Anna Politkowskaja (Die Welt)
Anna Politkowskaja
"Ich mache keine Witze"
Zwei Monate vor ihrer Ermordung hat die russische Journalistin in einem Artikel ihr Ende vorhergesagt. Sie schrieb über die Grausamkeit des Tschetschenienkriegs und das Leben mit Morddrohungen. WELT.de dokumentiert den Bericht.
Ich bin ein Paria. Das ist das Ergebnis meiner journalistischen Arbeit während der Jahre des zweiten Tschetschenien-Kriegs und meiner im Ausland veröffentlichten Bücher über das Leben in Russland. In Moskau werde ich zu Pressekonferenzen oder Versammlungen, an denen Mitarbeiter des Kremls teilnehmen könnten, nicht eingeladen, nur für den Fall, dass die Organisatoren sonst in den Verdacht geraten könnten, Sympathien für mich zu hegen. Trotzdem reden alle Top-Funktionäre mit mir, wenn ich sie darum bitte - nur im Geheimen allerdings. Da, wo sie nicht observiert werden können, an der frischen Luft, auf Plätzen, an geheimen Orten, denen wir uns, wie Spione, auf verschiedenen Wegen nähern. Man gewöhnt sich nicht daran, aber man lernt, damit zu leben.
Den ganzen zweiten Tschetschenien-Krieg über habe ich so arbeiten müssen. Zunächst habe ich mich vor den russischen Truppen versteckt, konnte aber über vertrauenswürdige Mittelsmänner jederzeit Kontakt zu meinen Informanten aufnehmen, ohne dass diese bei den Top-Generälen denunziert worden wären. Als Wladimir Putins Plan der Tschetschenisierung (die "guten", dem Kreml treu ergebenen Tschetschenen wurden angesetzt, die "bösen", gegen den Kreml eingestellten Tschetschenen zu ermorden) aufging, griff ich zur gleichen List, um mit den nun "guten" tschetschenischen Vertretern, reden zu können. Jetzt können wir uns nur noch im Verborgenen treffen. Zuvor hatten mich viele in den schlimmsten Augenblicken des Krieges in ihren Häusern beherbergt. Nun bin ich ein unverbesserlicher Gegner, zur Umerziehung nicht geeignet.
Ich mache keine Witze. Vor einiger Zeit hat Wladislaw Surkow, Putins stellvertretender Stabschef, erklärt, dass es unter den Gegnern solche gäbe, mit denen man immerhin vernünftig reden könne, und solche, die unverbesserlich seien und von denen die politische Arena deshalb schlicht "gesäubert" werden müsse. Also versuchen sie, die Politik von mir und meinesgleichen zu säubern.
Vor ein paar Tagen, am 5. August, stand ich in einer Traube von Frauen auf dem Marktplatz von Kurchaloi, einem staubigen tschetschenischen Dorf. Ich trug mein Kopftuch, wie es viele Frauen meines Alters in Tschetschenien tragen, so gefaltet und geknotet, dass es den Kopf nicht gänzlich verdeckt, ihn aber auch nicht völlig unbedeckt lässt. Das war wichtig, denn würde ich erkannt, könnte das unabsehbare Folgen haben. Über der Gaspipeline, die durch ganz Kurchaloi verläuft, war die Trainingshose eines Mannes gebreitet. Sie war mit Blut verkrustet. Der abgetrennte Kopf des Mannes war weggeschafft worden.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Juli hatten Einheiten des vom Kreml gesalbten Führers Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, zwei tschetschenischen Kämpfer am Ortsrand von Kurchaloi aufgelauert. Einer der beiden, Adam Badaev, wurde gefangen genommen, der andere, Hoj-Ahmed Dushaew aus Kurchaloi, wurde getötet. Gegen Tagesanbruch fuhren nicht weniger als zwanzig mit Bewaffneten voll besetzte Wagen der Marke Zhiguli ins Dorfzentrum und bis zur Bezirkspolizei hinauf. Sie hatten Dushaews Kopf dabei. Zwei der Männer hängten ihn in der Dorfmitte an die Pipeline und darunter die blutbefleckten Hosen, auf die ich jetzt starrte.
Diese Zurschaustellung mittelalterlicher Barbarei war von Kadyrows Vize, Idris Gaibow, orchestriert worden. Man hatte ihn am Telefon Bericht erstatten hören. "Teufel Nr. 1" sei tot, sein Kopf sei zur Warnung der übrigen Dorfbewohner aufgehängt worden. Die bewaffneten Männer verbrachten die folgenden zwei Stunden damit, den Kopf mit ihren Handys zu fotografieren
Der Kopf blieb für 24 Stunden, wo er war, danach wurde er von Männern der Miliz entfernt. Bevollmächtigte der Generalstaatsanwaltschaft leiteten vor Ort eine Untersuchung ein, und Leute aus dem Dorf hörten, wie ein Offizier einen Untergebenen fragte: "Haben sie den Kopf jetzt wieder dran genäht?" Dushaews Leiche, mit dem wieder angenähten Kopf, wurde später an den Schauplatz des Kampfes zurück gebracht.
Ich habe darüber in meiner Zeitung "Novaya Gazeta" berichtet. Gaibow, ein Vertreter der tschetschenischen Regierung, hatte Angehörigen der russischen Sicherheitskräfte, die ihm nicht unterstanden, Order erteilt, einen Toten zu enthaupten. Kadyrow, der Ministerpräsident, war informiert worden, hatte aber nicht eingegriffen. Jene, die die Enthauptung ausgeführt hatten, waren ebenso staatlich Bevollmächtigte gewesen und hatten eine Leiche geschändet - eine strafbare Handlung. Die Bevollmächtigten der Generalstaatsanwaltschaft, der es obliegt, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, hatten jene, die die Befehle ausgeführt hatten, lediglich aufgefordert, sich beim Annähen des Kopfes zu beeilen. Und all das vor den Augen der Männer, Frauen und Kinder von Kurchaloi.
Ich erreichte Tschetschenien zur selben Zeit wie mein Artikel. Die Frauen in der Menge versuchten mich zu verbergen, denn sie waren sich sicher, dass Kadyrows Leute mich erschießen würden, wüssten sie um meine Anwesenheit. Die Frauen erinnerten mich daran, dass Kadyrow geschworen hatte, mich zu ermorden. In einer Kabinettssitzung hatte er gesagt, er habe genug von mir, Politkowskaja sei erledigt. Mitglieder seiner Regierung haben mir davon erzählt.
Erledigt warum? Weil ich nicht geschrieben hatte, was Kadyrow wollte? "Jeder, der nicht zu uns gehört, ist ein Feind." Surkow hat das gesagt, und Surkow ist in Putins Entourage Ramsan Kadyrows wichtigster Fürsprecher. ""Sie ist so dumm', hat Ramsan mir gesagt, "dass sie nicht mal weiß, was Geld wert ist'", erklärte mir mein alter Bekannter Buwadi Dakiew am selben Tag. ""Ich habe ihr Geld geboten, aber sie hat es nicht genommen.'" Buwadi ist stellvertretender Kommandeur der kremlfreundlichen tschetschenischen OMON, einer Sondereinsatztruppe.
Ich traf Buwadi im Verborgenen. Er wäre in Schwierigkeiten geraten, hätte man uns beim Gespräch ertappt. Es war schon Abend, als ich aufbrechen wollte, und Buwadi drängte mich, zu bleiben. Er hatte Angst, ich könne ermordet werden. "Du darfst nicht rausgehen", sagte er zu mir. "Ramsan ist sehr wütend auf dich." Dennoch entschied ich mich zu gehen. Ich wurde in Grosny erwartet, zu einem weiteren geheimen Treffen, das die Nacht über dauern würde. Buwadi bot an, mich mit einem OMON-Wagen bringen zu lassen, aber das schien mir noch riskanter. Ich wäre zur Zielscheibe tschetschenischer Kämpfer geworden. "Haben Sie wenigstens Gewehre da, wo du hingehst?", fragte Buwadi. Den ganzen Krieg über habe ich zwischen den Stühlen gesessen. Wenn die einen drohen, dich umzubringen, beschützen dich ihre Feinde, morgen aber wird jemand anders dir drohen. Warum schreibe ich so ausführlich über Buwadi? Nur um zu erklären, dass die Menschen in Tschetschenien Angst um mich haben. Mich bewegt das sehr. Sie fürchten mehr um mich, als ich um mich fürchte, und so überlebe ich.
Warum hat Ramsan geschworen, mich zu ermorden? Ich habe ihn einmal interviewt und das Interview genauso gedruckt, wie es geführt wurde, inklusive Ramsans charakteristischer Debilität, seiner Ignoranz und seinen teuflischen Neigungen. Ramsan war sicher, dass ich das Interview komplett umschreiben und ihn als intelligent und ehrbar darstellen würde. So schließlich arbeitet mittlerweile die Mehrzahl der Journalisten, die nämlich, die "auf unserer Seite" steht. Reicht das, damit jemand schwört, dich umzubringen? Die Antwort ist so einfach wie die Moral, zu der Putin ermuntert. "Gegen die Feinde des Reichs sind wir gnadenlos." "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." "Wer gegen uns ist, muss vernichtet werden."
"Warum bist du so besessen von diesem abgetrennten Kopf?", fragt mich, wieder in Moskau, Wassily Panchenkow. Er ist Pressechef der Truppen des Innenministeriums, aber ein anständiger Mann. "Hast du keine anderen Sorgen?" Ich bitte ihn um einen Kommentar zu den Ereignissen von Kurchaloi. "Vergiss es einfach. Tu so, als wäre es nie geschehen. Ich bitte dich um deiner selbst willen." Aber wie kann ich es vergessen, wenn es doch wirklich geschehen ist?
Ich verabscheue die von Surkow vertretene Linie des Kremls, die Menschen in solche, die "auf unserer Seite", "nicht auf unserer Seite" oder gar "auf der anderen Seite" stehen, sortiert. Ist ein Journalist "auf unserer Seite", wird er Auszeichnungen und Respekt ernten, vielleicht das Angebot bekommen, Stellvertreter in der Duma zu werden. Ist ein Journalist jedoch "nicht auf unserer Seite", wird er als Fürsprecher der europäischen Demokratien und europäischer Werte angesehen und automatisch zum Paria. Das ist das Schicksal aller, die gegen unsere "gelenkte Demokratie", unsere "traditionelle russische Demokratie" sind. (Was um Himmels willen das sein soll, weiß keiner; nichtsdestoweniger schwören sie ihr die Treue: "Wir sind für die gelenkte Demokratie!") Ich bin eigentlich kein politisches Tier. Ich bin nie einer Partei beigetreten und würde auch glauben, dass ein Journalist das, zumindest in Russland, nicht sollte. Ich hatte nie das Bedürfnis, für die Duma zu kandidieren, auch wenn es Zeiten gab, da man mich dazu aufforderte.
Worin also besteht mein Vergehen, das mir den Ruf, "keine von uns" zu sein, eingetragen hat? Ich habe allein über das berichtet, was ich gesehen habe, mehr nicht. Ich habe geschrieben und, weit weniger regelmäßig, geredet. Ich kommentiere sogar ungern, weil mich das zu sehr an die aufgezwungenen Meinungen meiner Kindheit und Jugend in der Sowjetunion erinnert. Mir scheint, dass unsere Leser in der Lage sind, das, was sie lesen, selbst zu interpretieren. Deshalb ist die Reportage meine bevorzugte Form, manchmal, ich gebe es zu, mit meinen persönlichen Zwischenrufen. Ich bin kein investigativer Richter, aber jemand, der das Leben um uns herum für jene beschreibt, die es selbst nicht sehen können. Denn was im Fernsehen gezeigt wird und in der überwältigenden Mehrheit der Zeitungen geschrieben, ist ideologisch verbrämt und entschärft. Die Menschen wissen wenig über das, was in anderen Teilen ihres Landes und manchmal sogar in ihrer eigenen Region vor sich geht.
Der Kreml reagiert, indem er versucht, mir den Zugang zu Informationen zu verwehren, seine Ideologen nehmen an, das sei der beste Weg, meine Arbeit nutzlos zu machen. Aber man kann jemanden, der mit fanatischer Hingabe über die Welt, die uns umgibt, berichtet, nicht aufhalten. Mein Leben mag schwer sein; öfter noch entwürdigend. Am Ende bin ich mit 47 nicht mehr jung genug, um dauerhaft Ablehnung zu erfahren und ständig meinen Pariastatus unter die Nase gerieben zu kriegen. Aber ich kann damit leben.
Ich werde nicht weiter ins Detail gehen und die Freuden des von mir eingeschlagenen Wegs beschreiben, das Gift, die Festnahmen, die Drohungen in Briefen und im Internet, die Morddrohungen über das Telefon, die allwöchentlichen Vorladungen der Generalstaatsanwaltschaft, wo ich Erklärungen zu praktisch jedem Artikel unterzeichnen muss, den ich schreibe. (Die erste Frage: "Wie und wo sind Sie an folgende Informationen gelangt?") Natürlich mag ich die ständigen, höhnischen Artikel nicht, die in anderen Zeitungen und im Internet über mich erscheinen und mich als die Irre von Moskau darstellen. Ich finde es ekelhaft, so zu leben. Ich würde mir ein wenig mehr Verständnis wünschen.
Die Hauptsache jedoch ist, mit meiner Arbeit voranzukommen, zu beschreiben, was ich sehe, und die täglichen Besucher in meinem Büro in der Redaktion zu empfangen. Sie können ihre Sorgen nirgends anders hintragen, weil der Kreml ihre Geschichten nicht parteikonform findet, so dass die "Novaya Gazeta", unsere Zeitung, der einzige Ort ist, wo sie öffentlich gemacht werden. Die russische Journalistin Anna Politkowskaja wurde 1958 in New York geboren. Jahrelang berichtete sie für die "Novaya Gazeta" und andere Medien über Wladimir Putins Krieg in Tschetschenien. Sie bekam eine Morddrohung nach der anderen. Sie wurden von russischen Soldaten festgenommen, geschlagen und fast vergewaltigt. "Wenn ich das Sagen hätte", sagte ihr einmal ein Offizier, "würde ich Sie erschießen."
Am 7. Oktober wurde Politkowskajas Leiche im Aufgang ihres Moskauer Wohnhauses aufgefunden, eine Makarow-Pistole lag zu ihren Füßen. Sie war 48 Jahre alt. Den hier abgedruckten Essay hat Politkowskaja im August für "Another Sky", ein englisches PEN-Buch, geschrieben. Es erscheint 2007 im Verlag "Profile Books". © Washington Post Aus dem Englischen von Wieland Freund.
Artikel erschienen am 18.10.2006
"Ich mache keine Witze"
Zwei Monate vor ihrer Ermordung hat die russische Journalistin in einem Artikel ihr Ende vorhergesagt. Sie schrieb über die Grausamkeit des Tschetschenienkriegs und das Leben mit Morddrohungen. WELT.de dokumentiert den Bericht.
Ich bin ein Paria. Das ist das Ergebnis meiner journalistischen Arbeit während der Jahre des zweiten Tschetschenien-Kriegs und meiner im Ausland veröffentlichten Bücher über das Leben in Russland. In Moskau werde ich zu Pressekonferenzen oder Versammlungen, an denen Mitarbeiter des Kremls teilnehmen könnten, nicht eingeladen, nur für den Fall, dass die Organisatoren sonst in den Verdacht geraten könnten, Sympathien für mich zu hegen. Trotzdem reden alle Top-Funktionäre mit mir, wenn ich sie darum bitte - nur im Geheimen allerdings. Da, wo sie nicht observiert werden können, an der frischen Luft, auf Plätzen, an geheimen Orten, denen wir uns, wie Spione, auf verschiedenen Wegen nähern. Man gewöhnt sich nicht daran, aber man lernt, damit zu leben.
Den ganzen zweiten Tschetschenien-Krieg über habe ich so arbeiten müssen. Zunächst habe ich mich vor den russischen Truppen versteckt, konnte aber über vertrauenswürdige Mittelsmänner jederzeit Kontakt zu meinen Informanten aufnehmen, ohne dass diese bei den Top-Generälen denunziert worden wären. Als Wladimir Putins Plan der Tschetschenisierung (die "guten", dem Kreml treu ergebenen Tschetschenen wurden angesetzt, die "bösen", gegen den Kreml eingestellten Tschetschenen zu ermorden) aufging, griff ich zur gleichen List, um mit den nun "guten" tschetschenischen Vertretern, reden zu können. Jetzt können wir uns nur noch im Verborgenen treffen. Zuvor hatten mich viele in den schlimmsten Augenblicken des Krieges in ihren Häusern beherbergt. Nun bin ich ein unverbesserlicher Gegner, zur Umerziehung nicht geeignet.
Ich mache keine Witze. Vor einiger Zeit hat Wladislaw Surkow, Putins stellvertretender Stabschef, erklärt, dass es unter den Gegnern solche gäbe, mit denen man immerhin vernünftig reden könne, und solche, die unverbesserlich seien und von denen die politische Arena deshalb schlicht "gesäubert" werden müsse. Also versuchen sie, die Politik von mir und meinesgleichen zu säubern.
Vor ein paar Tagen, am 5. August, stand ich in einer Traube von Frauen auf dem Marktplatz von Kurchaloi, einem staubigen tschetschenischen Dorf. Ich trug mein Kopftuch, wie es viele Frauen meines Alters in Tschetschenien tragen, so gefaltet und geknotet, dass es den Kopf nicht gänzlich verdeckt, ihn aber auch nicht völlig unbedeckt lässt. Das war wichtig, denn würde ich erkannt, könnte das unabsehbare Folgen haben. Über der Gaspipeline, die durch ganz Kurchaloi verläuft, war die Trainingshose eines Mannes gebreitet. Sie war mit Blut verkrustet. Der abgetrennte Kopf des Mannes war weggeschafft worden.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Juli hatten Einheiten des vom Kreml gesalbten Führers Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, zwei tschetschenischen Kämpfer am Ortsrand von Kurchaloi aufgelauert. Einer der beiden, Adam Badaev, wurde gefangen genommen, der andere, Hoj-Ahmed Dushaew aus Kurchaloi, wurde getötet. Gegen Tagesanbruch fuhren nicht weniger als zwanzig mit Bewaffneten voll besetzte Wagen der Marke Zhiguli ins Dorfzentrum und bis zur Bezirkspolizei hinauf. Sie hatten Dushaews Kopf dabei. Zwei der Männer hängten ihn in der Dorfmitte an die Pipeline und darunter die blutbefleckten Hosen, auf die ich jetzt starrte.
Diese Zurschaustellung mittelalterlicher Barbarei war von Kadyrows Vize, Idris Gaibow, orchestriert worden. Man hatte ihn am Telefon Bericht erstatten hören. "Teufel Nr. 1" sei tot, sein Kopf sei zur Warnung der übrigen Dorfbewohner aufgehängt worden. Die bewaffneten Männer verbrachten die folgenden zwei Stunden damit, den Kopf mit ihren Handys zu fotografieren
Der Kopf blieb für 24 Stunden, wo er war, danach wurde er von Männern der Miliz entfernt. Bevollmächtigte der Generalstaatsanwaltschaft leiteten vor Ort eine Untersuchung ein, und Leute aus dem Dorf hörten, wie ein Offizier einen Untergebenen fragte: "Haben sie den Kopf jetzt wieder dran genäht?" Dushaews Leiche, mit dem wieder angenähten Kopf, wurde später an den Schauplatz des Kampfes zurück gebracht.
Ich habe darüber in meiner Zeitung "Novaya Gazeta" berichtet. Gaibow, ein Vertreter der tschetschenischen Regierung, hatte Angehörigen der russischen Sicherheitskräfte, die ihm nicht unterstanden, Order erteilt, einen Toten zu enthaupten. Kadyrow, der Ministerpräsident, war informiert worden, hatte aber nicht eingegriffen. Jene, die die Enthauptung ausgeführt hatten, waren ebenso staatlich Bevollmächtigte gewesen und hatten eine Leiche geschändet - eine strafbare Handlung. Die Bevollmächtigten der Generalstaatsanwaltschaft, der es obliegt, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, hatten jene, die die Befehle ausgeführt hatten, lediglich aufgefordert, sich beim Annähen des Kopfes zu beeilen. Und all das vor den Augen der Männer, Frauen und Kinder von Kurchaloi.
Ich erreichte Tschetschenien zur selben Zeit wie mein Artikel. Die Frauen in der Menge versuchten mich zu verbergen, denn sie waren sich sicher, dass Kadyrows Leute mich erschießen würden, wüssten sie um meine Anwesenheit. Die Frauen erinnerten mich daran, dass Kadyrow geschworen hatte, mich zu ermorden. In einer Kabinettssitzung hatte er gesagt, er habe genug von mir, Politkowskaja sei erledigt. Mitglieder seiner Regierung haben mir davon erzählt.
Erledigt warum? Weil ich nicht geschrieben hatte, was Kadyrow wollte? "Jeder, der nicht zu uns gehört, ist ein Feind." Surkow hat das gesagt, und Surkow ist in Putins Entourage Ramsan Kadyrows wichtigster Fürsprecher. ""Sie ist so dumm', hat Ramsan mir gesagt, "dass sie nicht mal weiß, was Geld wert ist'", erklärte mir mein alter Bekannter Buwadi Dakiew am selben Tag. ""Ich habe ihr Geld geboten, aber sie hat es nicht genommen.'" Buwadi ist stellvertretender Kommandeur der kremlfreundlichen tschetschenischen OMON, einer Sondereinsatztruppe.
Ich traf Buwadi im Verborgenen. Er wäre in Schwierigkeiten geraten, hätte man uns beim Gespräch ertappt. Es war schon Abend, als ich aufbrechen wollte, und Buwadi drängte mich, zu bleiben. Er hatte Angst, ich könne ermordet werden. "Du darfst nicht rausgehen", sagte er zu mir. "Ramsan ist sehr wütend auf dich." Dennoch entschied ich mich zu gehen. Ich wurde in Grosny erwartet, zu einem weiteren geheimen Treffen, das die Nacht über dauern würde. Buwadi bot an, mich mit einem OMON-Wagen bringen zu lassen, aber das schien mir noch riskanter. Ich wäre zur Zielscheibe tschetschenischer Kämpfer geworden. "Haben Sie wenigstens Gewehre da, wo du hingehst?", fragte Buwadi. Den ganzen Krieg über habe ich zwischen den Stühlen gesessen. Wenn die einen drohen, dich umzubringen, beschützen dich ihre Feinde, morgen aber wird jemand anders dir drohen. Warum schreibe ich so ausführlich über Buwadi? Nur um zu erklären, dass die Menschen in Tschetschenien Angst um mich haben. Mich bewegt das sehr. Sie fürchten mehr um mich, als ich um mich fürchte, und so überlebe ich.
Warum hat Ramsan geschworen, mich zu ermorden? Ich habe ihn einmal interviewt und das Interview genauso gedruckt, wie es geführt wurde, inklusive Ramsans charakteristischer Debilität, seiner Ignoranz und seinen teuflischen Neigungen. Ramsan war sicher, dass ich das Interview komplett umschreiben und ihn als intelligent und ehrbar darstellen würde. So schließlich arbeitet mittlerweile die Mehrzahl der Journalisten, die nämlich, die "auf unserer Seite" steht. Reicht das, damit jemand schwört, dich umzubringen? Die Antwort ist so einfach wie die Moral, zu der Putin ermuntert. "Gegen die Feinde des Reichs sind wir gnadenlos." "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." "Wer gegen uns ist, muss vernichtet werden."
"Warum bist du so besessen von diesem abgetrennten Kopf?", fragt mich, wieder in Moskau, Wassily Panchenkow. Er ist Pressechef der Truppen des Innenministeriums, aber ein anständiger Mann. "Hast du keine anderen Sorgen?" Ich bitte ihn um einen Kommentar zu den Ereignissen von Kurchaloi. "Vergiss es einfach. Tu so, als wäre es nie geschehen. Ich bitte dich um deiner selbst willen." Aber wie kann ich es vergessen, wenn es doch wirklich geschehen ist?
Ich verabscheue die von Surkow vertretene Linie des Kremls, die Menschen in solche, die "auf unserer Seite", "nicht auf unserer Seite" oder gar "auf der anderen Seite" stehen, sortiert. Ist ein Journalist "auf unserer Seite", wird er Auszeichnungen und Respekt ernten, vielleicht das Angebot bekommen, Stellvertreter in der Duma zu werden. Ist ein Journalist jedoch "nicht auf unserer Seite", wird er als Fürsprecher der europäischen Demokratien und europäischer Werte angesehen und automatisch zum Paria. Das ist das Schicksal aller, die gegen unsere "gelenkte Demokratie", unsere "traditionelle russische Demokratie" sind. (Was um Himmels willen das sein soll, weiß keiner; nichtsdestoweniger schwören sie ihr die Treue: "Wir sind für die gelenkte Demokratie!") Ich bin eigentlich kein politisches Tier. Ich bin nie einer Partei beigetreten und würde auch glauben, dass ein Journalist das, zumindest in Russland, nicht sollte. Ich hatte nie das Bedürfnis, für die Duma zu kandidieren, auch wenn es Zeiten gab, da man mich dazu aufforderte.
Worin also besteht mein Vergehen, das mir den Ruf, "keine von uns" zu sein, eingetragen hat? Ich habe allein über das berichtet, was ich gesehen habe, mehr nicht. Ich habe geschrieben und, weit weniger regelmäßig, geredet. Ich kommentiere sogar ungern, weil mich das zu sehr an die aufgezwungenen Meinungen meiner Kindheit und Jugend in der Sowjetunion erinnert. Mir scheint, dass unsere Leser in der Lage sind, das, was sie lesen, selbst zu interpretieren. Deshalb ist die Reportage meine bevorzugte Form, manchmal, ich gebe es zu, mit meinen persönlichen Zwischenrufen. Ich bin kein investigativer Richter, aber jemand, der das Leben um uns herum für jene beschreibt, die es selbst nicht sehen können. Denn was im Fernsehen gezeigt wird und in der überwältigenden Mehrheit der Zeitungen geschrieben, ist ideologisch verbrämt und entschärft. Die Menschen wissen wenig über das, was in anderen Teilen ihres Landes und manchmal sogar in ihrer eigenen Region vor sich geht.
Der Kreml reagiert, indem er versucht, mir den Zugang zu Informationen zu verwehren, seine Ideologen nehmen an, das sei der beste Weg, meine Arbeit nutzlos zu machen. Aber man kann jemanden, der mit fanatischer Hingabe über die Welt, die uns umgibt, berichtet, nicht aufhalten. Mein Leben mag schwer sein; öfter noch entwürdigend. Am Ende bin ich mit 47 nicht mehr jung genug, um dauerhaft Ablehnung zu erfahren und ständig meinen Pariastatus unter die Nase gerieben zu kriegen. Aber ich kann damit leben.
Ich werde nicht weiter ins Detail gehen und die Freuden des von mir eingeschlagenen Wegs beschreiben, das Gift, die Festnahmen, die Drohungen in Briefen und im Internet, die Morddrohungen über das Telefon, die allwöchentlichen Vorladungen der Generalstaatsanwaltschaft, wo ich Erklärungen zu praktisch jedem Artikel unterzeichnen muss, den ich schreibe. (Die erste Frage: "Wie und wo sind Sie an folgende Informationen gelangt?") Natürlich mag ich die ständigen, höhnischen Artikel nicht, die in anderen Zeitungen und im Internet über mich erscheinen und mich als die Irre von Moskau darstellen. Ich finde es ekelhaft, so zu leben. Ich würde mir ein wenig mehr Verständnis wünschen.
Die Hauptsache jedoch ist, mit meiner Arbeit voranzukommen, zu beschreiben, was ich sehe, und die täglichen Besucher in meinem Büro in der Redaktion zu empfangen. Sie können ihre Sorgen nirgends anders hintragen, weil der Kreml ihre Geschichten nicht parteikonform findet, so dass die "Novaya Gazeta", unsere Zeitung, der einzige Ort ist, wo sie öffentlich gemacht werden. Die russische Journalistin Anna Politkowskaja wurde 1958 in New York geboren. Jahrelang berichtete sie für die "Novaya Gazeta" und andere Medien über Wladimir Putins Krieg in Tschetschenien. Sie bekam eine Morddrohung nach der anderen. Sie wurden von russischen Soldaten festgenommen, geschlagen und fast vergewaltigt. "Wenn ich das Sagen hätte", sagte ihr einmal ein Offizier, "würde ich Sie erschießen."
Am 7. Oktober wurde Politkowskajas Leiche im Aufgang ihres Moskauer Wohnhauses aufgefunden, eine Makarow-Pistole lag zu ihren Füßen. Sie war 48 Jahre alt. Den hier abgedruckten Essay hat Politkowskaja im August für "Another Sky", ein englisches PEN-Buch, geschrieben. Es erscheint 2007 im Verlag "Profile Books". © Washington Post Aus dem Englischen von Wieland Freund.
Artikel erschienen am 18.10.2006
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