Vibrationsalarm auf dem Schulhof (Berliner Zeitung)
Vibrationsalarm auf dem Schulhof
Barcelonas Lionel Messi trägt mit drei Toren gegen Real Madrid zur totalen Reizüberflutung bei
Ronald Reng
BARCELONA. Die Herzen von 100 000 Zuschauern rannten, der Verstand der Mitspieler raste. Nur Juliano Belletti ging. Wenn das Camp Nou, die größte Arena Europas, schreit vor Freude, gibt es kein Entkommen, der Jubel reißt einen fort. Belletti jedoch war die Ruhe im Rausch. Gemächlich schritt er nach dem 3:3-Ausgleich seines FC Barcelona in allerletzter Minute des Urduells gegen Real Madrid von seinem Abwehrposten zum Tor. Er nahm Leo Messi, langsam, bedächtig, und hob ihn in den Himmel. Von dort muss er kommen.
Es gibt Fußballer, die muss man nur einmal sehen und wird sie nie vergessen. Leo Messi, aus Argentinien, 19 Jahre und der Körper eines kleinen Jungen, Leo Messi, der schon Barças erste beiden Tore erzielt hatte, wie er in der letzten Minute den direkten Weg zum Tor sucht, einen Madrider Verteidiger nach dem anderen ins Leere grätschen lässt. In solchen Augenblick begreift man, was Einzigartigkeit ist. "Auf dem Rasen", sagte Messi, "denke ich nicht. Ich spiele."
Es war der passende Schlusspunkt, der Irrsinn in seiner absoluten Schönheit, zu einem Spiel, das eine einzige Reizüberflutung war. 2:1 führte Real nach 13 Minuten, 5:2 hätte Barça nach einer halben Stunde führen müssen, und so ging es weiter: Tore, Tempo, Traumpässe, viel zu viel von allem.
Wer das Spiel kalt analysierte, erschrak. Es war Schulhoffußball, sorglos, letztendlich: unreif. In einer Woche, in der Barça gegen Liverpool und Real gegen den FC Bayern im Champions-League-Achtelfinale ausgeschieden sind, verstärkte die Partie den Verdacht: Obwohl sie beide weiterhin zur Spitzengruppe der Liga gehören - Barça fünf Punkte vor Real -, wird der spanische Meister im Juni vielleicht Sevilla heißen, sehr wahrscheinlich Valencia, nur im Fall einer Überraschung Barça und sicher nicht Madrid.
Die Verzweiflung ist selten ein guter Berater, aber selbst ein rationaler Trainer wie Barças Frank Rijkaard hört auf sie, seit die diesjährige körperliche Schwäche seiner Elf gegen Liverpool schreiend offensichtlich wurde. Er pfuschte an der Taktik herum, nachdem das 4-3-3-System ihm zwei Meisterschaften und den Champions League Titel 2006 garantiert hatte. Gegen Madrid spielte er mit drei Verteidigern, das funktioniert nur, wenn zwei schnelle Außen im Mittelfeld der Abwehr helfen. Barça spielte ganz ohne Außen im Mittelfeld. Es war ein Einladung zum Auskontern.
Madrids erste beiden Tore durch Ruud van Nistelrooy waren das Resultat, genauso wie die Rote Karte für den in der dünn besetzten Abwehr überforderten Oleguer. Das Erschütternde war, dass Real auch diese Einladung zur Wiederauferstehung ausschlug. Seit vier Jahren kommen und gehen die größten und tollsten Trainer und Spieler, und dieser Verein schafft es, jeden einzelnen klein zu machen. Nun ist Real Madrid nur noch eine Selbstquälgruppe der manischen Depressiven. Aus Fabio Capello, der einmal ein geradliniger, um nicht zu sagen brutaler Trainer war, ist ein Mann ohne Richtung geworden.
Spiel in Übergeschwindigkeit
Selbst zu zehnt behauptete Barça weitgehend den Ball. Doch in der Nacht des rasenden Verstands mochten die wenigsten unterscheiden, dass Real nur den passiven Part gab. Barça, angeführt von Ronaldinho, spielte in Übergeschwindigkeit, in Wirklichkeit viel zu schnell für sich selbst. Und so vibrierte alles. Mit solch taktischer Unordnung kann man nichts gewinnen. Die Einzigartigkeit ist aber noch immer in dieser Mannschaft. Wenn Barça nächstes Jahr, anders als diesmal, eine richtige Saisonvorbereitung absolviert, wird es wieder leuchten.
Juliano Belletti hielt Leo Messi noch immer hoch, eine kleine Ewigkeit schon, und der FC Barcelona erkannte endlich seine Richtung wieder: Zum Himmel!
Berliner Zeitung, 12.03.2007
Barcelonas Lionel Messi trägt mit drei Toren gegen Real Madrid zur totalen Reizüberflutung bei
Ronald Reng
BARCELONA. Die Herzen von 100 000 Zuschauern rannten, der Verstand der Mitspieler raste. Nur Juliano Belletti ging. Wenn das Camp Nou, die größte Arena Europas, schreit vor Freude, gibt es kein Entkommen, der Jubel reißt einen fort. Belletti jedoch war die Ruhe im Rausch. Gemächlich schritt er nach dem 3:3-Ausgleich seines FC Barcelona in allerletzter Minute des Urduells gegen Real Madrid von seinem Abwehrposten zum Tor. Er nahm Leo Messi, langsam, bedächtig, und hob ihn in den Himmel. Von dort muss er kommen.
Es gibt Fußballer, die muss man nur einmal sehen und wird sie nie vergessen. Leo Messi, aus Argentinien, 19 Jahre und der Körper eines kleinen Jungen, Leo Messi, der schon Barças erste beiden Tore erzielt hatte, wie er in der letzten Minute den direkten Weg zum Tor sucht, einen Madrider Verteidiger nach dem anderen ins Leere grätschen lässt. In solchen Augenblick begreift man, was Einzigartigkeit ist. "Auf dem Rasen", sagte Messi, "denke ich nicht. Ich spiele."
Es war der passende Schlusspunkt, der Irrsinn in seiner absoluten Schönheit, zu einem Spiel, das eine einzige Reizüberflutung war. 2:1 führte Real nach 13 Minuten, 5:2 hätte Barça nach einer halben Stunde führen müssen, und so ging es weiter: Tore, Tempo, Traumpässe, viel zu viel von allem.
Wer das Spiel kalt analysierte, erschrak. Es war Schulhoffußball, sorglos, letztendlich: unreif. In einer Woche, in der Barça gegen Liverpool und Real gegen den FC Bayern im Champions-League-Achtelfinale ausgeschieden sind, verstärkte die Partie den Verdacht: Obwohl sie beide weiterhin zur Spitzengruppe der Liga gehören - Barça fünf Punkte vor Real -, wird der spanische Meister im Juni vielleicht Sevilla heißen, sehr wahrscheinlich Valencia, nur im Fall einer Überraschung Barça und sicher nicht Madrid.
Die Verzweiflung ist selten ein guter Berater, aber selbst ein rationaler Trainer wie Barças Frank Rijkaard hört auf sie, seit die diesjährige körperliche Schwäche seiner Elf gegen Liverpool schreiend offensichtlich wurde. Er pfuschte an der Taktik herum, nachdem das 4-3-3-System ihm zwei Meisterschaften und den Champions League Titel 2006 garantiert hatte. Gegen Madrid spielte er mit drei Verteidigern, das funktioniert nur, wenn zwei schnelle Außen im Mittelfeld der Abwehr helfen. Barça spielte ganz ohne Außen im Mittelfeld. Es war ein Einladung zum Auskontern.
Madrids erste beiden Tore durch Ruud van Nistelrooy waren das Resultat, genauso wie die Rote Karte für den in der dünn besetzten Abwehr überforderten Oleguer. Das Erschütternde war, dass Real auch diese Einladung zur Wiederauferstehung ausschlug. Seit vier Jahren kommen und gehen die größten und tollsten Trainer und Spieler, und dieser Verein schafft es, jeden einzelnen klein zu machen. Nun ist Real Madrid nur noch eine Selbstquälgruppe der manischen Depressiven. Aus Fabio Capello, der einmal ein geradliniger, um nicht zu sagen brutaler Trainer war, ist ein Mann ohne Richtung geworden.
Spiel in Übergeschwindigkeit
Selbst zu zehnt behauptete Barça weitgehend den Ball. Doch in der Nacht des rasenden Verstands mochten die wenigsten unterscheiden, dass Real nur den passiven Part gab. Barça, angeführt von Ronaldinho, spielte in Übergeschwindigkeit, in Wirklichkeit viel zu schnell für sich selbst. Und so vibrierte alles. Mit solch taktischer Unordnung kann man nichts gewinnen. Die Einzigartigkeit ist aber noch immer in dieser Mannschaft. Wenn Barça nächstes Jahr, anders als diesmal, eine richtige Saisonvorbereitung absolviert, wird es wieder leuchten.
Juliano Belletti hielt Leo Messi noch immer hoch, eine kleine Ewigkeit schon, und der FC Barcelona erkannte endlich seine Richtung wieder: Zum Himmel!
Berliner Zeitung, 12.03.2007
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