Knaller an der Zeitungsfront

Friday, September 14, 2007

Daumen im Wind /FR)

Trampen
Daumen im Wind
Früher gehörte Trampen zur Jugend. Unsere Autoren erinnern sich an Erlebnisse mit seltsamen Fahrern und alten Autos.
Keine Männer

Abenteuer Trampen (dpa)
Heute will mein Vater davon nichts mehr wissen, aber wenn er, damals als ich 16, 17 war, keine Lust hatte, mich irgendwohin zu fahren sagte er einfach: "Tramp' doch!" So stand ich öfter an der Landstraße, den Daumen im Wind, um zu meiner Freundin zu kommen, die in einem Dorf 15 Kilometer entfernt wohnte. Es war die Zeit, des Grunge-Rocks, ich trug weite T-Shirts und hatte schulterlange Haare. Eines Nachmittags nach der Schule stand ich wieder am Straßenrand, ein Stück außerhalb unserer Kleinstadt an einer Straßenkreuzung. Die Sonne schien, ein leichter Wind zerzauste meine nicht vorhandene Frisur. Ich freute mich auf den Nachmittag - doch alle Autos rauschten an mir vorbei. Dann nach einer halben Stunde hielt endlich ein roter Kleinwagen. Ich machte mein freundlichstes Gesicht und riss die Tür auf. Auf dem Fahrersitz saß eine füllige Frau Ende 20. Sie blickte mich an - und fing an zu schreien: "Hilfe...!" Ich zuckte zusammen. "Ist, ist alles in Ordnung?", fragte ich. "Die langen Haare", stammelte sie. "Ich dachte, du seiest ein Mädchen - Männer nehme ich nicht mit." Ich hatte mein Knie schon auf dem Beifahrersitz, mich jetzt noch mal an die Straße zu stellen, darauf hatte ich wirklich keine Lust. Ich versuchte also ganz unschuldig zu gucken und säuselte: "Ich bin ganz harmlos." Sie lächelte gequält. "Na gut, steig ein." Sie fuhr los und krallte sich am Lenkrad fest, ich gab mir alle Mühe, nicht wie Verbrecher zu wirken, erzählte, dass ich bald Abitur machen würde, dass ich zu meiner Freundin wolle. Als ich ausstieg, wirkte sie trotzdem erleichtert. Frederik Jötten

Lauter Bekannte
Es gab nur eine Straße, die von meinem Gymnasium in das kleine Dorf Vorhelm führte. Dort, am Rande des Münsterlandes, wohnte ich bei meinen Eltern. Das klingt nach Pferdedung und großer Langeweile, aber wenn es ums Trampen geht, war die Provinz unschlagbar.An der mäßig befahrenen Kreisstraße stand ich jeden Mittag nach Schulschluss, hielt meinen Daumen raus und musste nie länger als fünf Minuten warten, bis ein Auto stoppte. Mal war es ein Angestellter meines Vaters, mal der ältere Bruder eines Freundes, mal jemand aus der Verwandschaft, der mich mitnahm. Ich stieg sorglos in das Auto, wurde freundlich mit "hallo Jörg" begrüßt und meistens bis vor die Haustür gefahren. So war ich immer schneller als die Schüler, die mit dem Bus fuhren.Erst Jahre später, als ich zusammen mit einem Freund in Südfrankreich Urlaub machte und wir einen Zug verpasst hatten kapierte ich, wie mühsam trampen sein kann. Wir versuchten vergeblich, in der Mittagshitze ein Auto zum Anhalten zu bewegen. Wir lächelten am Straßenrand, kein Franzose hielt. Wir versuchten es mit und ohne Rucksack - die Franzosen hupten und guckten grimmig. Wir versuchten es, in dem sich einer von uns im Graben versteckte, das brachte auch nichts.Als es dunkel wurde, gingen wir zurück zum Bahnhof, kauften Tickets und warteten lange auf einen Nachtzug. Manchmal ist es halt doch ganz gut, dort zu leben, wo man auf der Straße erkannt wird. Jörg Hunke

Überrraschung bei Nacht
Ich nahm den letzten Zug, um von Frankfurt nach Hause zu fahren. Der Zug fuhr bis Lippstadt, aber ich musste noch weiter. Wadersloh, ein Dorf, das keinen Bahnhof hat. Als ich morgens gegen drei Uhr in Ostwestfalen ankam, war mir klar, dass da niemand sein würde, der mich mitnehmen könnte. Ich musste zu Fuß gehen. Anderthalb Stunden. Nach ein paar Minuten erreichte ich den Ortsausgang, bald wanderte ich auf einem Radweg durch ein Waldgebiet. Plötzlich neben mir eine Vollbremsung. Ein Kombi hielt. Der Fahrer kurbelte die Fensterscheibe herunter und fragte: "Mitfahrn?" Ich antwortete: "Wadersloh?" Er sagte: "Ja." Schnell saß ich auf dem Beifahrersitz, ein paar Minuten später war ich dann in Wadersloh und mein Fahrer rauschte davon. Im Nachhinein war ich verwundert, wie schnell ich bei dem fremden Mann eingestiegen war und wie wenig wir unterwegs gesprochen hatten. Er erklärte mir lediglich, warum er angehalten habe. Seine Begründung: Er hoffe, dass er selbst mitgenommen werde, wenn er nachts allein zu Fuß unterwegs sei. Roman Köller

Zwei Frauen und ein Teppich
Carola und ich studierten im zweiten Semester Philosophie in Frankfurt und Björk spielte ein Konzert in München. Auf dem Hinweg wurden wir von einem Freund mitgenommen. Den Rückweg wollten wir per Anhalter schaffen, wir hatten kein Geld für eine Zugfahrkarte. Das Konzert war super, wir feierten bis tief in die Nacht. Ein netter Typ, den wir nach dem Konzert im Park kennen lernten, verriet uns den besten Ort zum Trampen in Richtung Frankfurt.Nach der Übernachtung bei einer Bekannten, machten wir uns verkatert auf den Weg. Eine dreiviertel Stunde fuhren wir mit der S-Bahn, dann ging es zu Fuß weiter. Wir machten einen Stopp in einem Secondhandshop: Meine Freundin Carola entschied sich dafür, einen 2 mal 4 Meter großen Teppich, gelb mit braunen Blumen, zu kaufen. Zusammengerollt lies er sich gut tragen - aber nur ein paar Minuten. Endlich kamen wir dort an, wo wir hin wollten. Der Platz war allerdings sehr ungünstig - um auf die Autobahn zu kommen, mussten unseren potenziellen Mitnehmer auf die Linksabbiegespur, wir standen an der Straße und versuchten sie dazu zu bewegen, vorher rechts anzuhalten. Das machte aber niemand - wir stritten uns. "So ein Schwachsinn, mit einem Teppich trampen wollen!", sagte ich. Wir versteckten ihn am Straßenrand, aber es hielt trotzdem kein Auto. Wir sprachen nicht mehr miteinander. Als sich ein roter Fiat Panda näherte, sprang Carola wild gestikulierend auf die Straße - der Fahrer musste anhalten. Er war ein unscheinbarer Typ in unserem Alter und wirkte überrumpelt. Wir holten schnell den Teppich, quetschten ihn, unsere Rucksäcke und uns ins Auto. Der Fahrer erklärte uns, dass er uns nur bis zum nächsten Rastplatz mitnehmen könne. Dort warten wir wieder, diesmal konnten wir den Teppich nicht mehr verstecken. Aber unsere Laune war schon ein bisschen besser, wir sprachen wieder miteinander. Dann hielt ein weißer Kleintransporter, darin eine türkische Familie - auf dem Weg nach Frankfurt! Wir stiegen durch die Hecktür in den fensterlosen Laderaum, der Kissen und Decken ausgelegt. Fünf Kinder saßen da, zuerst lächelten sie schüchtern, dann tobten sie wild umher, begeistert über die neuen Spielkameraden. Beim Aussteigen fragte die Mutter, ob wir uns vorstellen könnten, bei ihr als Putz- und Kinderfrau zu arbeiten. Wir lehnten dankend ab, schulterten unseren Teppich und gingen zur Straßenbahn für die letzte Etappe.
Nadine Bracht

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