Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, March 08, 2007

Die Rache des kleinen Mannes (Die Welt)

Stefanie Boewe
Die Rache des kleinen Mannes
Weil er nur 1,65 Meter groß ist, wurde Pointguard Earl Boykins lange unterschätzt. Jetzt steht er vor seiner größten Aufgabe: Er soll die chronisch verlierenden Milwaukee Bucks auf die Siegerstraße führen.

Von weitem hat es den Anschein, als hätte ein Spieler seinen Sohn aufs Feld geschmuggelt. Doch der nur 165 Zentimeter große Earl Boykins ist ein gestandener Profi in der National Basketball Association (NBA). Erst im Januar wurde er von den strauchelnden Milwaukee Bucks als Retter in der Not verpflichtet, um doch das Play-off zu erreichen. Dass ihr Retter sich nun am Daumen verletzte, versetzte den Bucks, die derzeit mit nur 22 Siegen bei 39 Niederlagen auf dem viertletzten Platz der Eastern Conference dümpeln, einen Schock.

Denn Boykins ist eine Attraktion – nicht nur wegen seiner zierlichen Gestalt, die ihn neben all den Zweimetergiganten kindlich wirken lässt. Der 30-Jährige ist ein filigraner Techniker, seine Kunststücke unter dem Korb lassen manchen Betrachter sprachlos zurück. „Er überrennt dich mit 200 Sachen, spielt dich auf einer Zehn-Cent-Münze schwindelig und schießt dich aus zehn Metern ab“, sagt Rick Carlisle, Trainer der Indiana Pacers über Boykins. „Er ist für jeden Gegner die ultimative Pest.“

Der Vergleich mit der Seuche ist für Boykins ein willkommenes Kompliment. Der nach Muggsy Bogues (1,60) kleinste Spieler der NBA-Geschichte hat eine Odyssee sondergleichen hinter sich und musste immer wieder um Anerkennung kämpfen. Zu oft wurde der kleine Mann übersehen, weil er nicht ins gängige Raster passt. In der NBA-Draft 1998 übergangen, spielte er sich erst über die unterklassige Canadian Basketball League (CBA) ins Bewusstsein der NBA-Scouts. Doch es dauerte weitere fünf Jahre und ebenso viele NBA-Stationen (Cleveland, New Jersey, Orlando, L.A. Clippers, Golden State), ehe Boykins sich 2004 schließlich bei den Denver Nuggets etablieren konnte.

Boykins’ Leben zeichnet die Geschichte eines unerschütterlich für seine Ziele arbeitenden Optimisten. Er war immer der Kleinste, er hat sich früh daran gewöhnt, damit umzugehen. Er wiegt nur 60 Kilogramm, schafft es aber, beim Bankdrücken 140 Kilogramm zu stemmen. Er beißt sich durch und straft Spötter mit Bestleistungen. Noch im Alter von drei Jahren wurde Boykins von seinem Vater in einer Sporttasche herumgetragen, „weil das praktisch war“ (Boykins). Immer wieder nötigt ihn das Sicherheitspersonal bei Auswärtsspielen beim Betreten des Kabinentraktes seinen Ausweis zu zücken, und bei seiner ersten Trainingseinheit bei den Golden State Warriors wurde er einst von einem Teamkollegen für einen Balljungen gehalten.

Mit dem Wechsel nach Denver änderte sich das Ansehen Boykins’ schlagartig. Mit durchschnittlich knapp 15 Punkten pro Spiel leistete der kleine Aufbauspieler seinen Anteil am plötzlichen Erfolg der Nuggets: Nach zuvor acht erfolglosen Jahren in Folge erreichte das Team aus der „Mile High City“ mit Boykins dreimal in Folge das Play-off. Sein Spitzname wandelte sich von „Earl, the Squirrel“ (Earl, das Eichhörnchen) zu „Earl, the Pearl“. Als die Nuggets ihren Publikumsliebling nach drei Jahren schließlich im Januar per Trade an die Milwaukee Bucks abgaben, um der Zahlung einer „Luxury Tax“ genannten Strafe für Überschreitung der Gehaltsobergrenze zu entgehen, hatte Nuggets-Trainer George Karl mit den Tränen zu kämpfen.

Voller Freude wurde Boykins hingegen in Milwaukee aufgenommen. In der Brauereistadt warten sie seit sechs Jahren darauf, in die zweite Runde des Play-off vorzudringen. Ein Spieler von Boykins’ Kaliber kam da gerade recht. „Er ist unberechenbar“; sagt Ton Battie, 2,11 Meter großer Center von Orlando Magic. „Du glaubst, du hast eine freie Passroute, und dann schnellt Earl aus dem Nichts dazwischen und stiehlt den Ball.“

Insgesamt 2,95 Millionen Dollar kassiert Boykins in dieser Saison, genau drei Millionen werden es im kommenden Jahr sein. Kein schlechter Lohn für einen, der stets als zu klein gilt. Doch: „Ich betrachte meine Größe nicht als Nachteil“, betont Boykins. Er grinst. „Ich sehe es so: Ich bin einzigartig. Das ist Shaquille O’Neal auch. Und der hat vier Meisterschaftsringe.“ Boykins hat mit den Bucks noch einiges vor. Eine Daumenverletzung wird ihn nicht von seinem Weg abbringen.

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