Knaller an der Zeitungsfront

Monday, April 02, 2007

"Dies war eine letztmalige Sache" (frankfurter rundschau)

"Dies war eine letztmalige Sache"
VON JÜRGEN AHÄUSER (MÜNCHEN)

Es ist etwas schiefgelaufen bei diesem Boxevent. Die Chance auf den Friedensnobelpreis haben die Hauptdarsteller verspielt. Auch waren Henry Maske und Virgil Hill bis kurz vor Mitternacht auf gutem Wege, die neuen Stars für eine bessere, vor allem fittere Welt zu werden. In den Arztpraxen hätten Kassen- wie Privatpatienten bunte Infobroschüren mit der nicht mehr zu widerlegenden Schlagzeile "Boxen ist gesund" gefunden. Neidisch, wie es am Samstagabend fast 16 Millionen Fernsehzuschauer taten, hätten Heerscharen von fettleibigen Männern und Frauen auf das Titelblatt mit den beiden makellos austrainierten Körpern geblickt. Mitte vierzig und solche Körper. Hill hat in vier Wochen München mehr als 20 Kilo abgespeckt, und Maske schön an Muskeln zugelegt. Bravo! Doch der Sieger und der Verlierer der prachtvoll vom Unterhaltungssender RTL in Szene gesetzten Revanche haben etwas falsch gemacht. In der achten Runde der ganz privaten Auseinandersetzung zwischen dem liebstem Boxer der Deutschen und dem Afro-amerikanischen Saubermann, der mit sehr buntem, indianischem Kopfschmuck in die Arena marschiert war, floss in der Münchner Olympiahalle Blut.

Dass der Saft spritzt, gehört eigentlich zum Boxgeschäft dazu. Doch im Falle des so freudvoll erwarteten Wiedersehens nach zehn Jahren hatte selbst diese blutige Aktion nichts mit Boxen zu tun. Die beiden 43 Jahre alten Männer waren unglücklich mit den Köpfen aneinandergerasselt. Das brachte Hill eine klaffende Kopfwunde und Maske eine Verwarnung ein. Der Punktabzug hinderte die Herren Matteo Fratini (Italien), Dasan Hecko (Tschechoslowakei) und Roger Tillemann (Belgien) aber nicht daran, ein in dieser Klarheit wundersames Urteil (117:110, 116:113, 117:110) zugunsten des Bulletenverkäufers aus Frankfurt/Oder zu fällen. Zu dieser Zeit keimte bei den Fliege und schwarzes Tuch tragenden Juroren wahrscheinlich noch die Hoffnung, dass es schon bald im Box-Paradies Deutschland wieder einen so schönen Abend geben könnte - inklusive S-Klassen-Fahrservice von der Nobelherberge zur Olympia-Arena und zurück.

Champion als glücklicher Verlierer

Beseelt von ähnlicher Perspektive und der Aussicht, in Bismarck (North Dakota) möglichst bald wieder in Dollarscheinen baden zu können, gab der fünffache Weltmeister Hill im Ring einen sehr freundlichen Metzger, der keinen Moment daran dachte, die Kuh zu schlachten, die doch noch so viel Milch geben sollte. Später gab der Champion einen so noch nie gesehenen, überaus glücklichen Verlierer. Und dies obwohl er seinen Weltmeistertitel verlieren wird, falls die WBA ihre eigenen Regeln ernst nimmt. Maske ("es ist einfach wunderbar") bleibt so oder so nur der gefühlte Titel. Immer wieder bat der noch amtierende WBA-Weltmeister im Cruisergewicht höflich in Richtung Maske lächelnd darum, dass der Deutsche ihm nun dieselbe Chance einräumen möge, die er dem Boxpensionär auch gegeben habe. "Ich hoffe auf eine Revanche." Es war kurz vor 1.30 Uhr, als der Triumphator mit gerade frisch zurückgewonnenem Seelenfrieden, die Aktie "Boxen mit Maske" ins bodenlose stürzen ließ. Es war nach vielen mehr oder weniger deutlichen Ausweichbewegungen einer jener verschwurbelten Sätze, mit denen der "Gentleman" gerne seine Zuhörer anstrengt: "Dies war eine letztmalige Sache." Mehr mochte der schon einmal wortbrüchig gewordene Wiederkehrer nicht sagen. Mal schauen, wie viel hinhaltenden Widerstand die Gerüchten zu Folge trotz der drei Millionen Euro Gage nicht mehr so prall gefüllte Geldbörse des Wahl-Kölners zu leisten im Stande ist.

Weil das Sein nach wie vor das Bewusstsein bestimmt, feierten Show- und Boxgrößen den Sieg von Maske als sensationelles Comeback. Gewohnt geschmeidig blendeten von Heiner Lauterbach bis zu den Klitschko-Brüdern alle aus, dass es sich doch wohl um eine seltsame Sportart handeln muss, in der ein sich mit allerlei Turn- und Laufübungen gewiss sehr fit haltender Unternehmer es schafft, den amtierenden Weltmeister zu schlagen - ohne ihn allerdings wirklich zu treffen. Schwergewichtsweltmeister Wladimir Klitschko war es bei dem ganzen gefühlduseligen Brimborium gar so warm ums Herz geworden, dass er Henry Maske "beinahe auf eine Stufe mit der Ikone Max Schmeling" stellte. "Henry hat Sportgeschichte geschrieben."

Eine Art Halbkontakt-Zweikampf

Ein tatsächlich seltsames Märchen, welches sich ganz im Gegensatz zur gewöhnlichen Intention des Boxens in den ersten vier Runden im einvernehmlichen Motto widerspiegelte, dem anderen bloß nicht wehzutun. Später wandelten Maske und Hill ihr Gesundheitsboxen in eine neue Art des Halbkontakt-Zweikampfes um. Richtig Aua gab es nur in besagter achter Runde. Kurz zuvor hatte das in extremer Feierlaune befindliche Publikum auch bemerkt, dass es sich bei dem Jung-Seniorentreffen möglicherweise um alles Mögliche handelt, nur nicht um einen Boxkampf.

Die gellenden Pfiffe jedenfalls haben Maske und Hill in den letzten Runden noch einmal aufgeweckt. Es blieb bei allem quirligen Bemühen aber weiterhin ohne nachhaltige Wirkung. Das wegen der Klarheit des Urteils zunächst hörbar irritierte Publikum, entschied sich nach kurzem Pfeifen dafür, sich die Feierlaune nicht durch Grübeln über das Gesehene verderben zu lassen. 12 500 feierten ihren Helden. Der räumte immerhin ein, dass es für die Zuschauer sicher anstrengend gewesen sei, "ich bitte aber um Verständnis für mein strategisches und filigranes Vorgehen".

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