Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, October 18, 2006

Geplanter Mord (SZ)

"Geplanter Mord"
Gemeinsam gegen die Mafia
Der Erfolgsautor Roberto Saviano soll sterben, so will es die Camorra. Doch Italien entdeckt die Solidarität.
Von Stefan Ulrich


Die Mafia tötet nicht aus Mordlust, schon gar nicht Prominente. Zu viel Aufmerksamkeit stört nur die Geschäfte. Manchmal halten es die Bosse aber doch für geboten, cadaveri eccellenti, prominente Leichen, in Kauf zu nehmen.

In solchen Fällen bereiten sie ihre Tat sorgfältig vor. Das Opfer wird in der Gesellschaft isoliert und danach massakriert wie die beiden sizilianischen Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.

So könnte es nun auch dem jungen Schriftsteller Roberto Saviano ergehen, der sich mit der neapolitanischen Mafia, der Camorra, angelegt hat.

Umberto Eco hat vor wenigen Tagen im italienischen Fernsehen das ganze Land um Hilfe gerufen: "Lassen wir Saviano nicht wie Falcone und Borsellino allein", sagte der berühmte Autor.

Der Staat müsse einschreiten, weil man in diesem Fall sogar die Vor- und Nachnamen der Drohenden kenne.

Der Staat hat jetzt Saviano per Eilentscheidung unter Polizeischutz gestellt. Italien scheint seinen Fall Rushdie zu haben, nur dass die möglichen Mörder diesmal keine Islamisten sind, sondern kühl kalkulierende Manager der Unterwelt.

Die Camorra-Bosse haben den 28 Jahre alten Schriftsteller und Journalisten schon länger im Visier. Schließlich wuchs der junge Mann in ihrem Territorium zwischen Neapel und der Provinzhauptstadt Caserta heran.

Saviano tauchte in die Welt der Produktpiraterie, des Drogen- und Menschenhandels, der Korruption und Erpressung, um über das organisierte Verbrechen zu berichten. "Aus Wut" habe er sich so exponiert, hat er einmal gesagt, seit seiner Geburt habe die Camorra 3600 Menschen umgebracht.

Im Mai veröffentlichte Saviano sein Buch "Gomorra", eine Art Untersuchungs-Roman, der freilich nicht auf die präzise Nennung von Namen und Zahlen verzichtet. Das Erstlingswerk wurde ein Überraschungserfolg und erhielt sogleich den wichtigen Literaturpreis "Premio Viareggio".

Italiens Innenminister Giuliano Amato saß in der Jury und ließ sich besonders von "Gomorra" packen. Er hat mittlerweile sein Ministerium angewiesen, einen Masterplan gegen die Camorra auszuarbeiten.

Gefährliches Desinteresse

Savianos Buch hat sich fast 100.000 Mal verkauft, bald soll es auch in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und in den USA erscheinen.

Das konnte der Camorra nicht gefallen, zumal Saviano kürzlich in Casal di Principe, einer ihrer Hochburgen nördlich von Neapel, bei einer Kundgebung die Namen der drei mutmaßlichen Clan-Chefs Michele Zagaria, Antonio Iovine und Francesco "Sandokan" Schiavone nannte und sie aufforderte, aus dieser Gegend zu verschwinden.

Ihre Macht beruhe lediglich auf der Angst der Menschen. Seither bekommt Saviano Drohbriefe und mysteriöse Anrufe in der Nacht. In einem Restaurant hieß es: "Sie sind hier nicht erwünscht." Die Mafia hat ihr Isolierungswerk begonnen. Doch diesmal stößt sie auf starke Gegenkräfte.

Etliche Schriftsteller haben einen Solidaritätsappell unterzeichnet, die politische Wochenzeitschrift Espresso berichtete ausführlich über den Fall, und auch im Internet wurden mehrere Initiativen gestartet.

Diese Aufmerksamkeit schützt Roberto Saviano derzeit wohl noch besser als die Polizeieskorte. Richtig gefährlich wird es für ihn, sobald das Interesse nachlässt.
(SZ vom 18.10.2006)

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