Spiel ohne Grenzen (Berliner Zeitung)
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Spiel ohne Grenzen
Dynamo Dresden hat ein Problem mit der Gewalt der Fans. Wie groß das Problem ist, kann sich am Wochenende zeigen. Union Berlin ist zu Gast
Ronny Blaschke
DRESDEN. Rechts hinter seinem Schreibtisch liegen die Fotos griffbereit. Groß sind sie und gestochen scharf. Volkmar Köster lässt sich nicht lange bitten, er führt seinen rechten Zeigefinger über das Motiv. Eine voll besetzte Tribüne, vermummte Gestalten, grell flackernde Leuchtraketen. Köster, seit 1999 Geschäftsführer von Dynamo Dresden, atmet durch. Die Geschichte, die er erzählen will, hat ihm schwer zu schaffen gemacht: Am 18. Februar 2005 spielte Dynamo im Karlsruher Wildparkstadion. In der zweiten Liga. Die 67. Spielminute war gerade angebrochen, da flogen aus dem Dynamo-Block Raketen in die Kurve der Karlsruher und auf den Rasen. Ein Spiel wurde lebensgefährlich. Die Dresdner wollten den gegnerischen Block stürmen. Mit Mühe brachte die Polizei die Situation unter Kontrolle. Die Partie wurde unterbrochen.
Volkmar Köster redet sich in Rage, wenn er an diesen Abend zurückdenkt. Er würde die Gewalttäter am liebsten in den Steinbruch schicken, sagt er. Dynamo, der achtmalige DDR-Meister, war nach der Wende tief gefallen. Köster hat aus dem Verein wieder ein seriöses Unternehmen gemacht. Er musste Schulden senken und den Gerichtsvollzieher zufrieden stellen. Damit hat er sich arrangiert. Irgendwie. Aber mit der Gewalt konnte er sich nicht arrangieren. Immer wieder lenken Krawallmacher die Aufmerksamkeit auf Dynamo. Zum letzten Mal vor acht Tagen im Berliner Jahn-Sportpark. Während des Regionalligaspiels gegen die Amateure von Hertha BSC kam es zu schweren Ausschreitungen. 23 Polizisten wurden verletzt.
Seither läuten die Telefone in der Dynamo-Geschäftsstelle minütlich. Kamerateams reisen nach Dresden, auf der Suche nach hässlichen Bildern. Es hat zuletzt auch außerhalb Sachsens Gewalt im Fußball gegeben. Randale in Augsburg und Pforzheim. Rassistische Schmähungen in Rostock und Halle. Antisemitische Parolen in Berlin. Als Problem des deutschen Fußballs wird jedoch Dynamo beschrieben.
Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, hat am Dienstag dieser Woche zu einem Krisen-Gipfel nach Frankfurt geladen. Da sind dann längst überfällige Maßnahmen gegen Gewalt beschlossen worden. Als hätte es Krawalle und Rassismus in den Stadien zuvor nie gegeben. Auch Zwanziger hat sich in seiner Analyse auf Dresden konzentriert. Er drohte mit Punktabzügen und Zwangsabstieg. Am Donnerstag dann haben sich Zwanziger und Vertreter von Dynamo getroffen. Der Verbandschef will die Lage des Klubs nun verbessern, unterstützt den zügigen Bau eines neuen Stadions für Dynamo.
Torsten Rudolph betrachtet die Fokussierung auf Dresden mit einiger Skepsis. Rudolph ist der Leiter des Fanprojekts bei Dynamo Dresden. Er bittet zum Rundgang durch die Räumlichkeiten in der Löbtauer Straße. Auf 200 Quadratmetern dürfen sich die Fans hier ausbreiten, sie haben das Haus nach ihren Vorstellungen eingerichtet. An den Wänden prangen Graffiti und eine Zeichnung des Rudolf-Harbig-Stadions. In der oberen Etage gehen drei Sozialarbeiter ihren Aufgaben nach. Sie sollen verhindern, dass wieder das passiert, was nicht nur den Geschäftsführer von Dynamo Dresden so grämt.
An diesem Sonnabend empfängt Dynamo den alten Rivalen Union Berlin. Das ist dann keine Aufgabe mehr für Sozialarbeiter; hunderte Polizisten und Ordner werden das Stadion in einen Sicherheitstrakt verwandeln. Es herrscht Alkoholverbot. Überdurchschnittlich viele Journalisten werden kommen, sie wittern eine große Geschichte. Und die könnten sie bekommen.
Im Internetforum von Dynamo formuliert ein Teilnehmer mit dem Namen "Pilotendidi" seine Abneigung gegen die Kritiker so: "Warum haun wir denen nicht mal ordentlich eins auf die Fresse? Wir sind doch in der Mehrzahl, verdammt noch mal!! Nur das kann und muss die Lösung sein. Hier wird gelabert, gelabert, gelabert, zum Ergebnis kommt keiner. In diesem speziellen Fall, bin ich für Gewalt, tut mir leid." Er wird heftig und kontrovers diskutiert unter den Fans. Die meisten fühlen sich seit Jahren vorverurteilt. Von der Polizei, von Vereinen und von den Medien.
Dieses Klima hat auch in der Vereinsführung für Streit gesorgt. Präsident Jochen Rudi, der rein repräsentative Aufgaben erfüllt, distanzierte sich nach den Krawallen in Berlin von seinem Geschäftsführer. Denn Volkmar Köster hatte die Polizei für ihr angeblich überhartes Eingreifen kritisiert. Sollte es nun gegen Union wieder zu Ausschreitungen kommen, würde der Druck auf beide wachsen. Erst recht, nachdem der Vorwurf laut wurde, dass der kaufmännische Geschäftsführer Olaf Schäfer selbst jahrelang als Hooligan aktiv gewesen sein soll. Volkmar Köster reagiert gereizt auf diese Anschuldigung. Auch Torsten Rudolph will sich nicht dazu äußern. Stattdessen wehrt er sich gegen die Stigmatisierung. "Wir können das nicht über Nacht lösen. Das Gewaltpotenzial ist historisch gewachsen."
Schon in den siebziger und achtziger Jahren wurde der Fußball im Osten als Plattform für Gewalt genutzt. Als aggressiv galten die Fans von Dynamo Dresden, BFC Dynamo Berlin, Union Berlin oder Lokomotive Leipzig. Penibel hatte das Ministerium für Staatssicherheit darüber Buch geführt. Jeder Fanklub wurde gelistet, jeder Faustschlag, jede abfällige Geste. Auch nach der Wende wurde die Gewalt von vielen Fußball-Anhängern kultiviert. Die Polizei war überfordert.
Am 20. März 1991 randalierten hunderte Dresdner Fans während des Europapokalspiels gegen Roter Stern Belgrad. Vor den Fernsehkameras fuhren Wasserwerfer ins Rudolf-Harbig-Stadion - die Partie wurde abgebrochen. Und das löste eine bis dahin ungekannte Sicherheitsdebatte aus.
Doch die Gewalt im ostdeutschen Fußball ist kein reines Erbe der DDR. Die Klubmanager waren dem neuen Deutschland nach der Wende nicht gewachsen. Sie stürzten sich in den Kapitalismus, gewaltbereite Fans waren ihnen egal. Die besten Spieler wurden verscherbelt, die Einnahmen landeten auf dubiosen Konten. Dynamo Dresden häufte zehn Millionen Euro Schulden an und landete zeitweilig in der viertklassigen Oberliga. Dem 1. FC Magdeburg, Europapokalsieger der Pokalsieger 1974, erging es genauso. Lokomotive Leipzig gründete sich in der elften Liga neu. Viele Fans konnten das nicht verkraften, im Schatten des Niedergangs bildeten sich düstere Abenteuerspielplätze. Am schlimmsten erwischte es den DDR-Rekordmeister BFC Dynamo. Zwielichtige Figuren ließen sich in den Vorstand wählen. Mitglieder der Rockerbande Hell's Angels sicherten sich die Vermarktungsrechte des Vereinswappens.
In den veralteten Stadien der Ostklubs, in denen nicht jeder Winkel von Kameras erfasst wird, ist Kontrolle kaum möglich. Manche Randalierer wünschen sich, dass ihre Teams lange in den unteren Klassen des Fußballs verharren. Dort können sie unbemerkt ihre Wut ausleben. Oft sind es dieselben Fans, die bei Auswärtsspielen des deutschen Nationalteams in Osteuropa für Krawall sorgen, so wie vor wenigen Wochen in Bratislava.
Weit mehr als die Hälfte der gewaltbereiten und Gewalt suchenden Fußball-Anhänger kommen aus dem Osten. Das hat die Polizei ermittelt. Um Dynamo Dresden sollen sich 150 bis 200 Gewalt suchende Fans bewegen. Das ist bundesweit die höchste Zahl. Hinzu kommen hunderte Mitläufer. Viele bekennen sich zur rechtsradikalen Szene. Verlierer der Wiedervereinigung, vor allem Jugendliche, suchen sich ein Ventil für ihren Frust. Sie schwimmen in der Masse. Gegen Stadionverbote und Verhaftungen sind viele immun. Denn sie haben nichts mehr zu verlieren.
"Es wird Jahre dauern, bis dieser Kreislauf durchbrochen sein wird", glaubt Torsten Rudolph, der Leiter des Dresdner Fanprojekts. Bevor Rudolph 2002 den Posten übernahm, beschränkte sich die Projektarbeit auf die Organisation der Auswärtsfahrten oder den Verkauf von Fanartikeln. Dynamos Vereinschefs hatten an allen Seiten Löcher zu stopfen, für pädagogische Betreuung von Jugendlichen fehlten Geld und Interesse. Am 1. September 2002 änderte sich diese Wahrnehmung abrupt: Im Harbig-Stadion traf Dynamo im Stadtderby auf den Dresdner SC. Mehr als 1500 Dynamo-Fans stürzten sich nach dem Spiel auf 120 Polizisten. Ein Dresdner Polizist spricht von einem "Bombardement von Eisenstangen, Flaschen, Steinen und Verkehrsschildern". 43 Polizisten wurden verletzt, drei schwer. Die Polizeidirektion Dresden richtete die Sonderkommission "Randale" ein. Das Bewusstsein für Prävention, das in Dortmund, Bochum oder Hamburg schon mehr als ein Jahrzehnt zuvor stark ausgeprägt war, wuchs.
Nur die Politiker, die nach den jüngsten Ausschreitungen Konsequenzen fordern, sahen das anders. Das sächsische Innenministerium verweigerte bis 2005 die Unterstützung der so genannten Drittelfinanzierung. Diese besagt, dass der Deutsche Fußball-Bund für Fanprojekte in den ersten drei Ligen einen fünfstelligen Betrag zahlt, wenn die Kommune und das Land jeweils den gleichen Beitrag leisten. Sachsen hielt sich als eines der wenigen Bundesländer nicht daran. Darunter hatte nicht nur Dynamo zu leiden. In Leipzig muss sich ein einziger Sozialarbeiter um die rivalisierenden Fangruppen des FC Sachsen und des 1. FC Lokomotive kümmern. Eine unmögliche Mission.
Erst seit einem Jahr steht Torsten Rudolph in Dresden ein halbwegs ordentlicher Etat zur Verfügung. Seine Kollegen und er richten sich vor allem an die 12- bis 16-Jährigen. Sie besuchen die Schulen und bieten ein Anti-Aggressions-Training an. Ältere gewaltbereite Fans sind kaum noch zu erreichen. Zur Not hilft nur die harte Tour: 274 Stadionverbote hat der Verein ausgesprochen, das ist bundesweit Rekord.
Den Hartgesottenen ist das egal, sie pflegen den Mythos der gefährlichsten Fangruppe Deutschlands. Und viele Medien nehmen das dankbar auf. Ein Radiosender aus Sachsen-Anhalt forderte seine Hörer einmal auf: "Bitte stellen Sie ihre Mülltonnen in die Häuser, laufen Sie nicht mit Fanschal in die Innenstadt. Die Anhänger von Dynamo Dresden kommen." Ein Fan reagierte darauf so: "Wir werden als menschenfressende Bande bezeichnet, die wütet wie die Vandalen." Dies stärkt wiederum die Abneigung der Dresdner gegenüber anderen Klubs. Hans-Georg Moldenhauer, der Präsident des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes, formuliert seine Ernüchterung so: "Ich dachte, das wächst sich irgendwann aus. Aber diese Aversionen werden über Generationen vererbt."
Berliner Zeitung, 04.11.2006
Spiel ohne Grenzen
Dynamo Dresden hat ein Problem mit der Gewalt der Fans. Wie groß das Problem ist, kann sich am Wochenende zeigen. Union Berlin ist zu Gast
Ronny Blaschke
DRESDEN. Rechts hinter seinem Schreibtisch liegen die Fotos griffbereit. Groß sind sie und gestochen scharf. Volkmar Köster lässt sich nicht lange bitten, er führt seinen rechten Zeigefinger über das Motiv. Eine voll besetzte Tribüne, vermummte Gestalten, grell flackernde Leuchtraketen. Köster, seit 1999 Geschäftsführer von Dynamo Dresden, atmet durch. Die Geschichte, die er erzählen will, hat ihm schwer zu schaffen gemacht: Am 18. Februar 2005 spielte Dynamo im Karlsruher Wildparkstadion. In der zweiten Liga. Die 67. Spielminute war gerade angebrochen, da flogen aus dem Dynamo-Block Raketen in die Kurve der Karlsruher und auf den Rasen. Ein Spiel wurde lebensgefährlich. Die Dresdner wollten den gegnerischen Block stürmen. Mit Mühe brachte die Polizei die Situation unter Kontrolle. Die Partie wurde unterbrochen.
Volkmar Köster redet sich in Rage, wenn er an diesen Abend zurückdenkt. Er würde die Gewalttäter am liebsten in den Steinbruch schicken, sagt er. Dynamo, der achtmalige DDR-Meister, war nach der Wende tief gefallen. Köster hat aus dem Verein wieder ein seriöses Unternehmen gemacht. Er musste Schulden senken und den Gerichtsvollzieher zufrieden stellen. Damit hat er sich arrangiert. Irgendwie. Aber mit der Gewalt konnte er sich nicht arrangieren. Immer wieder lenken Krawallmacher die Aufmerksamkeit auf Dynamo. Zum letzten Mal vor acht Tagen im Berliner Jahn-Sportpark. Während des Regionalligaspiels gegen die Amateure von Hertha BSC kam es zu schweren Ausschreitungen. 23 Polizisten wurden verletzt.
Seither läuten die Telefone in der Dynamo-Geschäftsstelle minütlich. Kamerateams reisen nach Dresden, auf der Suche nach hässlichen Bildern. Es hat zuletzt auch außerhalb Sachsens Gewalt im Fußball gegeben. Randale in Augsburg und Pforzheim. Rassistische Schmähungen in Rostock und Halle. Antisemitische Parolen in Berlin. Als Problem des deutschen Fußballs wird jedoch Dynamo beschrieben.
Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, hat am Dienstag dieser Woche zu einem Krisen-Gipfel nach Frankfurt geladen. Da sind dann längst überfällige Maßnahmen gegen Gewalt beschlossen worden. Als hätte es Krawalle und Rassismus in den Stadien zuvor nie gegeben. Auch Zwanziger hat sich in seiner Analyse auf Dresden konzentriert. Er drohte mit Punktabzügen und Zwangsabstieg. Am Donnerstag dann haben sich Zwanziger und Vertreter von Dynamo getroffen. Der Verbandschef will die Lage des Klubs nun verbessern, unterstützt den zügigen Bau eines neuen Stadions für Dynamo.
Torsten Rudolph betrachtet die Fokussierung auf Dresden mit einiger Skepsis. Rudolph ist der Leiter des Fanprojekts bei Dynamo Dresden. Er bittet zum Rundgang durch die Räumlichkeiten in der Löbtauer Straße. Auf 200 Quadratmetern dürfen sich die Fans hier ausbreiten, sie haben das Haus nach ihren Vorstellungen eingerichtet. An den Wänden prangen Graffiti und eine Zeichnung des Rudolf-Harbig-Stadions. In der oberen Etage gehen drei Sozialarbeiter ihren Aufgaben nach. Sie sollen verhindern, dass wieder das passiert, was nicht nur den Geschäftsführer von Dynamo Dresden so grämt.
An diesem Sonnabend empfängt Dynamo den alten Rivalen Union Berlin. Das ist dann keine Aufgabe mehr für Sozialarbeiter; hunderte Polizisten und Ordner werden das Stadion in einen Sicherheitstrakt verwandeln. Es herrscht Alkoholverbot. Überdurchschnittlich viele Journalisten werden kommen, sie wittern eine große Geschichte. Und die könnten sie bekommen.
Im Internetforum von Dynamo formuliert ein Teilnehmer mit dem Namen "Pilotendidi" seine Abneigung gegen die Kritiker so: "Warum haun wir denen nicht mal ordentlich eins auf die Fresse? Wir sind doch in der Mehrzahl, verdammt noch mal!! Nur das kann und muss die Lösung sein. Hier wird gelabert, gelabert, gelabert, zum Ergebnis kommt keiner. In diesem speziellen Fall, bin ich für Gewalt, tut mir leid." Er wird heftig und kontrovers diskutiert unter den Fans. Die meisten fühlen sich seit Jahren vorverurteilt. Von der Polizei, von Vereinen und von den Medien.
Dieses Klima hat auch in der Vereinsführung für Streit gesorgt. Präsident Jochen Rudi, der rein repräsentative Aufgaben erfüllt, distanzierte sich nach den Krawallen in Berlin von seinem Geschäftsführer. Denn Volkmar Köster hatte die Polizei für ihr angeblich überhartes Eingreifen kritisiert. Sollte es nun gegen Union wieder zu Ausschreitungen kommen, würde der Druck auf beide wachsen. Erst recht, nachdem der Vorwurf laut wurde, dass der kaufmännische Geschäftsführer Olaf Schäfer selbst jahrelang als Hooligan aktiv gewesen sein soll. Volkmar Köster reagiert gereizt auf diese Anschuldigung. Auch Torsten Rudolph will sich nicht dazu äußern. Stattdessen wehrt er sich gegen die Stigmatisierung. "Wir können das nicht über Nacht lösen. Das Gewaltpotenzial ist historisch gewachsen."
Schon in den siebziger und achtziger Jahren wurde der Fußball im Osten als Plattform für Gewalt genutzt. Als aggressiv galten die Fans von Dynamo Dresden, BFC Dynamo Berlin, Union Berlin oder Lokomotive Leipzig. Penibel hatte das Ministerium für Staatssicherheit darüber Buch geführt. Jeder Fanklub wurde gelistet, jeder Faustschlag, jede abfällige Geste. Auch nach der Wende wurde die Gewalt von vielen Fußball-Anhängern kultiviert. Die Polizei war überfordert.
Am 20. März 1991 randalierten hunderte Dresdner Fans während des Europapokalspiels gegen Roter Stern Belgrad. Vor den Fernsehkameras fuhren Wasserwerfer ins Rudolf-Harbig-Stadion - die Partie wurde abgebrochen. Und das löste eine bis dahin ungekannte Sicherheitsdebatte aus.
Doch die Gewalt im ostdeutschen Fußball ist kein reines Erbe der DDR. Die Klubmanager waren dem neuen Deutschland nach der Wende nicht gewachsen. Sie stürzten sich in den Kapitalismus, gewaltbereite Fans waren ihnen egal. Die besten Spieler wurden verscherbelt, die Einnahmen landeten auf dubiosen Konten. Dynamo Dresden häufte zehn Millionen Euro Schulden an und landete zeitweilig in der viertklassigen Oberliga. Dem 1. FC Magdeburg, Europapokalsieger der Pokalsieger 1974, erging es genauso. Lokomotive Leipzig gründete sich in der elften Liga neu. Viele Fans konnten das nicht verkraften, im Schatten des Niedergangs bildeten sich düstere Abenteuerspielplätze. Am schlimmsten erwischte es den DDR-Rekordmeister BFC Dynamo. Zwielichtige Figuren ließen sich in den Vorstand wählen. Mitglieder der Rockerbande Hell's Angels sicherten sich die Vermarktungsrechte des Vereinswappens.
In den veralteten Stadien der Ostklubs, in denen nicht jeder Winkel von Kameras erfasst wird, ist Kontrolle kaum möglich. Manche Randalierer wünschen sich, dass ihre Teams lange in den unteren Klassen des Fußballs verharren. Dort können sie unbemerkt ihre Wut ausleben. Oft sind es dieselben Fans, die bei Auswärtsspielen des deutschen Nationalteams in Osteuropa für Krawall sorgen, so wie vor wenigen Wochen in Bratislava.
Weit mehr als die Hälfte der gewaltbereiten und Gewalt suchenden Fußball-Anhänger kommen aus dem Osten. Das hat die Polizei ermittelt. Um Dynamo Dresden sollen sich 150 bis 200 Gewalt suchende Fans bewegen. Das ist bundesweit die höchste Zahl. Hinzu kommen hunderte Mitläufer. Viele bekennen sich zur rechtsradikalen Szene. Verlierer der Wiedervereinigung, vor allem Jugendliche, suchen sich ein Ventil für ihren Frust. Sie schwimmen in der Masse. Gegen Stadionverbote und Verhaftungen sind viele immun. Denn sie haben nichts mehr zu verlieren.
"Es wird Jahre dauern, bis dieser Kreislauf durchbrochen sein wird", glaubt Torsten Rudolph, der Leiter des Dresdner Fanprojekts. Bevor Rudolph 2002 den Posten übernahm, beschränkte sich die Projektarbeit auf die Organisation der Auswärtsfahrten oder den Verkauf von Fanartikeln. Dynamos Vereinschefs hatten an allen Seiten Löcher zu stopfen, für pädagogische Betreuung von Jugendlichen fehlten Geld und Interesse. Am 1. September 2002 änderte sich diese Wahrnehmung abrupt: Im Harbig-Stadion traf Dynamo im Stadtderby auf den Dresdner SC. Mehr als 1500 Dynamo-Fans stürzten sich nach dem Spiel auf 120 Polizisten. Ein Dresdner Polizist spricht von einem "Bombardement von Eisenstangen, Flaschen, Steinen und Verkehrsschildern". 43 Polizisten wurden verletzt, drei schwer. Die Polizeidirektion Dresden richtete die Sonderkommission "Randale" ein. Das Bewusstsein für Prävention, das in Dortmund, Bochum oder Hamburg schon mehr als ein Jahrzehnt zuvor stark ausgeprägt war, wuchs.
Nur die Politiker, die nach den jüngsten Ausschreitungen Konsequenzen fordern, sahen das anders. Das sächsische Innenministerium verweigerte bis 2005 die Unterstützung der so genannten Drittelfinanzierung. Diese besagt, dass der Deutsche Fußball-Bund für Fanprojekte in den ersten drei Ligen einen fünfstelligen Betrag zahlt, wenn die Kommune und das Land jeweils den gleichen Beitrag leisten. Sachsen hielt sich als eines der wenigen Bundesländer nicht daran. Darunter hatte nicht nur Dynamo zu leiden. In Leipzig muss sich ein einziger Sozialarbeiter um die rivalisierenden Fangruppen des FC Sachsen und des 1. FC Lokomotive kümmern. Eine unmögliche Mission.
Erst seit einem Jahr steht Torsten Rudolph in Dresden ein halbwegs ordentlicher Etat zur Verfügung. Seine Kollegen und er richten sich vor allem an die 12- bis 16-Jährigen. Sie besuchen die Schulen und bieten ein Anti-Aggressions-Training an. Ältere gewaltbereite Fans sind kaum noch zu erreichen. Zur Not hilft nur die harte Tour: 274 Stadionverbote hat der Verein ausgesprochen, das ist bundesweit Rekord.
Den Hartgesottenen ist das egal, sie pflegen den Mythos der gefährlichsten Fangruppe Deutschlands. Und viele Medien nehmen das dankbar auf. Ein Radiosender aus Sachsen-Anhalt forderte seine Hörer einmal auf: "Bitte stellen Sie ihre Mülltonnen in die Häuser, laufen Sie nicht mit Fanschal in die Innenstadt. Die Anhänger von Dynamo Dresden kommen." Ein Fan reagierte darauf so: "Wir werden als menschenfressende Bande bezeichnet, die wütet wie die Vandalen." Dies stärkt wiederum die Abneigung der Dresdner gegenüber anderen Klubs. Hans-Georg Moldenhauer, der Präsident des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes, formuliert seine Ernüchterung so: "Ich dachte, das wächst sich irgendwann aus. Aber diese Aversionen werden über Generationen vererbt."
Berliner Zeitung, 04.11.2006
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