Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, March 07, 2007

Gefährliche Recherche (Frankfurter Rundschau)

Gefährliche Recherche
VON FLORIAN HASSEL (MOSKAU)

Es war eine Resonanz, wie sie sich ein Journalist nur wünschen kann. Am 12. Januar 2005 veröffentlichte Iwan Safronow, Militärexperte der Moskauer Tageszeitung Kommersant, zusammen mit Kollegen einen Artikel über geplante Lieferungen russischer Iskander-E-Raketen (im Nato-Jargon SS-26) an Syrien. Die Veröffentlichung sorgte für einen internationalen Skandal.

Israels Premier Ariel Scharon und US-Präsident George W. Bush protestierten bei Präsident Wladimir Putin gegen die Lieferungen der von mobilen Basen abschießbaren, manövrierfähigen Raketen, die einen 400 Kilo schweren Sprengkörper mit 10 bis 30 Metern Genauigkeit über 280 Kilometer ins Ziel transportiert. Syrien könne damit jeden Punkt Israels erreichen. Schließlich verkündete Putin bei einem historischen Israel-Besuch am 28. April 2005: "Ich habe mein Veto gegen das Geschäft eingelegt."

Die letzten Tage Safronows

Doch der brisante Deal - und nicht nur dieser - war damit möglicherweise nur aufgeschoben. Am Dienstag veröffentlichte der Kommersant eine Rekonstruktion der letzten Wochen Iwan Safronows, der am vergangenen Freitag bei einem zweifelhaften Sturz aus dem Fenster starb. Mitte Februar bereitete sich Safronow auf die Waffenmesse Idex-2007 in den Vereinigten Arabischen Emiraten vor. Dort wollte er eine ihm zugespielte, brisante Information überprüfen, sagte er seinen Vorgesetzten: dass Russland Syrien hochmoderne Kampfflugzeuge vom Typ SU-30 verkaufen wolle, die vor allem nach China und Indien exportiert werden und eine Reichweite von 1500 Kilometern haben. Außerdem wolle Moskau dem Iran moderne S-300-W-Raketen verkaufen, die der Abwehr von Flugzeugen, Marschflugkörpern und Mittelstreckenraketen dienen.

Damit westliche Länder den Kreml nicht wieder der Aufrüstung des syrischen und des iranischen Regimes beschuldigen könnten, sollten die Waffen über Weißrussland geliefert werden, so Safronows Informant. Nach mehreren Tagen Recherche auf der Idex-Waffenmesse in Abu Dhabi rief Safronow die Redaktion an: Er habe die Bestätigung für den explosiven Deal. Nach seiner Rückkehr nach Moskau werde er einen entsprechenden Artikel schreiben. Doch nachdem Safronow am 24. Februar nach Moskau zurückkam, meldete er sich erst einmal wegen starker Magenschmerzen krank. Der Militärspezialist ging zum Arzt, arbeitete aber von zu Hause weiter und half Kollegen, die ihn telefonisch um Rat fragten.

Am 27. Februar ging der immer noch krankgeschriebene Safronow zu einer Pressekonferenz - und erzählte dort Kollegen, er habe nicht nur die Bestätigung für die geplanten Deals: Russland und Syrien hätten bereits weitere Waffenverträge unterschrieben. Moskau habe sich verpflichtet, Damaskus das mobile hochmoderne Panzyr-S1-Luftabwehr-System für Nahziele aller Art (SA-19) sowie MiG-29-Jagdflugzeuge zu liefern - und endlich auch die ersehnten Iskander-E-Raketen. Das Panzyr-S1-System wird bereits an die Emirate geliefert, und auf der Messe in Abu Dhabi orderte offiziell auch Jordanien etliche Systeme.

Den fälligen Artikel indes wollte Safronow noch nicht schreiben. Seinen Kommersant-Kollegen sagte der Militärspezialist, er sei gewarnt worden, dass eine Veröffentlichung für einen neuen Skandal sorgen werde. Der Inlandsgeheimdienst FSB werde in diesem Fall ein Strafverfahren wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen einleiten und einen solchen Prozess "bis zum Ende bringen", sei ihm gedroht worden. Am gleichen Tag rief Safronow nochmals in der Redaktion an und kündigte an, er werde zumindest einen Artikel über die geplanten Waffenlieferungen über Weißrussland durchtelefonieren. Dies geschah nicht mehr. Drei Tage später war Iwan Safronow tot. Angeblich fiel er aus einem Treppenhaus-Fenster im fünften Stock seines Wohnhauses.

Seit 1994 starben 214 Journalisten

Russlands Verteidigungsministerium lehnte gegenüber der FR einen Kommentar zu den angeblich unterschriebenen Verträgen mit Syrien und dem Iran ab. "Wir sind nicht zuständig für Waffenverträge mit anderen Ländern." Die dafür zuständige staatliche Waffenexportagentur Rosoboronexport wollte die Verträge weder bestätigen noch dementieren. "Wir kommentieren keine Verträge mit Kunden." Die Moskauer Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall Safronow wegen des Verdachts auf Selbstmord.

Die russische Journalisten-Gewerkschaft kündigte am Dienstag eine eigene Untersuchung zum Tod des Kommersant-Kollegen an. Seit 1993 seien in Russland 214 Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs ums Leben gekommen, sagte Generalsekretär Iwan Jakowenko. "Wir sind (weltweit) auf dem zweiten oder dritten Platz hinter Kolumbien und vielleicht dem Irak. Nicht ein Fall eines gestorbenen Journalisten ist in unserem Land wirklich aufgeklärt worden."

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