den Frieden gekämpft? Und die ganze DDR sah ihn doch irgendwann an, als wollte sie dieselbe Frage stellen. Dass der nicht ganz normal war, wusste jeder. Geht freiwillig in ein Land, aus dem andere weg wollen.
In Argentinien hatte Reed 1965 eine eigene Fernsehshow bekommen, die „Dean-Reed-Show“, jeden Samstag um 21 Uhr. Und einmal saß da Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltraum, eine Russin. Eine Woche später holte der argentinische Geheimdienst den Showmaster ab und fragte: Wie viel haben sie dir bezahlt? Bist du ein Agent der Sowjetunion? Tags darauf verfehlten ihn Schüsse, das wiederholte sich.
Argentinien warf ihn als Sicherheitsrisiko aus dem Land, die neuen Regierenden wollten durch nichts den Unmut der USA erregen. So wie Salvador Allende, der neue Präsident von Chile, für dessen Wahlsieg Reed sang. Allende und viele Menschen, die Reed in Chile liebte, würden diesen Sieg nicht lange überleben. Für seinen ermordeten Freund, den Sänger Victor Jara, machte Reed später den Film „El Cantor“. Und da fragt dieser Krug: Na, heute schon für den Frieden gekämpft?
Grüns Freund aus dem Prater-Garten, der nicht wusste, wer Dean Read ist, hat inzwischen ein Buch über Reed geschrieben, fast titelgleich. Dabei hat kein Mensch Dean Reed in der DDR den „roten Elvis“ genannt. Das Buch ordnet das Phänomen Reed lakonisch ein in die Cowboyfilmhistorie und Popmusikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aber bei Grün liegt darunter und darüber noch die Reise in eine sehr fremde, sehr vertraute Bewusstseinslage. Reeds gereckte Faust, irgendwann war sie peinlich, aber konnte er das wissen? Reed besaß, wie jeder Cowboy, einen elementaren Gerechtigkeitssinn. Der war sein Kompass. Kompliziertere geistige Navigationselemente brauchte er nicht.
Im Unterschied zu den meisten Cowboys war er nicht der Meinung, dass, wer sich mit ihm unterhalten wollte, schon seine Sprache sprechen würde. Im Gegenteil, Reed hatte binnen kurzer Zeit Spanisch gelernt, dann Russisch, schließlich Deutsch. Denn Anfang der 70er Jahre sagte auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche eine junge blonde Lehrerin zu ihm: You are the bestlooking man of the world! Die Auskunft überraschte ihn zwar nicht, geheiratet hat er die Lehrerin trotzdem.
Dean Reed lebte den größten Teil seines Lebens in einer fremden Sprache. Wissen Sie, wie das ist, fragt Andrea Witte von „www.deanreed.de“. Dein ganzes Denken wird einfacher, du verstehst keinen Witz, über den die anderen lachen, und nicht nur dann nicht, wenn Manfred Krug ihn macht. Wissen Sie, wie traurig das ist? Andererseits drehte Reed mit dieser Einfachheit, ja Naivität seinen wohl schönsten Film: Celino Bleiweiß’ „Aus dem Leben eines Taugenichts“ nach Joseph von Eichendorff. Der Junge aus Wheat Ridge als Alter Ego eines deutschen Romantikers. Ein Fremder fast überall. Es stimmte.
Es wird kühl auf der Bank in der Friedrich-Wolf-Straße. Eine Stelle in seinem Film mag Grün besonders: Reed, Anfang der 80er von der Polizei angehalten wegen überhöhter Geschwindigkeit, steigt aus seinem Lada, legt die Hand vor den Hals und brüllt: Ich habe es so satt wie die übrigen 17 Millionen auch!
Er wollte zurück nach Amerika. Könnte er nicht Senator in Denver werden? Und wer weiß, ob er sein neues Filmprojekt „Bloody Heart“ je beginnen würde? Einen Film über die Belagerung des Indianer-Reservats am Wounded Knee 1973. Koproduktion mit der Sowjetunion. Da war nun Gorbatschow, aber das machte es nicht besser, vermutet Grün. Gorbatschow wollte mit Reagan, dem alten Cowboy da drüben, abrüsten, sollte man ihn verstimmen durch einen Film über die jüngste US-Geschichte? Ein bisschen Diplomatie kann nie schaden.
Und wer zurück will in die USA, muss nicht alles sagen, was er denkt. Erst recht nicht in „60 Minutes“, einer amerikanischen TV-Sendung. Er muss nicht sagen, dass er Ronald Reagan in letzter Konsequenz für einen Staatsterroristen hält. Er muss nicht einmal die Mauer verteidigen, nur weil er in dem Land lebt, das dieses Bauwerk erschaffen hat. Reed hatte es getan. Grün nickt anerkennend. Cowboys sterben aufrecht?
Eine Welle von Empörung schlug hoch in den USA, gute Amerikaner forderten die Gaskammer für Reed. Das war 1986.
Du bist nur ein Showman, du schaffst es ja nicht mal, dich selbst umzubringen, sagte Reeds dritte Frau, die Schauspielerin Renate Blume, zu ihm. Seine Handgelenke waren verbunden. Dutzende Schnitte sollen es gewesen sein darunter. Das war im Juni ’86. Sie waren beide zermürbt vom Warten auf den Drehbeginn von „Bloody Heart“, von Streits und von den „60 Minutes“ wohl auch.
Leopold Grün holt seinen Laptop aus der Tasche, wir lesen auf dem Bildschirm Reeds Abschiedsbrief, den Erich Honecker jahrelang unter Verschluss hielt. Es ist ein viele Seiten langer Verzweiflungsbrief: „Ich wollte bis der Tod uns scheidet mit Renate leben – aber sie hat mich umgebracht – Tag für Tag … sie hat immer weiter angeschrien, daß ich war nur ein schlechter amerikanischer Showman.“
Am 12. Juni 1986 zwischen 22 Uhr und Mitternacht ist Dean Reed im Zeuthener See ertrunken. Eine Woche später sollten die Dreharbeiten zu „Bloody Heart“ beginnen. Die Potsdamer Schule, die Reeds Namen trug, legte ihn nach der Wende wieder ab.
Am Abend meldete die „Aktuelle Kamera“ des DDR-Fernsehens einen tragischen Unglücksfall. Der Tagesspiegel fand Tod durch Erhängen zutreffender. Die „Bild“-Zeitung fragte: „US-Popstar von DDR-Geheimdienst ertränkt?“ Amerikanische Blätter druckten dieselbe Vermutung, aber meist ohne Fragezeichen.
Dean Reed, geboren 1938 in Denver, Colorado, der Mann des gelebten Paradoxons, war tot. Ein Cowboy in der DDR. Ein bekennender Amerikaner, wohnhaft in Ost-Berlin. Weltbekannt, aber schon im zweiten Berlin unbekannt zugleich. Er hat Millionen von Platten verkauft, von Kap Hoorn bis Sibirien, doch Manfred Krug glaubte trotzdem nie, dass Dean Reed singen konnte. Aber reiten konnte er. Und laufen, schon als Jugendlicher hatte er ein Wettrennen gegen ein Muli gewonnen. Gleich darauf stellte er einen Langstreckenrekord auf: 175 Kilometer in 22 Stunden. Seitdem war Dean Reed nicht unbedingt langsamer geworden. Und so einer stirbt in knietiefem Wasser im Zeuthener See?
Leopold Grün, Filmemacher, steht vorm S-Bahnhof Grünau. Rechts geht’s nach Rauchfangswerder zu Reeds Haus und zum Zeuthener See. Aber wir, sagt Grün, fahren trotzdem nach links. Nicht nur, weil Reed sein Leben lang in diese Richtung unterwegs war – ein weiter Weg von Wheat Ridge bei Denver, Colorado, aus gesehen. Und von seinem Vater, dem Kommunistenhasser. Cyril Reed, vom Sohn später kurz der „Diktator“ genannt, zählte zu den Kreisen, die genau wussten, worum es sich beim „Sergeant Pepper’s“-Album der Beatles wirklich handelte: um eine „internationale kommunistische Verschwörung“.
Grün hat einen Dokumentarfilm über Dean Reed gemacht. Er heißt „Der rote Elvis“ und kommt am Donnerstag in die Kinos. Immerhin hat der Mann, der nun schon seit über 20 Jahren tot ist, noch immer eine weltweite Fangemeinde. Tom Hanks will einen Film über ihn drehen, mit Steven Spielbergs Produktionsgesellschaft und sich selbst in der Hauptrolle.
Nicht, weil er Dean Reed nicht vergessen konnte, hat Leopold Grün, 1968 in Dresden geboren, seinen Dokumentarfilm gemacht. Im Gegenteil, weil er ihn irgendwann komplett vergessen hatte. So wie man manchmal jemanden vergisst, fast ohne Spur, von heute auf morgen.
Grüns Vergessen währte bis zu dem Tag in den 90ern, als er mit Freunden im Prater-Garten, Prenzlauer Berg, über die schrägsten Cowboys aller Zeiten nachdachte. Reeds Name fiel. Die Westler am Tisch fragten: Wer ist das denn? Die Ostler am Tisch nickten. Der Eiserne Vorhang war nur in einer Richtung wirklich undurchsichtig.
Die Frage „Wer ist das denn?“ ging nicht mehr weg. „Dieser Ami mit der erhobenen Faust und dem Zahnpasta-Lächeln“ (Grün), plötzlich war er ein Rätsel. Da passte doch nichts zusammen. Andererseits passte alles zusammen, für Augenblicke wenigstens. Und dann wurde nach der Wende Reeds Abschiedsbrief – große zittrige Buchstaben – gefunden. Grüns fünfjährige Reise in eine fremd-vertraute Bewusstseinslage begann.
Seine Musik, sagt Grün, als wir in die Straßenbahnlinie 68 einsteigen, mochte ich eigentlich noch nie. „Der hat zum Schluss beinahe Schlager gesungen.“ In Grüns noch fast jungenhaftem Gesicht steht plötzliche Qual. Dann schon lieber die frühen Rock -’n’- Roll-Sachen, die Grüns schönem Film, der wie ein Puzzle ist, das jeder für sich zusammenlegen muss, den Takt vorgeben.
Kam eigentlich auch „Our Summer Romance/ I Ain’t Got You“ drin vor, der 1960er-Superhit in Südamerika? Reed reiste seinem Song hinterher für ein paar Konzerte. Zum ersten Mal ins Ausland, nach Chile. Woanders keinen Menschen zu kennen heißt nicht, dass man nicht vom Flughafen abgeholt wird. Tausende waren da. Für den Stau auf dem Weg in die Stadt war er verantwortlich, auch weil ein Radiosender live die aktuelle Position seiner Limousine bekannt gab. Aber schon auf diesen ersten Kilometern im fremden Land begann der Rock ’n’ Roller sich wie Dean Reed zu benehmen. Zum ersten Mal. Ohne Rücksicht hatte sein Fahrer sich den Weg durch die Menge gebahnt, Reed protestierte, stieg aus und – ging zu Fuß. In Chile wurde er zum Fußgänger des Lebens. Man sieht anders, riecht anders ohne eine Autoglasscheibe zwischen sich und der Welt. In Santiago sah Reed zum ersten Mal ein Getto. Auch das war also Amerika. 1960 wurde Dean Read in Südamerika zum beliebtesten Popstar gewählt. Vor Elvis Presley, Paul Anka und Ray Charles.
Wir müssen raus, hier!, ruft der Regisseur, und plötzlich stehen wir im Niemandsland zwischen Grünau und Köpenick. Man glaubt kaum, dass hier überhaupt noch etwas ist. Doch, sagt Grün, da ist was. Wir laufen in eine Siedlung, die Vorurteilsvollere gewiss auch Getto nennen würden. Aber es ist ein Getto mit blühenden Vorgärten und grünen Wiesen. Eine sanierte 60er-Jahre-Plattenbausiedlung, seltsam still. Das perfekte Versteck. Friedrich-Wolf-Straße. Wir sind da, sagt Grün, das ist sie. Er zeigt auf einen Block und ein halb geöffnetes Fenster im ersten Stock. Reeds geheime Zweitwohnung. Hier hat er die amerikanische Flagge überm Tisch ausgerollt und eine Frau geliebt, die nicht seine Frau war, die aber genauso wenig wie seine Frau verstand, was die Stars und Stripes auf einem Tisch machen.
Er war ein Patriot, sagt Grün, er fühlte sich durch und durch als Amerikaner. Ohne das zu verstehen, versteht man gar nichts.
Aber die Amerikaner haben das bis heute nicht begriffen. „Unamerikanisches Verhalten“ lautete der immergleiche Vorwurf seiner Landsleute. Reed hat Ende der 60er Jahre in Santiago vor laufender Kamera eine US-Fahne gewaschen. Im Namen eines Amerika, das nicht Krieg führen würde in Vietnam.
Er hat die Fahne verbrannt, glauben noch heute manche Chilenen in Grüns Film. Nie, niemals hätte er das getan!, widerspricht später in einem Café am Hackeschen Markt die Redakteurin der Dean-Reed-Website. Es klingt sehr streng. Gewaschen ja, aber nie hat er sie verbrannt! Das sind die kleinen Differenzen um alles. Andrea Witte, Anfang 40, kurzer selbstbewusster Bürstenhaarschnitt, kennt sie alle, diese Differenzen. Vielleicht auch, weil sie ihm einmal sehr nah war, ohne ihm je nahe gewesen zu sein. Weil sie einmal ihre Seele zu seiner gemacht hat, wie es jungen Mädchen leicht geschehen kann. Das war, nachdem sie den Defa-Indianerfilm „Blutsbrüder“ gesehen hatte.
Dean Reed machte eine Erfahrung, wie sie nicht jedem Mann zuteil wird. Man muss gar nicht mit Maultieren um die Wette laufen, um aufzufallen, es genügt, ganz einfach auf einer Bühne zu stehen, um weibliche Massenpaniken auszulösen. Die Globalisierung der Gefühle von Santiago bis Moskau. Dabei war dieser Mann zu schön, um noch interessant zu sein. Ein Gesicht ohne Tiefen. Männern fällt das auch auf im Film: Er sieht eben aus wie ein Amerikaner, ein guter. Wie das zeitlose Urbild des Cowboys.
Umso irritierender, was in dieser Wohnung geschah. Denn sie war der Treffpunkt einer temporären Zweier-Selbsthilfegruppe für schwer Depressive. Eine schwermütige Zahnärztin aus Sachsen und ein schwermütiger Schauspieler trafen sich in ihrer Geheimwohnung. Dieser Sonnyboy war depressiv?
Grün hebt langsam die Schultern zu einem „Ja, sicher“. Aber wann begann das? Vielleicht, als Manfred Krug ihn fragte: Na, heute schon für den Frieden gekämpft? Und die ganze DDR sah ihn doch irgendwann an, als wollte sie dieselbe Frage stellen. Dass der nicht ganz normal war, wusste jeder. Geht freiwillig in ein Land, aus dem andere weg wollen.
In Argentinien hatte Reed 1965 eine eigene Fernsehshow bekommen, die „Dean-Reed-Show“, jeden Samstag um 21 Uhr. Und einmal saß da Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltraum, eine Russin. Eine Woche später holte der argentinische Geheimdienst den Showmaster ab und fragte: Wie viel haben sie dir bezahlt? Bist du ein Agent der Sowjetunion? Tags darauf verfehlten ihn Schüsse, das wiederholte sich.
Argentinien warf ihn als Sicherheitsrisiko aus dem Land, die neuen Regierenden wollten durch nichts den Unmut der USA erregen. So wie Salvador Allende, der neue Präsident von Chile, für dessen Wahlsieg Reed sang. Allende und viele Menschen, die Reed in Chile liebte, würden diesen Sieg nicht lange überleben. Für seinen ermordeten Freund, den Sänger Victor Jara, machte Reed später den Film „El Cantor“. Und da fragt dieser Krug: Na, heute schon für den Frieden gekämpft?
Grüns Freund aus dem Prater-Garten, der nicht wusste, wer Dean Read ist, hat inzwischen ein Buch über Reed geschrieben, fast titelgleich. Dabei hat kein Mensch Dean Reed in der DDR den „roten Elvis“ genannt. Das Buch ordnet das Phänomen Reed lakonisch ein in die Cowboyfilmhistorie und Popmusikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aber bei Grün liegt darunter und darüber noch die Reise in eine sehr fremde, sehr vertraute Bewusstseinslage. Reeds gereckte Faust, irgendwann war sie peinlich, aber konnte er das wissen? Reed besaß, wie jeder Cowboy, einen elementaren Gerechtigkeitssinn. Der war sein Kompass. Kompliziertere geistige Navigationselemente brauchte er nicht.
Im Unterschied zu den meisten Cowboys war er nicht der Meinung, dass, wer sich mit ihm unterhalten wollte, schon seine Sprache sprechen würde. Im Gegenteil, Reed hatte binnen kurzer Zeit Spanisch gelernt, dann Russisch, schließlich Deutsch. Denn Anfang der 70er Jahre sagte auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche eine junge blonde Lehrerin zu ihm: You are the bestlooking man of the world! Die Auskunft überraschte ihn zwar nicht, geheiratet hat er die Lehrerin trotzdem.
Dean Reed lebte den größten Teil seines Lebens in einer fremden Sprache. Wissen Sie, wie das ist, fragt Andrea Witte von „www.deanreed.de“. Dein ganzes Denken wird einfacher, du verstehst keinen Witz, über den die anderen lachen, und nicht nur dann nicht, wenn Manfred Krug ihn macht. Wissen Sie, wie traurig das ist? Andererseits drehte Reed mit dieser Einfachheit, ja Naivität seinen wohl schönsten Film: Celino Bleiweiß’ „Aus dem Leben eines Taugenichts“ nach Joseph von Eichendorff. Der Junge aus Wheat Ridge als Alter Ego eines deutschen Romantikers. Ein Fremder fast überall. Es stimmte.
Es wird kühl auf der Bank in der Friedrich-Wolf-Straße. Eine Stelle in seinem Film mag Grün besonders: Reed, Anfang der 80er von der Polizei angehalten wegen überhöhter Geschwindigkeit, steigt aus seinem Lada, legt die Hand vor den Hals und brüllt: Ich habe es so satt wie die übrigen 17 Millionen auch!
Er wollte zurück nach Amerika. Könnte er nicht Senator in Denver werden? Und wer weiß, ob er sein neues Filmprojekt „Bloody Heart“ je beginnen würde? Einen Film über die Belagerung des Indianer-Reservats am Wounded Knee 1973. Koproduktion mit der Sowjetunion. Da war nun Gorbatschow, aber das machte es nicht besser, vermutet Grün. Gorbatschow wollte mit Reagan, dem alten Cowboy da drüben, abrüsten, sollte man ihn verstimmen durch einen Film über die jüngste US-Geschichte? Ein bisschen Diplomatie kann nie schaden.
Und wer zurück will in die USA, muss nicht alles sagen, was er denkt. Erst recht nicht in „60 Minutes“, einer amerikanischen TV-Sendung. Er muss nicht sagen, dass er Ronald Reagan in letzter Konsequenz für einen Staatsterroristen hält. Er muss nicht einmal die Mauer verteidigen, nur weil er in dem Land lebt, das dieses Bauwerk erschaffen hat. Reed hatte es getan. Grün nickt anerkennend. Cowboys sterben aufrecht?
Eine Welle von Empörung schlug hoch in den USA, gute Amerikaner forderten die Gaskammer für Reed. Das war 1986.
Du bist nur ein Showman, du schaffst es ja nicht mal, dich selbst umzubringen, sagte Reeds dritte Frau, die Schauspielerin Renate Blume, zu ihm. Seine Handgelenke waren verbunden. Dutzende Schnitte sollen es gewesen sein darunter. Das war im Juni ’86. Sie waren beide zermürbt vom Warten auf den Drehbeginn von „Bloody Heart“, von Streits und von den „60 Minutes“ wohl auch.
Leopold Grün holt seinen Laptop aus der Tasche, wir lesen auf dem Bildschirm Reeds Abschiedsbrief, den Erich Honecker jahrelang unter Verschluss hielt. Es ist ein viele Seiten langer Verzweiflungsbrief: „Ich wollte bis der Tod uns scheidet mit Renate leben – aber sie hat mich umgebracht – Tag für Tag … sie hat immer weiter angeschrien, daß ich war nur ein schlechter amerikanischer Showman.“
Am 12. Juni 1986 zwischen 22 Uhr und Mitternacht ist Dean Reed im Zeuthener See ertrunken. Eine Woche später sollten die Dreharbeiten zu „Bloody Heart“ beginnen. Die Potsdamer Schule, die Reeds Namen trug, legte ihn nach der Wende wieder ab.
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