Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, November 04, 2006

Jackson Pollock (Die Welt)

Warum ausgerechnet Jackson Pollock?

Es ist überhaupt nicht seltsam, dass mit dem Tropf-Bild "No. 5, 1948" eines seiner Meisterwerke zum teuersten Gemälde der Geschichte aufstieg. Jackson Pollock schloss das Fenster zur herkömmlichen Malerei - ein amerikanischer Held und Vollender der Avantgarde.
Von Klaus Honnef

Jackson Pollock verkörpert einen ur-amerikanischen Mythos. Was Melville und Hemingway für die Literatur, Lincoln und Kennedy für die Politik des Landes, ist Pollock für die Malerei. Weit vor Andy Warhol. Nicht zufällig ist er der erste amerikanischer Bildkünstler, der Weltruhm erlangte.

Als der später einflussreichste amerikanische Kritiker Clement Greenberg sich im März 1948 entschloss, für die amerikanische Kunst Weltgeltung zu beanspruchen, lieferten ihm Pollocks Bilder die entscheidenden Argumente. Nach langem Suchen und intensiven Bemühungen, sich alle möglichen Anregungen der Kunst der Moderne vom Surrealismus bis zur mexikanischen Wandmalerei anzuverwandeln, schien bei dem Künstler wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und vor der heißen Phase des Kalten Krieges endlich der Knoten geplatzt zu sein. „Es gibt ein beharrliches Drängen, das Staffeleibild zu überwinden, welches dazu bestimmt ist, nur einen kleinen Platz an der Wand einzunehmen...“, raunte er in seinem ersten Hinweis auf Pollock.

Der Maler war dazu übergegangen, die Leinwand nicht länger als begrenzte Fläche zu betrachten, innerhalb derer sich ein Spiel der Korrespondenzen figürlicher oder abstrakter Formen entfaltete, sondern als Arena für künstlerische Handlungen, den puren Vollzug von Malerei sozusagen, dessen Spuren sichtbar blieben. „Meine Malerei kommt nicht von der Staffelei. Selten spanne ich die Leinwand vor dem Malen auf. Ich befestige sie lieber an der harten Wand oder auf dem Boden. ... Auf dem Boden fühle ich mich wohler“, begründete er seinen Schritt. Hier vermochte er sich von den Zwängen konventioneller und sorgsam elaborierter Kunstregeln unbeschwert zu bewegen und mit Hilfe eines tropfenden Pinsels oder sonstiger Werkzeuge die Dynamik des schöpferischen Geistes in einem ungeheuer konzentrierten Akt als unmittelbare, spontane „Niederschrift“ förmlich zu dokumentieren.
Die künstlerische Fantasie brach sich direkt Bahn, nicht behindert durch die Schranken der Kontrolle des Vorgewussten. Das Ergebnis seiner Malerei ist ein vielfach vernetztes, sich überschneidendes, heftig pulsierendes Gefüge von Linien und Tropfen unterschiedlicher Farbe, in das die Betrachter eintauchen müssen, um es ganz zu erfahren. Pollock begnügte sich auch nicht mit herkömmlichen Malmitteln, sondern verwendete Sand, Nägel und andere kunstfremde Materialien. Er war es, der das Fenster der Malerei endgültig schloss. Er brachte das von der Avantgarde denunzierte „illusionistische“ Bild auf die Welt, und erweiterte die Leinwand zum vitalen Kraftfeld.

So öffnete er nicht nur die Tür für die kommende Kunst der Assemblage eines Robert Rauschenbergs und Jasper Johns, sondern vor allem für die faszinierende, raumsprengende Land Art. In den Augen Greenbergs und der jüngeren Kunstgeschichte ist Pollock der Vollender der inzwischen „klassisch“ gewordenen Avantgarde, ein nach wie vor unbestrittener Neuerer. Doch in seiner Person versammelt sich auch alles, was einen Mann zu einem amerikanischen Helden macht: Virilität, Durchsetzungsfähigkeit, Risikofreude und ein erfrischender Mangel an parfümierter Kultur. Pollock, schrieb Greenberg, „ist Amerikaner, er ist rauer und brutaler, aber er hat auch mehr Substanz. Jedenfalls ist er weniger konservativ, weniger ein Staffeleimaler im traditionellen Sinn als Dubuffet.“ Die künstlerische Stoßrichtung zielte auf Paris, damals noch Weltzentrum der Kunst, bis New York es beerbte, die politische Stoßrichtung auf die ganze Welt, die in der amerikanischen Kultur die Kultur der Zukunft erkennen sollte. Schon am 8. August 1949 fragte die legendäre Zeitschrift „Life“, das am meisten verbreitete Bilderblatt in den Jahren vor dem Aufkommen des Fernsehens, in einer umfangreich illustrierten Story: „Jackson Pollock. Ist er der größte lebende amerikanische Maler?

Warum ausgerechnet Jackson Pollock? (2)
Der Artikel spottete zwar über dessen Malerei, verschaffte ihm aber eine Publizität, die ihn zum bekanntesten Künstler der USA hoch katapultierte. Doch nicht nur sein phänomenaler Ruf als moderner Künstler stempelt Jackson Pollock zur amerikanischen Legende. Seine Herkunft aus dem amerikanischen Westen und aus ärmlichen Verhältnissen, seine künstlerische Herkunft aus dem künstlerischen Umfeld der überaus populären regionalen Kunst – sein Lehrer waren Thomas Hart Benton und Joan Sloan – und die außerordentlich fragile psychische Verfassung mit einer Neigung zu jähzornigen Ausfällen und tiefen Depressionen bieten ebenfalls Stoff für die Mythisierung seiner Person. Pollock war ein heftiger Trinker; wie Hemingway und William Faulkner. Ebenfalls ein Ausweis besonderer Männlichkeit, ehe Alkoholismus als Krankheit begriffen wurde.

Sein Leben verlief wie im Rausch, und dass er am 11. August an den Folgen eines Autounfalls starb, beförderte nur seine Aura. Deshalb kann es nicht wirklich verwundern, wenn ein Meisterwerk von Jackson Pollock zum (bislang) teuersten Gemälde der Geschichte aufstieg.

Artikel erschienen am 03.11.2006

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