Knaller an der Zeitungsfront

Friday, March 09, 2007

Das Ende der Scheibe (Frankfurter Rundschau)

Generation Online
Das Ende der Scheibe
VON JOACHIM WILLE

"Die war'n voll mit Staub", sagt Mario Z. Der Abiturient, Führerschein-Neuling, Musikfan und hobbymäßiger Saxophon-Spieler aus einer Kleinstadt bei Frankfurt, hat seine Musik-CDs entsorgt, ganz nach hinten in den Schrank, der letzten Station vor der Mülltonne. Denn: "Braucht doch keiner mehr." Nur die Sammlung Beatles-CDs, Geschenk der Eltern zum 18., steht, voller Pietät, noch im Regal. Aufgeklappt und eingelegt hat Mario sie nur selten. Der CD-Spieler, jener flache schwarze Kasten, der in der Generation der Eltern-Generation samt fetter Verstärker und klobiger Lautsprecher-Boxen zum unverzichtbaren Wohnzimmer-Möblement gehört, ist schon seit Herbst in den Keller verbannt.

Das Aus für die Musik aus der Konserve? Kein Jan Delay, keine Shakira, nichts mehr von Seeed, nichts von Bounty Killer, was früher mächtig wummernd das Haus vom ersten Stock bis Keller beschallte, kein Hip- Hop, kein Dancehall, kein Funk? Natürlich nicht. "Ich hab 30 Gigabyte Musik im PC", sagt Mario. Das sagt alles für den, der weiß, dass ein Drei-Minuten-Titel im gängigen mp3-Format rund drei Megabyte verbraucht. Über 10 000 Songs, von Bob Marley seligen Angedenkens bis zur Rhein-Main-Regionalband Cashma Hoody, deren eingeschworener Fan Mario ist, warten auf der Festplatte des Computers darauf, angeklickt und über die kleinen Surround-Boxen angehört zu werden.

Mario hat mit den silbernen Tonträgern (fast) nichts mehr am Hut. Einen CD-Laden hat der 19-Jährige in seinem Leben kaum von innen gesehen. Original-CDs mit richtigem Cover kaufte er überhaupt nur zwei, vor Jahren "mal ne Bravo-Doppel-CD", einen Hit-Sampler, zuletzt die neue Disc von der Lieblingsband, bestellt im Internet-Shop der Gruppe. Mario mag ein besonders schwerer Fall von CD-Verweigerer sein - und damit mehr oder minder bewusst Nägel in den Sarg der Musikindustrie hämmern. Doch bei den Freunden ist es nicht anders.

"Seit wir zu Hause schnelles Internet haben, gehe ich kaum noch zu Saturn oder Media-Markt", sagt Kumpel Tom F., der musisch breit interessiert ist und in der Theater AG seines Gymnasiums mitspielt. Eine komplette CD als mp3-Datei herunterzuladen, dauert zwei, drei Minuten, wenn man einen schnellen Server erwischt hat. Kazaa, Emule oder Torrent - so heißen die illegalen Tauschbörsen, bei denen sich viele junge Leute bedienen, obwohl es wegen des beinharten juristischen Kampfs der Konzerne gegen die Musikpiraten alles andere als ungefährlich ist. 90 Prozent oder noch mehr, schätzt Sebastian, setzten sich an den Computer, statt CDs zu kaufen. Gigabyte-weise schieben sich die User die Daten übers Netz oder mobile USB-Festplatte zu. Legale, aber teure Downloads, die es inzwischen gibt, haben kaum eine Chance. Das Credo der "Generation Online", die im mp3-Zeitalter aufgewachsen ist: Musik hat frei verfügbar zu sein, und sie darf nichts kosten.

Die Musikindustrie hat das in die Krise gestürzt. Die begann in den 90er Jahren mit dem Kopieren von Original-Musik-CDs auf immer billigere CD-ROMs im Computer. Die Schulhöfe mutierten zur Silberscheiben-Börse. Motto: Einer kauft die neue CD von Take That, Blur oder Radiohead und fünf zahlen ihm für das 1-zu-1-Duplikat fünf Mark. Das Booklet mit Bildern und den Liedtexten wurde kopiert, auf das Maß der CD-Hüllen zugeschnitten und in sie reingepfriemelt. Inzwischen hat sich das Musik-Tauschen bei den unter 30-Jährigen völlig entstofflicht. Nicht einmal auf Cover legen die Internet-Kids mehr Wert. Damit und mit der digitalen 100-Prozent-Multi-Kopie ohne Rauschen und ständig drohenden Bandsalat (wie früher bei aufgenommenen Kassetten) schrumpft das Hauptgeschäft der vier Musikmultis Universal, Sony-BMG, Warner Music Group und EMI, das Verkaufen von CDs für 12,99 bis 17,99 Euro pro Stück, wie Eis im Treibhaus-Klima.

Wer heute Schulhöfe, Diskos oder Jugendzimmer betritt, wird also Unzählige finden, die Alain Levy, dem Ex-Chef der EMI-Musiksparte, beipflichten. Der nämlich bekundete unlängst in einem Vortrag an der London Business School ebenso schlicht wie ergreifend: "Die CD in ihrer jetzigen Form ist tot." Ausgerechnet die ehrwürdige EMI, jene Firma, die die Beatles entdeckte und alle ihre LPs und CDs als Multi-Millionen-Seller herausbrachte, die mit Mainstream-Künstlern wie Robbie Williams, Norah Jones und Kylie Minogue einigermaßen gewappnet schien, stürzt beim Umsatz rasant ab. Das Weihnachtsgeschäft, sonst eine sichere Bank, verlief diesmal miserabel. EMI gilt schon länger als Übernahmekandidat. Doch Branchenkenner unken, dass die Musikindustrie insgesamt so nicht überlebensfähig sei.

Einer, der die Krise der Branche nicht auf Vorstandsetagen erlebt, ist Thomas Glück. Der bärtige Musikfreak ("Blues Rock, Progressive Rock, immer derselbe Geschmack seit Led Zeppelin, Rare Earth und Deep Purple") besitzt einen der letzten unabhängigen Plattenläden in Frankfurt - und er kann die Implosion der Käuferschaft in seiner Kasse sehen. Das Scheiteljahr war 1998. Vorher, seit Gründung seines "Musikladens" 1980, war es immer nur bergauf gegangen. Mitten in der City, in einer Passage an der Hauptwache, war Glücks Vorgänger mit seinen LP-Ständern gestartet. 1993 zog er in ein vergleichsweise opulentes 110-Quadratmeter-Lokal um, in eine Nebenstraße der Top-Einkaufsmeile Zeil. Der Umsatz entwickelte sich so prächtig, dass der Musikladen trotz (umgerechnet) 9000 Euro Monatsmiete fünf fest angestellten Mitarbeitern Lohn und Brot gab.

Dann, plötzlich, ging's bergab. Immer weniger Mark respektive Euro klingeln seither in der Kasse, teilweise stürzte der Umsatz um 20 Prozent im Jahr ab. Glück musste mit seinem Laden umziehen, quer über die Straße nur, aber in ein kleineres Geschäft. Statt vier Angestellten hat er demnächst nur noch eine Halbtagskraft und einige 400-Euro-Jobber. Statt 100 000 CDs und Vinyl-Schallplatten für Audiophile gingen 2006 noch gerade 35 000 über die Ladentheke. "Meine Kunden sind fast alle zwischen 30 und 70 Jahre alt", sagt der Ladenbesitzer. Das heißt: "Die jungen Leute kommen einfach nicht mehr." Glück, der bald 50 wird, ist nicht sicher, ob er es mit dem Plattengeschäft, das ihn und die Mitarbeiter ein Vierteljahrhundert gut ernährt hat, bis zum Ruhestand schafft: "Wer weiß, ob wir in zehn Jahren noch da sind."

Immerhin: Dank des guten Service hat Glücks CD-Bollwerk durchgehalten - anders als all die anderen Frankfurter Traditionshäuser der Branche, an die sich die ältere, grau und etwas faltig gewordene "Generation Schallplatte" wehmütig erinnert. Phonohaus, Montanus, Ralph's Records, Radio Diehl, City CD, IBS-Musicshop - alle pleite oder kurz davor dichtgemacht. Ebenso die in den 90er Jahren eröffneten Filialen der Multis Virgin und HMV Superstore, die mit ihren relativ teuren CDs auf dem sich damals entwickelnden deutschen Geiz-ist-Geil-Markt scheiterten.

Die Elektronik-Ketten Media-Markt und Saturn sowie das Kaufhaus Karstadt unterhalten noch ordentliche CD-Abteilungen, allerdings ebenfalls mit sinkendem Umsatz. Bei Karstadt ("World of Music") haben sie unlängst die CD- mit der Multimedia-Abteilung zusammengelegt. Hier Zahlen über die Umsatzentwicklung der Tonträger zu bekommen ist unmöglich. Man habe das nicht extra erfasst, sagt ein Sprecher in der Karstadt-Zentrale auf Anfrage.

Thomas Glück stemmt sich gegen den Ausverkauf von CD und LP. Er hat eine TonNische geschaffen, in der er und seine Kunden gut leben können. Doch bei dieser kulturhistorischen Tat sieht er sich ziemlich alleine gelassen. Besonders von den Bossen der Plattenfirmen, die eine völlig vernagelte Produktpolitik betrieben - in dem sie die entscheidende Zielgruppe restlos vernachlässigten: die mittelalte, finanziell potente "BBZ-Schicht" (Banker/Beamte/Zahnärzte). Jene also, die noch ordentlich CDs mit ordentlichen Booklets kaufen oder früher, als die Musik authentischer, echter war, mal gekauft haben. "Stattdessen bedienen sie die aussterbende Generation, die auf Florian Silbereisen, Margot Hellweg und Ernst Mosch steht, und die jungen MTV-Gucker, die zwar hören, aber nicht kaufen wollen."

Mario Z. erzählt von seinem Vater, der zu Hause noch ein Regal voll alter Vinyl-Platten aus der Jugend stehen hat. Schwarz, Loch in der Mitte, 30 Zentimeter Durchmesser. "Hören tut er sie nicht mehr", sagt er. "Aber wegschmeißen, das bringt er nicht übers Herz." Zu viele Erinnerungen hängen dran - an den bunten, großen Covern, den verkratzten Scheiben. Dieses Problem, zumindest dieses, wird Mario dereinst nicht haben.
(Namen der Jugendlichen geändert)

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