Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, August 01, 2007

"In Brandenburg kann ich bald allein wohnen" (Welt)

13. Mai 2007, 14:46 Uhr
Von Friedrich Pohl
Volksmusik

"In Brandenburg kann ich bald allein wohnen"

Die Hymne „Brandenburg" machte ihn berühmt. Jetzt triumphiert Liedermacher und Schauspieler Rainald Grebe mit einer neuen CD und einem Liederbuch. Seine Songs handeln fast immer vom Scheitern, und sie tragen gelegentlich autobiografische Züge.

Wenn Rainald Grebe, 36, bei seinen Konzerten die Zeile „Es gibt Länder, wo was los ist“ anstimmt, bricht im Publikum ein Jubelorkan los. Meist muss er minutenlang warten, bis der Applaus auf ein Normalmaß zurückgegangen ist. Erst dann kann Grebe fortsetzen: „...und es gibt Brandenburg“.
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Grebes wunderbares Lied „Brandenburg“ ist über drei Jahre alt, wurde nie als Single veröffentlicht und konnte keine Charterfolge verbuchen. Doch wer einmal diesen Trauergesang auf das Bundesland gehört hat, wird ihn nicht mehr vergessen. Hier schafft es Grebe, die ganze Tristesse einer Region zu thematisieren – und dabei witzig („In Berlin bin ich einer von drei Millionen/in Brandenburg kann ich bald alleine wohnen“) zu sein. Mithilfe schwarz gebrannter CDs und Videoportalen im Internet ist das Werk immer populärer geworden.
Von diesem Erfolg wird der Sänger, Schauspieler, Kabarettist, Comedian und Schriftsteller jetzt profitieren, da er seine neue und ausgesprochen gelungene CD „Volksmusik“ veröffentlicht.
Gibt Grebe auf der Bühne gelegentlich den Choleriker, wirkt er im Gespräch eher zurückhaltend. Im Café „Keyser Soze“ in Berlin-Mitte, wo er häufig zu finden ist, macht er aus seiner anfänglichen Unsicherheit gegenüber der Hauptstadt heute keinen Hehl: „Ich hab mich nicht getraut, hier aufzutreten. Ich dachte: Die verstehen mich nicht.“
Das war Anfang der 90er. Grebe kam aus der Provinzstadt Frechen bei Köln nach Berlin, wollte unbedingt in den Osten, lernte Russisch und fühlte sich als Außenseiter, weil er glaubte, dass hier alle „schlauer und besser sind“ und „total differenziert denken“. Doch nachdem Grebe in Kabaretts und Varietés mitbekam, über welchen banalen Unfug der gemeine Berliner tatsächlich lacht, hielt er sich in dieser Stadt auf der Bühne erst recht für völlig fehl am Platz.
Grebe ging an die ruhmreiche Schauspielschule Ernst Busch und studierte das wenig Ruhm versprechende Fach Puppenspiel. Ein paar Jahre später konnte er sich in Festanstellung am Theaterhaus Jena austoben. Zudem ließ ihn „Quatsch Comedy Club“-Chef Thomas Herrmanns regelmäßig in seinen Sendungen auftreten. Doch Grebe behagte die Rolle als Comedian-Figur nicht, und so versuchte er sich immer öfter als Liedermacher und gründete 2005 die Band Kapelle der Versöhnung, mit der er seitdem seine CDs einspielt.
Grebes Songs handeln fast immer vom Scheitern, und sie tragen gelegentlich autobiografische Züge. Allein die Entstehung von „Brandenburg“ ist Grebes Unfähigkeit zu verdanken, eine Berlin-Hymne zu komponieren. Denn die sollte das Lied nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt ursprünglich werden. Aber erst über das unglamouröse Nachbarbundesland Brandenburg als Gegenstück funktionierte der großartige Refrain „Hallelujah Berlin“.
Auch auf Grebes neuer CD „Volksmusik“ spürt man den Geist von „Brandenburg“. Vordergründig natürlich bei den herrlichen Heimatliedern, dem schon fast nach Pop klingenden „Doreen aus Mecklenburg“ oder dem fragmenthaften „Annaberg-Buchholz“.

Einen begnadeteren Liedermacher gibt es in Deutschland nicht.

Selbst wenn ihm das manche als Selbstreferenz vorwerfen, einen begnadeteren Liedermacher als Grebe gibt es in Deutschland im Moment nicht. Allein wie er Befindlichkeiten, Wahrheiten und Lächerlichkeiten in „Single in Berlin“ zusammenfasst, ist ein Verdienst ohne Vergleich. Denn dabei gelingt es ihm, innerhalb eines Liedes eine sinnige Einheit zwischen Alltagssätzen herzustellen, wie „Ich halt's nicht aus, diese Arschparade“, „Ich mach jetzt Bauchmuskeltraining“, „Sex ist total überbewertet“ und „Berlin, das ist doch keine Stadt, das ist doch Deko.“
Schon die Größenverhältnisse der Songs sind bemerkenswert. Benötigt Grebe für prächtige Song-Epen wie „Massenkompatibel“ oder „Dreißigjährige Pärchen“ bis zu sieben Minuten und seitenweise Text, begnügt er sich bei den pointierten Drei- bis Vierzeilern „Modephilosoph“ oder „Zwiebelschneidende Nazis“ lediglich mit einigen Sekunden.
Der Grund für dieses Phänomen ist Grebes Arbeitsweise. Gefällt ihm eine Zeile, schreibt er sie auf, legt sie in einen großen Zettelkasten und versucht sie früher oder später weiterzuentwickeln. Grebes Logik: „Das sind manchmal nur Schnipsel. Wenn die zu nichts führen, bleiben sie eben so kurz.“
Für die musikalischen Grebe-Liebhaber sind seine gesammelten Werke jetzt auch in Liederbuchform erschienen. Doch so leicht wie sich Grebe anhört, ist er nicht zu interpretieren. Allein um „Brandenburg“ ordentlich darzubieten, muss man als Gitarrist in der Lage sein, komplizierte Akkorde wie Ces-Dur und As-Moll-Sieben schnell und souverän zu greifen.
Als Bonus bekommt man im Gesangbuch einen kurzen Eintrag zu jedem Prominenten, der in den Texten erwähnt wird, von Achim Mentzel bis Guido Knopp. „Wer weiß, ob jemand in fünf Jahren noch Sabine Christiansen kennt“, begründet Grebe diese Maßnahme. Rainald Grebe selbst braucht sich keine Sorgen machen. Wer Lieder wie „Brandenburg“ schreibt, wird so schnell nicht vergessen.

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