Knaller an der Zeitungsfront

Monday, November 13, 2006

Elisabeth Pätz (Tagesspiegel/Sonntag)

(12.11.2006)
„Sie müssten mal mein Zimmer sehen“
Elisabeth Pähtz liebt das Chaos, zu Hause und auf dem Schachbrett. Und sie hasst es, wenn Männer nur aufs Dekolleté schauen.

Elisabeth Pähtz, 21, war Schachweltmeisterin in den Altersklassen bis 18 und bis 20. Schon mit 14 war das Wunderkind Gast bei Johannes B. Kerner und Harald Schmidt; die Erfurterin ist Obergefreite bei der Bundeswehr, wo sie professionell trainieren kann. Derzeit steht sie auf Platz 25 der Frauen-Weltrangliste.

Interview: Markus Ehrenberg und Norbert Thomma

Schön, dass Sie da sind, Frau Pähtz. Wir haben uns vor vielen Wochen zu diesem Gespräch verabredet: Freitag in Erfurt an der Ecke Am Anger, um 15 Uhr. Haben Sie sich den Termin notiert?
Nirgendwo. Ich merke mir so etwas. Zu Hause hängt zwar ein Kalender, aber da trage ich nichts ein und schaue auch nie drauf. Warum auch? Ich hab das im Kopf. Ich habe mich auch früher in der Schule geweigert, ein Hausaufgabenheft zu führen. Die Lehrer waren zwar nicht begeistert, aber sie haben gesehen, dass ich mir’s merken kann.

Auch Handynummern, Geburtstage?
Sicher. Wenn etwas gespeichert werden soll, muss ich mich nur darauf konzentrieren.

Kleiner Test: Monat März!
Am 10. hat mein Bruder Geburtstag, am 12. eine Schachkollegin, am 14. zwei Freundinnen, am 22. März meine beste Freundin aus England, am 31. ein Kumpel aus Köln ... Ob ich denen auch schreibe, ist eine andere Sache.

Die meisten Menschen schreiben sich vor dem Einkauf einen Zettel, um ja nichts zu vergessen ...
... und ich merke mir nur die Anzahl der Sachen. Ich denke nicht Butter, Salz, Brot, Salat …, sondern nur: 22. Wenn ich dann im Geschäft bin, kriege ich die Dinge auch wieder zusammen. Im Schach ist das genau so. Ich behalte nicht jeden einzelnen Zug im Kopf, aber wenn wir jetzt eine Partie spielen, kann ich sie anschließend rekonstruieren und genau sagen, wo Sie einen Fehler gemacht haben.

Wir könnten Ihnen jetzt die Augen zubinden, und Sie spielen gegen uns und noch ein paar andere?
Das geht, ja, es ist eigentlich kein Problem. Mit vier Spielern habe ich es schon gemacht, aber ich mag das nicht, es ist extrem anstrengend. Beim Blindschach darf man sich ja nicht mal die Koordinaten notieren. Diese Konzentration über Stunden fordert sehr, ich hatte hinterher üble Kopfschmerzen. Es gibt ja Rekorde mit 30 und 40 Brettern, das kann nicht gesund sein, ehrlich.

Sie würden das nicht schaffen?
Ich bezweifle, dass ich mehr als 20 Bretter hinbekomme, ich möchte es aber gar nicht wissen. Für mich ist das, als würde ich einen Tag lang nicht schlafen, dann brummt mir auch der Schädel. Ich übertrag’s mal aufs Physikalische: Stellen Sie sich das Gehirn vor wie eine Feder, die Sie ziehen und ziehen und irgendwann schnappt sie nicht mehr zurück – sie ist überdehnt. So etwa fühlt sich das an.

Was sehen Sie beim Spielen mit verbundenen Augen?
Vier Bretter sehe ich, die sich hin und her bewegen, ich sehe die Figuren. Doch so nach sechs, acht Zügen stelle ich mir die Stellungen nicht mehr bildlich vor, weil das sehr anstrengend ist, ich ziehe dann, weil ich einfach weiß, wie es steht, es genügt, nach jedem dritten oder vierten Zug das Bild im Kopf wieder neu zu erzeugen. Na, Sie schauen so komisch, ich kann es nicht besser erklären.

Haben Sie mal Ihren IQ messen lassen?
Nein. Ich war jedenfalls in der Schule nur Durchschnitt, aus dem Abitur ging ich mit 2,6. Nicht mal in Mathematik war ich gut.

Sie müssen doch logisch denken können.
Irrtum. Ich spiele Schach sehr intuitiv, und solche Spieler sind keine Logiker. Ich habe in der Schule einen Vortrag in Sporttheorie gehalten und vorher mit mehreren Großmeistern gesprochen, dabei hat sich bestätigt: Du bist entweder der Intuitive wie Anatoli Karpow oder der Logiker wie Garri Kasparow, es gibt diese Unterschiede im Stil – und der geht einher mit den Fähigkeiten in den Naturwissenschaften. Mein Mathelehrer hat dann verstanden, warum ich in seinem Fach keine Kanone war.

Sie wurden schon mit 14 Jahren als Wunderkind herumgereicht, in Talkshows bei Kerner, Pilawa und Harald Schmidt.
Ach, das war eine lustige Zeit, leider schon sieben Jahre her. Da wurde ich eingeladen, weil ich die deutsche Frauenmeisterschaft gewonnen hatte.

Sie waren so jung und schon die Beste.
Ich habe den Titel geholt, das ist etwas anderes, die beste Frau hatte nicht mitgespielt. Aber es hat sich herumgesprochen, da ist so eine Kleine, und dann haben die Talkshows angerufen. Schön war es auch bei Hape Kerkeling, er wollte einen bayerischen Oberligaverein verulken. Er hat sich als iranischer Schachgroßmeister verkleidet, weil im Iran Schach früher verboten war und deshalb keiner einen iranischen Spieler kennen konnte. Kerkeling hatte einen Knopf im Ohr, ich habe ihm die Züge eingeflüstert, und er hat seine Gegner plattgemacht. Die waren anschließend stinkesauer, als herauskam, dass ich dahinterstecke.

Sie können andere mit Ihren Fähigkeiten ganz schön auf den Arm nehmen.
Oh ja, ich war mal als Göre in New York im Washington Square Park, bunt angezogen wie Pippi Langstrumpf mit Basecap, da gibt’s eine Schachecke, wo Leute den ganzen Tag spielen. Die forderten mich zu einer Partie um Geld auf, dachten wohl, na die Kleene da ... Ich ließ ihnen die Dollar, als ich gewonnen hatte. Sie meinten dann, hey, wer bist du? Ich hab sie aufgeklärt, und wenn ich in New York bin, gehe ich in den Park und spiele mit ihnen.

Nach wie vielen Zügen sehen Sie, wie gut einer Schach spielt?
Sie werden lachen, meistens weiß ich das schon vorher. Instinktiv.

Was ist mit uns beiden?
Sie sehen nicht wie Schachspieler aus, Sie haben nicht diesen Schachblick. Und selbst wenn Sie Schachspieler wären, hätte ich keine Angst vor Ihnen. Sie schauen nicht streng oder böse. Wenn dich einer wie Kasparow anguckt, da bricht dir der Schweiß aus. Verbissen. Entschlossen. Als wollte er dich zerfleischen.

Garri Kasparow gilt als der beste Schachspieler aller Zeiten. Als Sie 17 waren, haben Sie sechs Partien gegen ihn gespielt und bei zweien ganz gut ausgesehen.
Ja, ich hätte gewinnen müssen. Ich hatte die klar bessere Stellung, aber nur noch zehn Sekunden auf der Uhr, da bin ich einfach verrückt geworden, ich meine, wenn man gegen Kasparow gewinnen kann und hat nur noch wenige Sekunden, da wird man nervös, logisch. Man sollte diese Partien aber nicht zu ernst nehmen, es war Blitzschach, da ist die Fehlerquote auch bei Kasparow höher, und er kennt bei Turnieren nur die besten Bedingungen, ich bin an solche Spektakel in Messehallen eher gewöhnt. Hinterher sagte er übrigens zu mir, ich hätte Talent, aber lausige Nerven. Direkt danach bin ich Weltmeisterin geworden.

Kasparow sagte auch: „Sie ist mutig und hat Ideen.“
Irgendetwas Positives musste er ja sagen, wir spielten schließlich in Deutschland.

Gerade wurde Arik Braun U-18-Weltmeister, doch zuvor hatte es seit dem legendären Emanuel Lasker Anfang des vergangenen Jahrhunderts keinen deutschen Weltmeister mehr gegeben – bis Sie kamen.
Ja? Das ist mir egal, ehrlich.

Es gibt eine Reihe von jungen Schachspielerinnen, die ganz bewusst ihre Weiblichkeit vermarkten. Alexandra Kosteniuk zeigt sich als laszive Diva, Maria Manakowa hat sich nackt auf Pelz fotografieren lassen.
Die Kosteniuk kann ja Schach spielen, sie ist die Nummer 3 in der Welt, die darf das. Weil sie auch sportlich etwas zu bieten hat. Die Manakowa ist ein schlimmes Beispiel, die hat keine Ahnung von Schach, und wenn die sich nicht auszieht, redet ja keiner über sie. Das Traurige ist, dass das Aussehen im Schach der Frauen so eine Rolle spielt. Wer gut aussieht und die Bluse aufknöpft, bekommt mehr Einladungen zu Turnieren.

Die Amerikanerin Jennifer Shahade beklagt in ihrem Buch „Chessbitch“ den „Sexismus in Schachartikeln“ und spottet: „Niemand interessiert sich für die Schwanzgröße Garri Kasparows.“
Ein geiler Spruch. Sie hat ja recht. Man konnte ja sehen, was in der deutschen Schachwelt daraus gemacht wurde. Chessbitch wurde mit „Schachhure“ übersetzt, sie haben versucht, ein Nuttenbuch daraus zu machen. Das ärgert mich extrem. Ich kenne Shahade recht gut, sie meint mit Bitch eher: zickig. Es geht ihr nämlich nicht um Nacktheit oder Sexklatsch, sondern sie wehrt sich dagegen, dass sich Männer am Frauenschach nur dafür interessieren, ob eine große oder kleine Brüste hat.

Das ist so?
Und wie. Shahade hat mit vielen Frauen geredet, ich werde auch zitiert. Als ich mal gegen Kosteniuk gespielt habe, stand in den Zeitungen ganz viel über Haarfrisuren und Klamotten, ob sich die beiden Frauen vertragen oder böse Sachen übereinander erzählen, welche sieht besser aus ... Das Match selbst hat kein Schwein interessiert.

Der Psychologe C. G. Jung meinte: „Frauen sind naturbedingt unfähig, in den Geist dieses Spiels einzudringen.“
Den Mann kenne ich nicht. Und zum Glück widerlegt ihn wenigstens Judit Polgar ...

... die inzwischen 30-jährige Ungarin, die prinzipiell nur gegen Männer spielt ...
... und es unter die Top Ten geschafft hat. Ja, wie viele Frauen gibt es in den Naturwissenschaften? Andererseits, wie viele Frauen machen als Psychopathen Karriere und zerschnippeln kaltblütig ihr Opfer? Schachspieler brauchen einen Killerinstinkt. Frauen verlieben sich, Frauen bekommen Kinder, Frauen stillen und schlafen dann schlecht ... Männliche Schachspieler sind total fixiert auf das eine: Schach ist ihr Leben! Ich kann Ihnen tatsächlich anhand der Züge 35 bis 40 sagen, ob da Frauen spielen oder Männer. Frauen sind weniger analytisch, sie geraten in Zeitnot in Hektik und verlieren eher den Faden.

Judit Polgar ist anders.
Ihr Vater hat das gemanagt. Sie ist die jüngste von drei Schwestern, sie haben immer nur Schach gespielt, sie war nie auf einer normalen Schule, es kamen die besten Trainer ins Haus, von den älteren Schwestern konnte sie lernen. Und sie hatte die Selbstdisziplin, das durchzuhalten. Ich weiß nicht, ob sie als Kind nicht doch etwas vermisst hat.

Der Vater hat ein Buch geschrieben: „Wie man ein Genie erzieht.“
Ja, ich finde das echt hart. Mein Vater war sehr viel lockerer, ich durfte Freunde mit nach Hause bringen, und er hat mich schlau motiviert. Ich bekam für eine Medaille einen Wunsch erfüllt, eine Puppe oder etwas anderes Schönes. Es war wichtig als Kind, so ein Ziel zu haben.

Sie spielen Schach, seit Sie fünf Jahre alt sind. Ihr Vater war Großmeister in der DDR. In einem Interview sagte er mal: „Nach der Abnabelung von Elisabeth kräht kein Hahn nach mir. Sie ist mein einziger Trumpf.“ Das muss Sie unter Druck setzen.
Nein, eigentlich nicht. Mein Vater ist Schachtrainer, und weil ich einen guten Namen habe, hat er auch Vorteile. Er hat die beste Schachspielerin Deutschlands hervorgebracht, dafür wird er anerkannt, das macht ihn interessant. Mein Problem ist, ich bin bei allem Talent ein bisschen faul, das gebe ich ja zu. Ich habe meinen Vater gebeten, mir mehr in den Hintern zu treten.

Als Sie 2005 Weltmeisterin wurden, dauerte eine Partie sieben Stunden bei 112 Zügen. Nach Faulheit riecht das nicht.
Ich war älter als meine Gegnerin, ich war konditionell besser drauf und wusste, wenn ich diese Partie gewinne, habe ich den Titel fast sicher. Und weil ich außerdem wusste, dass ich in der letzten Partie immer ein Zitterhase bin, dachte ich, dieses Ding spielst du jetzt runter bis zum bitteren Ende.

Konsequent und ordentlich.
So bin ich gar nicht. Ich liebe das Chaos. Sie müssten mal mein Zimmer sehen, da kann man kaum gehen, ohne auf etwas zu treten. Meine Eltern finden das nicht so toll. Ich weiß aber immer, wo ich was finde. Ich mag das auch auf dem Brett, je chaotischer eine Stellung, desto stärker bin ich. Ich spielte mal gegen einen Großmeister, da schaute ein anderer zu und sagte: „You are playing space chess.“ Du spielst Raumschiffschach – wobei alles quer in der Luft liegt. Fallen stellen, andere austricksen, aggressiv ziehen, das liegt mir. Ich spiele auch besser, wenn ich schlechte Laune habe, dann will ich die Konkurrenz zerschmettern.

Mal ehrlich, Frau Pähtz, woran denken Sie gerade?
Wieso?

Der aktuelle Weltmeister Wladimir Kramnik behauptet: „Ich kann ein konzentriertes Interview geben und gleichzeitig über komplizierte Stellungen nachdenken.“
Das tue ich nicht. Ich schweife vielleicht mal kurz in Gedanken zur Oma, weil ich die nachher besuchen will. Alleine gegen mich selbst im Kopf Schach zu spielen, finde ich ziemlich sinnlos.

In Nabokovs Erzählung „Lushins Verteidigung“ sitzt ein Schachspieler auf einer Bank und denkt: „Ob diese Linde dort drüben mit einem Springerzug den Telegrafenmast auf dem Hügel schlägt?“
Da kann ich Sie beruhigen: So ticken Frauen nicht, die wenigsten jedenfalls. Wenn ich frei habe, denke ich über persönliche Sachen nach.

Schach spielen ist sitzen und denken. Trotzdem geht ein Star wie Vishy Anand jeden Tag zwei Stunden ins Fitnessstudio, Peter Leko ernährt sich vegetarisch, und Wladimir Kramnik hat, um Weltmeister zu werden, mit einem Trainer zehn Kilo abgespeckt und den Rotwein gestrichen.
Geistige Anstrengung braucht ja auch Kraft und Ausdauer, es ist wichtig, sich fit zu machen. So ein Turnier kann sich lange hinziehen. Seit ich jeden Tag eine halbe Stunde jogge, breche ich nicht mehr so ein wie früher, als Jugendliche habe ich ein, zwei WM-Titel verschenkt. Inzwischen werden meine Konkurrentinnen schlapp, die sehen nach der Hälfte des Turniers auf dem Brett Gespenster, sie machen taktisch leichte Fehler, die man auf diesem Level nicht machen darf.

Dieses strukturierte Denken und Planen auf dem Schachbrett, hilft das im Leben?
Hm, schon. Bevor ich etwas entscheide, nehme ich es auseinander, die Vorteile, die Nachteile. Auch die Intuition hilft, ich behaupte, ich habe eine ganz gute Menschenkenntnis. Meint er es ehrlich, stört mich was? Das fühle ich.

Schach macht glücklich.
Bei Erfolg, ja. Doch ich weiß von einer Menge Schachspielern, die es hassen, Schach zu spielen, es ist nur ihre einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Man kann auch sehr traurig sein.

Viele Schachspieler gelten als wunderlich.
Es gibt Leute, die fühlen sich von Aliens bedroht, andere sind abergläubisch bei Schreibstiften, einer zieht seine Klamotten nie aus, bis er verliert, und das kann in einem Turnier zwei Wochen dauern. Mir ist das egal, ich habe eine ganz schlechte Nase, ich rieche nichts.

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