Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, April 17, 2007

Eine politische Partie (Berliner Zeitung)

Eine politische Partie
Der Schachweltmeister Garri Kasparow ist es gewohnt, seine Strategie dem Herausforderer anzupassen. Jetzt trägt der Gegner Helm und Knüppel
Katja Tichomirowa

MOSKAU. Was zeichnet einen Schachspieler aus? Kreativität, Strategie und Logik, sagt Garri Kasparow, planvolles Vorgehen, die Fähigkeit zu diszipliniertem Denken und schließlich Freude am Zweikampf. Diese Fähigkeiten allein aber reichten nicht aus, es gehe darum, alles miteinander kombinieren zu können. Das Schachgenie sei eine Synthese aus verschiedenen Talenten. Garri Kasparow war ein Schachgenie. Er war es 25 Jahre lang und ist es vermutlich immer noch, auch nachdem er 2005 seinen Rücktritt als Profi erklärte. Er fühle, sagte er nach seinem letzten Turnier, dass es ihm mit 42 Jahren immer schwerer falle, eine Partie fehlerfrei zu spielen. Das Turnier hatte er gewonnen. Immer neue Herausforderungen hätten ihn so lange an der Spitze der Schachwelt gehalten, sagt er. "Wer sich nicht am Scheitelpunkt seiner Entwicklungskurve befindet, erkennt nicht, was noch alles auf ihn zukommt."

Seit dem Wochenende weiß Kasparow was ihn erwartet. Seine Gegner tragen jetzt Kampfanzüge, Helm und Knüppel und ihr taktisches Talent ist zweifelhafter Natur. Den Spezialkräften des Innenministeriums, die Garri Kasparow am Sonnabend auf der Straße verhafteten, genügt es, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Regeln bestimmen sie.
Es sollte ein Marsch derer werden, die nicht einverstanden sind, mit der Politik der russischen Führung, mit ihren Lebensumständen und mit ihren Möglichkeiten, das eine wie auch das andere zu ändern. Garri Kasparow hatte zu der Kundgebung aufgerufen. Sie wurde verboten. Wer sich damit nicht abfinden wollte, wurde von den Schlägertrupps der Spezialtruppe Omon nachdrücklich daran erinnert, wer über das Recht gebietet, sich auf Moskaus Straßen zu versammeln.

Politik habe in seinem Leben immer eine Rolle gespielt, sagt Kasparow. "Sie war ein wichtiger Teil meines Lebens. Als ich jung war, gehörte Schachspielen wie alles in der Sowjetunion zum politischen Leben. Mein Geschick hing von Bürokraten ab und mir war schon als Teenager klar, dass ich eine aktive Rolle in der Politik spielen muss, wenn ich mein Schicksal selbst bestimmen will."

Die Herausforderung ist für ihn nicht neu. Widerstandsgeist gehört zu den Talenten eines Spielers. Als Kasparow 1980 mit 17 Jahren den Titel eines Großmeisters verliehen bekommt, ist Anatoli Karpow die Nummer 1 im sowjetischen Schach. Der Weltmeister ist unantastbar. Der sowjetische Schachverband wünscht es so. Kasparow soll dem Weltmeister zuarbeiten. Doch er weigert sich. Er will Karpow herausfordern. Der Schachverband verwehrt es ihm. Er setzt sich durch. Das Spiel beginnt am 10. September 1984 in Moskau. Es endet im Jahr darauf, am 15. Februar, nach 48 Partien und über 300 Spielstunden, mit einem Abbruch der Begegnung. Der damalige Präsident des internationalen Schachverbands FIDE begründet den Abbruch mit der Sorge um die Gesundheit beider Spieler. Einen Sieger gibt es nicht. Kasparow protestiert. Die Partie wird wiederholt und Kasparow besiegt Karpow, mit 13:11. Er ist 22 Jahre alt und der jüngste Weltmeister in der Geschichte des Schachs. Es ist sein Kampf gegen Anatoli Karpow, gegen den sowjetischen Schachverband, und gegen die internationale Federation dieses Sports, der Kasparows Lebensgeschichte prägt. Seine 1987 erschienene Biografie trägt den Titel: "Eine politische Partie".

Kasparow hatte gewonnen, den Weltmeistertitel gegen Karpow und die politische Partie gegen die Funktionäre. Widerstände, Hindernisse inspirieren ihn. Wie anders hätte sich der Sohn eines deutschstämmigen Juden und einer armenischen Mutter durchsetzen sollen?

Kasparow wird 1963 als Garik Weinstein in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku geboren. Sein Vater, ein Ingenieur, und seine Mutter, eine Musiklehrerin, spielen beide Schach. Sein Vater erklärt ihm die Regeln. Als Fünfjähriger spielt Garik seine erste Partie gegen ihn und gewinnt. Sein Schachstil sei dynamisch und aggressiv, heißt es später. "Das entspricht meinem Naturell", sagt Kasparow. "Aber in den Kämpfen gegen Karpow musste ich lernen, ruhiger zu spielen, um zu überleben. Für die Opposition in Russland gilt das Gleiche. Wir müssen uns vorsichtig einigen und eine gemeinsame Plattform finden, um gegen einen beinahe übermächtigen Gegner zu überleben."

Widerstand und Anpassung - Kasparow erfährt und beherrscht beides. Als sein Vater stirbt, ist er sieben Jahre alt. Seine Mutter ändert den Familiennamen in Kasparow, die russifizierte Variante ihres Mädchennamens Gasparian. Sie will weder als Jüdin noch als Armenierin zu erkennen sein. Für Juden ist die Zahl der Studienplätze an sowjetischen Universitäten begrenzt. Es hilft, einen russischen Familiennamen zu tragen. Kasparow studiert Anglistik. Er sympathisiert mit dem neuen Generalsekretär Gorbatschow, bis die sowjetische Armee im Jahr 1990 in Auseinandersetzungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern eingreift. Der Konflikt endet in einem Gemetzel. Kasparows Familie muss Baku verlassen. Sie lebt seither in Moskau. Kasparow, zu diesem Zeitpunkt schon eine Legende, verurteilt das Vorgehen der sowjetischen Armee und empfiehlt dem Westen eine kritischere Haltung zu Gorbatschow.

1990 gehört er zu den Gründern der Demokratischen Partei. Als ihm die Streitereien um das Parteiprogramm zu viel werden, tritt er ein Jahr später wieder aus. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere und seiner Popularität. Die Politik muss warten. Das Genie Kasparow stellt sich anderen Herausforderungen. Er spielt Schach, zunächst gegen den von IBM gebauten Schachcomputer "Deep Thought". Kasparow gewinnt. Dann spielt er gegen das Nachfolgemodell "Deep Blue" und verliert. Zuletzt nimmt er es mit einer dritten Maschine auf, "Deep Junior", die Partie endet remis. Das nächste Projekt, 1999, ist noch ehrgeiziger: Kasparow gegen die Welt, ein Team aus vier jungen Schachtalenten und einem Großmeister, das seine Spielzüge im Internet vorschlägt und darüber abstimmen lässt. Die Begegnung endet nach vier Monaten und 62 Zügen mit dem Sieg Kasparows.

Gegen wen soll er nun noch antreten? Im Jahr 2000 trifft er auf seinen ehemaligen Schüler Wladimir Kramnik. Es ist sein letzter Weltmeisterschaftskampf. Kasparow verliert. Der Meister hat seinen Meister gefunden. Aber er spielt weiter. Noch 2004 glaubt er, dass dieses Jahr entscheidend für seine Schachkarriere werden könnte. Es ist das Jahr, in dem Wladimir Putin zum zweiten Mal zum russischen Präsidenten gewählt wird und das Jahr, in dem Kasparow gemeinsam mit anderen die Initiative "2008: Freie Wahl" gründet. Die russische Opposition befindet sich in Auflösung. Die demokratischen Parteien haben bei der vorausgegangenen Parlamentswahl sämtlich den Einzug in die Duma verpasst. Ihre Präsidentschaftskandidaten sind Staffage für eine "demokratische" Wiederwahl Putins. Ein Jahr später beendet Kasparow seine Schachkarriere und widmet sich fortan ganz der Politik. Am desolaten Zustand der russischen Opposition hat diese Entscheidung nichts geändert.

Die demokratischen Kräfte bringen kaum noch Anhänger auf die Straße, geschweige denn in die Institutionen. Auch Kasparows neue Initiative "Das andere Russland", ein Zusammenschluss aus mehreren Oppositionsbewegungen zählt kaum Anhänger. Im Dezember in Moskau waren es dreitausend. Kasparow brüllt an gegen den Lärm eines Hubschraubers, der über der Versammlung kreist: "Sie haben Angst vor uns!", schreit er und zeigt auf die dichte Reihe von Milizionären, die die Kundgebung am Majakowskij-Denkmal umschließt. "Wir brauchen ein anderes Russland!" wiederholt Kasparow beständig.

Doch nur wenige wollen das hören. Ob ihn die Apathie seiner Landsleute frustriere, hat man Kasparow gefragt. Er antwortete: "1968 haben gerade einmal sieben Aufrechte auf dem Roten Platz gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Prag demonstriert." Das klingt nach dem Mut eines ewigen Optimisten. Es bleibt Kasparow nichts anderes übrig, als weiter zu machen. "Die Straßenproteste sind das letzte vom Gesetz noch erlaubte Mittel, um Druck auf die Staatsmacht auszuüben", sagte er, nachdem ihn die Polizei am Sonnabend wieder frei gelassen hatte. Doch müssten die Gegner von Präsident Putin ihre Proteste effektiver organisieren und mehr Menschen aktivieren.

Die Teilnahme an Kundgebungen der Opposition ist risikoreich. Für die Demonstranten, für die Berichterstatter und für die Organisatoren erst recht. Im April wurden Kasparows Büroräume vom Geheimdienst durchwühlt, seine Assistentin wurde verprügelt.

"Einschüchterungsversuche", sagt der Bürgerrechtler. Ihre Wirkung verfehlen diese Drohungen nicht. Kasparow ist gewarnt, spätestens nach dem Mord an Anna Politkowskaja. Er lässt sich von Leibwächtern begleiten. Trotzdem glaubt er, dass auch er seinen Gegner beeindruckt: "Das Regime wird zunehmend nervöser, je näher die Wahl im nächsten Frühjahr rückt."

Als er am Sonnabend verhaftet wird, ruft er in die Mikrofone der Journalisten: "Sagen Sie Ihren Führern im Westen, dass dieses Regime kriminell ist." Sein Selbstvertrauen hat er nicht eingebüßt: Im Autobus, der Kasparow und ebenfalls inhaftierte Journalisten quer durch Moskau kutschiert, gibt er per Handy dem Radiosender Echo Moskwy ein Interview und sagt: "Der Intelligenzquotient in unserem Autobus ist ziemlich hoch." Gegen Parteien- und Versammlungsverbote würden nur intelligente Lösungen helfen. Zudem, sagt Garri Kasparow, gebe es niemals nur eine Variante, zu gewinnen. "Man muss seine Strategie den Umständen anpassen."

Berliner Zeitung, 17.04.2007

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