Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, April 21, 2007

"Bei mir kann man immer hoffen" (frankfurter rundschau)

Feuilleton
"Bei mir kann man immer hoffen"

Frankfurter Rundschau:
Welche Reaktion auf Ihr Buch Beim "Häuten der Zwiebel" hat Sie am meisten getroffen? War es die aus Israel?

Günter Grass: Auch in Israel gab es verschiedene Stimmen. Damals war Amos Oz bei uns zu Besuch. Wir haben uns umarmt, und er hat mir gesagt, dass er auf meiner Seite steht.Vor allem in Polen, in Danzig etwa, hat Ihr spätes Eingeständnis, als Jugendlicher bei der Waffen-SS gewesen zu sein, für viel Aufsehen, auch zu heftiger Kritik geführt. Wie ist heute Ihre Position zu diesem Echo?Nicht nur Kritik. Der Oberbürgermeister von Danzig und viele Intellektuelle haben nach anfänglicher Kritik, wie etwa Lech Walesa, ihr Urteil revidiert. Ich bin sehr froh und dankbar dafür, dass der Oberbürgermeister von Danzig, der damals im Wahlkampf stand, dieser Kampagne standgehalten hat.

Günter Grass, geboren am 16. Oktober 1927 in Danzig, ist seit Ende der fünfziger Jahre ein Kämpfer für die Verständigung mit Polen. Heute wünscht er sich eine Abwahl der polnischen Regierung. Denn sie - so erklärt Grass - instrumentalisiere die Verletzungen der Vergangenheit. Sie werde Polen in Europa isolieren. Sie sei ein Unglück.

Wie bewerten Sie die neue nationalkonservative Regierung in Warschau?

Sie ist ein Unglück. Sie ist dabei, Polen zu isolieren, auch innerhalb der Europäischen Union. Ich hoffe, dass sie in zwei Jahren abgewählt wird. Bei allem Verständnis für die Angst der Polen ihren beiden Großnachbarn gegenüber - Deutschland und Russland - ist es falsch, nur aus der geschichtlichen Erfahrung heraus eine solche Haltung einzunehmen. Polen fällt es schwer, aus der Opferrolle herauszukommen. Polen ist heute, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, auf dem Weg, ein gegenwartsbezogener Staat zu sein. Polen erlebt zum ersten Mal diese Art von Freiheit, und das im europäischen Verbund. Wenn man dann anfängt, die Verletzungen der Vergangenheit derart zu aktivieren und zu instrumentalisieren, wie das die gegenwärtige Regierung tut, dann bringt das die Gefahr mit sich, dass sich Polen auf die Dauer isolieren wird.

Wenn Sie heute nach Danzig reisen, berührt Sie die Erinnerung an Ihre Jugendzeit in dieser Stadt? Und haben Sie sich hier in Behlendorf bei Lübeck mit Ihrer Heimat neu verortet?

Nein, die Heimat habe ich verloren. Dieser Verlust der Stadt Danzig ist, was ja viele Millionen Menschen auch erlebt haben, ein unwiederbringlicher Verlust. Und ich habe das Privileg gehabt, vielleicht stellvertretend für viele andere Menschen, mit nahezu obessiv das Verlorene literarisch wieder erstehen zu lassen. Aber ich bin nicht bei dem historischen Danzig bis 1945 stehen geblieben. Im Butt spielt zum Beispiel die polnische Freiheitsbewegung, die später dann "Solidarnosc" hieß, eine Rolle. Der erste Aufstand von 1970 in den Ostseehafenstädten Danzig, Stettin und Gedingen macht das Schlusskapitel in diesem Roman aus. Man hat in Polen wahrgenommen, dass ich eben auch die Nachkriegsgeschichte miterzählt habe, bis in den Roman Unkenrufe hinein.

Wann haben Sie innerlich akzeptiert, dass Ihre Heimat verloren ist?

Das ist sehr früh gewesen. Bewusst habe ich es auch sehr früh ausgesprochen, als ich als Bürger politisch aktiv wurde und den Sozialdemokraten im Wahlkampf zu helfen versuchte, was zu dem Zeitpunkt manchem Sozialdemokraten nicht ins Konzept passte. Ich habe, bevor es die Partei tat, in meinen ersten Wahlkampfreden 1965 die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gefordert, als erste Voraussetzung, um in der Sache überhaupt weiter zu kommen. Ich habe es erlebt, wie meine Großeltern väterlicherseits als Ausgewiesene aus Danzig wie auf gepackten Koffern saßen, weil sie an Adenauers Wahlversprechen glaubten: Wir kommen in unsere alte Heimat zurück! So hat man diese alten Leute, nur um Stimmenfang zu betreiben, belogen. Und ich habe erlebt, wie es diesen alten Menschen dadurch unmöglich gemacht wurde, in Lüneburg Fuß zu fassen.

Können sich Polen und Deutsche in absehbarer Zukunft von dieser Last gemeinsamer Erfahrung innerlich freimachen und normal miteinander umgehen?

Ja, ich bin sicher. Wenn man davon ausgeht, dass mit meiner Generation die letzten wegsterben, die das alles erlebt haben. Es ist doch eine gesamtdeutsche Leistung, dass dieses Thema, das Polen betrifft, aber auch Auschwitz und die Folgen, immer wieder auch gegen politische Widerstände Thema geblieben ist. Die deutsche Nachkriegsliteratur hat dazu beigetragen, und das wird auch im Ausland anerkannt, wobei bei den Siegermächten bis heute die Bereitschaft fehlt, sich mit minderen Verbrechen in ihrer eigenen Geschichte, zum Beispiel mit ihrer Kolonialvergangenheit, so auseinanderzusetzen wie wir es in Deutschland gezwungen waren zu tun und wie wir es auch geleistet haben. Das heißt: Aus der Mitschuld wurde eine Verantwortung, die sich bis in die Generation meiner Enkelkinder überträgt. Die sind an diesem Thema interessiert. Und Gleiches trifft auf Polen zu. So sollte man das sehen.

In Ihren Büchern, unter anderem eben auch in der "Blechtrommel", gibt es immer wieder kontroverse Kapitel über Flucht und Vertreibung. Haben die Polen das als eine Schuldzuweisung verstanden?

Das ist überall verschieden. Als ich 1958 zum ersten Mal nach dem Krieg nach Polen kam, zunächst nach Warschau, gab es eine ungeheure Distanz zu mir als Deutschem. Dann fuhr ich am Ende der Reise nach Gdansk, nach Danzig. Ich schrieb damals an der Blechtrommel und wollte noch etwas recherchieren über die Geschichte der polnischen Post. Dort traf ich auf Menschen, die auch Flüchtlinge waren. Die Neubürger von Gdansk waren in ihrer Mehrheit Menschen, die aus Wilna, aus Grodno oder aus Litauen und aus Ostpolen gekommen waren, ausgewiesene Flüchtlinge, die aus den polnischen Gebieten kamen, die nach dem Krieg von der Sowjetunion besetzt worden waren, alles Folgen des Hitler-Stalin-Pakts, die bis heute noch nachwirken. Diese Leute hatten Verständnis für mich, die waren noch nicht heimisch geworden in Gdansk. Die trauerten noch Wilna nach, ganz verständlicherweise. Ich habe das in den Unkenrufen mit zum Thema gemacht. Es gab auch polnische Schriftsteller, die gegen die herrschende Ideologie, noch in der Schlussphase der kommunistischen Zeit diese Fragen gestellt haben: Wir sitzen hier in Häusern an einem Tisch. Wer hat früher einmal an diesem Tisch gesessen?

Die politische Führung in Polen sagt heute: In Deutschland wolle man die Täter wieder zu Opfern machen und die Geschichte umschreiben.

Das ist auch wieder so eine Art Doppelkonzert. Den regierenden Zwillingen in Polen steht eine Frau Steinbach gegenüber, mit ihrem wirklich fahrlässig begründeten Dokumentationszentrum. So schaukelt sich das gegenseitig hoch. Wir haben schon im Kalten Krieg erlebt, wie die extremen Positionen einander sich die Argumente für ihre Polemik zuschieben. Da muss man einen klaren Kopf bewahren. Es gibt genügend Leute in Polen, die das gelassen sehen, und wir in Deutschland haben auch allen Grund, das gelassen zu betrachten. Denn sonst werden wir zurückgeworfen in die Anschauungen und Praktiken des Kalten Krieges und alle Bemühungen, die es auf deutscher wie auf polnischer Seite gibt, so miteinander umzugehen, wie wir es mit Frankreich inzwischen gewohnt sind, werden beschädigt.

Von welchen Autoren wurden Sie beeinflusst?

Das ist vor allem Alfred Döblin, was das Schreiben von Prosa betrifft. Das gilt aber auch für Autoren wie Koeppen, Arno Schmidt oder Peter Rühmkorf. Wir haben alle von unserem großen Lehrer Döblin profitiert. Darum habe ich einen Döblin-Preis gestiftet, und das Haus, in dem ich früher in Schleswig-Holstein wohnte, habe ich nicht verkauft , sondern in ein Döblin-Haus umgewidmet, in dem jüngere und auch ältere Autoren seit zwanzig Jahren Schreiburlaub machen können. Ich möchte das gerne weitergeben, was ich an Glück gehabt habe.

Gab es auch Vorbilder für Sie aus dem Ausland?

In der Lyrik vor allem Apollinaire und die frühen Arbeiten von Lorca. Ich bin mir immer bewusst gewesen, in welcher Tradition meine Art zu schreiben steht. Was die Prosa betrifft, so stehe ich in einer europäischen Romantradition, die etwa in Spanien - halb spanisch, halb maurisch - ihren Anfang nahm, der pikareske Roman. Auch Berlin Alexanderplatz, sogar der Ulysses hat Züge von diesem pikaresken Roman mit seinem Helden, dem sich innerhalb eines Tages die ganze Welt spiegelt. Das ist ein unsterbliches Muster, das offen ist, bis in die Moderne hinein fortgesetzt zu werden, und davon habe ich profitiert. Ich will aber nicht vergessen, auf Hans Werner Richter und seinen Einfluss auf mich während meiner jungen Jahre hinzuweisen. Ich weiß, dass man heute gerne die Gruppe 47 ein bisschen wegschieben will. Wir haben aber allen Anlass, die Leistung von Hans Werner Richter zu schätzen, der sich als Schriftsteller zurücknahm, um über Jahre hinweg diesen verrückten Haufen ein- bis zwei Mal im Jahr zusammenzurufen. Wir haben uns damals auf den Sitzungen der Gruppe ausgetauscht, unsere Manuskripte gegenseitig vorgelesen. Viele von uns haben bei diesen Veranstaltungen ihren Verleger gefunden, auch ich. Das war ein Austausch ohnegleichen. Die deutschen Schriftsteller leben nach wie vor, was ja auch wunderbar ist, in der Zerstreuung. Wir haben nicht wie die Franzosen so einen Wasserkopf Paris oder Madrid, wo alles zentral geordnet ist. Nein, wir haben viele Zentren, und Hans Werner Richter hat uns mit diesen jährlichen Treffen für ein paar Tages so etwas wie ein Surrogat für eine literarische Hauptstadt gegeben.

In diesem Jahr feiern Sie Ihren 80.Geburtstag…

Ja, das ist nicht zu vermeiden.Sie freuen sich auf dieses Ereignis?Meine Frau und ich haben acht Kinder zusammen und einen Haufen Enkelkinder. Freunde kommen dazu. Das feiere ich gerne.

Kann man bei Ihnen auf einen neuen Roman hoffen?

Bei mir kann man immer hoffen, solange ich bei Stimme und Schreibfähigkeit bin. Noch ist mir die Tinte nicht ausgegangen.

Interview: Wolf Scheller

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