Knaller an der Zeitungsfront

Friday, September 14, 2007

Positive Wende für den Adler (Berliner Zeitung)

Positive Wende für den Adler
Die Wiedervereinigung war für viele Tierarten in Brandenburg ein Segen. Es gibt aber auch Verlierer
Kerstin Viering

In Naturschutzkreisen wird dieser Tage Bilanz gezogen. Welche Arten profitieren von den momentanen Entwicklungen, fragen sich die Experten - und welche Arten sind bedroht? Die Weltnaturschutzunion IUCN hat ihre Antworten gestern im schweizerischen Gland in Form der Roten Liste 2007 veröffentlicht (siehe Kasten). Demnach sind weltweit derzeit mehr als 16 300 Tier- und Pflanzenarten bedroht. Über die besondere Situation in Brandenburg diskutierten Experten am vergangenen Wochenende in Potsdam auf einer Tagung des Naturschutzbundes (Nabu) Brandenburg. Dabei ging es vor allem um bedrohte Tierarten.

Ein kräftiger, hellgelber Schnabel, ein braunes Gefieder und gewaltige Flügel mit mehr als zwei Metern Spannweite - so sieht einer der Profiteure der Einheit aus. Die Bestände der Seeadler sind seit 1990 im Bundesland Brandenburg eindeutig gewachsen. Für andere Tierarten hingegen ist die Entwicklung seit der Wiedervereinigung weniger günstig gelaufen.

Deutlich verändert hat sich seit der Wende die Schadstoffbelastung der Umwelt. Zu DDR-Zeiten seien die Wälder massiv mit Chemikalien besprüht worden, um Forstschädlingen den Garaus zu machen, sagt Wolfgang Mädlow, Geschäftsführer des Nabu Brandenburg. "Selbst das berüchtigte Pestizid DDT wurde noch bis in die Achtzigerjahre eingesetzt." Unter den Giften hatten vor allem die Insekten zu leiden. Inzwischen aber scheinen sich Schmetterlings- und andere Krabbeltierarten vom Einsatz der chemischen Keule zu erholen.

Auch die Renaissance der Adler geht zumindest teilweise auf die geringere Schadstoffbelastung zurück. Denn DDT ist dafür bekannt, dass es auch den Greifvögeln zu schaffen macht. Wenn es von den Tieren aufgenommen wird, legen sie Eier mit zu dünnen Schalen. Die zerbrechen dann leicht beim Brüten. Inzwischen aber ist der Einsatz von DDT auch in Ostdeutschland verboten. Reste von Holzschutzmittel mit diesem Wirkstoff durften in den neuen Ländern nur bis 1991 eingesetzt werden.

Seither haben sich auch die Adler erholt, wie ein Bericht des Landesumweltamtes in Potsdam aus dem vergangenen Jahr zeigt. Demnach hatten im Jahr 2004 immerhin 118 Seeadler-Paare wieder Reviere in Brandenburg besetzt. Damit hat sich der Bestand seit Anfang der Neunzigerjahre fast verdoppelt.

Ähnlich gute Nachrichten gibt es von den brandenburgischen Fischadlern: Kurz nach der Wende lebten in dem Bundesland um die 120 Paare, inzwischen sind es 280. Der Brandenburger Adlerboom macht sich mittlerweile auch anderenorts bemerkbar. Fischadler, die in der Niederlausitz, in der Uckermark oder im Havelland aus dem Ei geschlüpft waren, sind aus der Region ausgewandert und brüten inzwischen sogar in Frankreich.

Doch nicht nur die Pestizidbelastung ist zurückgegangen, auch andere Schadstoffe machen sich weniger bemerkbar. So haben Auto-Katalysatoren und Abluftfilter an Industrieanlagen die Luftverschmutzung massiv reduziert. Davon profitieren beispielsweise viele Flechten. Denn diese Lebensgemeinschaften aus Algen und Pilzen reagieren besonders empfindlich auf Schwefeldioxid und andere Luftschadstoffe.

"Sehr gut hat sich auch die Wasserqualität von Seen und Flüssen entwickelt", sagt Rüdiger Mauersberger vom Förderverein Feldberg-Uckermärkische Seenlandschaft in Templin. Durch den Bau leistungsfähiger Kläranlagen sind viele Seen nicht mehr so stark überdüngt wie vor der Wende.

"Seither breiten sich vom Aussterben bedrohte Libellenarten wie die Zierliche Moosjungfer wieder aus", sagt Rüdiger Mauersberger. Diese nur drei Zentimeter großen Libellen leben an Seen und reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen der Wasserqualität. Vor 1960 waren im heutigen Brandenburg immerhin 17 Stellen bekannt, an denen das anspruchsvolle Insekt vorkam, zwischen 1960 und 1990 waren es dann nur noch 2 Gewässer. Mittlerweile haben Libellenexperten die Art landesweit an 78 Fundorten nachgewiesen.

Auch die an Fließgewässern lebenden Insekten haben von der verbesserten Wasserqualität profitiert. So floss in der Schwarzen Elster in der Niederlausitz noch 1989 eine stark mit Abwasser von Chemie- und Schwerindustrie belastete Brühe, über der kaum noch eine Libelle schwirrte. Im Jahr 2006 aber hatten sich bereits zahlreiche Arten der eleganten Flieger an dem durch Kläranlagen gereinigten Fluss angesiedelt. Darunter sind zum Beispiel die Asiatische Keiljungfer und die Grüne Flussjungfer, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU von 1992 als europaweit besonders schützenswerte Arten gelten.

Andererseits hatten die Flussbewohner unter den Libellen in den letzten Jahren auch Rückschläge zu verkraften. Denn in der Spree fließt seit der Wende deutlich weniger Wasser als zuvor. Zu DDR-Zeiten hatte man riesige Mengen Grundwasser aus den Tagebauen der Lausitz in den Fluss gepumpt. Damit die Spree die Fluten überhaupt fassen konnte, wurde ihr Bett stellenweise verbreitert und vertieft.

Doch nach 1990 wurden zahlreiche Tagebaue stillgelegt, seither ist das ausgebaute Flussbett einfach zu groß. Nicht einmal zehn Kubikmeter Wasser pro Sekunde befördern die Bergbaupumpen heute noch in den Fluss, früher war es die vierfache Menge.
Seither fließt die Spree vor allem im Sommer nur noch träge dahin und ähnelt stellenweise eher einer Kette von Teichen als einem Fluss. Zwischen dem Spreewald und Berlin leben heute daher kaum noch Fließgewässer-Libellen. Dafür haben sich Seen-Arten wie die Kleine Königslibelle stark vermehrt. "Für die Libellen gab es seit der Wende also sowohl positive als auch negative Entwicklungen", resümiert Rüdiger Mauersberger.

Eine ähnlich durchwachsene Bilanz zieht Wolfgang Mädlow. So habe der Verkehr in Ostdeutschland seit der Wende massiv zugenommen, zahlreiche neu gebaute Straßen zerschnitten einst zusammenhängende Naturlandschaften, beklagt Mädlow. Darunter leiden beispielsweise die Amphibien, deren Wanderungen zu ihren Laichgewässern seit 1990 deutlich gefährlicher geworden sind. Doch nicht nur Kröten und Frösche, selbst die flinken Fischotter enden immer wieder als Verkehrsopfer unter den Rädern.

Schwer haben es auch solche Arten, die auf traditionelle Formen der Landwirtschaft angewiesen sind. Zu DDR-Zeiten wurden zwar viele Felder sehr intensiv bewirtschaftet. "Daneben gab es aber auch eine sehr kleinteilige Nutzung", erläutert Wolfgang Mädlow. Viele eigentlich in anderen Berufen Beschäftigte hielten nebenbei Kaninchen und andere Kleintiere. Das Futter dafür stammte von kleinen Parzellen, deren Bewirtschaftung sich für hauptberufliche Bauern kaum gelohnt hätte.

Mittlerweile ist diese Form der Klein-Landwirtschaft aus der Mode gekommen. Nährstoffarme, trockene Rasenflächen, Feuchtwiesen und andere wenig ertragreiche Flächen werden zunehmend aufgegeben. Ohne Bewirtschaftung aber sind sie schnell von Gestrüpp und Stauden überwuchert, so dass ihre typischen tierischen Bewohner keinen Lebensraum mehr finden. Zahlreiche auf Feuchtwiesen brütende Vogelarten sind dadurch in Gefahr geraten. So gibt es in Brandenburg heute nicht einmal mehr 20 Uferschnepfen-Paare; 1970 waren es mehr als 200.
Der Wandel in Brandenburgs Tierwelt ist aber keineswegs nur eine Folge der Wiedervereinigung. "Bei den Libellen spielt der Klimawandel eine noch größere Rolle", sagt Rüdiger Mauersberger. So sind als Folge der Erwärmung in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Arten aufgetaucht, die eigentlich in wärmeren Gefilden zu Hause sind. Auffälligstes Beispiel ist die leuchtend rot gefärbte Feuerlibelle, die normalerweise in Südeuropa, Afrika und Westasien lebt. Zwischen 1890 und 2001 haben Insektenforscher diese Art in Brandenburg ganze zwei Mal gefunden. Für das Jahr 2007 dagegen gibt es bereits 20 Nachweise.
Der Klimawandel wird für die Lebensgemeinschaften wahrscheinlich noch deutlich weiter reichende Folgen haben als die politische Wende. Und wer die Gewinner und Verlierer dieser Entwicklung sein werden, kann bisher niemand vorhersagen.
Berliner Zeitung, 13.09.

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