Protest und Krawall (SZ)
Protest und Krawall
Das Entsetzen über die Gewalt von Rostock darf nicht dazu führen, dass nun ein autoritärer Legalismus um sich greift, nach dem Motto: Gesetz ist Gesetz, auch ziviler Ungehorsam ist Gewalt.Ein Kommentar von Tanjev Schultz
Die Gegner des G-8-Treffens beweisen ihre Stärke, wenn sie auf Gewalt verzichten. Sie beweisen ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht nur das Elend in der großen weiten Welt anprangern, sondern auch das Wüten der Autonomen an der mecklenburgischen Küste zurückweisen.
Sie zeigen ihre Menschlichkeit, wenn sie nicht nur Mitleid haben mit den fernen Opfern von Hunger und Krieg, sondern auch mit den schwerverletzten Polizisten, deren Familien verängstigt vor den Fernsehern saßen und die Krawalle in Rostock sahen.
Die friedlichen Demonstranten müssen sich außerdem selbst betrauern. Nicht nur, weil einige von ihnen leibhaftig hineingezogen wurden in die Randale. Sie müssen um die Sympathie der Öffentlichkeit für den Protest bangen.
Und sie müssen befürchten, dass die Polizei in den kommenden Tagen härter zugreifen wird und Autonome die geplanten Blockaden erneut für Gewaltausbrüche missbrauchen werden. Die Gefahr ist groß, dass die Debatte dann zurückfällt in den Stand der achtziger Jahre, in denen auch friedliche symbolische Regelverletzungen wie Sitzblockaden von konservativer Seite verurteilt wurden, als handelte es sich um terroristische Akte.
Die Gewalt verschreckt Schüler und Kirchenanhänger
Die Gewalt schwächt die Globalisierungskritiker. Sie verschreckt die vielen wohlerzogenen Schüler, Studenten, Gewerkschafter und Kirchenanhänger, die zwar an der Politik und Legitimation der G8 zweifeln, nicht aber am Wert des Rechtsstaats und seines Gewaltmonopols. Es sind Menschen, die inständig hoffen, dass auch in Afrika, in Afghanistan oder im Irak die Bevölkerung einmal so frei und geschützt leben kann wie hierzulande.
Die Protestbewegung muss sich konsequent von den Straßenkämpfern abgrenzen, für die ein Polizist stets ein Feind und der Staat ein Unrecht ist. An Organisationen wie Attac, in denen integre Menschen mitarbeiten, heften sich zu viele Demo-Hooligans und Möchtegern-Revolutionäre. Attac muss den Schlägern des Schwarzen Blocks ein für alle Mal die kalte Schulter zeigen.
Sollen sich die Friedlichen mit den Militanten prügeln?
Das aber sagt sich so leicht. Bei einer Demo darf schließlich mitlaufen, wer will. Und sollen sich dann etwa die Friedlichen mit den Militanten prügeln, um sie fortzujagen? Es ist absurd, den Demonstranten die Aufgaben der Polizei zuzuschieben.
Ist es aber nicht zumindest naiv, an einem Protest teilzunehmen, in dem Vermummte auftauchen? Wird man damit moralisch mitschuldig am Krawall? So sehen es die, denen die ganze Bewegung nicht passt oder für die eine Demokratie am besten funktioniert, wenn der Bürger stillhält. Man kann von Demonstranten nur verlangen, dass sie Abstand halten von den Autonomen und besänftigend wirken, wo immer das geht.
Demonstrationen wecken bei vielen zwiespältige Gefühle. Sie dienen einer Machtdemonstration: seht her, so viele sind wir! Eine Demo ist vorderhand kein Ort des Diskurses, sondern des klaren - und lauten - Bekenntnisses und der gegenseitigen Versicherung, auf der richtigen Seite zu stehen.
Habermas' großer Sinn für zivilen Ungehorsam
Meinungsunterschiede werden überdeckt, der Nebenmann läuft womöglich aus den falschen Gründen mit. Dennoch sind Proteste unverzichtbar für eine vitale Öffentlichkeit. Sie schaffen Gehör für Themen und Stimmen, die in der Routine des politischen Betriebs untergehen würden.
Sie regen die Mitbürger an, über die Ziele der Demonstranten nachzudenken. Sie setzen Politiker - wie nun die Staatschefs der G8 - unter Druck und verhindern eine Arkanpolitik der Mächtigen.
Es ist kein Zufall, dass der Philosoph Jürgen Habermas, dem so viel liegt am vernünftigen Diskurs und am besseren Argument, auch einen großen Sinn für die Kraft sozialer Bewegungen hat. Er war es, der in den achtziger Jahren, als Pazifisten Militärlager blockierten, davor warnte, alle kurzerhand zu Unruhestiftern zu erklären.
Ziviler Ungehorsam, schrieb Habermas, ist Teil einer ,,reifen politischen Kultur‘‘. Der Ungehorsam kennt viele Formen: Klassisch ist die Weigerung, Steuern zu zahlen, aber auch Sitzblockaden sind eine mögliche Form des Protestes. Diese sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keine Gewalthandlung. Die Grenzen verschwimmen erst, wenn Demonstranten sich anketten oder Polizisten angreifen.
Es geht den Ungehorsamen nicht um Krawall
Mit Blockaden der Zufahrt nach Heiligendamm riskieren G-8-Gegner Gesetzesbrüche, gewalttätig und verdammenswert ist diese Protestform aber nicht unbedingt. Bleibt es bei einer begrenzten, friedlichen Regelverletzung, hat sie symbolischen Charakter.
Es geht den Ungehorsamen nicht um Krawall, sondern um einen Appell an den Gerechtigkeitssinn der Bürger. Moralphilosophen wie Habermas oder John Rawls haben stets betont, dass ziviler Ungehorsam Fälle bezeichnet, in denen die Akteure in einer halbwegs gerechten Demokratie leben, deren Verfassung sie anerkennen.
Das Entsetzen über die Gewalt von Rostock darf nicht dazu führen, dass nun ein autoritärer Legalismus um sich greift, nach dem Motto: Gesetz ist Gesetz, auch ziviler Ungehorsam ist Gewalt. Wenn in den kommenden Tagen Bilder zu sehen sind von Demonstranten, die sich von Polizisten wegtragen lassen, sind dies nicht zwangsläufig Chaoten. Es werden auch jede Menge anständiger Staatsbürger dabei sein.
(SZ vom 05.06.2007)
Das Entsetzen über die Gewalt von Rostock darf nicht dazu führen, dass nun ein autoritärer Legalismus um sich greift, nach dem Motto: Gesetz ist Gesetz, auch ziviler Ungehorsam ist Gewalt.Ein Kommentar von Tanjev Schultz
Die Gegner des G-8-Treffens beweisen ihre Stärke, wenn sie auf Gewalt verzichten. Sie beweisen ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht nur das Elend in der großen weiten Welt anprangern, sondern auch das Wüten der Autonomen an der mecklenburgischen Küste zurückweisen.
Sie zeigen ihre Menschlichkeit, wenn sie nicht nur Mitleid haben mit den fernen Opfern von Hunger und Krieg, sondern auch mit den schwerverletzten Polizisten, deren Familien verängstigt vor den Fernsehern saßen und die Krawalle in Rostock sahen.
Die friedlichen Demonstranten müssen sich außerdem selbst betrauern. Nicht nur, weil einige von ihnen leibhaftig hineingezogen wurden in die Randale. Sie müssen um die Sympathie der Öffentlichkeit für den Protest bangen.
Und sie müssen befürchten, dass die Polizei in den kommenden Tagen härter zugreifen wird und Autonome die geplanten Blockaden erneut für Gewaltausbrüche missbrauchen werden. Die Gefahr ist groß, dass die Debatte dann zurückfällt in den Stand der achtziger Jahre, in denen auch friedliche symbolische Regelverletzungen wie Sitzblockaden von konservativer Seite verurteilt wurden, als handelte es sich um terroristische Akte.
Die Gewalt verschreckt Schüler und Kirchenanhänger
Die Gewalt schwächt die Globalisierungskritiker. Sie verschreckt die vielen wohlerzogenen Schüler, Studenten, Gewerkschafter und Kirchenanhänger, die zwar an der Politik und Legitimation der G8 zweifeln, nicht aber am Wert des Rechtsstaats und seines Gewaltmonopols. Es sind Menschen, die inständig hoffen, dass auch in Afrika, in Afghanistan oder im Irak die Bevölkerung einmal so frei und geschützt leben kann wie hierzulande.
Die Protestbewegung muss sich konsequent von den Straßenkämpfern abgrenzen, für die ein Polizist stets ein Feind und der Staat ein Unrecht ist. An Organisationen wie Attac, in denen integre Menschen mitarbeiten, heften sich zu viele Demo-Hooligans und Möchtegern-Revolutionäre. Attac muss den Schlägern des Schwarzen Blocks ein für alle Mal die kalte Schulter zeigen.
Sollen sich die Friedlichen mit den Militanten prügeln?
Das aber sagt sich so leicht. Bei einer Demo darf schließlich mitlaufen, wer will. Und sollen sich dann etwa die Friedlichen mit den Militanten prügeln, um sie fortzujagen? Es ist absurd, den Demonstranten die Aufgaben der Polizei zuzuschieben.
Ist es aber nicht zumindest naiv, an einem Protest teilzunehmen, in dem Vermummte auftauchen? Wird man damit moralisch mitschuldig am Krawall? So sehen es die, denen die ganze Bewegung nicht passt oder für die eine Demokratie am besten funktioniert, wenn der Bürger stillhält. Man kann von Demonstranten nur verlangen, dass sie Abstand halten von den Autonomen und besänftigend wirken, wo immer das geht.
Demonstrationen wecken bei vielen zwiespältige Gefühle. Sie dienen einer Machtdemonstration: seht her, so viele sind wir! Eine Demo ist vorderhand kein Ort des Diskurses, sondern des klaren - und lauten - Bekenntnisses und der gegenseitigen Versicherung, auf der richtigen Seite zu stehen.
Habermas' großer Sinn für zivilen Ungehorsam
Meinungsunterschiede werden überdeckt, der Nebenmann läuft womöglich aus den falschen Gründen mit. Dennoch sind Proteste unverzichtbar für eine vitale Öffentlichkeit. Sie schaffen Gehör für Themen und Stimmen, die in der Routine des politischen Betriebs untergehen würden.
Sie regen die Mitbürger an, über die Ziele der Demonstranten nachzudenken. Sie setzen Politiker - wie nun die Staatschefs der G8 - unter Druck und verhindern eine Arkanpolitik der Mächtigen.
Es ist kein Zufall, dass der Philosoph Jürgen Habermas, dem so viel liegt am vernünftigen Diskurs und am besseren Argument, auch einen großen Sinn für die Kraft sozialer Bewegungen hat. Er war es, der in den achtziger Jahren, als Pazifisten Militärlager blockierten, davor warnte, alle kurzerhand zu Unruhestiftern zu erklären.
Ziviler Ungehorsam, schrieb Habermas, ist Teil einer ,,reifen politischen Kultur‘‘. Der Ungehorsam kennt viele Formen: Klassisch ist die Weigerung, Steuern zu zahlen, aber auch Sitzblockaden sind eine mögliche Form des Protestes. Diese sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keine Gewalthandlung. Die Grenzen verschwimmen erst, wenn Demonstranten sich anketten oder Polizisten angreifen.
Es geht den Ungehorsamen nicht um Krawall
Mit Blockaden der Zufahrt nach Heiligendamm riskieren G-8-Gegner Gesetzesbrüche, gewalttätig und verdammenswert ist diese Protestform aber nicht unbedingt. Bleibt es bei einer begrenzten, friedlichen Regelverletzung, hat sie symbolischen Charakter.
Es geht den Ungehorsamen nicht um Krawall, sondern um einen Appell an den Gerechtigkeitssinn der Bürger. Moralphilosophen wie Habermas oder John Rawls haben stets betont, dass ziviler Ungehorsam Fälle bezeichnet, in denen die Akteure in einer halbwegs gerechten Demokratie leben, deren Verfassung sie anerkennen.
Das Entsetzen über die Gewalt von Rostock darf nicht dazu führen, dass nun ein autoritärer Legalismus um sich greift, nach dem Motto: Gesetz ist Gesetz, auch ziviler Ungehorsam ist Gewalt. Wenn in den kommenden Tagen Bilder zu sehen sind von Demonstranten, die sich von Polizisten wegtragen lassen, sind dies nicht zwangsläufig Chaoten. Es werden auch jede Menge anständiger Staatsbürger dabei sein.
(SZ vom 05.06.2007)
0 Comments:
Post a Comment
<< Home