Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, May 31, 2007

Vom Junkie zum Ironman (FR)

Vom Junkie zum Ironman
Mit eisernem Willen
Andreas Niedrig lebte die Extreme: erst als Junkie, dann als Triathlet. Für den Extremsport ist er nicht mehr fit genug. Was kommt jetzt?
VON JÖRG HUNKE

Andreas Niedrig sitzt auf einer Wiese im Ruhrgebiet, trinkt einen Schluck Mineralwasser und schaut seinem Sohn Lorenz beim Fußballtraining zu. Nichts Ungewöhnliches für einen Vater, der seine Freizeit gerne mit seinem neun Jahre alten Sohn verbringt und sich für Sport interessiert. Bei Andreas Niedrig staunt man allerdings, denn der Lebenslauf dieses Mannes ließ nie viel Platz für die Familie, sein Leben verlief bisher so aufregend, dass Bücher darüber geschrieben wurden und sogar ein Kinofilm für das kommende Jahr geplant ist.

Andreas Niedrig war Junkie. Er hatte Probleme zu Hause, flüchtete sich in Drogen und nahm jahrelang, was er kriegen konnte. Hasch, LSD, Kokain, Heroin. Zwischenzeitlich war er so verzweifelt, dass ihm sein Leben gleichgültig war. An einem Tag saß er in einem Ford Fiesta, setzte sich einen Schuss und gab Vollgas. Der Wagen raste gegen einen Baum, Niedrig hatte Glück, überlebte. In seinem Buch hat er das Kapitel aus dieser Zeit "Ich hatte mehr Angst vor dem Leben als vor dem Tod" überschrieben. Dann, im November 1990, begann er eine Therapie, schaffte tatsächlich den Absprung und stürzte sich drei Jahre später in den Extremsport. Triathlon. Er schwamm bis zur Erschöpfung, fuhr Rad, bis die Muskeln schmerzten, und lief, bis ihm übel wurde. Triathleten absolvieren das Jahrespensum eines Gelegenheitssportlers an einem Tag. Wer einmal einen Wettkampf beendet hat, nennt sich gerne Ironman, Eisenmann. Niedrig wurde nicht nur einmal zum Eisenmann, er wurde einer der besten Triathleten der Welt, belegte 1998 in Hawaii, dem bedeutendsten Wettbewerb weltweit, den siebten Platz und wurde drei Jahre später beim Ironman-Europe in Roth Zweiter. Am Anfang seiner Sportkarriere wurde er umjubelt, weil er fast unbemerkt innerhalb von nur vier Jahren die Weltspitze erreicht hatte, aber bald gab es Gerüchte um seine Vergangenheit. Er stimmte einer Buchveröffentlichung zu, ein Freund von ihm schrieb über die Drogenkarriere. Die Medien stürzten sich auf Andreas Niedrig. Kerner, Beckmann, RTL - alle wollten ihn in ihren Sendungen haben. Für die TV-Küchenpsychologen war der Fall schnell klar. Triathlon ist nur die Ersatzdroge, Extremsport gleich Suchtverlagerung. Und selbst der Spiegel fragte besorgt: "Was, wenn er zu alt ist für seinen Sport?"

Das war vor sieben Jahren, inzwischen ist Andreas Niedrig 39 Jahre alt, damit noch nicht zu alt für den Sport, aber der Körper machte nicht mehr mit. Die Achillessehne am linken Bein war nach einer Operation so stark lädiert, dass sie mit zwei Schrauben fixiert werden musste. Er kann nur noch gelegentlich an Wettkämpfen teilnehmen, gewonnen hat er schon lange nicht mehr. Und trotzdem sitzt er an diesem sonnigen Nachmittag gut gelaunt auf dem Rasen eines Fußballplatzes in Marl und kebbelt sich mit seinem Sohn, als der zum Spielfeldrand läuft und aus der Wasserflasche trinken will.

Von Christiane F., der wohl bekanntesten deutschen Fixerin, weiß man, dass sie rückfällig wurde und noch immer Schwierigkeiten hat, im Leben klar zu kommen. Andreas Niedrig nicht. Seine Stimme ist fest und kraftvoll. Wie es ihm geht? "Gut", sagt er, "einfach gut."

Und dabei lässt sich nicht behaupten, der Mann habe nach seiner Therapie nur Glück gehabt, weil seine Frau ihm vergab, zu ihm zurückkehrte, als er clean war, und sein Vater ihm zeigte, wie faszinierend Ausdauersport sein kann. Es gab Rückschläge. Von kleineren, die ihn früher aus der Bahn geworfen hätten, spricht er nicht, aber über die, die für ihn neue Grenzerfahrungen bedeuteten. Als er durch seine sportlichen Erfolge und seine Auftritte im Fernsehen bundesweit bekannt geworden war und hoffte, mit seiner Popularität endlich viel Geld verdienen zu können, wollten die Sponsoren nichts mehr von ihm wissen. Wenn das Fernsehen über Andreas Niedrig berichtete, zeigten die Sender auch Bilder von Dealern oder Junkies, die sich in zugigen Hinterhöfen einen Schuss setzten. Die Verträge platzten. Von Preisgeldern allein konnte Andreas Niedrig auch nicht leben. Eine schwierige Situation.

Aber er gab trotzdem nicht auf, fand neue Sponsoren und hoffte endlich auf die ganz großen Erfolge. Bis zum nächsten Rückschlag vor vier Jahren. Die Verletzung an der Achillessehne, Operationen, Entzündungen, lange Zeit ging nichts mehr. "Ich hatte nie an einen Rückfall gedacht, doch in diesen Tagen verlor ich die Lust am Leben", schreibt er in seinem Buch. Aber er dachte nur daran, er tat es nicht. Warum nicht? "So'n bisschen clean geht nicht. Wenn man sich seinen Problemen nicht stellt, dann ist man irgendwann wieder dauerbreit." Wie hat er das Problem gelöst? "Ich habe gelernt, mich in schwierigen Momenten nicht zurückzuziehen, sondern mir helfen zu lassen. Ich bin auf Menschen zugegangen, die mir auch in schlechten Zeiten helfen wollten."

Seine Willenskraft ist beeindruckend. Nach der neunten Klasse hatte er die Hauptschule mit einem Notendurchschnitt von 4,5 verlassen, inzwischen hat er seine Fachoberschulreife mit einem Schnitt von 1,7 gemacht. Nach der Therapie verdiente er sein erstes Geld damit, als Aushilfskraft Steine zu sortieren, inzwischen berät er Unternehmen in der Krise und warnt Schulkinder bei Seminaren des Vereins für Arbeits- und Erziehungshilfe vor Drogen.

Die Sachen, sagt er, will er in Zukunft größer aufziehen, mehr Seminare geben. Und gerade ist die Produktion eines Kinofilms über ihn abgeschlossen worden, der Streifen wird im kommenden Jahr bundesweit laufen.

Aber fehlt ihm nicht manchmal der große Kick im Leben? Grenzerfahrungen? Popstars wie Keith Richards von den Rolling Stones prahlen beispielsweise mit ihrem Drogenkonsum. "Diese Leute können mich nicht beeindrucken. Ich weiß doch, wohin das führen kann." Und wie ist es, Junkies zu sehen? "Da entsteht eine Leere in mir. Ich würde gerne helfen, aber ich weiß, ein Junkie kann sich nur selbst helfen."

Zur Person
Andreas Niedrig (39) gehörte Mitte der 90er Jahre zu den weltbesten Triathleten und schaffte die Bestzeit für Triathlon-Einsteiger, die bis heute nicht unterboten wurde. Bekannt wurde er auch, weil er offen über seine Drogenvergangenheit spricht.

Das Buch
"Vom Junkie zum Ironman" hat Andreas Niedrig zusammen mit dem Kriminalpolizisten Jörg Schmitt-Kilian geschrieben, es ist im Heyne-Verlag erschienen.

Der Kinofilm,
in dem das Leben zwischen Drogen und Extremsport gezeigt werden soll, ist für das kommende Jahr geplant. Die Dreharbeiten wurden vor einigen Tagen auf Lanzarote beendet. Der Arbeitstitel des Films lautet "Ironman". Der Sportler wird von Schauspieler Max Riemelt ("Napola") verkörpert, Uwe Ochsenknecht spielt seinen Trainer.

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