Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, November 18, 2006

Abschied vom großen kleinen Major (fr)

Abschied vom großen kleinen Major
Der ungarische Jahrhundert-Fußballer Ferenc Puskás starb im Alter von 79 Jahren in Budapest / Das Trauma von Bern bestimmte sein Leben
VON ERIK EGGERS

Vorhang auf zum Drama von Bern (ap)
Ganz Ungarn hatte sehnsüchtig auf ihn gewartet. Als Ferenc Puskás 1981 wieder ein Stadion in seinem Heimatland betrat, erfüllte bei seiner Vorstellung im Budapester Nep-Stadion "ein minutenlanges, ohrenbetäubendes, Himmel und Erde erschütterndes Jubelgebrüll die Arena". So berichtete es ein ergriffener Augenzeuge. Über das Gesicht des Fußballstars, der in den 50-er Jahren populärer war als jeder Nobelpreisträger, Schauspieler oder Politiker seines Landes, rollten Tränen der Rührung. Die Fans, sie liebten ihn noch immer. Obwohl er ein Vierteljahrhundert fort gewesen war.

Der Mann, den alle wegen seiner 1,69 Meter Körpergröße nur "Ösci" (kleiner Onkel) nannten, wurde am 2. April 1927 in einem Budapester Arbeiterviertel geboren. "Kein Stürmer kam mit einem solch wundervollen linken Bein auf die Welt wie er", urteilte einmal Pelé. Puskás' außergewöhnliches Talent wurde bald erkannt. Schon mit 16 Jahren spielte er für Kispest Budapest, sein Debüt in der Nationalmannschaft gab er, 18-jährig, am 20. August 1945 in Budapest gegen Österreich (5:2). Der linke Halbstürmer sollte insgesamt 84-mal für Ungarn spielen und dabei unglaubliche 83 Tore erzielen.

Die Offenbarung von Wembley

Zum Mythos machte ihn die Zeit als Kapitän des so genannten "Goldenen Teams", das zu Beginn der 50-er Jahre als unschlagbar galt. Unter Trainer Gustav Sebes blieb Ungarn 32 Spiele lang ungeschlagen, weil "Major" Puskás sich beim Armeesportklub Honvéd Budapest (dem Kispest-Nachfolger) mit seinen Kameraden unter Profibedingungen einspielen konnte. Auf dieser Basis wurde Ungarn 1952 in Helsinki gefeierter Olympiasieger. Vor allem aber zerstörte die Wunderelf im November 1953 den Nimbus der englischen Unbesiegbarkeit, als sie - als erste Mannschaft vom Kontinent - den Lehrmeister des Fußballs erstmals auf dessen Boden schlug. Dieses legendäre 6:3 von Wembley galt den Zeitgenossen als spielerische Offenbarung. Schon damals war Puskás das Zentrum des ungarischen Kombinationsspiels, da er aufbauen, vorbereiten und vollstrecken konnte. "Das Spiel war so schön. Ich stand nach dem Abpfiff gedankenverloren auf dem Rasen und dachte, hier müsste man Puskás ein Denkmal bauen", schwärmte György Szepesi, der berühmte ungarische Radioreporter, nach der Partie.

Wie privilegiert und populär Puskás, Hidegkuti, Czibor, Boszik & Co. im kommunistischen Ungarn waren, wie frei sich sie bewegen konnten, belegt die berühmte Anekdote von der Grenzkontrolle nach dem Triumph von Wembley. "Haben Sie etwas zu melden?", soll der Zollbeamte gefragt haben. Puskás antwortete lachend: "Melde gehorsamst: Wir haben 6:3 gewonnen" - während er seinen Koffer mit Schmuggelware kaum heben konnte.

Die Engländer sollten bereuen, sich auf eine Revanche gelassen zu haben. Im Nep-Stadion gingen sie im April 1954 mit 1:7 unter - gegen den kommenden Weltmeister, wie sich nun alle Experten einig waren. Dass es dazu in der Schweiz nicht kam, lag auch an Werner Liebrich. Der Mittelläufer vom 1. FC Kaiserslautern streckte Puskás im WM-Vorrundenspiel in Basel beim Stand von 1:5 (Endstand 3:8) brutal nieder - eine Aktion, die Augenzeugen eher als Attentat denn als Foul bewerteten. "Dreimal hat Liebrich es versucht, beim dritten Mal hat er ihn getroffen", sagte Verteidiger Jenö Buzánszky. Wegen des malträtierten Knöchels fehlte der ungarische Spielmacher in den Spielen gegen Brasilien (4:2) und Uruguay (4:2 n.V.). Auch der Einsatz im Finale am 4. Juli 1954 gegen Deutschland war gefährdet. Puskás spielte trotzdem. Und blieb in diesen regenreichen 90 Minuten von Bern, die doch der Höhepunkt seiner Karriere sein sollten, trotz seines Tores zum 1:0 nur ein Schatten seiner selbst. Fassungslos nahm er den 2:2-Ausgleich des krassen Außenseiters Deutschland durch Helmut Rahn auf, wütend reagierte er auf Rahns Siegtreffer sechs Minuten vor Schluss. Es hätte vieles anders laufen können im weiteren Leben von Puskás, wäre sein Ausgleichstreffer zum 3:3 im Gegenzug nach Sándor Kocsis' Kopfballvorlage anerkannt worden. Doch der englische Schiedsrichter Bill Ling entschied auf Abseits.

Ins Abseits gerieten Puskás und seine Mitspieler in Ungarn nach der Niederlage. Zu den absurdesten Vorwürfen gehörte damals, Puskás habe das Endspiel an die Deutschen verkauft. Als 1956 der Ungarn-Aufstand scheiterte, blieb Puskás wie viele seiner Mitstreiter (Kocsis, Hidegkuti) im Westen und läutete damit den Untergang des ungarischen Fußballs ein. Zwei Jahre wurde er gesperrt. Erst 1958 unterschrieb er bei Real Madrid, wo er ein kongeniales Gespann mit dem großen Argentinier Alfredo di Stefano bildete. Puskás feierte mit den Königlichen viele Erfolge, gewann dreimal den Europapokal der Landesmeister, einmal den Weltpokal, fünfmal die spanische Meisterschaft, einmal den Pokal, und wurde, wie zuvor schon in Ungarn, auch in der spanischen Liga viermal Torschützenkönig.

Als er 1966 seine Karriere beendete, hatte er noch viermal für Spanien gespielt. Erst 1992, als der Eiserne Vorhang gefallen war, kehrte er endgültig nach Ungarn zurück. Gestern ist Puskás, der berühmteste ungarische Fußballer der Geschichte, nach langer Krankheit im Alter von 79 Jahren in Budapest gestorben.

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