Knaller an der Zeitungsfront

Monday, June 04, 2007

"In zehn Jahren müsste Afrika nicht mehr arm sein“ (Tagesspiegel am Sonntag)

(03.06.2007)
„In zehn Jahren müsste Afrika nicht mehr arm sein“ Mit Moskitonetzen, Dünger und Medizin kann ein ganzer Kontinent gerettet werden, sagt Jeffrey Sachs. Den G-8-Politikern ruft er zu: Tut endlich was!

Jeffrey Sachs, 53, zählt zu den einflussreichsten Ökonomen der Welt; an der Columbia-Universität besetzt er drei Professorenstühle, er beriet den IWF, die Weltbank, die OECD und die WTO, er arbeitete für die Regierungen von Bolivien, Polen, Russland und Indien. Seit 1995 beschäftigt er sich mit den Problemen Afrikas.

Herr Sachs, sind Sie eher ein Wirtschaftsexperte oder Popstar?
Ökonom natürlich, und das schon ewig lange.

Die Frage stellt sich, weil Ihr Name vor allem im Zusammenhang mit Madonna, Angelina Jolie oder Bono genannt wird.

Die haben sich an mich gewandt, weil ich jahrzehntelange Erfahrung als Entwicklungsökonom habe. Der Beitrag dieser Leute zur Aufklärung der Öffentlichkeit und zu politischen Veränderungen zugunsten der armen Länder ist extrem wichtig.

Wie muss man sich das vorstellen? Ruft Madonna bei Ihnen an und sagt: Hallo Jeff, ich habe hier drei Millionen Dollar für die Waisen in Malawi, wohin soll ich die schicken?

Nein, diese Stars haben einfach gefragt, was sie gegen die extreme und massenhafte Armut tun können. Seitdem arbeiten wir intensiv zusammen. Bono versteht inzwischen mehr von den wirtschaftlichen Problemen in Entwicklungsländern als die meisten Finanzminister aus unseren Staaten, die das immer noch als Randthema ansehen.

Sie waren mit 28 Jahren einer der jüngsten Professoren an der Harvard-Universität. Woher rührt Ihr großer Ehrgeiz?

Ich war schon früh der Meinung, mit der richtigen Wirtschaftspolitik lasse sich das Leben der Menschen verbessern. Den ersten Anstoß dazu bekam ich, als ich 1972 einen Brieffreund in der DDR besucht habe. Ich war verblüfft, dass die Welt hinter dem Checkpoint Charlie so völlig anders war als auf der westlichen Seite. Mein Freund war ein glühender Befürworter des Sozialismus, und ich hatte ein Menge Fragen, als ich zurückkehrte. Die Geschichte wollte es, dass ich 17 Jahre später einer der führenden Berater bei der Frage war, wie man das ganze sozialistische System auflösen könnte.

Bei Ihrer Arbeit für Russland und andere osteuropäische Staaten wurden Sie als hartleibiger Marktradikaler berühmt. Sie setzten ausschließlich auf Liberalisierung, Privatisierung und den Verzicht von staatlichen Eingriffen in den Markt. Heute fordern Sie massive Staatsinterventionen auf den Märkten der Entwicklungsländer mit Steuergeldern der reichen Staaten. Sie haben Ihren Ansatz radikal geändert.

Die Antworten hängen doch von den Fragen ab. Wenn man eine Planwirtschaft auflösen will, dann muss man liberalisieren. Wenn man die Malaria bekämpfen will, dann bedarf es staatlicher Intervention. Mein angeblicher Meinungswandel ist eher das Problem der Leute, die das Thema nicht verstehen. Sie wollen, dass ein Ökonom immer die gleiche Antwort gibt. In Polen musste ich eine kollabierte Ökonomie wieder in Bewegung setzen. In Tansania suche ich nach einem Ausweg aus der Armutsfalle. Wenn man diese Wissenschaft ernsthaft betreibt, müssen die Lösungen dieser Probleme ja wohl verschieden aussehen.

Haben Sie selbst mal in Afrika gelebt?

Nein, aber ich reise seit zwölf Jahren sehr häufig dorthin und ich war von Beginn an schockiert über die maßlose Armut und vor allem über das Ausmaß an Krankheit, das die Menschen plagt. Der Zusammenhang zwischen Krankheit und wirtschaftlicher Entwicklung war bis dahin von der Mainstream-Ökonomie völlig vernachlässigt worden. Meine Studien führten zu dem Ergebnis, dass Afrika in einer Armutsfalle gefangen ist, deren Ursachen beseitigt werden können. Aber die Afrikaner können es nicht allein. Wir müssen ihnen die nötigen Investitionen finanzieren.

Immerhin hat Afrika in den vergangenen 60 Jahren mindestens 500 Milliarden Euro Entwicklungshilfe bekommen. Bilanz: Die meisten Projekte sind gescheitert. Was lässt Sie glauben, Sie wüssten es besser als all die Experten, die es bisher versucht haben?

Das ist eine irreführende Argumentation. Wenn man das Geld auf all die Jahre und die Bevölkerungszahl umrechnet, ist es in Wahrheit nur eine sehr bescheidene Summe. Außerdem war viel Geld, das da mitgerechnet wird, keine Hilfe zur Befreiung aus Armut, sondern Stützung von korrupten Alliierten im Kalten Krieg. Oder es war die Art von Hilfe – Hilfe in Anführungszeichen – , wie wir sie dem Irak gerade zukommen lassen.

Noch heute werden Entwicklungshilfegelder von korrupten Regierungen veruntreut. Spötter sagen, die Zahlung seien Steuergelder der Ärmeren in den reichen Ländern an die Reichen in den armen Ländern.

Das sind nur dumme Wortspiele für Denkfaule – und sie sind grausam. Fahren Sie in afrikanische Dörfer und sehen die Kinder dort sterben, dann reden Sie anders. Es ist vielfach bewiesen, dass mit wenig Geld viele Millionen Menschen vor dem Tod gerettet werden können. Wir reden doch nur über 0,7 Prozent unseres Einkommens, das nötig wäre. Wir verschwenden regelmäßig ein Vielfaches davon für irgendwelches triviales Luxuszeug oder unser Militär. Nur wenn es um die Armen geht, kennen wir plötzlich 1000 Gründe, warum wir es uns nicht leisten können, Moskitonetze gegen die Malaria, Hochertragssaatgut gegen die niedrigen Erträge oder lokale Brunnen gegen den Wassermangel zu den Leuten zu bringen.

Korruption ist für Sie nicht das Problem?

Nein! Es gibt längst erfolgreiche Methoden, wie man helfen kann, ohne die Korruption zu fördern. Wir haben bisher nur viel zu wenig Geld aufgebracht, das ist der eigentliche Grund für das angebliche Scheitern der Entwicklungshilfe. Diese ganzen falschen Argumente haben nur den Zweck, unser schlechtes Gewissen zu entlasten und den Menschen die Mär aufzubinden, wir würden ja so viel tun. Dabei ist es erbärmlich wenig! Wir haben seit 37 Jahren versprochen, dass wir unsere Zahlungen auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung steigern, aber wir haben es nie versucht. Oder hat Deutschland je diese Marke erreicht?

Bisher gibt die Regierung 0,32 Prozent.

Eben. Woher wollen Sie also wissen, dass Afrika seine fortwährende Armut selbst verschuldet hat, wenn das nötige Geld nie da war?

Schon jetzt bestreiten die Geberländer aber einen großen Teil der öffentlichen Ausgaben in vielen afrikanischen Staaten. Gerade afrikanische Kritiker warnen, dass dies die Menschen immer abhängiger mache. Sie würden vor allem zu den Töpfen der Helfer drängen, anstatt eigenen Unternehmergeist zu entwickeln und die eigenen Regierungen zu reformieren.

Das ist auch wieder so ein Scheinargument. Den meisten Afrikanern fehlt die Basis für jede Entwicklung: Sie benötigen mehr Nahrung, also brauchen sie besseres Saatgut und Dünger. Sie müssen die Massenkrankheiten Aids, Tuberkulose und Malaria unter Kontrolle bekommen, damit sie überhaupt gesund genug sind, um Unternehmergeist zu entwickeln, also brauchen sie Medikamente, Mediziner und Kliniken. Dazu müssen sie auch ihre Kinder ausbilden, also werden Schulen und Lehrer benötigt. Außerdem brauchen sie Elektrizität, damit sie Wasser pumpen können, bei Nacht Licht haben und Zugang zu den Kommunikationsnetzen bekommen. Die Hilfe, die ich meine, macht die Leute nicht abhängig, sondern versetzt sie erst in die Lage, produktiv zu werden. Diese Menschen kämpfen um ihr Leben. Und wir warnen: Oh, passt auf, ihr werdet abhängig! Das ist lächerlich.

Wie viel Geld wäre nötig, um Afrika aus der Armut zu befreien?

Zwischen 75 und 100 Milliarden Dollar im Jahr, etwa drei- bis viermal so viel wie bisher und das etwa zehn Jahre lang. Wir haben in der bisher gründlichsten Studie zum Thema im Auftrag des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan exakt aufgezeigt, wofür es benötigt wird. Und es ist wirklich nicht viel, gemessen an den 35 000 Milliarden, die die Volkswirtschaft in den reichen Ländern jährlich einbringt. Es geht um 0,3 Prozent, nur drei Tausendstel unseres Einkommens! Derzeit beläuft sich die Hilfe für ganz Afrika auf 25 Milliarden Dollar, das ist gerade so viel, wie die Investmentbanken der Wall Street ihren Angestellten vergangenes Jahr als Weihnachtsbonus ausgezahlt haben.

Noch mal: Was wollen Sie denn anders machen, als es die bisherigen Entwicklungsprojekte getan haben?

Das zeigen wir mit unseren 78 Millenniumsdörfern, die mein Institut und die UN mit privaten Spenden als Modellprojekte in zehn verschiedenen afrikanischen Staaten aufbauen. Dort investieren wir zunächst mal genügend Geld, um auch Erfolge zu erzielen, anstatt mal hier und mal da ein paar Dollars fallen zu lassen.

Das kostet …

… etwa 75 Dollar pro Kopf und Jahr, die direkt bei den Menschen in Form von Mineraldünger, Medizin oder Moskitonetzen ankommen. Wir haben schon im ersten Jahr unglaubliche Erfolge. Die Ernten vervielfachen sich, die Malariafälle gehen drastisch zurück, viel mehr Kinder gehen zur Schule.

Das ist nichts als klassische Entwicklungshilfe.

Alles ist schon mal gemacht worden, aber unser Ansatz integriert alle nötigen Maßnahmen in einem Vorhaben, anstatt hier mal einen Brunnen zu bohren oder dort eine Schule zu bauen. Wenn alles gleichzeitig gemacht wird, dann verstärken sich die Wirkungen gegenseitig. Gesunde Bauern arbeiten besser und ernten dann wieder mehr. Und satte Kinder werden seltener krank und lernen besser.

Mit 75 Dollar pro Kopf bezahlen Sie aber nicht die nötigen Straßen oder Kraftwerke.

Es ist immerhin schon mal doppelt so viel, wie üblicherweise zur Verfügung steht. Außerdem kommt hinzu, was die jeweiligen Regierungen selbst investieren. Später müssen wir gewiss auf das Dreifache kommen, aber das liegt alles im Rahmen dessen, was längst versprochen wurde. Unsere Modellprojekte können auf ganze Länder ausgedehnt werden. Kenia, Uganda, Mali und Ruanda wollen dies jetzt tun, und ich habe von den Staatschefs persönlich gehört, dass sie die G-8-Regierungen um die Finanzierung dieser Vorhaben bitten. Darum sage ich Deutschlands Finanzminister Peer Steinbrück und seinen G-8-Kollegen: Seht her, da könnt ihr ausprobieren, ob es geht. Tut endlich was!

Und was geschieht mit den Modelldörfern, wenn die ausländischen Berater nach fünf Jahren wieder verschwinden?

Wir arbeiten darauf hin, dass sie mit der Zeit auf marktgängige Früchte und Handwerksprodukte umstellen und so eigene Einkommen erwirtschaften können. Mit den Erlösen daraus können die Dörfer dann in Mühlen oder Biotreibstofffabriken oder Ähnliches investieren. Am Ende soll sich der Prozess selbst tragen.

Erfahrene Entwicklungshelfer sagen, es sei einfach, ein Dorf schnell voranzubringen, aber dies sei nie auf ganze Länder auszudehnen, weil es der Regierung dafür an Fachkräften und Kapazität mangele.

Diesen Defätisten mangelt es an Vorstellungskraft. Es geht doch nur um ganz simple Mechanismen wie zum Beispiel ein Gutscheinsystem für Saatgut und Dünger. Das haben wir in Malawi eingeführt, und die traditionellen Geberländer waren dagegen, mit der tollen Begründung, das wären ja Subventionen, obwohl doch bei uns Tausende von Dollar pro Farm gezahlt werden. Die Regierung in Malawi wollte aber ihre Leute nicht mehr verhungern lassen und hat es trotzdem gemacht. Das Ergebnis war die größte Ernte aller Zeiten – und Malawi ist nun ein Überschussland in einem Meer aus Hunger im südlichen Afrika. Die Kritiker vergessen auch die schon erzielten Erfolge. Die Pocken wurden doch nicht ausgerottet, weil in einigen Dörfern geimpft wurde, sondern weil das in allen Städten und Dörfern weltweit geschah.

Kritiker werfen Ihnen vor, die Ursachen der Armut zu vereinfachen, weil Sie die politische Realität ignorieren. So subventionieren die EU und die USA ihre Agrarproduktion, gegen diese niedrigen Preise sind Millionen afrikanischer Bauern auf ihrem Markt chancenlos. Und was ist mit dem Machtmissbrauch der regierenden Eliten, die sich nicht um die Armen in ihrem Land scheren wie etwa im ölreichen Nigeria?

Ich rate diesen Kritikern, die Welt genauer zu studieren. Unter denselben Bedingungen haben andere Länder ihre grüne Revolution durchgeführt oder ihr Stromsystem aufgebaut, sobald sie einmal die erste Stufe der Entwicklung erreicht hatten. Das einst so arme China hat viel erreicht …

… und das, weil China sich nie den Kreditbedingungen der Weltbank unterwerfen musste oder den Regeln der Welthandelsorganisation WTO, bevor die eigenen Fabriken wettbewerbsfähig waren.

Ja, diesen unsinnigen Ratschlägen mussten die Chinesen nie folgen. Darum versuche ich ja, endlich diese grauenhafte Politik zu ändern, die die Industriestaaten mit der Weltbank veranstalten. Seit 25 Jahren raten sie den Afrikanern, alles zu privatisieren, auch die staatlichen Landwirtschaftsdienste und Vermarktungsbehörden. Seit Jahrzehnten raten sie auch davon ab, Sonderwirtschaftszonen zu gründen. Also haben sie genau das verhindert, womit die Chinesen Erfolg hatten. Nur weil es nicht in ihre naive Lehrbuchlogik vom freien Markt passte, und das für Menschen, denen die einfachsten Grundlagen für Marktwirtschaft fehlten. Die Weltbanker hatten nur eine einzige Version für ihr Programm, das war die der „strukturellen Anpassung“. Das hat erwiesenermaßen nichts gebracht und wird trotzdem bis heute angewandt. Absurd.

Was nutzen steigende Agrarerträge, wenn dann die EU-Exporteure kommen, den Markt mit ihren künstlich verbilligten Produkten überfluten und den Bauern den Markt wegnehmen? In Senegal zum Beispiel haben die Billigtomaten, Milchpulver und Hähnchenteile aus der EU die mühsam aufgebaute heimische Nahrungsmittelproduktion beinahe zerstört.

Ich bin gewiss kein Freund der EU-Agrarpolitik, die zig Milliarden Euros verschwendet, doch für Afrika ist dies nicht das zentrale Problem. Afrikas Ökonomie ist wegen der Krankheitslast und des Mangels an Infrastruktur so unproduktiv, dass sie niemals aus sich heraus wettbewerbsfähig werden kann. Unsere Regierungen behaupten, Wettbewerbsfähigkeit sei eine Sache von Regierungsführung oder Privatisierung. Dabei kommt es doch darauf an, ob man Straßen und Strom hat. Denn ohne die kann man Waren nicht verarbeiten und vermarkten. Man kann nicht mal eine Pumpe zur Bewässerung der Felder betreiben. Darum war es unverantwortlich, als die G-8-Finanzminister jetzt wieder die Afrikaner mahnten, sie sollten ihre Haushalte ordentlich führen. Dieselben Minister haben beim G-8-Gipfel 2005 versprochen, die Zahlungen für Afrika bis 2010 zu verdoppeln, aber bis heute ist nichts geschehen. Und Afrikas Regierungen haben keinerlei verlässliche Angaben, mit welchen Zahlungen sie rechnen sollen. Und dann kommen diese Minister und beschuldigen wieder die Afrikaner. Das macht mich wütend!

Was erwarten Sie vom kommenden G-8-Gipfel?

Ich hoffe, die Politiker halten sich an ihre eigenen Beschlüsse. Alles andere ist pure Heuchelei und heißt, Millionen von Menschen sterben zu lassen, obwohl wir versprochen haben, dies nicht zu tun.

Interview: Harald Schumann und Norbert Thomma

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