Knaller an der Zeitungsfront

Monday, February 05, 2007

Krieg der Scheine (Tagesspiegel am Sonntag)

(04.02.2007)
Krieg der Scheine
Die Nazis haben Adolf Burger ins KZ verschleppt und die Zähne ausgeschlagen. Dann brauchten sie den Drucker für die größte Geldfälschung aller Zeiten. Wie die SS 1942 mit dem „Unternehmen Bernhard“ eine neue Geheimwaffe entwickelte.
Von Andreas Austilat

So sieht er also aus, der Schein, mit dem die Nazis den Krieg gewinnen wollten – oder am Ende wenigstens ihre Flucht bezahlen. Für eine Banknote ist er ziemlich groß, größer als eine Männerhand, die Oberfläche fühlt sich leicht wattig an, wichtiger aber ist der Text, der in schwarz auf der weißen Vorderseite steht: Die Bank von England garantiert jedem Überbringer dieses Scheins fünf Pfund. Dafür kriegt man heute in England vielleicht zwei Bier. Vor 70 Jahren bedeutete solch eine Summe für einen Arbeiter einen Wochenlohn.

Ein Versprechen, das die Old Lady, wie die Zentralbank in London auch genannt wird, teuer zu stehen kommen sollte. Denn der alte Geldschein, der jetzt hier auf einem Kaffeetisch in einem Raum hinter der Bar des Berliner Hotels Intercontinental liegt, sieht mit seiner verschnörkelten Schrift zwar so gediegen aus wie die hölzerne Täfelung ringsherum, aber er ist falsch. So falsch wie die beiden anderen, die Adolf Burger gerade aus seiner Mappe kramt.

„Der hier ist noch ein bisschen wertvoller“, sagt der fast 90-Jährige mit dem vollen, sorgfältig zurückgekämmten Haar, „weil er so lange im Wasser lag“. 55 Jahre, um genau zu sein, die der Schein auf dem Grund des Toplitzsees in den österreichischen Alpen verbrachte, bevor er aus 100 Meter Tiefe geborgen wurde. Ein bisschen angefressen sieht er aus, aber er ist immer noch lesbar.

Lächelnd beugt sich Burger vor. „Ich werde Ihnen das Geheimnis der Bank von England verraten“, sagt er in seinem slowakischen Akzent, bei dem die Vokale manchmal ein bisschen gedehnt klingen. Dabei senkt er die Stimme, und plötzlich kriegt der ganze Raum mit seinen dunklen Möbeln, der hölzernen Kassettendecke und dem gedämpften Licht etwas Konspiratives. „Schauen Sie auf das Wasserzeichen, das ist ein Code, der muss zur Seriennummer passen.“ Während er den Schein gegen das Licht hält, registriert Burger ein bisschen unwirsch, dass sein Zuhörer nicht recht kapiert, aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist: „Den hatte vorher noch keiner geknackt.“

Darf man solch eine Banknote überhaupt besitzen? Was für eine Frage, Burger beachtet sie gar nicht. Wahrscheinlich, weil er diese drei Scheine als seine betrachtet. Er hat sie gedruckt, Millionen davon, die besten Fälschungen, die je von britischen Banknoten gefertigt wurden. Ihnen verdankt er sein Leben. Sie haben ihn herausgebracht aus der Hölle von Auschwitz, wo man ihm die Zähne eingeschlagen hat, weil ein SS-Mann gar nicht lustig fand, dass da ein Jude Adolf heißt. Die Scheine befreiten ihn aus dem Vernichtungslager Birkenau, wo seine Frau, seine Gisela, für immer verschwand, wo Burger die Nummer 64401 war, die Nummer, die er nie vergessen kann, denn sie haben sie ihm in den blassen Unterarm tätowiert. Und sie haben ihn nach Sachsenhausen gebracht, in einen abgeschirmten Bereich, wo er plötzlich genug zu essen hatte, ein richtiges Bett und richtige Kleidung.

War das nicht das Paradies, nach dem Horror des Vernichtungslagers? Nein, sagt Burger, das war der Tod auf Urlaub. 140 Häftlinge, allesamt Juden, wurden isoliert von den anderen, und jedem war klar, warum: „Unternehmen Bernhard“, wie die Nazis dieses Projekt nannten, war so geheim, dass ein Überleben nicht vorgesehen war. Niemand sollte je erzählen können, was sich zwischen 1942 und 1945 in den Baracken 18 und 19 abspielte.Hinter weißgetünchten Scheiben wurde eine Druckerei eingerichtet, die in rauen Mengen Devisen drucken sollte, denn die gingen den Deutschen langsam aus.

Die Vorgeschichte zu diesem Plan begann unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Idee war nicht einmal besonders originell. In England schrieb am 24. September 1939 Winston Churchill an den Finanzminister, ob es nicht eine gute Idee wäre, kleine Päckchen mit Reichsmarkbündeln über dem Feindgebiet abzuwerfen, um dort Verwirrung zu stiften.

Der Gedanke wurde verworfen. Man fürchtete, solch eine Aktion würde Großbritannien bei den neutralen Staaten in Verruf bringen. Vor allem aber, wie hätte man nennenswerte Summen in Hitlers totalitärer Zwangswirtschaft in Umlauf bringen sollen? Gab es doch dort sowieso nicht viel zu kaufen. Dass der Gegner zu solchen Mitteln greifen würde, sie zur selben Zeit sogar schon plante, hielt man für unwahrscheinlich. Das Pfund, damals noch eine Leitwährung in der Welt, wurde für fälschungssicher gehalten.

Wer die Idee auf deutscher Seite hatte, weiß keiner so genau. War es Reinhard Heydrich, später Organisator der „Wannseekonferenz“ und als Chef des Reichssicherheitshauptamtes einer der mächtigsten SS-Männer im Land? Oder war es Heydrichs Kumpan Alfred Naujocks, den er zum Leiter des Referats F im Amt VI der SS machte, zuständig für technische Hilfsmittel der Spionageabteilung? Naujocks durfte für sich den zweifelhaften Ruf in Anspruch nehmen, den Zweiten Weltkrieg ausgelöst zu haben. Er war es, der den Zwischenfall um den Sender Gleiwitz inszeniert hatte, der den Deutschen am 1. September 1939 den Vorwand zum Überfall auf Polen geliefert hatte.

Nun, rund drei Wochen später, wurde er mit der Aufgabe betraut, das britische Pfund zu fälschen.

Die Truppe bezog zunächst Quartier in der Delbrückstraße 6 in Berlin-Grunewald. Die SS unterhielt dort eine Druckerei, die alles produzierte, was Agenten so brauchen, falsche Pässe zum Beispiel. Jetzt sollte es also das Pfund sein.

Allein die Herstellung des handgeschöpften Papiers erwies sich als schwer zu nehmende Hürde. Mathematiker knobelten monatelang an dem Code, mit dem die Seriennummern verschlüsselt waren. Graveure beugten sich über vielfach vergrößerte Originale und fanden bis zu 160 Merkmale, die die englischen Drucker auf ihrer Note versteckt hatten: hier ein Spalt im Kleid der Britannia, dort ein geflügeltes Ende im „f“ bei „of“, da ein verrutschter Punkt in der Unterschrift von Sir Peppiatt, dem „Chief Cashier“. Doch im Mai 1941, nach fast anderthalb Jahren, waren die ersten gelungenen Pfundnoten fertig. Und was das beste war: Die Schweizer Bankkassierer im neutralen Zürich befanden die Blüten für echt, obwohl doch der deutsche Agent, der die Noten testweise übergab, ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Fälschung hingewiesen hatte.

Warum sollte man Banknoten dieser Qualität einfach verschenken? Der ursprüngliche Plan, die Scheine über England abzuwerfen, um damit das englische Währungssystem zu zerrütten, war kein Thema mehr. Stattdessen versickerten die Scheine irgendwo. Naujocks fiel derweil in Ungnade, manche behaupten, der Oberspion soll seinen Chef Heydrich abgehört haben und dafür zur Strafe an die Front versetzt worden sein. Heydrich, Organisator des Massenmords an den Juden, wurde von tschechischen Untergrundkämpfern in Prag in die Luft gesprengt. Niemand scherte sich mehr um die Falschmünzer in der Delbrückstraße.

Neuer Spionagechef im Reichssicherheitshauptamt war Walter Schellenberg. Der hatte ein Faible für technische Spielereien. Ausführlich beschreibt er in seinen nach dem Krieg erschienenen Memoiren sein Büro in der Berkaer Straße 31 in Berlin – heute ist dort eine Klinik für Geriatrie. Fotozellen steuerten die Alarmanlage in den Räumen, sein ganzer Stolz aber war der Schreibtisch mit zwei eingebauten Maschinenpistolen: „Sobald die Tür aufging, richteten sich die Läufe automatisch auf den Eintretenden“.

Schellenberg setzte alles daran, die Geldfälscherei im großen Stil wieder aufzunehmen. Denn trotz eines beispiellosen Raubzugs durch die besetzten Länder wurden 1942 die Devisen knapp. Die sollte „Unternehmen Bernhard“ einbringen, wie die Operation nach ihrem neuen Leiter, SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger, getauft wurde. Und Krüger hatte eine Idee, wo eine Druckerei in der dafür nötigen Größe geheim bleiben würde.

Zwei Jahre später. Es war ein Appell, wie Adolf Burger in Birkenau schon viele erlebt hatte. Die Häftlinge rührten sich nicht, wer im falschen Moment Aufmerksamkeit auf sich zog, konnte des Todes sein. Plötzlich wurden acht Nummern aufgerufen, darunter die von Burger. Er sollte sich beim Lagerführer melden.

„,Sind Sie Herr Burger’, hat der mich gefragt.“ Burger erzählt das, als ob er immer noch nicht fassen kann, was damals passierte: Ein SS-Mann nannte seinen Namen, und es kostete ihn keinen weiteren Zahn. Im Gegenteil. „,Sie sind Buchdrucker,’ hat er zu mir gesagt, ,solche Leute wie Sie, die brauchen wir in Berlin.’“

Sein Handwerk hatte Adolf Burger ins KZ gebracht. Zwar hatte die slowakische Marionettenregierung auch die so genannten Rassegesetze der Nazis übernommen, aber wer vor 1938 katholisch getauft war, dem blieb in der Slowakei der Judenstern erspart. Also druckte Burger in einer Kartonagenfabrik in Bratislava falsche Taufscheine und rettete so Leben. Bis ihm die Gestapo 1942 auf die Spur kam. Jetzt, nach fast zwei Jahren in Auschwitz und Birkenau, öffneten sich für den Drucker die Tore, und Burger verließ dieses KZ, nicht in einem Viehwaggon, wie er gekommen war, sondern in einem Eisenbahn-Coupé.

In Oranienburg brachten SS-Leute eine kleine Gruppe aus Birkenau zum Lager Sachsenhausen. Heute wie damals führt der Weg durch die halbe Stadt. „Natürlich waren da überall Frauen und Kinder, aber nein, niemand nahm Notiz von uns.“ Längst hatten sich die Oranienburger an den Anblick der ausgemergelten Gestalten auf ihren Straßen gewöhnt. Schließlich durchliefen 200 000 Menschen Sachsenhausen, das zwar kein Vernichtungslager war, aber für Zehntausende den Tod bedeutete, durch Prügel, durch Genickschuss, durch die 1000 Volt, die den Zaun sicherten, durch Erschöpfung.

Die Baracken 18 und 19 befanden sich in der südöstlichen Ecke des Lagers. Heute liegen Gedenksteine an ihrer Stelle. Die zwei flachen Holzhütten, jeweils 60 Meter lang und zwölf Meter breit, waren ringsum mit einem eigenen Zaun versehen, selbst nach oben, so dass der Komplex von außen wirkte wie ein Käfig. Ein Holzzaun, drei Meter hoch, verband die beiden Baracken, die so einen Hof bildeten. Drinnen bekam man nichts mit von dem, was draußen vorging, und umgekehrt war es genauso.

„Krüger hielt eine kleine Rede, er war ganz offen zu uns, ,ihr werdet hier britische Pfunde drucken und es wird euch gut gehen, wenn ihr nicht sabotiert’“, erinnert sich Burger. Die Druckerei existierte bereits seit zwei Jahren, erst 30, inzwischen 140 Männer waren aus verschiedenen Konzentrationslagern hierhergeholt worden, Drucker, Setzer, Bankkassierer zum Prüfen der Noten, aber auch Friseure, weil Krüger glaubte, dass Friseure so geschickte Finger hätten. Die Baracken waren Werkstatt und Unterkunft zugleich, denn verlassen durften die Männer den Komplex nur sonntags. „Lagersperre“ wurde dann über Lautsprecher verkündet, und erst, wenn sich niemand mehr draußen aufhielt, marschierten die 140 über das menschenleere Gelände zu den Duschräumen.

Krüger sorgte für seine Spezialisten. Sie mussten sich die Köpfe nicht mehr scheren lassen, es gab genug Essen, sogar Kaffee und Zigaretten. Aus Lautsprechern spielte Musik in den Werkstätten, und Krüger ließ eine Tischtennisplatte aufstellen. „Ich habe Ping-Pong gespielt“, sagt Burger, „gegen einen SS-Mann.“ Sonntags habe man sogar frei gehabt, manchmal führten die Häftlinge dann ein Kabarett auf, und die SS-Leute lachten zu den Scherzen ihrer Gefangenen.

War Bernhard Krüger ein Menschenfreund in Totenkopf-Uniform? Es gab Häftlinge, die haben nach dem Krieg zu seinen Gunsten ausgesagt, wie Lawrence Malkin in seinem Buch „Hitlers Fälscher“ schreibt, das im vergangenen Herbst erschien. Malkin hatte wie kein Rechercheur vor ihm Zugang zu den Verhörprotokollen in US-Archiven. Burger lächelt. „Es gibt keine guten SS-Männer“, sagt er dann. Sechs Häftlinge ließ Krüger umbringen, sie waren krank geworden. In der Krankenbaracke aber hätten sie über ihr Geheimnis reden können.

Schließlich wurde eine kleine Gruppe, unter ihnen Burger, damit beauftragt, Dollars zu fälschen. Sogar ein neuer Häftling wurde dafür eigens nach Sachsenhausen geholt, Salamon Smolianoff, ein Russe und der einzige, der einen grünen Winkel trug, der ihn im KZ als Kriminellen kennzeichnete. Alle anderen trugen den roten Winkel der politischen Häftlinge. Smolianoff galt als Meisterfälscher. Aber auch mit ihm hatte die Gruppe keinen Erfolg, weil sie keinen Erfolg haben wollte.

Es war der einzige Sabotageakt, den die Häftlinge riskierten, wie Burger sagt. Erst als Krüger in der Baracke Geiseln nehmen ließ und mit deren Erschießung drohte, lieferte die Gruppe täuschend echte Dollars. Für die Produktion war es zu spät, die Werkstatt wurde im Februar 1945 demontiert. Die Häftlinge wurden nach Österreich transportiert, in die „Alpenfestung“, wie sie die SS nannte. Dort sollte das letzte Gefecht stattfinden, dort sollten wohl auch die Häftlinge aus der Fälscherwerkstatt im Konzentrationslager Ebensee liquidiert werden. Doch die Wachen machten sich davon, ihre Gefangenen wurden von den Amerikanern befreit.

Für die Bank von England hätte „Unternehmen Bernhard“ eine ernste Bedrohung werden können. Fünfer, Zehner, Zwanziger und Fünfziger für 134 Millionen Pfund wurden in Sachsenhausen gedruckt. Wären alle in Umlauf gekommen, hätten die Blüten 13 Prozent der zirkulierenden Geldmenge ausgemacht, eine Katastrophe für das britische Finanzsystem.

Aber es wurde auch so ernst genug. 1941 wurden in der Bank die ersten Scheine mit Seriennummern registriert, die eigentlich schon eingegangen waren, also doppelt vorhanden sein mussten. 1942 liefen binnen eines halben Jahres 3000 falsche Noten ein, 1944 weigerten sich Schweizer Banken, überhaupt noch Pfundnoten anzunehmen, und die britische Währung, die bei Kriegsbeginn im Verhältnis zum Dollar eins zu vier bewertet wurde, fiel trotz günstigen Kriegsverlaufs auf eins zu eins. Blüten tauchten nicht nur in der Schweiz auf, sondern auch in chilenischen Kontoren, auf tunesischen Basaren und serbischen Schwarzmärkten. Die Nazis kauften Waffen, Rohstoffe, alles was knapp war. Sie bezahlten mit falschen Pfund. Auch ihr Topagent Elyesa Bazna alias „Cicero“, Kammerdiener des britischen Botschafters in Ankara, bekam 300 000 in Blüten. Nach dem Krieg verklagte er die Bundesrepublik vergeblich auf 1,7 Millionen Mark Schadensersatz. Die Briten sahen sich ihrerseits gezwungen, 1946 einen Sicherheitsfaden in den Fünfer einzuziehen, die Produktion höherer Noten war vorübergehend sogar eingestellt.

Wo aber sind die Millionen Blüten geblieben, die nicht mehr in Umlauf kamen? Sie sollen 100 Meter tief auf dem Grund des Toplitzsees liegen. Seit Jahrzehnten zieht der österreichische Alpensee Taucher aus aller Welt an. Immer wieder wurden ganze Notenbündel aus dem Wasser gezogen, die sich in der sauerstoffarmen Tiefe erstaunlich gut gehalten haben.

Ist Adolf Burger, der nach dem Krieg nach Prag zog und wieder als Drucker arbeitete, manchmal stolz auf den handwerklichen Teil seiner Arbeit, auf die so viele reingefallen sind? „Sehen Sie“, sagt er und zeigt noch einmal auf die Scheine, „diese feinen Linien, die waren wirklich schwer zu drucken. Aber stolz? Es lastet auf mir, dass dieses Geld den Krieg vielleicht verlängert hat.“ Und dann packt er sie alle wieder ein, legt sie sorgsam in seine Mappe. Erinnerungen, die er ebenso wenig loswerden kann wie die Nummer auf seinem Arm.

0 Comments:

Post a Comment

<< Home