Knaller an der Zeitungsfront

Monday, October 09, 2006

Und was mache ich jetzt? (Tagesspiegel)

Und was mache ich jetzt?
Von Axel Hacke


Seit die Fußball-Weltmeisterschaft vorbei ist, versuchen wir den Geist jener Tage weiterzutragen, das Sommergefühl in den Herbst, ja: in den Winter hinein und hinüberzubringen und dann ins nächste Jahr und ins übernächste, immer weiter. Versuchen, kompakt zu stehen, tief gestaffelt. Auch muskulär gut vorbereitet zu sein. Gehen mit hoher Aggressivität in die Begegnungen. Rutschen auf den Knien in den Flur, wenn ein Manuskript gelungen ist, klatschen den Redakteur ab für seine steilen Gedankenvorlagen, seine filigrane Arbeit am Text. Und doch, und doch – was fehlt hier, was fehlt? Warum kesselt es nicht richtig, woher kommt immer wieder dieses Lähmende? Fehlt es an der richtigen Ansprache? Haben wir die falschen Trainer?

Dieser Tage ist nun Herrn Wortmanns Film über Klinsmann und die Seinen in die Kinos gekommen, und wie immer hat man in den Zeitungen, bevor auch nur eine Sekunde Film zu sehen war, schon die Hälfte gelesen. Was sich am meisten einprägt: Klinsmanns Kabinenreden. Dass hier der Baum brenne. Dass dies unser Spiel sei. Die anderen fällig seien. Mit dem Rücken zur Wand stünden. Nichts mehr drauf hätten. Wir ihnen auf die Fresse geben würden. Ho! Ha! Ist es nicht dieser Ton, den wir brauchen? In dem uns aber niemand anspricht? Der uns vorenthalten bleibt?

Was könnte man für Sachen schreiben, redete morgens jemand zu uns in dieser Art? Wenn in der Früh, bevor sich die Finger wie Blei über die Tastatur legen, einer brüllte: Du schlägst heute zu, brutal! Du knallst sie durch die Wand. Sie haben Muffe vor dir. – Wer denn, Chef, wer hat Muffe? – Egal, wer. Zeig es ihnen, da draußen.

Da draußen. Raus gehen. Kein Zitat aus dem Wortmann-Film hat sich mir mehr eingeprägt als dieses von Torsten Frings: „Wir gehen jetzt raus und hau’n die Scheiße weg.“ Niemand hat da gefragt: Torsten, Lieber, die Scheiße? Welche Scheiße? Wer ist Scheiße? Die Italiener? Torsten, bitte! Nein, das wäre großkoalitionäres Denken. Da sagt man nämlich vor den Verhandlungen des Tages: Ich bin relativ zuversichtlich, dass wir zumindest einen Teil der Scheiße heute beseitigen können. Ich finde die Äußerungen der anderen Seite über die noch wegzuhauende Scheiße nicht zielführend. Wir müssen sehen, wie viel Spielraum …

Man wünscht sich Leute, die vor Mikrofonen stehen, mit dem Rücken zu einer Tür, und die dann sagen, sie gingen jetzt rein und hauten alles weg, Gesundheitsreform, alles, das Ganze. Weg. Was wäre denn gewesen, Frings hätte gesagt: Tja, Männer, lasst uns mal ausloten, ob wir die Scheiße da draußen weghauen können?

Gerade lese ich nach: Frings hat das vor dem Spiel gegen Italien gesagt. Dem einzigen, das verloren ging. Die Scheiße ist noch da. Hab mir gleich so was gedacht. Gehen wir wieder rein? Wird kühl allmählich, was? Heute ist Sonntag. Ob wenigstens Schumi …?

(08.10.2006)

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