Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, May 16, 2007

Wundersame Reise im Reich der großen Führer (Berliner)

Wundersame Reise im Reich der großen Führer
In Nordkorea erfährt der Tourist Erstaunliches: Das Volk findet Jeans unmodern, schützt das Klima und hat gut zu essen
Eduard Esser

PJÖNGJANG. Der "Marsch des großen Führers" erklingt in einer Endlosschleife aus mehreren Boxen. Die fensterlose Halle ist in rubinrotes Licht getaucht, vier Strahler leuchten den Sarg aus. Aufgebahrt hinter dickem Panzerglas liegt der Leichnam Kim Il Sungs, die Augen geschlossen. Der Körper im dunklen Zweireiher, die Beine sind von einer roten Fahne bedeckt. Männer im Sonntagsstaat mit Kim-Il-Sung-Anstecker am Revers und Frauen in Nationaltrachten warten geduldig vor dem Sarg des "großen Führers", um ihren Kotau machen zu dürfen. Einige Nordkoreanerinnen weinen still.

Bevor man zum Totenschrein vorgelassen wird, muss man sich strengen Sicherheitskontrollen unterwerfen. Ähnlich wie bei Tierseuchen waten die Besucher durch Desinfektionswannen. Metalldetektoren suchen Fotoapparate; die sind im Mausoleum verboten. Und direkt vor dem großen Saal pustet eine Luftdusche wie vor Reinsträumen der Chipindustrie den letzten Staub von den Schultern.

Kim Il Sung, der 1994 starb, wird verehrt wie kein anderer in Nordkorea. Überall im Land ist das Gesicht des Staatsgründers zu sehen. "Unser großer Führer Kim Il Sung ist immer bei uns", steht unter einem 20 Meter hohen Porträt im Pjöngjanger Zentrum gemeißelt. Viele Nordkoreaner tragen einen roten Anstecker mit dem Bild des "großen Führers", in keiner Wohnung fehlen seine Fotos und die seines Sohnes Kim Jong Il.

1 500 Besucher pro Jahr erlaubt

Jährlich lässt das Regime etwa 1 500 westliche Touristen in den Norden der koreanischen Halbinsel, jeden Dienstag und Samstag fliegt die nationale Fluglinie Air Koryo Peking an und verbindet das Reich der Kims mit der Außenwelt. In der Kabine der Tupolew 154 aus sowjetischer Produktion beschallen heroische klingende Revolutionslieder die Reisenden. In sozialistisches Rot gekleidete Stewardessen reichen zur Lektüre das englischsprachige Parteiorgan "Pyongyang Times", von dessen Titelbild der "geliebte Führer" Kim Jong Il verkrampft grinst.

"Herzlich Willkommen in Pjöngjang der Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Korea, dem Land des Präsidenten Kim Il Sung und des geliebten Führers Kim Jong Il. Es sind sechs Grad Außentemperatur, wir hoffen Sie hatten einen angenehmen Flug", flötet eine Flugbegleiterin nach anderthalb Stunden Flug in exzellentem Englisch.

Fortan wird der Reisende streng bewacht von zwei staatlichen Aufpassern. Für jedes Foto muss einer der Reiseleiter um Erlaubnis gebeten werden. Aufnahmen von Baustellen oder Motiven, die das Land rückständig oder in unvorteilhaftem Licht erscheinen lassen könnten, sind nicht erlaubt. Tabu sind Bilder von Soldaten, dabei wimmelt es im Land nur so von Uniformen. Bei einer Einwohnerzahl von 23 Millionen Menschen verfügt Nordkorea mit rund 1,2 Millionen Soldaten über die fünftgrößte Armee der Welt.

Nach ausgiebiger Gepäckkontrolle geht es mit dem Auto in Richtung Innenstadt. Kurz vor dem Zentrum versperrt ein monumentales Bauwerk den Weg: ein Triumphbogen. Um fünf Meter überragt das nordkoreanische Jubeltor sein Pariser Pendant. Im Schatten des Ehrenmals, das an den Krieg gegen die japanischen Besatzer erinnern soll, hat sich ein Stau gebildet: sieben blau-weiße Oberleitungsbusse. Das Stromkabel ist gerissen. In den Bussen fügen sich die dicht gedrängten Fahrgäste ihrem Schicksal. Einige schlafen, andere starren in die Ferne. Eine beschädigte Oberleitung passt nicht in die akkurate Planung. "Das ist doch nicht interessant, so etwas sehen sie zu Hause fast jeden Tag", versucht einer der nordkoreanischen Reiseleiter abzulenken.

Ein plumper Versuch, aber ansonsten hat die staatliche Propaganda auf so ziemlich alle Fragen eine Antwort parat. Warum sonntags ein Fahrverbot in Pjöngjang herrscht, wird nicht etwa mit mangelnden Treibstoffreserven begründet, sondern mit der Vorreiterrolle Nordkoreas im Kampf gegen die globale Erwärmung. Jeans würden nur aus einem einzigen Grund nicht getragen: Sie seien seit den 70er-Jahren aus der Mode, man könne nicht verstehen, warum sich die Menschen im Westen noch immer in Denim zwängen.

Die 70er-Jahre, das scheint das richtige Jahrzehnt für diese Stadt zu sein. Pjöngjang wirkt wie eine überdimensionierte Kulisse für einen Revival-Film der Schlaghosendekade. Plattenbauten prägen das Bild, die Straßen sind auffallend sauber, die öffentlichen Plätze menschenleer. In Pjöngjang ist die Zeit stehen geblieben, vom westlichen Einfluss und der Globalisierung losgelöst: keine schrille Leuchtreklame, stattdessen reichlich sozialistische Losungen.

Die staatliche Propaganda ist omnipräsent. Das Staatsfernsehen zeigt beinahe rund um die Uhr Diktator Kim Jong Il. Andere Informationen sind nicht zu bekommen. Radios, die in man Nordkorea kaufen kann, sind so manipuliert, dass südkoreanische Sender nicht zu empfangen sind. Das Internet ist nur einer kleinen Führungskaste zugänglich, und das funktionstüchtige Mobilfunknetz dürfen die Bürger nicht nutzen. Nach einer Testphase wurden sämtliche Handys wieder eingesammelt. Auch Touristen müssen am Flughafen das Taschentelefon abgeben.
Die einzigen Handys befinden sich hinter massiven Bronzetüren im Museum der Völkerfreundschaft, im Norden des Landes. In diesem 400 Meter tief in das Mjohjang-Gebirge getrieben Stollen sind angeblich sämtliche Geschenke ausgestellt, die Kim Vater und Sohn bekommen haben: Gepanzerte Autos von Stalin, ein geschmackvoll eingerichteter Eisenbahnwaggon von Mao, ein angeblich selbst erlegter Bär vom rumänischen Diktator Ceausescu und südkoreanische Mobiltelefone. In der Asservatenkammer finden sich viele Geschenke und Kunstschätze längst verblichener sozialistischer Regierungen. Seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Weltordnung und dem Beginn der internationalen Isolation Nordkoreas Anfang der 90er-Jahre sieht es mit Staatsgeschenken mau aus. Deshalb wird jedes Präsent, sei es noch so schäbig, ausgestellt und mit einer zweisprachigen Beschreibung versehen. So wird die milde Gabe eines anonymen "deutschen Staatsbürgers", das Standardwerk "Die Welt der Architektur" in Taschenbuchausgabe, als Staatsgeschenk gefeiert.
Zwölf Jahre ist Kim Il Sung schon tot, doch noch immer hat er das Amt als "Präsident Nordkoreas" inne. Sein Sohn führt das Land - auch ohne Präsidentenamt - mit einer aggressiven Politik. Das Thema Nuklearwaffen ist Teil der Propaganda: "Wir müssen uns verteidigen, schließlich sind in dieser Sekunde mehr als 1 500 amerikanische Atomraketen von Südkorea auf uns gerichtet", erklärt der Reiseleiter.

Tatsächlich waren während des Kalten Krieges etwa hundert Raketen mit Atomsprengköpfen in Südkorea stationiert, aber dass im September 1991 sämtliche Atomwaffen abgezogen wurden, verschweigt man bewusst. Dass sich im Januar 1992 Nord- und Südkorea vertraglich auf eine kernwaffenfreie Halbinsel geeinigt haben, ist in der nordkoreanischen Bevölkerung unbekannt. Vielmehr erklärt die nationale Propaganda die USA zum Hauptfeind und schwört die nordkoreanische Bevölkerung auf ein Duell zwischen Nordkorea und dem "amerikanischen Aggressor" ein.

Werden die Reiseleiter auf Unterernährung und Hunger angesprochen, geben sie offen zu, dass es in der Vergangenheit Probleme gegeben habe, doch nicht ohne darauf hinzuweisen, dass durch das "großartige Engagement des Genossen Kim Jong Il" die Krise gemeistert worden konnte.

Wie zum Beweis findet Tag für Tag in einem etwa 50 Meter langen, weißen Wellblechcontainer im Pjöngjanger Stadtzentrum ein besonderes Spektakel statt: Gekonnt wirft ein Koch einen Pfannkuchen in die Luft und fängt ihn mit der Pfanne wieder auf. Eine junge Köchin erhitzt in einem Wok Bohnenmus für eine Süßspeise. Fest umklammern ihre Hände den Holzlöffel, gleichmäßig rührt sie die braune Masse. Für 3 000 nordkoreanische Won gibt es eine Pizza, belegt mit Hackfleisch, grüner Paprika und geriebenem Käse. 3 000 Won - das entspricht ungefähr einem Euro oder aber einem Drittel eines durchschnittlichen nordkoreanischen Monatslohns. Die meisten Nordkoreaner können diese Köstlichkeit deshalb nur bestaunen.

Berliner Zeitung, 16.05.2007

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