Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, February 10, 2007

Geld oder Leben (Berliner Zeitung)

Geld oder Leben
Der Berlinale-Wettbewerbsfilm "Die Fälscher" erzählt eine unglaubliche Geschichte aus der Nazizeit. Adolf Burger hat sie erlebt
Frank Junghänel

PRAG. Als Adolf Burger die Filmzeitschrift mit dem Schauspieler August Diehl auf dem Titel sieht, gerät er kurz in Verlegenheit. "Ein geschickter Junge", sagt er, "ich habe ihn getroffen". Ob er das Heft behalten dürfe, zumindest das Titelblatt.

In gewisser Hinsicht blickt Burger seiner Jugend ins Gesicht. Im Spielfilm "Die Fälscher", der heute als erster deutscher Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale läuft, wird sich Adolf Burger in August Diehl erkennen. Er wird einen jungen Mann sehen, sympathisch, kämpferisch und gut aussehend - selbst als Häftling im Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Er wird aber auch daran denken müssen, dass es keinen Regisseur gibt, der diese Geschichte so wahrhaftig erzählen könnte, wie er sie in Erinnerung hat. Der Film seines Lebens überblendet die Kinobilder.

Kurz vor dem Kriegsende gehört der Slowake Adolf Burger zu einer Gruppe von 142 jüdischen Häftlingen, die im KZ Sachsenhausen im Geheimauftrag der SS Devisen herstellen. Mit den gefälschten Pfund- und Dollarscheinen will die NS-Führung das internationale Finanzsystem destabilisieren. Noten im Wert von 134 Millionen Pfund werden in der Manufaktur gedruckt. Als staatlich initiierte Falschgeldaktion ist das "Unternehmen Bernhard", so benannt nach seinem Organisator, SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger, historisch beispiellos.

Beispiellos auch die Gefühlslage, in die die Häftlinge geraten. Während ihre Familien in den Vernichtungslagern getötet werden, sind sie in Sachsenhausen geschützt. Ihre Arbeit für die Nazis bewahrt ihnen das Leben. Es gibt genug zu essen, sie dürfen zivile Anzüge tragen und müssen sich die Köpfe nicht kahl rasieren. Sie schlafen in Doppelstockbetten auf weißen Laken und im Hof steht eine Tischtennisplatte. "Ich als Jude spiele dort mit einem SS-Mann Tischtennis", sagt Burger, "das ist doch verrückt".

Und wer hat gewonnen?

"Wissen sie, der Hauptscharführer Werner, der konnte gar nichts. Ich war früher in der Jugendbewegung aktiv. Da habe ich mir erlaubt, ihn zu besiegen."

Adolf Burger ist ein Mensch, der auch mit seinen bald neunzig Jahren penibel auf sein Äußeres achtet. Zu Hause in Prag empfängt er den Besucher nicht in Pantoffeln, sondern in Straßenschuhen. Die offene Manschette am linken Ärmel seines weißen Oberhemdes kann also keine Nachlässigkeit sein. Jede Form von Nachlässigkeit verbietet er sich.

Adolf Burger spricht nahezu akzentfrei deutsch. Seine Stimme ist markant, nur manchmal fällt er in diesen schweijkschen Singsang, der das Erzählte wie eine Schelmengeschichte erscheinen lässt. Was es noch schwerer macht, sich das Unvorstellbare vorstellen zu können.
Geboren wird Adolf Burger im August 1917 in Großlomnitz, heute Velka Lomnica, einem Bergdorf am Fuße der Hohen Tatra. Seit Jahrhunderten leben in diesem Zipfel der österreichisch-ungarischen Monarchie Menschen mehrerer Nationen leidlich friedvoll zusammen. Als die Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg unabhängig wird, gewinnen in der Slowakei die Nationalisten an Einfluss. Eine Entwicklung, die 1938 zur Gründung eines diktatorischen Separatstaates führt. Für Alfred Burger, der zu dieser Zeit als Drucker in Bratislava arbeitet, sollte sich das Leben dramatisch ändern. "Eine Freundin fragte mich, ob ich mit ihr für die kommunistische Partei arbeiten wolle", erzählt er. "Ich habe nicht lange überlegt, sie war ein bildhübsches Mädchen."

Burger geht in den Untergrund. Seine Fähigkeiten sind gefragt, als es gilt, Taufscheine zu fälschen, die es den von der Deportation bedrohten slowakischen Juden erlauben, sich als Katholiken auszuweisen. Es ist eine gefährliche Zeit, aber auch eine romantische Zeit. An den Wochenenden geht er mit Freunden in der Tatra wandern. Er lernt Gisela kennen, sie wird seine Frau. "Wir waren jung, wir waren glücklich. Manchmal dachten wir nur an uns." Einen Tag vor seinem 25. Geburtstag wird er verhaftet.

Die offene Manschette. Als man schon nicht mehr darauf achtet, zieht Adolf Burger den losen Ärmel zurück. "Wollen Sie schauen, hier?"

Auf der Innenseite seines Unterarms ist in tintenblauer Schrift die Zahl 64401 zu lesen. Sie wird ihm am 19. September 1942 in die Haut tätowiert. Das ist der Tag, an dem er in Auschwitz ankommt, es ist zugleich der Tag, da er an den Bahngleisen des Vernichtungslagers seine Frau Gisela aus den Augen verliert. Sie ist zweiundzwanzig, als sie in der Gaskammer ermordet wird.
Für Adolf Burger gibt es ein Entkommen; und zwar unter Umständen, die kaum begreifbar sind. Im Frühjahr 1944 verlässt er Auschwitz, wohin er im Viehwagon gebracht worden war, in einem Reisezug. "Sie fahren nach Berlin, Herr Burger", hatte ihm ein Offizier mitgeteilt.

Plötzlich sollte er keine Nummer mehr sein, sondern Herr Burger.

Ausgerechnet er, dem ein Wachmann mit dem Gewehrkolben vier Vorderzähne ausgeschlagen hatte, weil er es nicht fassen konnte, dass der Jude mit Vornamen Adolf heißt. Ausgerechnet er, der nur noch 35 Kilogramm wog; der anderthalb Jahre lang im Räumkommando an der Rampe von Auschwitz-Birkenau mitansehen musste, wie Doktor Josef Mengele Frauen und Kinder mit einem Fingerzeig in den Tod schickte und dabei Arien aus "Tosca" pfiff.

Ausgerechnet er, selbst todgeweiht, sollte wie ein Mensch behandelt werden? Das konnte nicht sein. Und das war auch nicht so.

Wenn Adolf Burger seine Häftlingsnummer zeigt, dann hat das einen Grund. Er will seine Erinnerungen nicht nur erzählen, er will sie beglaubigen, denn was er erlebt hat, klingt unglaublich. Er will seine Geschichte beweisen - selbst mit seinem Körper. Nicht nur mit den Listen, Blaupausen und Fotografien, die er sich über die Jahre beschafft hat. "Man muss Dokumente haben, sonst begreift das ja keiner." Immer wieder sagt er diesen Satz.

Sein Wohnzimmer ist auch sein Archiv. Neben den Bücherregalen, in denen er fast ausschließlich Literatur zur NS-Zeit sammelt, stehen Karteikästen. Die Schlagworte lauten: Auschwitz, Mauthausen, Sachsenhausen. Der klobige Bürokopierer vor dem Fenster ist praktisch, er ist aber auch sinnbildlich zu verstehen. Nachdem Burger lange geschwiegen hatte - bis ihn in den siebziger Jahren die Auschwitz-Lüge erreichte - tut er nun alles, um seine Erinnerung zu vervielfachen. Er ist von der Idee beseelt, als einer der letzten Zeugen über das, was geschehen ist, sprechen zu können.

"Dafür lebe ich", sagt er. Dafür hat er seine Erinnerungen geschrieben, dafür tritt er so oft es möglich ist vor Schülern auf, dafür hat er diesem Spielfilm zugestimmt.

Mit der dritten Drehbuchfassung des Regisseurs Stefan Ruzowitzky war er endlich einverstanden. "Ich habe nichts zugelassen, was nicht stimmt." Einmal war Burger bei den Dreharbeiten in den Babelsberger Studios. Dort wurden die Baracken der Häftlinge nachgebaut. Burger, der Augenzeuge sagt, "meiner Ansicht nach ging das in Ordnung."

Der Block 18, wohin Adolf Burger am 5. Mai 1944 gelangt, liegt am Rande des Lagers Sachsenhausen. Zusammen mit dem benachbarten Block 19 ist die Unterkunft mit Stacheldraht förmlich umspult. Selbst der schmale Geländestreifen zwischen den beiden Hütten ist mit einem Drahtgeflecht überdacht. Die Fenster sind weiß getüncht. "Wir saßen in der Mausefalle", sagt Burger. "Wenn wir einmal die Woche zum Duschen geführt wurden, die mussten uns ja gesund halten, gab es Lagersperre. Keiner sollte uns sehen."

Adolf Burger war klar, was das zu bedeuten hatte: Sie würden den Ort niemals lebend verlassen. Sie waren für die SS keine Menschen, sondern bloß Werkzeuge. "Sobald wir unsere Schuldigkeit getan hatten, sollten wir liquidiert werden. Auch deshalb hat man nur Juden genommen."
In seinem Archiv bewahrt er die Namen aller Mitgefangenen auf, die wie er in der Fälscherwerkstatt gearbeitet haben; sie waren Schriftsetzer, Typografen, Drucker, Grafiker, Buchbinder, Graveure - aus halb Europa zusammengeholt. Zu ihnen zählte der Zeichner Peter Edel, der in der DDR mit seiner Autobiografie bekannt wurde. Von ihm stammen etliche Bleistiftskizzen, die den Alltag in Block 18/19 illustrieren.

Manchmal spielen die Häftlinge Samstagabend für sich und für die SS-Leute in ihrer Baracke Kabarett. "Wir haben uns verkleidet, gesungen, getanzt", sagt Adolf Burger, der die Programmhefte druckte. Es war ein Tanz mit dem Teufel.

Als es mit Fälschungen einmal nicht wie geplant vorangeht, sollen die ersten von ihnen erschossen werden. "Sturmbannführer Krüger hat mit der einen Hand Zigaretten verteilt und mit der anderen Leute in den Tod geschickt."

An der Rolle, die der SS-Mann Bernhard Krüger für das Schicksal der Häftlinge gespielt hat, sollten sich nach dem Krieg die Geister scheiden. Einige haben später für ihn gebürgt, sie nennen ihn Lebensretter. Nicht so Adolf Burger. Fünf Häftlinge der Fälscherwerkstatt seien direkt auf Krügers Befehl ermordet worden, sagt er. "Es gab keinen guten SS-Mann."

Bernhard Krüger bleibt straffrei. Er stirbt 1989 in Hamburg. Adolf Burger hat sich eine Kopie seines Totenscheins besorgt.

War es wirklich so, dass Krüger sie mit "Liebe Juden" angeredet hat, wie es in einer Szene zu sehen ist? "Nein, nein", sagt Burger. "Schauen Sie, es ist nur ein Spielfilm."

Ein Spielfilm braucht einen tragenden Konflikt; deshalb wird in "Die Fälscher" einmal heftig gestritten. August Diehl, also Adolf Burger, der in dem Film als einziger mit seinem richtigen Namen erscheint, gerät mit seinen Kameraden aneinander. Es geht darum, ob man die Fälscherei sabotieren soll, selbst wenn man damit sein Leben riskiert.

Im Film wird die Debatte durch den Ehrgeiz eines professionellen Geldfälschers befeuert, den die Nazis auf den Dollar ansetzen; in Wirklichkeit hieß er Smolianoff, der einzige Berufsverbrecher unter lauter Politischen. Er will den Dollar machen, unbedingt. Die anderen wollen es eigentlich auch. Nur Burger nicht. Er stellt die Gewissensfrage.

"Es gab aber gar keinen Streit", sagt er heute und wird auf einmal laut, beinahe sechzig Jahre danach. "Smolianoff hat gefragt, ,willst du zurück nach Auschwitz?' Der wollte leben. Wir haben nicht gezankt."

Sie können die Fabrikation der Dollarnoten immer wieder stören. Erst 200 Scheine sind dem Meisterfälscher Salamon Smolianoff gelungen, da wird das Geheimkommando nach Mauthausen und weiter in das Außenlager Ebensee evakuiert. Dort, in den österreichischen Alpen, werden die Häftlinge aus Sachsenhausen am 5. Mai 1945 von den Amerikanern befreit.

In Adolf Burgers Zimmer hängt das Porträt eines jungen Mannes, sympathisch, kämpferisch, gut aussehend, selbst in der Häftlingskluft. Der alte Mann erzählt. "Eines Tages kam Smolianoff zu mir: ,Weißt du, ich werde dich zeichnen'. Ich habe gesagt: Wir gehen doch sowieso alle durch den Kamin. Hat er gesagt: ,Weißt du, kann man nie wissen'."

Berliner Zeitung, 10.02.2007

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