Knaller an der Zeitungsfront

Friday, November 17, 2006

Mit der Angst im Rücken (Tagesspiegel)

(16.11.2006)
Mit der Angst im Rücken
Das Köln-Konzert 1976 – der Anlass für Wolf Biermanns Rauswurf aus der DDR. Und ihr erster SargnagelVon Lorenz Maroldt, Köln, und Axel Vornbäumen

Wolf Biermann saß im Auto und ihm wurde „schlecht vor Angst“. Wie die Welt sich doch wandeln kann, in einem einzigen, zwei technokratische Bandwurmsätze währenden Moment.

Tags zuvor, am 15. November 1976, ausgerechnet, da hatte er, wie er sich Jahre später erinnern wird, noch den wohl „ungetrübten Glückstag meines Lebens“ verbracht. Es war sein vierzigster Geburtstag und Biermann stand mit Freunden am Ufer des Rheins.

Zwei Tage erst war es her, dass er in der Radsporthalle in Köln vor 7000 Zuschauern ein umjubeltes Konzert gegeben hatte. Eine Deutschstunde war das gewesen, ja, eine, die mehr als vier Stunden dauern sollte, sein erster öffentlicher Auftritt nach elf Jahren, und der auch noch im Westen, ausgerechnet. Ein Ikonenbild war an diesem Abend entstanden, Biermann, schnauzbärtig, verschwitzt, das Hemd halb aus der Hose, seine Gitarre mit dem linken Arm in die Höhe reckend, rechts die Nelken, die DDR kritisierend, aber doch als das bessere Deutschland verteidigend; historisch schon, als noch niemand ahnen konnte, dass die Politbürokraten in Ostberlin sein Schicksal längst besiegelt hatten, heimlich und tückisch.

Nun, an diesem 15. November aber genoss er „unvergällt“ seinen Erfolg im Überschwang der gemischten Gefühle, Tauwetter verspürend, mitten im Herbst, tief im Westen. Roch da nicht was „verführerisch nach Prager Frühling“? Hatte sein Freund, der unbeugsame Regimekritiker Robert Havemann nicht Recht behalten mit seinem Optimismus: „Unser Honnakow ist ein Schwein, aber kein Idiot?“ War seine genehmigte Reise in den Westen womöglich ein „riskanter Versuchsballon“, eine „Leuchtrakete der demokratischen Opposition innerhalb der Parteiführung gegen Honecker, Mielke und Paul Verner“? Biermann schwebte, Pathos schoss in ihn hinein: „Dort, an den Gestaden des Vater Rheins merkte ich plötzlich, dass ich mich unversehens in einen Beweis auf zwei Beinen verwandelt hatte. Beweis dafür, dass es trotz allem vorangeht mit der Menschheit.“

Und nun, keine 24 Stunden später, auf dem Weg nach Bochum im Auto des damaligen Chefredakteurs der Gewerkschaftszeitung „metall“, Jakob Moneta, kroch die Angst in ihm hoch, die Todesangst, wie Biermann es in einem Interview mit der „Welt“ formuliert, „dass die Musen mich nicht mehr küssen, wenn ich nicht mehr in der DDR leben kann, bei meinen vertrauten Feinden und meinen vertrauten Freunden“.

Kurz nach 16 Uhr hatte die DDR-Nachrichtenagentur ADN die Meldung auf den Draht gegeben: „Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Biermann, der 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelte, das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen. Diese Entscheidung wurde auf Grund des ,Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik – vom 20. Februar 1967’, Paragraf 13, nach dem Bürgern wegen grober Verletzung der staatsbürgerschaftlichen Pflichten die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt werden kann, gefasst.“

Feindseliges Auftreten war ihm vorgeworfen worden, von den DDR-Oberen, mit seinem Kölner Konzert habe er sich „selbst den Boden für die weitere Gewährung der Staatsbürgerschaft der DDR entzogen“. Biermann war wie vor den Kopf gestoßen, erinnert sich Moneta, der Liedermacher war in jenen Stunden ganz gegen sein sonstiges Naturell kaum fähig, seine Wut und Enttäuschung in Worte zu fassen. Feindseliges Auftreten? Das hatte er doch gerade vermeiden wollen.

Biermann wohnte bei Moneta. Er war es, der Biermann eingeladen hatte, gegen zum Teil erhebliche Widerstände im Vorstand der IG Metall, die der damalige Chefredakteur erst überwinden konnte, als er darlegte, wie wichtig es wäre, „oppositionelle Kommunisten in ihrem Kampf für die Demokratisierung von Partei und DDR zu unterstützen“.

Aufgeregt war Biermann an jenem Abend gewesen – und doch abgewogen vorgegangen. Es war ja auch kein einfacher Akt, und Günter Grass, beispielsweise, hatte ihm zuvor noch in Westberlin geraten, nur nicht auf alle bekannten Lieder zu verzichten. Biermann beschloss, zu weit zu gehen auf diesem Konzert, wie er es im „Spiegel“ einmal beschrieben hat, aber nicht „zu weit zu weit“. Er verzichtete auf besonders provokante Lieder wie „Die Stasi-Ballade“, „Die Populär-Ballade“ oder „In China hinter der Mauer“. Das Publikum war dennoch fasziniert. Und unpolitisch war er auch nicht, der Biermann, nicht zahm, der Wolf. Er sang „Die hab ich satt“, und wer verstehen wollte, der verstand auch. Keiner ahnte, dass dies die Szenerie sein sollte, auf die das Politbüro nur gewartet hatte, Biermann nicht, sein Publikum auch nicht.

Die Tür, die da geöffnet worden war von den SED-Oberen, sie war nur geöffnet worden, um sie zuschlagen zu können. Zweimal zuvor hatte es die DDR schon versucht, ihren dichtenden Kritiker loszuwerden. Beide Male war es schief gegangen. Einmal, bei einem Besuch seiner kranken Großmutter – „Oma Meume“ – in Hamburg, hatte er sich zu unauffällig verhalten. Ein anderes Mal war die Genehmigung für den Auftritt bei einem Anti-Franco-Konzert in Offenbach im letzten Moment zurückgezogen worden, als mit Hilfe der Stasi klar geworden war, dass Biermann in Offenbach nur antifaschistisches Liedgut zum Besten gegeben hätte. Doch beim dritten Mal tappte der Wolf in die ihm gestellte Falle.

Zu spät, wie er einmal zugab, war Biermann aufgefallen, durch seine Ausbürgerung in ein „geistiges und politisches Niemandsland“ gekommen zu sein. „Die rechte, etablierte Gesellschaft der Bundesrepublik fand mich zum Kotzen. Die Linken waren untereinander auf Leben und Tod zerstritten.“ Und mittendrin: der Biermann, allein und allein gelassen.

Wobei: Nicht ganz. Dasselbe Viertel, dieselbe Straße, dasselbe Haus, Köln-Ehrenfeld, Thaebäerstraße. Hier hatte Biermann sich „verkrochen“, damals, nach dem Rauswurf. Günter Wallraff steht an der obersten Klingel, aber die Holztür unten ist ohnehin nur angelehnt, ein Lederstopper am Boden hält sie auf. Über eine ausgetretene, aber gepflegte Holztreppe geht es nach oben. Und da steht er auch schon, heute so wie damals, und heißt einen willkommen. Es ist der Geburtstag von Biermann, sein siebzigster, Wallraff will später noch anrufen. Geburtstage liegen ihm nicht so, wegen des ganzen Trubels.

Trubel, den hat es damals hier allerdings gegeben. Wallraff hatte Biermann ein paar Wochen zuvor kennen- gelernt, in der Chausseestraße in Ostberlin. Sie hatten Gespräche vereinbart, Systemkritiker Ost und Systemkritiker West, die sie als Buch herausbringen wollten. Was es für ihn wohl bedeuten würde, ausgewiesen zu werden, hatte Wallraff im Oktober 1976 gefragt, ohne von dessen bevorstehender Tournee im Westen zu wissen. Und Biermann antwortete, ohne seine bevorstehende Ausweisung zu ahnen: „eine Katastrophe. Dann werde ich wohl zugrunde gehen.“ Ein paar Wochen später klingelte bei Wallraff das Telefon. Biermann war dran. Ob er bei ihm unterkommen würde, vorübergehend; die DDR hatte ihn ausgebürgert.

Es war eine wilde Zeit. Wallraff steckte gerade in den Vorbereitungen für seine Rolle als Hans Esser, undercover bei „Bild“. Biermann bekam die Pläne mit, natürlich, und er hat sogar einmal darüber bei einem Konzert gescherzt, verschlüsselt: Sein Freund Wallraff arbeite gerade „verdeckt im faschistischen Ausland“. Bittere Ironie auch dieser Geschichte: Der BND hatte damals Wallraffs Telefon angezapft, und eine Leitung führte direkt in die Redaktion von „Bild“.

Wallraffs Haus war kurz zuvor Ziel eines Brandanschlags geworden, das Dach zerstört, nicht alle Zimmer zu benutzen. So hockten sie eng zusammen, mit Biermann und seiner Gitarre und Nina Hagen, die kam auch und bekam ein kleines Zimmer. Wallraff hatte trotz des Durcheinanders auf der Terrasse eine Tischtennisplatte untergebracht. Biermann hielt sich für einen guten Spieler, Wallraff ist einer: „Ich habe ihn auf einem Bein stehend geschlagen, vor allen Frauen!“ Später, längst in Hamburg, hat Biermann sich einen Trainer besorgt, einen Freigänger: den Tischtennismeister von Santa Fu.

Köln-Ehrenfeld, Thaebäerstraße. Hier begann für Biermann also der Westen. Wallraff meint, Biermann habe sich diesen Ort bewusst ausgesucht, wie ein Statement: seinetwegen. Nicht, weil sie sich besonders gut kannten, so war das ja nicht. Aber ein Überläufer wollte Biermann nicht sein, deswegen kam ein bürgerliches Haus nicht in Frage, und jetzt bei einem Westkommunisten einzuziehen, wäre auch das falsche Signal gewesen. Zu Biermann entwickelte sich „eine enge, heftige Freundschaft“, die später freilich wieder etwas lockerer wurde, wegen der räumlichen Distanz, aber auch der wachsenden politischen. Damals aber feierten Wallraff und Biermann sogar Weihnachten zusammen, mit ihren Müttern. Als ein bisschen traurig hat Wallraff das in Erinnerung. Ein paar Monate hockten die beiden zusammen, oft in ihrer Küche. Biermann hatte einen Teil seines Krempels aus der Chausseestraße eingeräumt, er spielte, spielte, spielte, wenn nicht Gitarre, dann Tischtennis oder Schach. Dutschke kam zu Besuch, Jurek Becker, viele, viele andere kamen auch. Biermann war aufgewühlt, aber nicht deprimiert, „dazu war keine Zeit“. Verunsichert war der neue Mitbewohner, aber auch streitlustig, immer auf der Suche nach einer gelungenen Provokation, so dass manche sagten: Der legt es darauf an, der will sich unbeliebt machen. Als er im Frühjahr 1977 nach Hamburg zog, hinterließ Biermann dennoch ein widersprüchliches Bild seiner selbst: „Er suchte den Streit, auch im Privaten“, sagt Wallraff, „aber er konnte zugleich sehr liebenswürdig sein. Und sanft.“

Als er wegzog aus Köln, da waren die ersten Sargnägel schon eingeschlagen für den zweiten deutschen Staat, der erst 13 Jahre später implodieren sollte. Nur konnte das niemand ahnen. Alle hatten sich geirrt, und Jahre später, die Wiedervereinigung war längst vollzogen, bemerkte Biermann einmal, dass Havemann wenigstens auf dialektische Weise Recht behalten sollte: „Der Rausschmiss war zu teuer für die SED-Nomenklatura.“

Die Rechnungen kamen stoßweise. Die DDR hatte mit ihrer Entscheidung genau das erreicht, was sie verhindern wollte. Der Liedermacher wurde populär. Künstler, Intellektuelle solidarisierten sich, später Ausreisende wie Manfred Krug und Jurek Becker begründeten mit der Biermann-Ausbürgerung ihre innere Abkehr von er DDR. Wo die SED-Zeitung „Neues Deutschland“ zuvor Biermann jahrelang beschweigen konnte, war sie nun gezwungen, umfangreiche Erklärungen von staatstreuen Kulturschaffenden abzudrucken, die die Ausbürgerung Biermanns begrüßten. Plötzlich war ein Kristallisationspunkt für alle Andersdenkenden da. Einem war übel mitgespielt worden, einem, „der unser Lebensgefühl ausdrückte“, wie der Regimekritiker Roland Jahn es beschreibt, der später selbst ausgebürgert wurde.

Biermann wird erst im Dezember 1989 ein Konzert in der DDR geben. Die Mauer ist schon gefallen, die DDR, wie er sie kennt, existiert schon nicht mehr. Aus dem einstigen DDR-Bürger, sagt Biermann, sei kein Westdeutscher geworden, sondern ein „Weltenkind – das ist für einen Dichter kein Schaden“

.Das Video von seinem Köln-Konzert hat er sich Jahre später angeschaut. Der junge Biermann, beinahe 40 Jahre, findet der alte Biermann, habe etwas „rührend Lächerliches“ gehabt, damals, im November 1976. Geschichte ist bisweilen so.

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