Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, September 18, 2007

Der gescheiterte Ostfeldzug (Berliner Zeitung)

Der gescheiterte Ostfeldzug
Jörg Magenau über die wechselhafte Geschichte der "tageszeitung" - und den Wandel ihres Umfelds
André Meier

Aus propagandistischer Sicht ist dieses Buch ein Selbstläufer. Gibt es doch hierzulande kaum eine Redaktion, in der sich nicht wenigstens ein Journalist findet, der seine berufliche Initiation in der von Jörg Magenau porträtierten taz erfahren hat. Und so nimmt es nicht Wunder, dass Magenaus soeben erschienenes Buch auf einer Welle von wohlwollenen Rezensionen in die Buchhandlungen surfen durfte. Fand sich doch fast überall ein ergrauter Extazler, der das Werk zum Anlass eigner, von Anekdoten gespickter sentimentaler Rückschau nahm.

Das könnte hier seine Fortsetzung erfahren, denn auch diese Rezension schreibt ein Ehemaliger. Nach dem Mauerfall war die taz die erste Westinstitution, die ich aus der Innenansicht kennen lernen durfte. Und durchaus dankbar denk ich an die Abende in der Kreuzberger Kochstraße zurück, an denen mich der taz-Archivar in die Finessen maßvollen Drogenkonsums einweihte oder an die Kollegin, die mir ihr Futon anbot, damit wir dort den Vollzug der deutschen Einheit im Selbstversuch durchspielen konnten. Aber mit solchen Geschichten würde man Magenau unrecht tun. Denn er liefert eben nicht ein mit Insiderwitzen gewürztes Brigadetagebuch, keine launige Betriebschronik, sondern eine sorgfältig recherchierte und trotzdem unterhaltsame Fallstudie.

Die Entstehung der taz ist untrennbar mit dem Herbst 1977 verbunden. Damals, als der Terror der RAF seine blutige Klimax fand und der bundesrepublikanische Staat im Gegenzug den Druck auf das mutmaßliche Sympathisantenumfeld forcierte, sah sich die westdeutsche Linke mit einer der Staatsraison huldigenden Medienwelt konfrontiert. Was spürbar fehlte, war ein eigenes Sprachrohr. In diese Lücke stieß ein Jahr später die linksalternative "tageszeitung". An diesem Gründungsmythos rüttelt Magenau nicht, doch er beschreibt die taz zugleich als "Heimkehrer-Projekt". Denn, "der bürgerlichen Öffentlichkeit ein eigenes Medium entgegenzusetzen, bedeutet auch an ihr teilhaben zu wollen."

Dieses Dilemma, so macht Magenau deutlich, prägte das Blatt über Jahrzehnte. Immer wieder verwiesen um öffentliche Reputation bemühte taz-Redakteure in internen Positionspapieren auf die großbürgerliche FAZ als Muster journalistischer Sorgfaltspflicht, und immer wieder rebellierten die unterschiedlichsten Fraktionen im Haus gegen den Versuch, dem verhassten Vorbild nachzueifern und den anarchischen Betrieb unter dem Deckmantel der Professionalisierung zu hierarchisieren.

Es dauerte elf Jahre ehe sich so etwas wie eine Chefredaktion etablierte, und noch länger, bis der karge Einheitslohn kippte. Begleitet wurde der lange Marsch in die Normalität durch endlose Diskussionen und bis aufs Messer geführte Grabenkämpfe. Lautes Türknallen, übelste Schmähungen, Schrei- und Weinkrämpfe waren an der Tagesordnung. Wer in der taz seine debattenkulturelle Schulung erfuhr, war für den Rest seiner Laufbahn gerüstet. Oder, wie Magenau es süffisant formuliert: "In diesem kollektiven Trainingsgelände dominierten individuelle Überlebenstechniken, die das Menschenbild des Liberalismus bestätigten, wonach das Gemeinwohl sich aus der Summe der Eigeninteressen ergibt". Doch allen Selbstzerfleischungsritualen zum trotz konnte sich die taz am Markt behaupten und mit den Jahren sogar vom geschmähten und geschnittenen Szeneblatt zu einem allseits respektierten Ideengeber der Branche mutieren.

Als im September 2003 BILD-Chefredakteur Diekmann, Ex-Bürgermeister Diepgen, Ex-BDI-Chef Henkel und Guido Westerwelle für einen Tag in der Kochstraße das Zepter übernahmen, um eine "Feindes-taz" zu erstellen, war dies natürlich ein spektakulärer Werbegag, aber auch Beleg dafür, dass das bundesrepublikanische Establishment längst seinen Frieden mit dem ehemals von Verfassungsschutz überwachten Blatt gemacht hat.

Die großen Probleme, für die die kleine Zeitung aus Kreuzberg früher scheinbar die Exklusivrechte besaß, werden heute überall debattiert. Fleischlos essende, gleichgeschlechtlich liebende, antiautoritär erziehende und Ökostrom einspeisende Zeitungsmacher findet man längst auch in der Springer-Kantine. Dies ist, so Magenau, auch ein Verdienst der taz, die mithalf, ehemals als links und alternativ etikettierte Themen in die Mitte der Gesellschaft zu bugsieren. Originär und radikal ist das Blatt heute im besten Fall noch stilistisch. "Es ist ein Mädchen" titelte die taz zu Angela Merkels Kanzlerwahl und wird es vermutlich als Auszeichnung empfunden haben, dass man über diesen Spaß besonders herzhaft im Konrad-Adenauer-Haus lachte.

Und da wir nun schon bei den Ostlern sind, sei schlussendlich auch daran erinnert, dass die taz als erstes den Sprung über die bröckelnde Mauer wagte. Im Februar 1990 startete sie eine eigene DDR-Ausgabe, die freilich schon bald nach der Währungsunion ihr Erscheinen wieder einstellen sollte. Immerhin brachte dieses Abenteuer der notorisch klammen Zeitung einen Reingewinn von 300 000 DM, zugleich aber auch die Erkenntnis, dass die Ostler die beinharte Aufklärungsarbeit der taz kaum goutierten. Verständlich, hauten ihnen doch Ex-Maoisten und Ex-Trotzkisten die DDR-Geschichte plötzlich mit derselben selbstgerechten Verve um die Ohren, wie weiland der eigenen Elterngeneration deren verdrängte Nazivergangenheit. Für solche nassforsche Lektionen gab nur leider kaum jemand am Kiosk sein schönes neues Westgeld aus.

Magenau räumt dem Ostfeldzug der taz viel Raum ein. Aus seiner Sicht vollzog sich hier eine Art "Kulturkampf"; an dessen Ende war die taz "ein für alle Mal Westzeitung". Aber vielleicht bewies sie hier nur wieder einmal ihre Avantgarderolle. Scheiterten doch in der Folgezeit unzählige West-Ost-Annäherungen nach analogem Muster.

André Meier ist Journalist. Er war nach dem Mauerfall Redaktionsleiter der Ost-Tageszeitung.
Berliner Zeitung, 18.09.2007

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