Die Mülltaucher (Tagesspiegel)
(06.03.2007)
Die Mülltaucher
Ihr Essen holen sie aus Berlins Abfalltonnen – aber nicht, weil sie arm sind.
Über ein Leben gegen den Wegwerfwahn
Von Johannes Gernert
Nachdem er das erste Mal auf einem Brotberg herumgeklettert war, hat Batti geweint. Er fuhr vom Hof der Fabrik, wo der Container stand, an den geparkten Lastwagen vorbei, und wollte nur noch nach Hause. Am Gepäckträger hing der Beutel mit den Brotlaiben. Er begriff das einfach nicht: Wie konnten sie das alles nur wegschmeißen? Das gute Brot.
An diesem Wochenende ist er wieder in den Container geklettert, um Brot zu besorgen. Er steht auf einem Hügel voller Backwaren – auf Weißbrot, Schwarzbrot, Körnerbrötchen, süßen Teilchen. Batti, 25 Jahre alt, Wollpulli, sorgfältig rasierter Bart, will seinen richtigen Namen lieber nicht nennen. Die Polizei reagiert in der Regel zwar nur träge auf Müllsucher wie ihn. Aber ob der Abtransport von Ausschuss nun Diebstahl ist oder nicht, ist nicht abschließend geklärt, und Batti will lieber kein Risiko eingehen. Die Plane über dem Container ist dreckig, die Wände sind schwarz verschmiert. In der Ecke liegt ein Teighaufen. Es riecht vergoren, aber die Brotlaibe sehen frisch und appetitlich aus. „Der hier ist vielleicht ein bisschen zu braun“, sagt Batti. Es kann sein, dass andere vom Band gefallen sind und aussortiert wurden. Möglicherweise waren sie eine Idee zu schwer, zu leicht oder zu eckig. Er weiß, dass es Standards gibt für Gewicht, Form, Farbe, dass der kleinste Makel das frische Brot zu Müll macht. Und genau das will Batti nicht hinnehmen. Deshalb isst er den Müll. Er ernährt sich von dem, was die Brotfabrik, was die Supermärkte wegwerfen.
In seiner Wohngemeinschaft machen das inzwischen fast alle so und in vielen anderen WGs, die er kennt, auch. Sie nennen es „containern“, weil sie das Essen aus Containern holen. In etlichen deutschen Städten öffnen Menschen abends die Tonnen der Supermärkte und nehmen sich, was sie für essbar halten. Manche machen das seit zehn oder 15 Jahren. Aber erst jetzt gehen immer mehr von ihnen mit Internetseiten an die Öffentlichkeit. Seit Anfang des Jahres berichten Aktivisten auf verschiedenen Container-Blogs, zum Beispiel bei „container.blogsport.de“, von ihren Streifzügen. In Amerika nennen sich Gleichgesinnte „Dumpster Diver“, also Mülltaucher, oder „Freegans“ – freie Veganer. Sie ernähren sich von Obst und Gemüse aus Supermarktabfällen. In New York organisieren sie für Neueinsteiger sogar Führungen an den Müllsäcken von Märkten entlang. Oft haben sie Arbeit, eine Wohnung im bürgerlichen Viertel und nicht selten ein festes Einkommen. Sie wühlen nicht im Abfall, weil sie arm sind, sondern weil sie gegen eine Konsumkultur protestieren wollen, die sich einen solchen Wegwerfwahn leistet.
Auch Batti könnte sich Essen kaufen. Aber das möchte er nicht. Auf seinen Touren greift er in Tonnen, die dreckig sind und verwest riechen. „Das ändert meine Wertschätzung für das Essen aber nicht“, sagt Batti. Er zieht keine Plastikhandschuhe über wie andere. Er fasst einfach rein, es kostet ihn keine Überwindung.Als er seiner Mutter erzählte, wie er seine Lebensmittel besorgt, ist sie zu einem Supermarkt gegangen und wollte sich die Container ansehen. Seine Großmutter, die im Krieg Mangel erlebt hat, findet gut, was ihr Enkel macht. „Wenn es um Sparsamkeit geht, sind wir einer Meinung“, sagt Batti. Für seine Eltern hat er schon Gemüse aus der Tonne gekocht – und sie haben es gegessen.
Batti lebte in Dortmund in einem Elternhaus mit „vollem Kühlschrank, fettem Fernseher, vier Personen und fünf Autos“. Als er dann in Berlin studierte, fing er an, über diesen Überfluss nachzudenken. Er beschloss, von möglichst wenig Geld zu leben. Er hörte von Leuten, die sich ihr Essen aus Containern holen. Batti hat sich das gemerkt und es dann auch gemacht.
Der junge Mitarbeiter im grünen Polo-Shirt steht am Hinterausgang des Supermarkts, Fuß in der Tür, macht Pause, raucht und telefoniert. Batti sagt leise „hallo“. Der Junge nickt kaum. Batti nimmt sich eine Holzkiste und öffnet nacheinander alle drei blauen Tonnen, die in der Ecke stehen. Zügig packt er ein Netz mit Orangen, eine Packung Tomaten, Kartoffeln, Chicorée, einen Topf Kräuter, Kohlrabi, eine Papaya, einen Kopfsalat und eine Sternfrucht in die Kiste. Der Junge tritt die Zigarette aus und lässt die Tür hinter sich zufallen. Nicht alle Mitarbeiter sind so gleichgültig. Manche sehen Batti verächtlich an. Andere zerstechen Jogurtbecher, kippen Flüssiges oder Matschiges oben auf den Abfall oder bringen „Vorsicht Rattengift“-Schilder an.
Wie fast alle Container-Aktivisten lässt Batti leicht Verderbliches liegen. Das heißt: keine Eier, kein Fleisch, kein Fisch. Nur einmal hat er sechs Packungen Sushi mitgenommen, die am selben Tag abgelaufen waren. Die schmeckten noch. Pilze nimmt er auch nie mit, die seien schon im Supermarkt oft nicht mehr genießbar, hat er gelesen. Bei Schimmel entscheidet er von Fall zu Fall.
Nudeln, Reis, Salz, Milch und Eier kauft seine WG beim Ökobauern oder im Biogroßhandel. Nur an Brot mangelt es nie, Battis Brotberge werden nie kleiner. Es gibt darüber auch einen Kinofilm, der Batti und vielen seiner Freunde als Argumentationshilfe dient. Der lief erst vor kurzem, hieß „We feed the world“ und dokumentiert die Absurdität globaler Nahrungsmittelproduktion. Unter anderem zeigt er, dass Wien Tag für Tag so viel Brot wegschmeißt, wie Graz verbraucht. Wie viele Lebensmittel von deutschen Supermärkten weggeworfen werden, steht in keiner Statistik. Nur so viel: Im Jahr 2005 gaben Märkte dem „Bundesverband Deutscher Tafeln“ 100 000 Tonnen Lebensmittel, die dann an Bedürftige verteilt wurden. Die Spitze eines Müllbergs.
Am Abend freuen sich die anderen in Battis WG-Küche über das Gemüse. Batti kniet vor der Kiste, sortiert Tomaten aus und zupft welke Salatblätter ab. Er unterhält sich mit seinen Mitbewohnern über den tollen neuen Markt um die Ecke. Da wird noch sehr viel weggeworfen, weil sie die Kalkulation noch nicht so gut drauf haben. Batti wird die Kartoffeln kochen, Quark rühren und Salat machen. Später gibt es gebratene Äpfel. Seine Mitbewohner haben gestern ein paar Kilo aus dem Müll geholt.
Die Mülltaucher
Ihr Essen holen sie aus Berlins Abfalltonnen – aber nicht, weil sie arm sind.
Über ein Leben gegen den Wegwerfwahn
Von Johannes Gernert
Nachdem er das erste Mal auf einem Brotberg herumgeklettert war, hat Batti geweint. Er fuhr vom Hof der Fabrik, wo der Container stand, an den geparkten Lastwagen vorbei, und wollte nur noch nach Hause. Am Gepäckträger hing der Beutel mit den Brotlaiben. Er begriff das einfach nicht: Wie konnten sie das alles nur wegschmeißen? Das gute Brot.
An diesem Wochenende ist er wieder in den Container geklettert, um Brot zu besorgen. Er steht auf einem Hügel voller Backwaren – auf Weißbrot, Schwarzbrot, Körnerbrötchen, süßen Teilchen. Batti, 25 Jahre alt, Wollpulli, sorgfältig rasierter Bart, will seinen richtigen Namen lieber nicht nennen. Die Polizei reagiert in der Regel zwar nur träge auf Müllsucher wie ihn. Aber ob der Abtransport von Ausschuss nun Diebstahl ist oder nicht, ist nicht abschließend geklärt, und Batti will lieber kein Risiko eingehen. Die Plane über dem Container ist dreckig, die Wände sind schwarz verschmiert. In der Ecke liegt ein Teighaufen. Es riecht vergoren, aber die Brotlaibe sehen frisch und appetitlich aus. „Der hier ist vielleicht ein bisschen zu braun“, sagt Batti. Es kann sein, dass andere vom Band gefallen sind und aussortiert wurden. Möglicherweise waren sie eine Idee zu schwer, zu leicht oder zu eckig. Er weiß, dass es Standards gibt für Gewicht, Form, Farbe, dass der kleinste Makel das frische Brot zu Müll macht. Und genau das will Batti nicht hinnehmen. Deshalb isst er den Müll. Er ernährt sich von dem, was die Brotfabrik, was die Supermärkte wegwerfen.
In seiner Wohngemeinschaft machen das inzwischen fast alle so und in vielen anderen WGs, die er kennt, auch. Sie nennen es „containern“, weil sie das Essen aus Containern holen. In etlichen deutschen Städten öffnen Menschen abends die Tonnen der Supermärkte und nehmen sich, was sie für essbar halten. Manche machen das seit zehn oder 15 Jahren. Aber erst jetzt gehen immer mehr von ihnen mit Internetseiten an die Öffentlichkeit. Seit Anfang des Jahres berichten Aktivisten auf verschiedenen Container-Blogs, zum Beispiel bei „container.blogsport.de“, von ihren Streifzügen. In Amerika nennen sich Gleichgesinnte „Dumpster Diver“, also Mülltaucher, oder „Freegans“ – freie Veganer. Sie ernähren sich von Obst und Gemüse aus Supermarktabfällen. In New York organisieren sie für Neueinsteiger sogar Führungen an den Müllsäcken von Märkten entlang. Oft haben sie Arbeit, eine Wohnung im bürgerlichen Viertel und nicht selten ein festes Einkommen. Sie wühlen nicht im Abfall, weil sie arm sind, sondern weil sie gegen eine Konsumkultur protestieren wollen, die sich einen solchen Wegwerfwahn leistet.
Auch Batti könnte sich Essen kaufen. Aber das möchte er nicht. Auf seinen Touren greift er in Tonnen, die dreckig sind und verwest riechen. „Das ändert meine Wertschätzung für das Essen aber nicht“, sagt Batti. Er zieht keine Plastikhandschuhe über wie andere. Er fasst einfach rein, es kostet ihn keine Überwindung.Als er seiner Mutter erzählte, wie er seine Lebensmittel besorgt, ist sie zu einem Supermarkt gegangen und wollte sich die Container ansehen. Seine Großmutter, die im Krieg Mangel erlebt hat, findet gut, was ihr Enkel macht. „Wenn es um Sparsamkeit geht, sind wir einer Meinung“, sagt Batti. Für seine Eltern hat er schon Gemüse aus der Tonne gekocht – und sie haben es gegessen.
Batti lebte in Dortmund in einem Elternhaus mit „vollem Kühlschrank, fettem Fernseher, vier Personen und fünf Autos“. Als er dann in Berlin studierte, fing er an, über diesen Überfluss nachzudenken. Er beschloss, von möglichst wenig Geld zu leben. Er hörte von Leuten, die sich ihr Essen aus Containern holen. Batti hat sich das gemerkt und es dann auch gemacht.
Der junge Mitarbeiter im grünen Polo-Shirt steht am Hinterausgang des Supermarkts, Fuß in der Tür, macht Pause, raucht und telefoniert. Batti sagt leise „hallo“. Der Junge nickt kaum. Batti nimmt sich eine Holzkiste und öffnet nacheinander alle drei blauen Tonnen, die in der Ecke stehen. Zügig packt er ein Netz mit Orangen, eine Packung Tomaten, Kartoffeln, Chicorée, einen Topf Kräuter, Kohlrabi, eine Papaya, einen Kopfsalat und eine Sternfrucht in die Kiste. Der Junge tritt die Zigarette aus und lässt die Tür hinter sich zufallen. Nicht alle Mitarbeiter sind so gleichgültig. Manche sehen Batti verächtlich an. Andere zerstechen Jogurtbecher, kippen Flüssiges oder Matschiges oben auf den Abfall oder bringen „Vorsicht Rattengift“-Schilder an.
Wie fast alle Container-Aktivisten lässt Batti leicht Verderbliches liegen. Das heißt: keine Eier, kein Fleisch, kein Fisch. Nur einmal hat er sechs Packungen Sushi mitgenommen, die am selben Tag abgelaufen waren. Die schmeckten noch. Pilze nimmt er auch nie mit, die seien schon im Supermarkt oft nicht mehr genießbar, hat er gelesen. Bei Schimmel entscheidet er von Fall zu Fall.
Nudeln, Reis, Salz, Milch und Eier kauft seine WG beim Ökobauern oder im Biogroßhandel. Nur an Brot mangelt es nie, Battis Brotberge werden nie kleiner. Es gibt darüber auch einen Kinofilm, der Batti und vielen seiner Freunde als Argumentationshilfe dient. Der lief erst vor kurzem, hieß „We feed the world“ und dokumentiert die Absurdität globaler Nahrungsmittelproduktion. Unter anderem zeigt er, dass Wien Tag für Tag so viel Brot wegschmeißt, wie Graz verbraucht. Wie viele Lebensmittel von deutschen Supermärkten weggeworfen werden, steht in keiner Statistik. Nur so viel: Im Jahr 2005 gaben Märkte dem „Bundesverband Deutscher Tafeln“ 100 000 Tonnen Lebensmittel, die dann an Bedürftige verteilt wurden. Die Spitze eines Müllbergs.
Am Abend freuen sich die anderen in Battis WG-Küche über das Gemüse. Batti kniet vor der Kiste, sortiert Tomaten aus und zupft welke Salatblätter ab. Er unterhält sich mit seinen Mitbewohnern über den tollen neuen Markt um die Ecke. Da wird noch sehr viel weggeworfen, weil sie die Kalkulation noch nicht so gut drauf haben. Batti wird die Kartoffeln kochen, Quark rühren und Salat machen. Später gibt es gebratene Äpfel. Seine Mitbewohner haben gestern ein paar Kilo aus dem Müll geholt.
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