Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, April 28, 2007

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Lucarelli
"In Italien dürfen Fußballer nur an Fußball denken"
2005 war der Stürmer des AS Livorno Torschützenkönig der Serie A, berühmt aber ist der 31-Jährige, "Kommunist von Geburt an", für seinen Kampf gegen rechte Gewalt. WELT ONLINE sprach mit Cristiano Lucarelli über Freikarten für Kinder, Che Guevara und den FC St. Pauli.

Foto: ANSA
Kommunist auf dem Fußballplatz: Cristiano Lucarelli
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Cristiano Lucarelli zählt zu den berühmtesten Fußballern Italiens. Einerseits trifft der 31-jährige Stürmer wie am Fließband, wurde 2005 Torschützenkönig der Serie A. Andererseits sorgt er abseits des Platzes für Aufregung: Lucarelli bezeichnet sich als „Kommunist von Geburt an“ und feierte ein Tor mit Che Guevara auf dem T-Shirt, weswegen er aus Italiens U21 flog. 2003 wechselte er trotz weitaus besserer Angebote zum AS Livorno, dem Klub seiner Heimatstadt, in die Zweite Liga, schoss den Klub nach 49 Jahren wieder in die Erstklassigkeit und blieb dem Verein bis heute treu. Lucarelli protestiert offen gegen den Neofaschismus in italienischen Stadien, gegen die befangene Sportjustiz und die Ignoranz der Funktionäre gegenüber den Fans. Über all dies hält der Italiener am Montag einen Gast-Vortrag am Londoner University College.
WELT ONLINE: Signore Lucarelli, hat Sie die Einladung zu dem Vortrag überrascht?
Cristiano Lucarelli: Ja, ich hätte nicht gedacht, dass so eine einfache Geschichte wie meine auch an einer Universität in London interessant sein kann.
WELT ONLINE: Dabei ist Sie doch sehr besonders.
Lucarelli: Es ist eine schöne Geschichte, weil ich es geschafft habe, meinen Lebenstraum zu verwirklichen und für den Verein meiner Stadt zu spielen. Dafür habe ich sehr viel Geld abgelehnt. Eine Seltenheit.
WELT ONLINE: Wissen Sie schon, was sie den Studenten erzählen?
Lucarelli: Ehrlich gesagt nicht. Auch, weil ich keinen großen Erfolg in der Schule hatte. Ich habe sie sehr früh abgebrochen, um Fußball zu spielen. Ich mache mir eher Sorgen, ob ich mit den Studenten mithalten kann.
WELT ONLINE: Welche Botschaft haben Sie denn?
Lucarelli: Der Rassismus muss viel stärker bekämpft werden. Es kann einfach nicht sein, dass es im Jahr 2007 immer noch rassistische Handlungen gibt, nicht nur in den Stadien, auch auf den Straßen, in den Städten.
WELT ONLINE: Sie können dazu beitragen, das zu ändern?
Lucarelli: Ich hoffe es, glaube es aber nicht. Ich bin klein, nicht wahr? Ich bin gegen Rassismus, gegen jede Art von Gewalt. Das sind die zwei Dinge, die ich im Leben am meisten hasse. Es ist klar, dass ich darüber in London reden werde, aber allein kann ich nichts machen. Das muss eine größere Bewegung sein.
WELT ONLINE: Sehen Sie sich als Vorbild für junge Spieler und Fans?
Lucarelli: Ich habe nicht den Anspruch, ein Fußballidol zu sein. Ich bin lieber ein Vorbild für Argumentationen außerhalb des Fußballs.
WELT ONLINE: Warum sind Sie erst mit 27 Jahren zu ihrem Traumverein Livorno mit seiner politisch linken Anhängerschaft gegangen?
Lucarelli: Zuerst, als ich klein war, hatte Livorno keine Fußballschule, ich musste also weggehen. Als ich Profi wurde, war Livorno viertklassig, zu weit unten. Als sie aber in die Serie B aufgestiegen sind, bin ich dorthin gegangen und wir haben die Meisterschaft gewonnen.
WELT ONLINE: Haben Sie wirklich die ganze Zeit auf Livorno gewartet?
Lucarelli: Ja, das ist immer mein Traum gewesen. In meinen Träumen ging es nie um Milan, Inter oder Juve. Ich habe immer von Livorno geträumt. Schon als kleiner Junge habe ich immer geweint, wenn Livorno mal wieder verloren hatte. Mein Vater war auch großer Livorno-Fan. Wenn er dann frustriert war, habe ich ihm immer gesagt: Bleib´ ruhig. Wenn ich groß bin, gewinnen wir Spiele und etwas Großes. Ich bin also immer mit dieser Idee aufgewachsen, auch für meinen Vater.
WELT ONLINE: Sie haben eine Ausnahmestellung im italienischen Fußball. Was sagen die Mitspieler bei Livorno dazu?
Lucarelli: Mein Bild wird sehr instrumentalisiert. Ich bin eigentlich ein ruhiger Mensch. Jetzt bin ich plötzlich eine berühmte Person, ohne das wirklich zu wollen. Ich habe sehr einfache Dinge getan, ich hätte nicht gedacht, dass ich dadurch so wichtig werden könnte. Unter den Mitspielern bin ich nichts Besonderes.
WELT ONLINE: Haben Sie das Gefühl, eine politische Mission im italienischen Fußball erfüllen zu müssen?
Lucarelli: Nein, die Politik interessiert mich nicht. Mich interessieren Ideale: Freiheit, Antirassismus, Gleichheit. Ich mag Che Guevara, weil er Ideale hatte, die mir gefallen. Die Politik von heute mag ich nicht, die vor 30, 40 Jahren hätte mir gefallen.
WELT ONLINE: Was denken Sie angesichts der Gewalt- und Rassismusprobleme im italienischen Fußball?
Lucarelli: Es wurden jetzt sehr harte Gesetze gemacht. Aber das hält die Leute vom Stadion fern. Ich hoffe, dass jetzt etwas gemacht wird, was die Leute in die Stadien zurückbringt. Man sollte Kindern gratis Tickets geben, die Stadien zur Hälfte mit Kindern füllen.
WELT ONLINE: Solche Gedanken machen sich nicht viele Fußballprofis.
Lucarelli: Und das ist falsch. Meiner Meinung nach hat ein Fußballer die Pflicht, an gesellschaftliche Probleme zu denken. Es ist aber auch so, dass ein Fußballer in Italien Probleme kriegt, wenn er an fußballferne Probleme denkt. Ich bin ein gutes Beispiel dafür. Ein Fußballer darf hier nur daran denken zu spielen, an nichts anderes. Deshalb sagen alle, sie verstehen nichts von Politik, weil das System es so wünscht.
WELT ONLINE: Wäre es dann nicht an der Zeit, Italien den Rücken zu kehren?
Lucarelli: Ich würde gerne noch mal ein Abenteuer in Europa erleben und in einer großen Mannschaft im Ausland spielen.
WELT ONLINE: Wie wäre es mit einer kleinen Mannschaft in Deutschland? Schon mal vom FC St. Pauli gehört? Gute Stimmung, kleines Stadion, linke Fans.
Lucarelli: Den Klub kenne ich. Die Fans sind Linke?
Schlagworte
AS Livorno Serie A Cristiano Lucarelli FC St. Pauli Rassismus WELT ONLINE: Ja, ein Teil des Mythos des FC St. Pauli ist in den Achtziger Jahren aus der Hamburger Hausbesetzerszene hervorgegangen.
Lucarelli: Das wusste ich gar nicht, da haben Sie mir wichtige Informationen gegeben.
WELT ONLINE: Falls Sie also Interesse haben, nach Deutschland zu wechseln ...
Lucarelli: ... weiß ich jetzt, dass es da einen Platz gibt, der gut zu mir passen würde.

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