Knaller an der Zeitungsfront

Friday, March 09, 2007

Der Urknall (Berliner Zeitung)

Der Urknall
Dem Stürmer Roy Makaay reichen elf Sekunden, um die Titelträume des FC Bayern zu nähren
Boris Herrmann

MÜNCHEN. Elf Sekunden, da bleibt nicht viel Zeit, um Großes zu vollbringen. Die Schauspielerin Ellen Burstyn wurde einmal für eine elfsekündige Nebenrolle mit einer Emmy-Nominierung belohnt. Das schaffen nur Menschen, die in der Lage sind, ihre Fähigkeiten zu bündeln. Menschen wie Roy Makaay. Man wird den Niederländer künftig in einem Atemzug mit Ellen Burstyn nennen müssen für sein Tor beim 2:1-Sieg gegen Real Madrid, dessen Überraschungseffekt dem Urknall in nichts nachstand.

Allein für die Tatsache, dass er sich zu gegebener Sekunde bereits an der Strafraumkante eingefunden hatte, gebührt Makaay Respekt. Er hatte seine Intuition und seine Sprintstärke beizeiten gebündelt und war vors Tor der Madrilenen gewetzt. Kaum dort angekommen, flog ihm auch schon eine Flanke des Kollegen Hasan Salihamidzic vor den Fuß, die er mit dem rechten Innenrist im linken unteren Eck verstaute - zum schnellsten Tor der knapp 15-jährigen Geschichte der Champions League. Aber auch die Spanier waren in den ersten elf Sekunden nicht untätig. Sie hatten bis dahin bereits einen Anstoß ausgeführt, auf Gago zurück gegeben, einen Querpass auf Roberto Carlos gespielt und den Ball vertändelt.

Reise nach Jerusalem

"Das war ein schönes Tor", sagte Salihamidzic mit gewissem Recht, die Verwandtschaft von Schönheit und Geschwindigkeit vorausgesetzt. Und Bayerns Innenverteidiger Daniel van Buyten fügte an: "Ich glaube, das hat sehr gut angefangen." Das kann man wohl sagen. Vor allem, wenn man nicht Fabio Capello heißt und Real Madrid trainiert. Ganz der italienischen Fußballtradition verpflichtet, hatte er einen Doppelriegel, bestehend aus vier Verteidigern und drei verteidigenden Mittelfeldspielern, aufgeboten. Sein Plan war es offensichtlich, ein 0:0 über die Zeit zu retten, das Real Madrid zur Qualifikation für das Viertelfinale gereicht hätte. Nach elf Sekunden war der Plan hinfällig. Der Blitztorrekordler Makaay freute sich nicht schlecht darüber, "dass Capello mit dieser Aufstellung keine Chance hatte". Der Coach selbst sagte später kleinlaut: "Ich habe eben gedacht, dass es eine gute Idee ist." Gute Ideen hatte aber schon lange keiner mehr bei Real Madrid. Deshalb steht der FC Bayern auch im Viertelfinale - und nicht etwa weil die Mannschaft dort zwingend hingehört. Nationalverteidiger Philipp Lahm, dem der Teilerfolg offenbar nicht zu Kopf gestiegen war, sagte: "Wir sind jetzt nicht gleich der Titelfavorit. So schnell geht das nicht. Vor ein paar Wochen waren wir noch ganz unten.

Die Bayern tun gut daran, sich nicht zu lange auf dem Sieg auszuruhen. Sie sollten sich fragen, weshalb es so lange dauerte, bis der Verteidiger Lucio das 2:0 erzielte (66.), weshalb sie danach trotzdem noch einmal zittern mussten und weshalb es allmählich zum Leitmotiv ihrer Spiele wird, dass sie scheinbar sichere Siege noch fast aus der Hand geben.

Diesmal hatte selbstredend auch Schiedsrichter Lubos Michel seinen Anteil, der sich in der 83. Minute zum Dramaturgen des Tages aufschwang, als er nach einem Schwächeanfall von Robinho auf Elfmeter entschied. Bevor allerdings Ruud van Nistelrooy zum 1:2 verkürzen konnte, schwächten sich die Münchner erst einmal noch selbst. Chef-Aggressor Mark van Bommel handelte sich einen Feldverweis ein, der so überflüssig war, wie Schwimmwesten auf einem Flug von Berlin nach München. Es erinnerte stark an das beliebte Spiel Reise nach Jerusalem, wie er mit Diarra um den besten Platz am Strafraum rangelte, nachdem ihn der Referee bereits verwarnt hatte. So musste Van Bommel untätig von außen zuschauen, wie Madrids Sergio Ramos kurz vor dem Ende noch ein Tor erzielte, das Madrid ins Viertelfinale gebracht hätte, aber wegen Handspiels nicht gegeben wurde. Verständlich, dass Van Bommel später PR in eigener Sache betrieb und herausstellte: "Das Tor zum 2:3 in Madrid war unheimlich wichtig, sonst wären wir heute rausgeflogen."

Roy Makaay war etwas ganz anderes wichtig. Er sagte laut und deutlich: "Real Madrid hat auch mal die Champions League gewonnen, als sie nur Vierter oder Fünfter in der Primera División wurden."

Berliner Zeitung, 09.03.2007

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