Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, July 24, 2007

"Wir teilen nach allen Seiten aus" (FR)

"Wir teilen nach allen Seiten aus"
Simpsons-Erfinder Matt Groening ist der Walt Disney unserer Tage - nur bösartiger, liberaler und viel gewitzter als der Mickey-Mouse-Schöpfer. Ein Gespräch über seine Anfänge als brotloser Cartoonist, seine deutschen Wurzeln und die politischen Botschaften seiner gelben Anti-Helden.

Mr. Groening, ist das Leben die Hölle?
Nein! Ich kann Ihnen versichern, ich bin zurzeit sehr glücklich.

Trotzdem zeichnen Sie seit 27 Jahren den Comic-Strip "Life in Hell" für mehrere US-Zeitungen, in dem depressive Hasen und ein schwules Pärchen über die Last des Lebens sinnieren. Sind Sie nur glücklich, wenn Sie sich mit dem Unglück beschäftigen?
Ich war immer ein fröhlicher Mensch, aber in meiner Arbeit würdige ich gern die dunkle Seite des Lebens. Natürlich hätte ich früher nie gedacht, dass mein Leben als Cartoonist so cool sein würde. Ich wusste seit der High School, dass ich für den Rest meines Lebens Cartoons zeichnen will. Aber ich habe nicht erwartet, damit je Geld zu verdienen. Life is great.

Kann man denn glücklich und trotzdem sarkastisch sein?
Scheint so. Ich will einfach keine rückgratlose Unterhaltung produzieren, sondern das Schwere auf leichte Weise rüberbringen. Schon Sigmund Freud sagte ja: Jeder Humor rührt von Feindseligkeit her. Humor muss bösartig sein. Ich bin allerdings vorsichtig, was die Dosierung der Wut betrifft.

Seit wann hat in Ihrem Leben die Zufriedenheit die Wut verdrängt?
Der Wendepunkt kam, als ich zum ersten Mal für "Life in Hell" bezahlt wurde. Das war 1980. Seitdem zeichne ich den Comicstrip wöchentlich - bis heute. Damals besaß ich keinen Cent, und ich sagte mir: "Egal was kommt, damit werde ich nie aufhören."

Zur Person
Die Popkultur der letzten 20 Jahre wurde von keinem TV-Macher so geprägt und gespiegelt wie von Matt Groening. Die von ihm geschaffene Zeichentrickserie "Die Simpsons" ist die langlebigste Comedyshow im US-Fernsehen und gilt als Meilenstein der TV-Geschichte. Am Donnerstag startet weltweit der erste Simpsons-Kinofilm – auch in Deutschland.Matt Groening, 1954 in Portland geboren, schuf neben den Simpsons auch die Animations-Serie "Futurama" und den Zeitungscomic "Life in Hell". Daraus sollte 1987 ein Pausenfüller für die "Tracey Ullman Show" werden, stattdessen erfand Groening die Familie Simpson – die 1989 zur eigenen Prime-Time-Show wurde und Groening zum Milliardär machte. Er hat zwei Söhne und lebt in Los Angeles. Die Simpsons sind eine fünfköpfige Familie der unteren Mittelschicht im fiktiven, aber typisch amerikanischen Springfield. Die Serie machte sich in über 400 Folgen mit Slapstick, Satire und Zitaten aus U- und E-Kultur über alles her, was Amerika lieb und heilig ist: Familie, Religion, Patriotismus, Popkultur. Sie läuft in 40 Ländern weltweit, allein in Deutschland sehen die 17. Staffel derzeit über eine Million Menschen pro Folge. Der Episoden-Marathon am Sonntag auf ProSieben schaffte fast 20 Prozent Marktanteil.


Sieben Jahre später haben Sie dann die Simpsons erfunden, die Sie steinreich gemacht haben. Da müssten Sie doch keine Underground-Comics mehr zeichnen, oder?
Ich hab's mir aber nun mal geschworen. Aber es stimmt schon, ich hab eigentlich gar keine Zeit mehr fürs Zeichnen. Ich mache aber trotzdem weiter, selbst wenn es mich oft nervt. Eine wöchentliche Deadline - puh! Jeden Freitag krieg ich Panik.

Für die "Simpsons" arbeiten Heerscharen von Zeichnern. Da könnten Sie sich doch auch für Ihren Comic-Strip ein paar Kollegen anheuern, die für Sie zeichnen.
Das ist nicht zu vergleichen. Die Simpsons sind eine Gemeinschaftsarbeit von vielen fantastischen Leuten. Da arbeite ich mit Autoren, die witziger schreiben als ich, mit Zeichnern, die besser zeichnen als ich, und mit Fernsehbossen, die sich besser kleiden als ich. Bei meinem eigenen kleinen Comic-Strip gibt es nur mich - alles ist so schlecht gezeichnet, wie ich immer gezeichnet habe. Und keiner redet mir rein.

Die Simpsons sind heute eine Welt-Marke, mit Ihnen als Geschäftsführer. Wie viel Künstler kann Matt Groening noch sein?
Leider muss ich inzwischen viel Zeit opfern, um übers Geschäftliche zu sprechen. Aber ich mag es nicht. Ich sehe mich eher als Künstler. Ich habe meinen eigenen Comicverlag in L.A. und mein Büro ist im Obergeschoss. Alle meine Angestellten im Erdgeschoss sind superprofessionell mit ordentlich aufgeräumten Tischen und Zeichenbrettern. Dann gehe ich die Treppe rauf in die Chefetage - und mein Büro ist ein einziges Chaos. Kein schöner Anblick.

Sie sträuben sich also immer noch, Teil des Establishment zu werden. Aber Ihre gelben Anti-Helden gehören längst dazu. Können die Simpsons überhaupt noch so provozieren wie früher?
Es ist definitiv schwieriger geworden. Dass es die Simpsons seit 20 Jahren gibt, macht es noch schwerer, weil wir mit den Erinnerungen der Leute an ihre Lieblingsfolge konkurrieren. Aber wir haben nach wie vor den Anspruch, immer wieder einen Schritt weiterzugehen. Einige Folgen sind friedlich, aber dann gibt es ab und zu welche, in denen wir die Grenze ein bisschen verschieben. Teil des Problems ist, dass viele Zeichentrickserien uns nacheifern: South Park, Family Guy oder American Dad beackern das gleiche Feld wie wir, sind aber aggressiver. Denen wollen wir nicht nachjagen.

Haben die Simpsons heute noch die subversive Kraft Ihrer Ursprungsvision?
Ich wollte mich mit den Simpsons ja ursprünglich nur für all die verschwendeten Kindheitsjahre rächen, die ich mit dummem US-Fernsehen verbracht habe. Ich geb's nicht gern zu, aber ich bin so aufgewachsen, wie man es im Vorspann der Simpsons sieht: In einer Familie, deren einziges Ziel im Leben zu sein scheint, nach Hause zu rasen, um auf der Couch sitzen und fernsehen zu können.

Haben Sie dabei auch etwas gelernt?
Vor allem, wie meine eigene Show nicht sein soll. Ich wollte, dass die Simpsons realistischer sind. Sie sollten alles tun, was man bis dahin nie im Fernsehen gesehen hatte: Väter, die wütend ihre Söhne würgen; ein vernachlässigtes Kind, das talentiert ist, aber übersehen wird. Natürlich haben sich die Figuren weiterentwickelt: Homer war damals gemeiner, Bart jämmerlicher. Heute sind sie rundere Charaktere. Homer ist immer noch dumm, aber er hat lichte Momente. Das macht wohl seine Beliebtheit aus: Man weiß nie, was kommt - wahrscheinlich tut er etwas Dummes, aber ab und zu tut er eben doch das Richtige.

Bush senior hat in den Anfangsjahren der Serie gezetert, Amerika brauche mehr Waltons und weniger Simpsons. Heute ist Homer eine Art nationale Ikone. Haben die Simpsons die Gesellschaft verändert?
Kann schon sein. Als die Simpsons damals populär wurden, gab es einen gewaltigen Aufschrei - Elternverbände, Lehrer, die Kirche, Politiker, alle protestierten. Aber schnell merkten sie: Sie standen eher so da, als hätten sie den Witz nicht kapiert. Heute würde keiner mehr zugeben, dass er sich angegriffen fühlt.

Weil es uncool ist, die Serie nicht zu mögen?
Genau. Die Kritiker würden wie Idioten dastehen. Aber ich weiß, dass sie sich innerlich nach wie vor aufregen. Allein, weil wir immer noch Beschwerde-Briefe wegen so ziemlich jedem Witz kriegen. Ich denke dann immer: "Gebt endlich auf, wir werden uns nicht ändern!"

Jetzt kommen Homer und die Gang auch ins Kino. Setzen Sie im Film noch einen drauf?
Ja. Was wir der Welt als Komödie für die ganze Familie präsentieren, enthält ein sehr dunkles, ernstes Element. Aber wir hoffen einfach, die Leute kapieren es, kommen schnell drüber hinweg - und finden den Film dann einfach lustig und unterhaltsam.

Bisher durften Journalisten nur zehnminütige Ausschnitte sehen. Was dürfen wir uns unter dem "ernsten Element" vorstellen? Eine politische Botschaft?
Ja, der Film enthält politische Aspekte. Er hat ein Umweltthema, worauf wir ja immer wieder eingegangen sind in der Serie. Wir teilen wie immer nach allen Seiten aus. Mehr verrate ich nicht. Aber einige Leute werden sich sicher angemacht fühlen. Und ich hoffe, dass ihnen das auch rausrutschen wird. Das wäre toll!Dürfte schwer werden.

Der heutige US-Präsident wirkt ja selbst eher wie Homer Simpson als wie Papa Walton.
Ja, wenn sich Homer und George W. Bush treffen würden, wären sie gute Freunde. Weil sie einander so ähnlich sind.

Was sagt das über Ihr Land?
Was für eine Frage! Sie dürfen nicht vergessen: Die USA sind ein sehr polarisiertes Land, seit Al Gore 2000 die Wahlen gewonnen hat.

Sie meinen verloren.
Nein, er hat sie gewonnen und sich nicht beim Obersten Gerichtshof durchgesetzt. Seitdem ist die Gesellschaft gespalten. Aber inzwischen erkennen die Menschen über Parteigrenzen hinweg seine Inkompetenz. Gut so!

Wird auch der nächste Präsidentschaftswahlkampf in der Simpsons-TV-Serie zum Thema, wie in früheren Jahren?
Das ist schwer, weil wir uns dafür irgendwie festlegen müssten. Ich weigere mich, einen Kandidaten schon jetzt zu unterstützen. Sollen sie sich erstmal gegenseitig ausschalten, dann sehen wir, wer übrigbleibt und wen ich unterstütze.

Und Ihre Autoren sehen es dann genauso?
Üblicherweise wählen wir alle den gleichen Kandidaten, aber wir versuchen trotzdem, gegen beide Seiten zu schießen.

Sind eigentlich auch Frauen unter den Autoren?
Ja. Es gibt zwei. Und wissen Sie, warum es nur zwei sind?

Weil Frauen nicht lustig sind?
Nein, Frauen sind die Lustigsten! Aber Comedy ist ein Boys' Club. Man sitzt die ganze Zeit in einem Raum voller... Snacks. Dabei sind die weiblichen Autoren wirklich witzig. Wir wollen mehr! Ladies, kommt nach Hollywood!

Wie soll es nach dem Film mit den Simpsons weitergehen? Im Kino sind die Figuren so professionell gezeichnet, dass sie Ihrer Version von 1987 kaum noch ähneln.
Stimmt. Sie waren viel hässlicher damals.

Nun wirken sie fast so niedlich wie die Disney-Figuren, von denen Sie sich ja bewusst abgrenzen wollten.
Cartoonfiguren entwickeln sich. Auch Mickey Mouse sieht heute nicht mehr aus wie früher. Aber es gibt Grenzen: Im zweiten Jahr der Simpsons zeichnete einer der Regisseure den Haarkranz von Homer nicht als Zickzack-, sondern als Wellenlinie. Das hab ich sofort gestoppt - allein weil ich da, nebenbei bemerkt, meine Initialen versteckt habe: die Haare sind ein M, das Ohr war ein G.

Mr. Groening, in Springfield, der Heimatstadt der Simpsons, funktioniert keine der offiziellen Autoritäten: weder Kirche, noch Schule, noch Polizei. Haben Sie etwa ein Autoritätsproblem?
Das habe ich wohl. Aber das ist die Pflicht jedes Cartoonisten: Autoritäten in Frage zu stellen. Was wäre die Alternative? "Du sollst Vater und Mutter und alle Respektspersonen ehren"? Das wäre künstlerisch nicht sehr befriedigend.

Haben Ihre Eltern Sie so erzogen?
Mein Vater war sehr kreativ. Er war Filmemacher, Cartoonist, ein sehr schlauer Mann. Er wurde als Mennonit aufgezogen, eine sehr strenge christliche Konfession in den USA. Er sprach nur Deutsch, bis er fünf Jahre alt war.

Er war aber Amerikaner?
Ja, aber er wurde in Kanada geboren. Seine Eltern waren, äh, wie heißt das Wort gleich...

Deutsche?
Das auch, aber ich meine... äh, friedlich...

Pazifisten?
Pazifisten, genau! Seine Eltern waren Pazifisten. Deshalb wollten sie nicht, dass er US-Bürger wird und darum wurde er in Kanada geboren. Dann gingen seine Eltern in die USA zurück, später verließen sie dann irgendwann die mennonitische Kirche und wurden College-Professoren. Mein Vater ging später aber doch zur Armee. Er wurde Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg und kämpfte in Europa gegen die Nazis. Er war in England stationiert und flog 1944 Bombenangriffe. Er war bei der D-Day-Invasion dabei.

Haben Sie sich je ausführlich mit diesem Teil Ihrer Familiengeschichte beschäftigt?
Nein. Ich hab natürlich mit meinem Vater darüber gesprochen. Aber seine Generation hat das Ganze nicht vertieft, sie haben darüber nicht viel nachgedacht. Damals in Europa hatte er begonnen, Filme zu machen. Er hatte eine 16-mm-Kamera aus dem Fenster seines Fliegers gehalten und daraus Filme für die Airforce produziert. Danach, in den 60ern, machte er Kinofilme - übers Surfen und so. Und er zeichnete Cartoons. Ich habe viel von ihm.

Hat Sie all das später beeinflusst? Sie sehen sich ja selbst als Pazifist - auch wenn Sie das Wort manchmal vergessen.
Ja. Obwohl, manchmal zweifle ich, ob es das Wort wirklich trifft. Ich war so ziemlich gegen jeden Krieg, den die USA bisher geführt hat. Aber ich stimme der Verfolgung von Osama Bin Laden zu.

Sie haben sich immer gern als Hippie bezeichnet. Wie sehr sind Sie das heute noch?
Wie sehr Hippie? Total! Ein totaler Hippie! Ich bin in den 60ern aufgewachsen, hörte all diese Musik. Und meine Haare waren noch nie so richtig kurz. Ich bin gerne Hippie - allein schon deshalb, weil der Begriff heute als Schimpfwort gilt.

Interview: Steven Geyer

0 Comments:

Post a Comment

<< Home