Die schwarze Gewalt (Berliner Zeitung)
Die schwarze Gewalt
Wie es ein paar hundert militanten Randalierern in Rostock gelungen ist, eine friedliche Massendemonstration zu zerstören
Frank Junghänel
ROSTOCK. Es gibt ein Bild von dieser Kundgebung in Rostock, das am Tag danach nicht auf den Titelseiten der Sonntagszeitungen zu finden ist. Da steht eine vielleicht sechzigjährige Frau auf dem Festplatz am Stadthafen, wo gerade etwas passiert, das sie nicht begreifen kann; das viele nicht begreifen können, die an diesem Tag hierher gekommen sind, um gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zu protestieren. Die Frau in der Wetterjacke hält ihren riesigen roten Luftballon mit der Aufschrift "Illegitime Schulden streichen" in der Hand. Sie hält sich trotzig an ihm fest, da ihr alles andere, was sie von dieser Veranstaltung erhofft und erwartet hatte, in diesen Minuten entgleitet. Sie hat Tränen in den Augen und der Grund dafür ist nicht nur das Reizgas der Polizei, das in Schwaden über das Hafengelände zieht. Schwarz vermummte Gestalten, von denen hier niemand weiß, woher sie kommen und wer sie eigentlich sind, haben die Demonstration kaputt gemacht.
Es waren keine "gewaltbereiten Demonstranten", die die bis dahin friedfertige Zusammenkunft von einigen zehntausend Leuten sprengten - es waren überhaupt keine Demonstranten und schon gar nicht waren es Globalisierungskritiker. Es waren Gewalttäter. Diejenigen, die in Rostock für Aufruhr sorgten, hatten mit dem Protest gegen die Politik der acht führenden Industriestaaten nichts zu tun.
Sie tauchen plötzlich auf. Etliche von ihnen fast noch Kinder, viele Jugendliche, aber auch jüngere Erwachsene. Sie streifen sich ihre schwarzen Kapuzen über den Kopf, setzen dunkle Sonnenbrillen auf, ziehen schwarze Halstücher vors Gesicht. Auf offener Bühne verwandeln sie sich in Straßenkämpfer. Viele von ihnen tragen Rucksäcke, aus denen sie Pflastersteine holen, auch Brandflaschen. Andere haben Meißel und Brecheisen dabei, mit denen sie Gullideckel lösen und Mauerstücke heraushämmern. Die ersten halten Holzknüppel in den Händen, Fahnenstangen werden zur Waffe.
Dies alles vollzieht sich blitzschnell am Rande der Kundgebung, inmitten der Demonstranten, die sehenden Auges zum Statisten ihrer guten Absichten werden. Wer versucht, sich den Schwarzen in den Weg zu stellen, wird beiseite geschubst. Als es im Zug nicht mehr vorwärts geht, wird die Menge unruhig. Also alles zurück. Aber das geht auch nicht. Es gibt Geschiebe. Dann fliegen die ersten Steine. Ein Trupp Polizisten rennt vorbei, die Scheiben eines Schaukastens klirren, Sirenen heulen. Über dem Platz knattert ein Helikopter. Es ist der Sound, den niemand hören will.
Und es ist erst der Anfang.
Die Situation eskaliert am frühen Nachmittag, genau in jenem Moment, da sich die beiden Demonstrationszüge, die aus zwei Richtungen ins Rostocker Zentrum aufgebrochen sind, am Warnowufer treffen. Dort haben G8-Gegner aus Europa und Übersee für die Dauer des Heiligendammer Treffens ein Basislager eingerichtet, dort steht die Bühne für das Kulturprogramm, jeden Tag werden Bands aus allen möglichen Ländern spielen. Dort soll der Protest gegen G8 seinen fantasievollen Ausdruck finden. Doch was sich jetzt nahezu explosionsartig an diesem Ort entwickelt, ist für jene, die aus politischen Motiven angereist sind, ein Albtraum. Wohl niemand hatte mit einem solchen Ausbruch von Hass und Irrsinn gerechnet.
Die Polizei wird später davon sprechen, dass "zirka 3 000 militante Demonstrationsteilnehmer" für den Aufruhr verantwortlich seien. Die Beamten wurden von der Taktik der Autonomen offenbar überrascht. Diese müssen überwiegend einzeln und unauffällig nach Rostock gereist sein, um so den Polizisten bei deren Vorkontrollen durch die Maschen zu gehen.
Und wenn man sie sich in einer Kampfpause etwas näher betrachtet, sieht mancher von ihnen auf den zweiten Blick auch nicht so aus, wie man sich "Autonome" gemeinhin vorstellt. Da ist nicht nur der "Mob" unterwegs, wie ein Polizist seine maskierten Kontrahenten bezeichnet. Da gibt es welche, die in ihrem schwarzen Aufzug durchaus modebewusst wirken, sie tragen nagelneue Kapuzenjacken und topaktuelle Sonnenbrillen. Nach jedem Angriff finden sie sich in kleinen Stoßtrupps zusammen und werten die Lage aus. Sie wirken gut trainiert und scheinen genau zu wissen, was sie tun. Es sind auch junge Frauen dabei.
Was im Chaos endete, hatte vormittags relativ entspannt begonnen. Allzu beschwingt war die Stimmung jedoch von Anfang an nicht. Eine gewisse Nervosität lag in der Luft, nachdem bekannt wurde, dass der Aufzug der Neonazis in Schwerin verboten wurde. Einige rechneten damit, dass die Rechten nun nach Rostock kommen würden. "Wir fordern die Nazis auf zu verschwinden, sonst sorgen wir dafür", rief der Zugsprecher, als von Nazis rein gar nichts zu sehen war. Durchsagen wie diese sorgten nicht gerade für Beruhigung. Als sich dann vom Bahnhof aus fast zwanzig Marschblöcke der verschiedensten politischen Gruppen in Bewegung setzten, wurde bald klar, dass das, was so bunt und friedlich wirken sollte, von dem einigenden Gedanken der Globalisierungskritik recht lose zusammengehalten wurde.
Zwischen den einzelnen Sektionen der Demonstration rissen mitunter weite Lücken auf, immer wieder kam der Zug ins Stocken, mussten die Marschierer aus dem Führungswagen zu Sprechchören animiert werden. Zu der eigenartigen Atmosphäre dieser Veranstaltung trugen auch die äußeren Umstände bei. Aus Furcht vor Ausschreitungen hatten viele Geschäftsleute ihre Läden geschlossen und die Fenster mit Spanplatten vernagelt. So liefen die Demonstranten, die zum Teil von weither nach Rostock gekommen waren, durch eine gespenstige Szenerie. Die Stadt wirkte wie tot. Niemand reihte sich vom Straßenrand aus ein, die Rostocker blieben in ihren Häusern und beobachteten den Zug vom Wohnzimmer aus, sie filmten das Treiben vor der Tür mit ihren kleinen Kameras, nicht selten durch das geschlossene Fenster.
Aber wenigstens innerhalb der Gruppen wollte man sich den Spaß am Protestieren nicht nehmen lassen. Es gab kleine Theateraktionen, lustige Kostümierungen und viele, viele Flugblätter, die man aus Mangel an Laufpublikum untereinander verteilte. Zu einer ersten heiklen Situation kam es, als die Demonstration ein Luxushotel am Rande der Innenstadt passierte, in dem bereits ein Teil der US-Delegation für den Gipfel logiert. Das Haus ist weiträumig abgesperrt. Es war der einzige Bereich, in dem die Polizei demonstrativ auftrat. Ansonsten verhielt sie sich auffällig unauffällig. Die Demonstration zog ohne Probleme vorbei.
Bis dahin sah alles nach einem für alle Seiten erfreulichen Protestauftakt aus. Wie schnell und umfassend dann alles außer Kontrolle geriet und manch einer die Orientierung verlor, macht eine Ansage vom späten Nachmittag deutlich, als der Sprecher von der Haupttribüne rief: "Wir fordern die Polizei auf, das friedliche Fest zu verlassen."
Zu dieser Zeit sind die meisten Besucher schon vom Platz geflohen, zieht Qualm über den Hafen, brennen in den Straßen Autos, fahren Wasserwerfer auf, zählen die Polizisten die Verletzten in ihren Reihen. Mehr als vierhundert werden es am Ende sein. Die Innenstadt ist abgeriegelt. Man muss schon sehr weit vorn an der Bühne stehen, um nicht zu verstehen, dass das friedliche Fest längst ein Desaster ist. Das Konzert geht weiter. Zum Schluss spielen Wir sind Helden.
Doch Helden gibt es heute nicht.
Die, die ihr Gesicht nicht zeigen, haben den Kampf um die Bilder gewonnen. So viel ist jetzt schon klar, der Tag von Rostock, der in brutalen Straßenkämpfen endet, wird einmal die Erinnerung an jenes Gipfeltreffen von Heiligendamm prägen, das noch nicht einmal begonnen hat.
Berliner Zeitung, 04.06.2007
Wie es ein paar hundert militanten Randalierern in Rostock gelungen ist, eine friedliche Massendemonstration zu zerstören
Frank Junghänel
ROSTOCK. Es gibt ein Bild von dieser Kundgebung in Rostock, das am Tag danach nicht auf den Titelseiten der Sonntagszeitungen zu finden ist. Da steht eine vielleicht sechzigjährige Frau auf dem Festplatz am Stadthafen, wo gerade etwas passiert, das sie nicht begreifen kann; das viele nicht begreifen können, die an diesem Tag hierher gekommen sind, um gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zu protestieren. Die Frau in der Wetterjacke hält ihren riesigen roten Luftballon mit der Aufschrift "Illegitime Schulden streichen" in der Hand. Sie hält sich trotzig an ihm fest, da ihr alles andere, was sie von dieser Veranstaltung erhofft und erwartet hatte, in diesen Minuten entgleitet. Sie hat Tränen in den Augen und der Grund dafür ist nicht nur das Reizgas der Polizei, das in Schwaden über das Hafengelände zieht. Schwarz vermummte Gestalten, von denen hier niemand weiß, woher sie kommen und wer sie eigentlich sind, haben die Demonstration kaputt gemacht.
Es waren keine "gewaltbereiten Demonstranten", die die bis dahin friedfertige Zusammenkunft von einigen zehntausend Leuten sprengten - es waren überhaupt keine Demonstranten und schon gar nicht waren es Globalisierungskritiker. Es waren Gewalttäter. Diejenigen, die in Rostock für Aufruhr sorgten, hatten mit dem Protest gegen die Politik der acht führenden Industriestaaten nichts zu tun.
Sie tauchen plötzlich auf. Etliche von ihnen fast noch Kinder, viele Jugendliche, aber auch jüngere Erwachsene. Sie streifen sich ihre schwarzen Kapuzen über den Kopf, setzen dunkle Sonnenbrillen auf, ziehen schwarze Halstücher vors Gesicht. Auf offener Bühne verwandeln sie sich in Straßenkämpfer. Viele von ihnen tragen Rucksäcke, aus denen sie Pflastersteine holen, auch Brandflaschen. Andere haben Meißel und Brecheisen dabei, mit denen sie Gullideckel lösen und Mauerstücke heraushämmern. Die ersten halten Holzknüppel in den Händen, Fahnenstangen werden zur Waffe.
Dies alles vollzieht sich blitzschnell am Rande der Kundgebung, inmitten der Demonstranten, die sehenden Auges zum Statisten ihrer guten Absichten werden. Wer versucht, sich den Schwarzen in den Weg zu stellen, wird beiseite geschubst. Als es im Zug nicht mehr vorwärts geht, wird die Menge unruhig. Also alles zurück. Aber das geht auch nicht. Es gibt Geschiebe. Dann fliegen die ersten Steine. Ein Trupp Polizisten rennt vorbei, die Scheiben eines Schaukastens klirren, Sirenen heulen. Über dem Platz knattert ein Helikopter. Es ist der Sound, den niemand hören will.
Und es ist erst der Anfang.
Die Situation eskaliert am frühen Nachmittag, genau in jenem Moment, da sich die beiden Demonstrationszüge, die aus zwei Richtungen ins Rostocker Zentrum aufgebrochen sind, am Warnowufer treffen. Dort haben G8-Gegner aus Europa und Übersee für die Dauer des Heiligendammer Treffens ein Basislager eingerichtet, dort steht die Bühne für das Kulturprogramm, jeden Tag werden Bands aus allen möglichen Ländern spielen. Dort soll der Protest gegen G8 seinen fantasievollen Ausdruck finden. Doch was sich jetzt nahezu explosionsartig an diesem Ort entwickelt, ist für jene, die aus politischen Motiven angereist sind, ein Albtraum. Wohl niemand hatte mit einem solchen Ausbruch von Hass und Irrsinn gerechnet.
Die Polizei wird später davon sprechen, dass "zirka 3 000 militante Demonstrationsteilnehmer" für den Aufruhr verantwortlich seien. Die Beamten wurden von der Taktik der Autonomen offenbar überrascht. Diese müssen überwiegend einzeln und unauffällig nach Rostock gereist sein, um so den Polizisten bei deren Vorkontrollen durch die Maschen zu gehen.
Und wenn man sie sich in einer Kampfpause etwas näher betrachtet, sieht mancher von ihnen auf den zweiten Blick auch nicht so aus, wie man sich "Autonome" gemeinhin vorstellt. Da ist nicht nur der "Mob" unterwegs, wie ein Polizist seine maskierten Kontrahenten bezeichnet. Da gibt es welche, die in ihrem schwarzen Aufzug durchaus modebewusst wirken, sie tragen nagelneue Kapuzenjacken und topaktuelle Sonnenbrillen. Nach jedem Angriff finden sie sich in kleinen Stoßtrupps zusammen und werten die Lage aus. Sie wirken gut trainiert und scheinen genau zu wissen, was sie tun. Es sind auch junge Frauen dabei.
Was im Chaos endete, hatte vormittags relativ entspannt begonnen. Allzu beschwingt war die Stimmung jedoch von Anfang an nicht. Eine gewisse Nervosität lag in der Luft, nachdem bekannt wurde, dass der Aufzug der Neonazis in Schwerin verboten wurde. Einige rechneten damit, dass die Rechten nun nach Rostock kommen würden. "Wir fordern die Nazis auf zu verschwinden, sonst sorgen wir dafür", rief der Zugsprecher, als von Nazis rein gar nichts zu sehen war. Durchsagen wie diese sorgten nicht gerade für Beruhigung. Als sich dann vom Bahnhof aus fast zwanzig Marschblöcke der verschiedensten politischen Gruppen in Bewegung setzten, wurde bald klar, dass das, was so bunt und friedlich wirken sollte, von dem einigenden Gedanken der Globalisierungskritik recht lose zusammengehalten wurde.
Zwischen den einzelnen Sektionen der Demonstration rissen mitunter weite Lücken auf, immer wieder kam der Zug ins Stocken, mussten die Marschierer aus dem Führungswagen zu Sprechchören animiert werden. Zu der eigenartigen Atmosphäre dieser Veranstaltung trugen auch die äußeren Umstände bei. Aus Furcht vor Ausschreitungen hatten viele Geschäftsleute ihre Läden geschlossen und die Fenster mit Spanplatten vernagelt. So liefen die Demonstranten, die zum Teil von weither nach Rostock gekommen waren, durch eine gespenstige Szenerie. Die Stadt wirkte wie tot. Niemand reihte sich vom Straßenrand aus ein, die Rostocker blieben in ihren Häusern und beobachteten den Zug vom Wohnzimmer aus, sie filmten das Treiben vor der Tür mit ihren kleinen Kameras, nicht selten durch das geschlossene Fenster.
Aber wenigstens innerhalb der Gruppen wollte man sich den Spaß am Protestieren nicht nehmen lassen. Es gab kleine Theateraktionen, lustige Kostümierungen und viele, viele Flugblätter, die man aus Mangel an Laufpublikum untereinander verteilte. Zu einer ersten heiklen Situation kam es, als die Demonstration ein Luxushotel am Rande der Innenstadt passierte, in dem bereits ein Teil der US-Delegation für den Gipfel logiert. Das Haus ist weiträumig abgesperrt. Es war der einzige Bereich, in dem die Polizei demonstrativ auftrat. Ansonsten verhielt sie sich auffällig unauffällig. Die Demonstration zog ohne Probleme vorbei.
Bis dahin sah alles nach einem für alle Seiten erfreulichen Protestauftakt aus. Wie schnell und umfassend dann alles außer Kontrolle geriet und manch einer die Orientierung verlor, macht eine Ansage vom späten Nachmittag deutlich, als der Sprecher von der Haupttribüne rief: "Wir fordern die Polizei auf, das friedliche Fest zu verlassen."
Zu dieser Zeit sind die meisten Besucher schon vom Platz geflohen, zieht Qualm über den Hafen, brennen in den Straßen Autos, fahren Wasserwerfer auf, zählen die Polizisten die Verletzten in ihren Reihen. Mehr als vierhundert werden es am Ende sein. Die Innenstadt ist abgeriegelt. Man muss schon sehr weit vorn an der Bühne stehen, um nicht zu verstehen, dass das friedliche Fest längst ein Desaster ist. Das Konzert geht weiter. Zum Schluss spielen Wir sind Helden.
Doch Helden gibt es heute nicht.
Die, die ihr Gesicht nicht zeigen, haben den Kampf um die Bilder gewonnen. So viel ist jetzt schon klar, der Tag von Rostock, der in brutalen Straßenkämpfen endet, wird einmal die Erinnerung an jenes Gipfeltreffen von Heiligendamm prägen, das noch nicht einmal begonnen hat.
Berliner Zeitung, 04.06.2007
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