Er brachte es zur Sprache (Berliner Zeitung)
Er brachte es zur Sprache
"Die neuen Leiden des jungen W." und "Die Legende von Paul und Paula" machten ihn berühmt - Ulrich Plenzdorf ist tot
Regine Sylvester
Er wollte fit bleiben, stark und gesund. Er trank Kräutertee und machte Sport. Wer in seiner Wohnung rauchen wollte, musste auf den Balkon, aber er kannte eigentlich kaum Raucher. Er machte gerne Handwerkliches, sah wenig fern und ging früh schlafen. Er wollte sich bereit halten - Filme schreiben wie früher. Im März 2003 gab er dieser Zeitung ein Interview. Auf die Frage nach der Auftragslage antwortete der berühmte Drehbuchautor mit seiner Mail-Adresse: Ulrich.Plenzdorf@gmx.de. "Ich stehe zur Verfügung", sagte er. Da war er 69 Jahre und wartete auf Angebote.
Ulrich Plenzdorf hat immer gearbeitet. Gern und viel und auch mit den Händen. Sein Vater war Maschinenbauer in Berlin-Kreuzberg. 1950 zog die Familie in den Osten, nach Berlin-Lichtenberg. Plenzdorfs Eltern waren als KPD-Mitglieder in der Nazizeit mehrmals in Haft gewesen, seine Mutter kam für ihren Widerstand ein Jahr in das KZ Mohringen. Plenzdorf sprach oft davon, mit roter Muttermilch aufgewachsen zu sein.
Er studiert Marxismus-Leninismus in Leipzig und bricht nach zwei Semestern ab. Das Studium ist für ihn verlorene Zeit, wozu 1953 eine Totenwache mit geschultertem Luftgewehr vor dem Bildnis Stalins beiträgt. Vor seinem neuen Wunsch, Film zu studieren, steht die Bewährung in der Produktion. Plenzdorf wird von 1955 bis 1958 Bühnenarbeiter bei der Defa in Potsdam-Babelsberg. In dieser Zeit lernt er unter anderem das Nageln über Kopf und beobachtet nebenbei, dass Spielfilm-Autoren bei Besuchen am Set gut behandelt werden: Sie treffen erst gegen zehn ein und bekommen einen Kaffee angeboten. "So einer wollte ich werden."
Das Arbeiterkind, inzwischen auch Ehemann, Vater und SED-Genosse, bekommt an der Filmhochschule Babelsberg einen Studienplatz und wird 1964 Szenarist und Dramaturg bei der Defa. Gleich sein erster Film - "Mir nach, Canaillen!" mit Manfred Krug - ist ein Publikumserfolg.
Der junge Regisseur Herrmann Zschoche liest ein zerknautschtes Durchschlagpapierbündel mit vielen Tippfehlern. Ein Filmentwurf von Plenzdorf, wirre Geschichte von einem Klassenausflug. Aber die Dialoge! Zschoche besucht Plenzdorf in Lichtenberg. "Damals wirkte er übrigens nicht halb so witzig und charmant, wie er schrieb. Er sah aus wie ein Jugendfunktionär", erinnert sich Zschoche in seinen Memoiren. Aus dem Klassenausflug wird etwas ganz anderes - "Karla", die Geschichte einer jungen Lehrerin, die ihre Schüler zum Denken erziehen will, nicht zum Gehorsam. Die Hauptrolle spielt Zschoches damalige Frau, die zarte, klargesichtige Jutta Hoffmann. Der Film gerät 1965 in die eisige Luft des 11. Plenums und wird wegen Pessimismus und Skeptizismus verboten. Wie die halbe Film-Jahresproduktion.
Plenzdorf liest Goethes "Die Leiden des jungen Werthers". Er hebt einen Zeitungsartikel auf, der von den Schwierigkeiten einer Brigade mit ihrem renitenten Lehrling handelt. In seinem Kopf fügt sich langsam was zusammen. Er schreibt zwei leise, sympathische Gegenwartsfilme, aber die andere, die schärfere Geschichte brodelt im Kopf. Plenzdorf entwickelt sie mit der Dramaturgin Inge Heym zum Drehbuch "Die neuen Leiden des jungen W.". Die Produktionsgenehmigung wird nicht erteilt. Dann macht er eben Prosa daraus - die Zeitschrift "Sinn und Form" druckt sie im März 1972, es gab immer auch mutige Leute. Dann eben gleich noch ein Theaterstück über den jungen W. - in Halle trauen sie sich im Mai 1972 die Uraufführung. Ein knappes Jahr später kommt "Die Legende von Paul und Paula" ins Kino. Und Plenzdorf ist berühmt. Plötzlich und unerwartet.
"Die neuen Leiden des jungen W." wird eines der erfolgreichsten deutschen Bühnenstücke, übersetzt in 30 Sprachen, die Weltauflage liegt bis heute zwischen sechs und sieben Millionen. Im Westen wird das Buch Pflichtlektüre im Unterricht. Noch vor einiger Zeit schreibt ein Schüler im Internet bei Amazon: "Ich musste es lesen, wegen dem Deutschunterricht. Und ich lese sehr selten. Ich habe angefangen und wollte hinterher gar nicht mehr aufhören. Es hat mir zu einem Glück des Lebens verholfen."
"Die Legende von Paul und Paula" läuft immer noch im Kino und im Fernsehen, wurde ein Roman, ein Hörspiel, ein Theaterstück, eine Oper. Ein langer Uferweg an der Rummelsburger Bucht in Berlin trägt den Namen der Filmhelden.
Klingt alles so leicht und unbestritten. War es aber nicht. Im Westen entdeckten Feministinnen in "Paul und Paula" eine "frauenfeindliche Schnulze aus der DDR". Linke Protestler sahen im Tod von Edgar Wibeau, des jungen W., eine Strafe für die Flucht aus der Gesellschaft.
Im Osten wird aus "Paul und Paula" - drei Wochen nach der Premiere und hinter dem Rücken des Teams und des Regisseurs Heiner Carow - aus 34 Kopien eine Einstellung entfernt: Paula schnipst Paul die Kampfgruppenmütze vom Kopf. Die 35. Kopie rutscht ungeschnitten durch, deshalb wird der Leiter der Hauptverwaltung Film abgesetzt. Der Film hat Exportverbot. Der Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul schreibt Dezember 1976 in einem Brief an die SED-Bezirksleitung Berlin - "Persönlich! Vertraulich!" - über "die skandalöse Diskriminierung unserer Jugend durch Plenzdorfs Modestück". Er meint "Die neuen Leiden des jungen W.", das Stück wurde da schon von vierzehn Theatern nachgespielt. Einen Monat vorher ist Wolf Biermann ausgebürgert worden. Durch die DDR geht ein Riss, der nie wieder zuwachsen wird.
Plenzdorf darf reisen und verdient Westgeld, das er zum Teil abgeben muss und zum Teil in Intershopgeld umtauschen kann. Seine bevorzugte Lage nutzt er für andere: Er beschenkt Freunde - auch mit so großen Sachen wie einem Westfarbfernseher - er schmuggelt Videokameras, Jeans und den "Spiegel" in die DDR ein. Er bastelt an seinem Bauernhaus in Alt-Rosenthal und hofft, die Erdung nicht zu verlieren. "Wenn du anfängst, vor dir selbst berühmt zu werden, dann hast du ein Problem", sagte er.
Aber natürlich macht es ihm Spaß, überall erkannt zu werden, weshalb er sich seine langen wilden Locken nie abschneiden lässt, auch nicht, als sie weiß werden. Er fährt gerne schnell Auto, mit offenem Fenster und lauter Musik und lenkt nur mit dem rechten kleinen Finger. Ulrich Plenzdorf hat zwei Söhne und eine Tochter. Er ist seit zwanzig Jahren verheiratet. Aber die Erfolge geben ihm das Gefühl von Jugend.
1977 legt die Staatssicherheit über Plenzdorf den "Operativen Vorgang Dramatiker" an. Sie haben ihn längst im Auge.
Die Schriftstellerfreunde Plenzdorf, Klaus Schlesinger und Martin Stade hatten 1974 versucht, eine Anthologie "Berliner Geschichten" herauszugeben - eine Textsammlung ohne staatliche Kontrolle. Das Projekt scheitert am Vorwurf der politischen Plattformbildung. Plenzdorf schrieb für diese Anthologie die Erzählung "Kein runter kein fern", einen verstörenden literarischen Wurf, nur der stammelnde Monolog eines zehnjährigen Hilfsschülers. Der Junge will zum Konzert der "Schdones", die auf dem Springer-Hochhaus ein auch im Osten zu hörendes Konzert geben sollen - das Gerücht gab es tatsächlich. Der Junge gerät in einen Kessel und unter den Knüppel seines Bruders, der Polizist ist. Für diese Erzählung, die vielleicht sein bester Text ist, bekommt Plenzdorf 1978 in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis. Einen Westpreis.
Im Osten läuft längst alles mehr oder weniger auf Kampf hinaus. Aber Plenzdorf schreibt.
Immer schnell und ohne Änderung. "Ich wollte mit der Zeit mitschreiben." Fast immer macht er seine Filme aus fremden Romanen, die ihm schon beim Lesen in Drehbücher zerfallen. "Das ist Spezialistentum", sagte er. Er will thematisieren, "was nicht in der Zeitung steht".
Klaus Schlesinger beschreibt in seinem Buch "Von der Schwierigkeit, Westler zu werden" die gemeinsame unkündbare künstlerische Position: "Parteinahme für die Schwächeren und ein kritisches Verhältnis zur Macht."
1981 wird verlangt, für den Film "Insel der Schwäne" einen neuen Schluss zu drehen, in dem eine Figur nicht im Fahrstuhlschacht abstürzt - wie in Plenzdorfs Drehbuch und auch noch in dem eigentlich fertigen Film - sondern gerettet wird. "Und ich tat es", schreibt der Regisseur Zschoche in seinen Erinnerungen mit Erschrecken und Bedauern. Es war eine bleierne Zeit.
Dann kommt die Wende. Ulrich Plenzdorf wird mit Aufträgen überschüttet. Er übernimmt nach dem Tod von Jurek Becker die Serie "Liebling Kreuzberg". Er arbeitet mit Heiner Carow, Andreas Dresen, Tom Toelle, Matti Geschonneck. Für Frank Beyer schreibt er "Abgehauen" - nach dem Buch von Manfred Krug, mit dem Krug die Umstände seiner Ausreise, seiner Stasiakten und eine Zusammenkunft von Biermann-Petitionisten und Vertretern der Staatsmacht in seinem Haus dokumentierte. Plenzdorf war damals einer in dieser Runde.
Bis 1998 schreibt er nur über das, womit er sich auskennt, nur über den Osten, zuletzt "Der Laden" nach Erwin Strittmatter. Bei dieser Arbeit überwirft er sich mit Regisseur und Redakteuren, er spricht in einem Interview darüber. Danach ist Funkstille. "Die stärkeren Bataillone waren nicht auf meiner Seite", sagt er 2003. "Ich habe diese Auseinandersetzung über die Deutungshoheit östlicher Schicksale glatt verloren." Er bekommt keine Aufträge mehr von Film und Fernsehen. Es war wie früher: "Die Leute, die die Mittel zur Verfügung stellen, wollten nicht, was ich wollte."
Immer noch werden seine Bücher verkauft, Theater spielen seine Stücke. Er schreibt eine politische Revue, gibt in Leipzig und in den USA Drehbuchseminare, übersetzt den kanadischen Autor Richards van Camps. Aber bei ihm zu Hause, in der Torstraße in Berlin-Mitte, stapeln sich Arbeiten ohne Auftrag und ohne Honorar. Er reagiert immer sofort, aus eigenem Impuls. Als er den Roman "Die Nachrichten" von Alexander Osang gelesen hat, schreibt er umgehend ein Film-Exposé und schickt es dem Autor nach New York. Es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass Osang das Drehbuch selber schreiben will. Dass der ihn nicht braucht.
Plenzdorf verändert sich. Er wird ein zunehmend bitterer Mann. Einladungen zur Eröffnung der Berlinale nimmt er an, um da die Ostmenschen zu zählen - es werden immer weniger. Er geht ins Kino Babylon, wenn da Defa-Filme laufen. Die Welt, an der Plenzdorf als politischer Künstler beteiligt war, wird aus fremder Perspektive beurteilt und oft verkannt. Die neue Welt sieht er mit Sarkasmus und Grimm.
Zum 70. Geburtstag im Oktober 2004 gratuliert ihm der Bundestagspräsident, Zeitungen schreiben Würdigungen mit einem Hauch von Nachruf. Aber Plenzdorf ist sicher, dass er noch ein paar Asse im Ärmel hat. Er fühlt sich stark.
Bis ihm im Mai 2005 im Auto plötzlich schlecht wird. Im Krankenhaus stellen Ärzte eine Gehirnblutung fest und versetzen Ulrich Plenzdorf in ein künstliches Koma. Es dauert lange, ihn zurückzuholen. Er kann kaum sprechen. Der Regisseur Frank Beyer, der noch vor ihm sterben wird, erzählte nach einem Krankenbesuch, dass seinem stummen Freund Tränen übers Gesicht liefen - er war sich seiner endgültig hilflosen Lage bewusst.
In der Nacht zum Donnerstag ist Ulrich Plenzdorf im Alter von 72 Jahren gestorben.
Berliner Zeitung, 10.08.2007
"Die neuen Leiden des jungen W." und "Die Legende von Paul und Paula" machten ihn berühmt - Ulrich Plenzdorf ist tot
Regine Sylvester
Er wollte fit bleiben, stark und gesund. Er trank Kräutertee und machte Sport. Wer in seiner Wohnung rauchen wollte, musste auf den Balkon, aber er kannte eigentlich kaum Raucher. Er machte gerne Handwerkliches, sah wenig fern und ging früh schlafen. Er wollte sich bereit halten - Filme schreiben wie früher. Im März 2003 gab er dieser Zeitung ein Interview. Auf die Frage nach der Auftragslage antwortete der berühmte Drehbuchautor mit seiner Mail-Adresse: Ulrich.Plenzdorf@gmx.de. "Ich stehe zur Verfügung", sagte er. Da war er 69 Jahre und wartete auf Angebote.
Ulrich Plenzdorf hat immer gearbeitet. Gern und viel und auch mit den Händen. Sein Vater war Maschinenbauer in Berlin-Kreuzberg. 1950 zog die Familie in den Osten, nach Berlin-Lichtenberg. Plenzdorfs Eltern waren als KPD-Mitglieder in der Nazizeit mehrmals in Haft gewesen, seine Mutter kam für ihren Widerstand ein Jahr in das KZ Mohringen. Plenzdorf sprach oft davon, mit roter Muttermilch aufgewachsen zu sein.
Er studiert Marxismus-Leninismus in Leipzig und bricht nach zwei Semestern ab. Das Studium ist für ihn verlorene Zeit, wozu 1953 eine Totenwache mit geschultertem Luftgewehr vor dem Bildnis Stalins beiträgt. Vor seinem neuen Wunsch, Film zu studieren, steht die Bewährung in der Produktion. Plenzdorf wird von 1955 bis 1958 Bühnenarbeiter bei der Defa in Potsdam-Babelsberg. In dieser Zeit lernt er unter anderem das Nageln über Kopf und beobachtet nebenbei, dass Spielfilm-Autoren bei Besuchen am Set gut behandelt werden: Sie treffen erst gegen zehn ein und bekommen einen Kaffee angeboten. "So einer wollte ich werden."
Das Arbeiterkind, inzwischen auch Ehemann, Vater und SED-Genosse, bekommt an der Filmhochschule Babelsberg einen Studienplatz und wird 1964 Szenarist und Dramaturg bei der Defa. Gleich sein erster Film - "Mir nach, Canaillen!" mit Manfred Krug - ist ein Publikumserfolg.
Der junge Regisseur Herrmann Zschoche liest ein zerknautschtes Durchschlagpapierbündel mit vielen Tippfehlern. Ein Filmentwurf von Plenzdorf, wirre Geschichte von einem Klassenausflug. Aber die Dialoge! Zschoche besucht Plenzdorf in Lichtenberg. "Damals wirkte er übrigens nicht halb so witzig und charmant, wie er schrieb. Er sah aus wie ein Jugendfunktionär", erinnert sich Zschoche in seinen Memoiren. Aus dem Klassenausflug wird etwas ganz anderes - "Karla", die Geschichte einer jungen Lehrerin, die ihre Schüler zum Denken erziehen will, nicht zum Gehorsam. Die Hauptrolle spielt Zschoches damalige Frau, die zarte, klargesichtige Jutta Hoffmann. Der Film gerät 1965 in die eisige Luft des 11. Plenums und wird wegen Pessimismus und Skeptizismus verboten. Wie die halbe Film-Jahresproduktion.
Plenzdorf liest Goethes "Die Leiden des jungen Werthers". Er hebt einen Zeitungsartikel auf, der von den Schwierigkeiten einer Brigade mit ihrem renitenten Lehrling handelt. In seinem Kopf fügt sich langsam was zusammen. Er schreibt zwei leise, sympathische Gegenwartsfilme, aber die andere, die schärfere Geschichte brodelt im Kopf. Plenzdorf entwickelt sie mit der Dramaturgin Inge Heym zum Drehbuch "Die neuen Leiden des jungen W.". Die Produktionsgenehmigung wird nicht erteilt. Dann macht er eben Prosa daraus - die Zeitschrift "Sinn und Form" druckt sie im März 1972, es gab immer auch mutige Leute. Dann eben gleich noch ein Theaterstück über den jungen W. - in Halle trauen sie sich im Mai 1972 die Uraufführung. Ein knappes Jahr später kommt "Die Legende von Paul und Paula" ins Kino. Und Plenzdorf ist berühmt. Plötzlich und unerwartet.
"Die neuen Leiden des jungen W." wird eines der erfolgreichsten deutschen Bühnenstücke, übersetzt in 30 Sprachen, die Weltauflage liegt bis heute zwischen sechs und sieben Millionen. Im Westen wird das Buch Pflichtlektüre im Unterricht. Noch vor einiger Zeit schreibt ein Schüler im Internet bei Amazon: "Ich musste es lesen, wegen dem Deutschunterricht. Und ich lese sehr selten. Ich habe angefangen und wollte hinterher gar nicht mehr aufhören. Es hat mir zu einem Glück des Lebens verholfen."
"Die Legende von Paul und Paula" läuft immer noch im Kino und im Fernsehen, wurde ein Roman, ein Hörspiel, ein Theaterstück, eine Oper. Ein langer Uferweg an der Rummelsburger Bucht in Berlin trägt den Namen der Filmhelden.
Klingt alles so leicht und unbestritten. War es aber nicht. Im Westen entdeckten Feministinnen in "Paul und Paula" eine "frauenfeindliche Schnulze aus der DDR". Linke Protestler sahen im Tod von Edgar Wibeau, des jungen W., eine Strafe für die Flucht aus der Gesellschaft.
Im Osten wird aus "Paul und Paula" - drei Wochen nach der Premiere und hinter dem Rücken des Teams und des Regisseurs Heiner Carow - aus 34 Kopien eine Einstellung entfernt: Paula schnipst Paul die Kampfgruppenmütze vom Kopf. Die 35. Kopie rutscht ungeschnitten durch, deshalb wird der Leiter der Hauptverwaltung Film abgesetzt. Der Film hat Exportverbot. Der Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul schreibt Dezember 1976 in einem Brief an die SED-Bezirksleitung Berlin - "Persönlich! Vertraulich!" - über "die skandalöse Diskriminierung unserer Jugend durch Plenzdorfs Modestück". Er meint "Die neuen Leiden des jungen W.", das Stück wurde da schon von vierzehn Theatern nachgespielt. Einen Monat vorher ist Wolf Biermann ausgebürgert worden. Durch die DDR geht ein Riss, der nie wieder zuwachsen wird.
Plenzdorf darf reisen und verdient Westgeld, das er zum Teil abgeben muss und zum Teil in Intershopgeld umtauschen kann. Seine bevorzugte Lage nutzt er für andere: Er beschenkt Freunde - auch mit so großen Sachen wie einem Westfarbfernseher - er schmuggelt Videokameras, Jeans und den "Spiegel" in die DDR ein. Er bastelt an seinem Bauernhaus in Alt-Rosenthal und hofft, die Erdung nicht zu verlieren. "Wenn du anfängst, vor dir selbst berühmt zu werden, dann hast du ein Problem", sagte er.
Aber natürlich macht es ihm Spaß, überall erkannt zu werden, weshalb er sich seine langen wilden Locken nie abschneiden lässt, auch nicht, als sie weiß werden. Er fährt gerne schnell Auto, mit offenem Fenster und lauter Musik und lenkt nur mit dem rechten kleinen Finger. Ulrich Plenzdorf hat zwei Söhne und eine Tochter. Er ist seit zwanzig Jahren verheiratet. Aber die Erfolge geben ihm das Gefühl von Jugend.
1977 legt die Staatssicherheit über Plenzdorf den "Operativen Vorgang Dramatiker" an. Sie haben ihn längst im Auge.
Die Schriftstellerfreunde Plenzdorf, Klaus Schlesinger und Martin Stade hatten 1974 versucht, eine Anthologie "Berliner Geschichten" herauszugeben - eine Textsammlung ohne staatliche Kontrolle. Das Projekt scheitert am Vorwurf der politischen Plattformbildung. Plenzdorf schrieb für diese Anthologie die Erzählung "Kein runter kein fern", einen verstörenden literarischen Wurf, nur der stammelnde Monolog eines zehnjährigen Hilfsschülers. Der Junge will zum Konzert der "Schdones", die auf dem Springer-Hochhaus ein auch im Osten zu hörendes Konzert geben sollen - das Gerücht gab es tatsächlich. Der Junge gerät in einen Kessel und unter den Knüppel seines Bruders, der Polizist ist. Für diese Erzählung, die vielleicht sein bester Text ist, bekommt Plenzdorf 1978 in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis. Einen Westpreis.
Im Osten läuft längst alles mehr oder weniger auf Kampf hinaus. Aber Plenzdorf schreibt.
Immer schnell und ohne Änderung. "Ich wollte mit der Zeit mitschreiben." Fast immer macht er seine Filme aus fremden Romanen, die ihm schon beim Lesen in Drehbücher zerfallen. "Das ist Spezialistentum", sagte er. Er will thematisieren, "was nicht in der Zeitung steht".
Klaus Schlesinger beschreibt in seinem Buch "Von der Schwierigkeit, Westler zu werden" die gemeinsame unkündbare künstlerische Position: "Parteinahme für die Schwächeren und ein kritisches Verhältnis zur Macht."
1981 wird verlangt, für den Film "Insel der Schwäne" einen neuen Schluss zu drehen, in dem eine Figur nicht im Fahrstuhlschacht abstürzt - wie in Plenzdorfs Drehbuch und auch noch in dem eigentlich fertigen Film - sondern gerettet wird. "Und ich tat es", schreibt der Regisseur Zschoche in seinen Erinnerungen mit Erschrecken und Bedauern. Es war eine bleierne Zeit.
Dann kommt die Wende. Ulrich Plenzdorf wird mit Aufträgen überschüttet. Er übernimmt nach dem Tod von Jurek Becker die Serie "Liebling Kreuzberg". Er arbeitet mit Heiner Carow, Andreas Dresen, Tom Toelle, Matti Geschonneck. Für Frank Beyer schreibt er "Abgehauen" - nach dem Buch von Manfred Krug, mit dem Krug die Umstände seiner Ausreise, seiner Stasiakten und eine Zusammenkunft von Biermann-Petitionisten und Vertretern der Staatsmacht in seinem Haus dokumentierte. Plenzdorf war damals einer in dieser Runde.
Bis 1998 schreibt er nur über das, womit er sich auskennt, nur über den Osten, zuletzt "Der Laden" nach Erwin Strittmatter. Bei dieser Arbeit überwirft er sich mit Regisseur und Redakteuren, er spricht in einem Interview darüber. Danach ist Funkstille. "Die stärkeren Bataillone waren nicht auf meiner Seite", sagt er 2003. "Ich habe diese Auseinandersetzung über die Deutungshoheit östlicher Schicksale glatt verloren." Er bekommt keine Aufträge mehr von Film und Fernsehen. Es war wie früher: "Die Leute, die die Mittel zur Verfügung stellen, wollten nicht, was ich wollte."
Immer noch werden seine Bücher verkauft, Theater spielen seine Stücke. Er schreibt eine politische Revue, gibt in Leipzig und in den USA Drehbuchseminare, übersetzt den kanadischen Autor Richards van Camps. Aber bei ihm zu Hause, in der Torstraße in Berlin-Mitte, stapeln sich Arbeiten ohne Auftrag und ohne Honorar. Er reagiert immer sofort, aus eigenem Impuls. Als er den Roman "Die Nachrichten" von Alexander Osang gelesen hat, schreibt er umgehend ein Film-Exposé und schickt es dem Autor nach New York. Es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass Osang das Drehbuch selber schreiben will. Dass der ihn nicht braucht.
Plenzdorf verändert sich. Er wird ein zunehmend bitterer Mann. Einladungen zur Eröffnung der Berlinale nimmt er an, um da die Ostmenschen zu zählen - es werden immer weniger. Er geht ins Kino Babylon, wenn da Defa-Filme laufen. Die Welt, an der Plenzdorf als politischer Künstler beteiligt war, wird aus fremder Perspektive beurteilt und oft verkannt. Die neue Welt sieht er mit Sarkasmus und Grimm.
Zum 70. Geburtstag im Oktober 2004 gratuliert ihm der Bundestagspräsident, Zeitungen schreiben Würdigungen mit einem Hauch von Nachruf. Aber Plenzdorf ist sicher, dass er noch ein paar Asse im Ärmel hat. Er fühlt sich stark.
Bis ihm im Mai 2005 im Auto plötzlich schlecht wird. Im Krankenhaus stellen Ärzte eine Gehirnblutung fest und versetzen Ulrich Plenzdorf in ein künstliches Koma. Es dauert lange, ihn zurückzuholen. Er kann kaum sprechen. Der Regisseur Frank Beyer, der noch vor ihm sterben wird, erzählte nach einem Krankenbesuch, dass seinem stummen Freund Tränen übers Gesicht liefen - er war sich seiner endgültig hilflosen Lage bewusst.
In der Nacht zum Donnerstag ist Ulrich Plenzdorf im Alter von 72 Jahren gestorben.
Berliner Zeitung, 10.08.2007
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