Mister Norris’ vergebliche Reise (Tagesspiegel)
(28.03.2007)
Mister Norris’ vergebliche Reise
Ein Brite träumt vom Sozialismus und zieht 1968 in die DDR. Eine Idiotie, sagt er heute. Nun wird sie verfilmt
Von Markus Hesselmann, Bolton
Das Auto ist ein Stilbruch. Ein Moskwitsch passt nicht in ein nordenglisches Gässchen. Das Gefährt sowjetischer Bauart fällt auf im Lande der Leylands und Rovers, das Großbritannien Ende der 60er Jahre noch war. Der Moskwitsch ist völlig überladen, Koffer und Kisten türmen sich auf dem Dach. Neben dem Wagen stehen die Genossen von der British Communist Party. Sie halten ein Transparent, internationalistisch wünschen sie „Bon Voyage“. Frank Ratcliffe, ein Mann mit Bart und moderatem Sixties-Appeal, macht sich noch am Auto zu schaffen. Gleich wird er mit seiner Familie nach Harwich an der Nordseeküste fahren. Familie Ratcliffe macht rüber. Ihr Ziel ist die Deutsche Demokratische Republik, das Land der sozialistischen Träume.
Frank Ratcliffe heißt eigentlich Brian Norris. Er besaß tatsächlich einmal einen Moskwitsch. „Einige englische Kommunisten haben sich damals so einen sowjetischen Wagen gekauft“, erzählt der 74-Jährige. Eine Episode aus seinem Leben wurde gerade verfilmt. „Mrs. Ratcliffes Revolution“ beruht auf der wahren Geschichte der Familie Norris, die 1968 in die DDR ging. „Sie tauschten das Land von Marks & Spencer für das Land von Marx und Lenin.“ Das wird der Werbetext sein, wenn Warner Brothers den Film im Sommer in Großbritannien in die Kinos bringt. Mit deutschen Verleihern wird derzeit verhandelt. Heike Makatsch und Katharina Thalbach spielen in Nebenrollen mit.
Eine gepflegte Bungalowsiedlung in einem Vorort der nordenglischen Arbeiterstadt Bolton: Die Zimmerdecken sind niedrig, die Teppiche tief. Ein gerahmtes Foto mit der Moskwitsch-Filmszene steht auf dem Sideboard im Wohnzimmer von Brian und Lois Norris. Der Hausherr ist auch mit auf dem Bild. Als Statist stellte Brian Norris im Film einen der Genossen vom Abschiedskomitee dar. Ein attraktiver älterer Herr, Typ James Stewart, mindestens. Es ist das größte Foto in einem Raum voller Erinnerungen. Dichtgedrängt stehen Bilder der Kinder auf dem Kaminsims.
„Ich habe eine Familie entwurzelt“, sagt Brian Norris. „Das war idiotisch.“ Brian Norris spricht leise und bedächtig. Zwischendurch bietet er Tee und Sandwiches an. Seinen Besucher hat der hochaufgeschossene Herr im grauen Anzug mit Krawatte empfangen. Das Bild eines englischen Gentleman: höflich formell, aber immer eine Spur ironisch. Beim Reden macht Brian Norris lange Pausen, als wolle er der Erinnerung Gelegenheit geben, sich zu entfalten. Das Wort „idiotic“ wird Norris an diesem Nachmittag noch mehrmals gebrauchen. Wie konnte er, ein gläubiger Mensch und guter Familienvater, nur auf die Idee kommen, sich selbst, seine Frau und seine Kinder in ein solches Abenteuer zu stürzen?
Es war eine Zeit der Zweifel, die hinter Brian Norris lag. Irgendwann war ihm der Glaube abhandengekommen. Er war ja nicht einfach nur ein religiöser Mensch. Brian Norris arbeitete in den 50er Jahren als methodistischer Geistlicher. Und jetzt das! Hatte er Beruf und Berufung verfehlt? Er wollte nicht nur beten und predigen, sondern die Welt tatsächlich verbessern. Gab es da draußen eine andere Idee, mit der sich die Menschheit befreien ließe? Schon als Christ eher ein Linker, näherte sich Brian Norris dem Marxismus an. 1962 trat er der kommunistischen Partei bei. „Das war sehr exzentrisch“, sagt er heute. Bolton ist zwar eine Arbeiterstadt, aber über die Labour-Partei hinaus scherten damals nur wenige nach links aus.
Brian Norris entschließt sich, aktiv beim Aufbau des Sozialismus zu helfen. Die britischen Kommunisten suchen Landsleute, die in der DDR Englisch lehren wollen. Brian Norris sieht seine Chance. Hinter dem eisernen Vorhang liegt für ihn eine bessere Welt. Die Kommunisten verwirklichen dort drüben ihre Utopie, während die Kirche hier ihren Frieden mit der sozialen Ungerechtigkeit macht. Eine Parteidelegation führt den Neuankömmling aus dem nichtsozialistischen Ausland herum. „Potsdam hat mich überwältigt“, sagt Norris. „Sie zeigten mir Sanssouci, und ich konnte es kaum glauben.“ So schön kann Sozialismus sein.
Die beiden jüngeren Kinder kommen mit in die DDR. Die älteste Tochter, schon ein Teenager, ist in einem Internat in England untergebracht. Man kann sich ja in den Ferien sehen. „Wir haben unser Haus verkauft und die Brücken hinter uns abgebrochen“, sagt Brian Norris. „Ich dachte, wir bleiben sicher ein paar Jahre drüben.“
Die Vorstellung an der Universität Halle bringt für Brian Norris dann aber schon die erste Überraschung: Die Sekretärin redet den Rektor mit „Magnifizenz“ an. Das kommt dem Genossen aus England wenig kollektivistisch vor. Doch zunächst ist Norris auch hier von der Aura des Ortes angetan. Er lebt jetzt im Lande Luthers, im Lande der Reformation. Zwar hat er sich vom Protestantismus abgewandt, aber den Reformern und Revolutionären jener Zeit fühlt er sich weiter verbunden.
Die Irritationen halten an. „Viele Parteimitglieder in der DDR benahmen sich wie englische Konservative“, sagt Norris. „Es ging vor allem um Status und Prestige.“ Der freudlose Umgang mit den Parteikadern macht den Briten zu schaffen. „Humor ist sehr wichtig für uns“, sagt Brian Norris. Dass Deutsche aber insgesamt keinen Humor hätten, sei nur ein britisches Klischee. „Ich habe viele humorvolle Deutsche kennengelernt.“ Norris schenkt Tee nach und erzählt den Witz vom Mann, der einen Trabi bestellt. Er erfährt, dass das Auto in sieben Jahren geliefert wird. Wann genau in sieben Jahren? An dem und dem Tag. Morgens oder mittags? Am Morgen. Das geht nicht, da kommt schon der Klempner.
In Halle wird es bald weniger witzig. Am englisch-amerikanischen Institut rumpeln Panzer vorbei. Sie fahren südwärts. Richtung Tschechoslowakei. „Während des Prager Frühlings wurden wir an der Universität auf die Parteilinie eingeschworen“, erzählt Brian Norris. "Es war aber ohnehin schon so, dass bei Diskussionen vorher feststand, was hinterher rauskommt.“ Immer wieder ermahnen Freunde ihn, nicht jedem zu vertrauen und nicht allzu offen zu sprechen. „Mir war bald bewusst, dass wir von der Stasi überwacht werden“, sagt er. Monat für Monat wächst die Enttäuschung. Viel bleibt nicht mehr übrig vom sozialistischen Traum. „Es konnte im Prinzip jeder ein Spitzel sein“, sagt Brian Norris.
Beeindruckt ist der Kommunist Norris vom evangelischen Pfarrer der Studentengemeinde. „Er hat sich nicht einschüchtern lassen und in der marxistischen Universität seine Gebets- und Gesprächskreise abgehalten.“ Der Pfarrer, von dem Brian Norris schwärmt, heißt Rudolf Schulze. Der 77-Jährige lebt heute in Berlin. „Es war eine etwas skurrile Episode, mitten in der DDR plötzlich einen Engländer mit seiner Familie zu treffen“, sagt Schulze. „Brian Norris kam als Idealist. Er musste miterleben, wie seine Illusionen endeten.“
Für Lois Norris, aus deren Perspektive der Ratcliffe-Film die Geschichte größtenteils schildert, ist das Leben in der DDR unerträglich. „Ich war ohnehin keine besonders überzeugte Kommunistin“, sagt sie. „In die Partei bin ich mehr wegen meines Mannes eingetreten.“ Die Aussage überrascht. Denn den Eindruck, ein Anhängsel ihres Mannes zu sein, erweckt Lois Norris heute auf jeden Fall nicht mehr. Fast ein wenig burschikos wirkt sie in ihrem roten Pullover und der grauen Hose. Durch die großen Gläser ihrer Brille kommentiert sie die Erzählungen ihres Mannes mit sanftem ironischem Blick. „Mein Traum vom Sozialismus ist schon viel früher geplatzt“, sagt Lois Norris.
In der DDR lernt sie kaum Menschen kennen. Lois Norris spricht noch schlechter Deutsch als ihr Mann. Mit der Mangelwirtschaft kommt sie nicht klar. „Schlange stehen war ein Fulltime-Job“, sagt Lois Norris. Sie redet eigentlich nicht gern über ihre Zeit in der DDR. Viele Interviewanfragen britischer Medien hat sie abgelehnt.
Ein halbes Jahr hält es Lois Norris in der DDR aus. Dann hat sie endgültig genug. „Das war’s“, sagt sie ihrem Mann. „Wir fahren zurück.“ – „Wann?“ – „Sofort!“ Mit ihren britischen Pässen macht Familie Norris noch einmal rüber. Für ein paar Monate kommen sie bei Lois Norris’ Mutter unter. Zum Glück findet Brian Norris bald darauf Arbeit. Eine Zeit lang unterrichtet er weiter Englisch.
Lois und Brian Norris pflegen den Kontakt zu den Menschen, die ihnen im DDR-Alltag geholfen haben. Zweimal reisen die beiden in den 70er Jahren nach Halle, um die alten Bekannten zu sehen. Sofort nach dem Mauerfall kommt Rudolf Schulze zu Besuch nach Bolton. Der Pfarrer erinnert sich: „Na, Sie Sieger der Revolution, hat Brian Norris zur Begrüßung gesagt.“
Nach der Heimkehr nähert sich Brian Norris langsam wieder dem Christentum an. Nach einiger Zeit arbeitet er sogar wieder als methodistischer Geistlicher. Brian Norris hat seinen Glauben wiedergefunden – mit dem Umweg über die DDR.
Mister Norris’ vergebliche Reise
Ein Brite träumt vom Sozialismus und zieht 1968 in die DDR. Eine Idiotie, sagt er heute. Nun wird sie verfilmt
Von Markus Hesselmann, Bolton
Das Auto ist ein Stilbruch. Ein Moskwitsch passt nicht in ein nordenglisches Gässchen. Das Gefährt sowjetischer Bauart fällt auf im Lande der Leylands und Rovers, das Großbritannien Ende der 60er Jahre noch war. Der Moskwitsch ist völlig überladen, Koffer und Kisten türmen sich auf dem Dach. Neben dem Wagen stehen die Genossen von der British Communist Party. Sie halten ein Transparent, internationalistisch wünschen sie „Bon Voyage“. Frank Ratcliffe, ein Mann mit Bart und moderatem Sixties-Appeal, macht sich noch am Auto zu schaffen. Gleich wird er mit seiner Familie nach Harwich an der Nordseeküste fahren. Familie Ratcliffe macht rüber. Ihr Ziel ist die Deutsche Demokratische Republik, das Land der sozialistischen Träume.
Frank Ratcliffe heißt eigentlich Brian Norris. Er besaß tatsächlich einmal einen Moskwitsch. „Einige englische Kommunisten haben sich damals so einen sowjetischen Wagen gekauft“, erzählt der 74-Jährige. Eine Episode aus seinem Leben wurde gerade verfilmt. „Mrs. Ratcliffes Revolution“ beruht auf der wahren Geschichte der Familie Norris, die 1968 in die DDR ging. „Sie tauschten das Land von Marks & Spencer für das Land von Marx und Lenin.“ Das wird der Werbetext sein, wenn Warner Brothers den Film im Sommer in Großbritannien in die Kinos bringt. Mit deutschen Verleihern wird derzeit verhandelt. Heike Makatsch und Katharina Thalbach spielen in Nebenrollen mit.
Eine gepflegte Bungalowsiedlung in einem Vorort der nordenglischen Arbeiterstadt Bolton: Die Zimmerdecken sind niedrig, die Teppiche tief. Ein gerahmtes Foto mit der Moskwitsch-Filmszene steht auf dem Sideboard im Wohnzimmer von Brian und Lois Norris. Der Hausherr ist auch mit auf dem Bild. Als Statist stellte Brian Norris im Film einen der Genossen vom Abschiedskomitee dar. Ein attraktiver älterer Herr, Typ James Stewart, mindestens. Es ist das größte Foto in einem Raum voller Erinnerungen. Dichtgedrängt stehen Bilder der Kinder auf dem Kaminsims.
„Ich habe eine Familie entwurzelt“, sagt Brian Norris. „Das war idiotisch.“ Brian Norris spricht leise und bedächtig. Zwischendurch bietet er Tee und Sandwiches an. Seinen Besucher hat der hochaufgeschossene Herr im grauen Anzug mit Krawatte empfangen. Das Bild eines englischen Gentleman: höflich formell, aber immer eine Spur ironisch. Beim Reden macht Brian Norris lange Pausen, als wolle er der Erinnerung Gelegenheit geben, sich zu entfalten. Das Wort „idiotic“ wird Norris an diesem Nachmittag noch mehrmals gebrauchen. Wie konnte er, ein gläubiger Mensch und guter Familienvater, nur auf die Idee kommen, sich selbst, seine Frau und seine Kinder in ein solches Abenteuer zu stürzen?
Es war eine Zeit der Zweifel, die hinter Brian Norris lag. Irgendwann war ihm der Glaube abhandengekommen. Er war ja nicht einfach nur ein religiöser Mensch. Brian Norris arbeitete in den 50er Jahren als methodistischer Geistlicher. Und jetzt das! Hatte er Beruf und Berufung verfehlt? Er wollte nicht nur beten und predigen, sondern die Welt tatsächlich verbessern. Gab es da draußen eine andere Idee, mit der sich die Menschheit befreien ließe? Schon als Christ eher ein Linker, näherte sich Brian Norris dem Marxismus an. 1962 trat er der kommunistischen Partei bei. „Das war sehr exzentrisch“, sagt er heute. Bolton ist zwar eine Arbeiterstadt, aber über die Labour-Partei hinaus scherten damals nur wenige nach links aus.
Brian Norris entschließt sich, aktiv beim Aufbau des Sozialismus zu helfen. Die britischen Kommunisten suchen Landsleute, die in der DDR Englisch lehren wollen. Brian Norris sieht seine Chance. Hinter dem eisernen Vorhang liegt für ihn eine bessere Welt. Die Kommunisten verwirklichen dort drüben ihre Utopie, während die Kirche hier ihren Frieden mit der sozialen Ungerechtigkeit macht. Eine Parteidelegation führt den Neuankömmling aus dem nichtsozialistischen Ausland herum. „Potsdam hat mich überwältigt“, sagt Norris. „Sie zeigten mir Sanssouci, und ich konnte es kaum glauben.“ So schön kann Sozialismus sein.
Die beiden jüngeren Kinder kommen mit in die DDR. Die älteste Tochter, schon ein Teenager, ist in einem Internat in England untergebracht. Man kann sich ja in den Ferien sehen. „Wir haben unser Haus verkauft und die Brücken hinter uns abgebrochen“, sagt Brian Norris. „Ich dachte, wir bleiben sicher ein paar Jahre drüben.“
Die Vorstellung an der Universität Halle bringt für Brian Norris dann aber schon die erste Überraschung: Die Sekretärin redet den Rektor mit „Magnifizenz“ an. Das kommt dem Genossen aus England wenig kollektivistisch vor. Doch zunächst ist Norris auch hier von der Aura des Ortes angetan. Er lebt jetzt im Lande Luthers, im Lande der Reformation. Zwar hat er sich vom Protestantismus abgewandt, aber den Reformern und Revolutionären jener Zeit fühlt er sich weiter verbunden.
Die Irritationen halten an. „Viele Parteimitglieder in der DDR benahmen sich wie englische Konservative“, sagt Norris. „Es ging vor allem um Status und Prestige.“ Der freudlose Umgang mit den Parteikadern macht den Briten zu schaffen. „Humor ist sehr wichtig für uns“, sagt Brian Norris. Dass Deutsche aber insgesamt keinen Humor hätten, sei nur ein britisches Klischee. „Ich habe viele humorvolle Deutsche kennengelernt.“ Norris schenkt Tee nach und erzählt den Witz vom Mann, der einen Trabi bestellt. Er erfährt, dass das Auto in sieben Jahren geliefert wird. Wann genau in sieben Jahren? An dem und dem Tag. Morgens oder mittags? Am Morgen. Das geht nicht, da kommt schon der Klempner.
In Halle wird es bald weniger witzig. Am englisch-amerikanischen Institut rumpeln Panzer vorbei. Sie fahren südwärts. Richtung Tschechoslowakei. „Während des Prager Frühlings wurden wir an der Universität auf die Parteilinie eingeschworen“, erzählt Brian Norris. "Es war aber ohnehin schon so, dass bei Diskussionen vorher feststand, was hinterher rauskommt.“ Immer wieder ermahnen Freunde ihn, nicht jedem zu vertrauen und nicht allzu offen zu sprechen. „Mir war bald bewusst, dass wir von der Stasi überwacht werden“, sagt er. Monat für Monat wächst die Enttäuschung. Viel bleibt nicht mehr übrig vom sozialistischen Traum. „Es konnte im Prinzip jeder ein Spitzel sein“, sagt Brian Norris.
Beeindruckt ist der Kommunist Norris vom evangelischen Pfarrer der Studentengemeinde. „Er hat sich nicht einschüchtern lassen und in der marxistischen Universität seine Gebets- und Gesprächskreise abgehalten.“ Der Pfarrer, von dem Brian Norris schwärmt, heißt Rudolf Schulze. Der 77-Jährige lebt heute in Berlin. „Es war eine etwas skurrile Episode, mitten in der DDR plötzlich einen Engländer mit seiner Familie zu treffen“, sagt Schulze. „Brian Norris kam als Idealist. Er musste miterleben, wie seine Illusionen endeten.“
Für Lois Norris, aus deren Perspektive der Ratcliffe-Film die Geschichte größtenteils schildert, ist das Leben in der DDR unerträglich. „Ich war ohnehin keine besonders überzeugte Kommunistin“, sagt sie. „In die Partei bin ich mehr wegen meines Mannes eingetreten.“ Die Aussage überrascht. Denn den Eindruck, ein Anhängsel ihres Mannes zu sein, erweckt Lois Norris heute auf jeden Fall nicht mehr. Fast ein wenig burschikos wirkt sie in ihrem roten Pullover und der grauen Hose. Durch die großen Gläser ihrer Brille kommentiert sie die Erzählungen ihres Mannes mit sanftem ironischem Blick. „Mein Traum vom Sozialismus ist schon viel früher geplatzt“, sagt Lois Norris.
In der DDR lernt sie kaum Menschen kennen. Lois Norris spricht noch schlechter Deutsch als ihr Mann. Mit der Mangelwirtschaft kommt sie nicht klar. „Schlange stehen war ein Fulltime-Job“, sagt Lois Norris. Sie redet eigentlich nicht gern über ihre Zeit in der DDR. Viele Interviewanfragen britischer Medien hat sie abgelehnt.
Ein halbes Jahr hält es Lois Norris in der DDR aus. Dann hat sie endgültig genug. „Das war’s“, sagt sie ihrem Mann. „Wir fahren zurück.“ – „Wann?“ – „Sofort!“ Mit ihren britischen Pässen macht Familie Norris noch einmal rüber. Für ein paar Monate kommen sie bei Lois Norris’ Mutter unter. Zum Glück findet Brian Norris bald darauf Arbeit. Eine Zeit lang unterrichtet er weiter Englisch.
Lois und Brian Norris pflegen den Kontakt zu den Menschen, die ihnen im DDR-Alltag geholfen haben. Zweimal reisen die beiden in den 70er Jahren nach Halle, um die alten Bekannten zu sehen. Sofort nach dem Mauerfall kommt Rudolf Schulze zu Besuch nach Bolton. Der Pfarrer erinnert sich: „Na, Sie Sieger der Revolution, hat Brian Norris zur Begrüßung gesagt.“
Nach der Heimkehr nähert sich Brian Norris langsam wieder dem Christentum an. Nach einiger Zeit arbeitet er sogar wieder als methodistischer Geistlicher. Brian Norris hat seinen Glauben wiedergefunden – mit dem Umweg über die DDR.
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