Knaller an der Zeitungsfront

Friday, June 01, 2007

liebe holländer, von CAROLA RÖNNEBURG

Ihr habt schöne Fahrräder, Grachten, Hausboote, Windmühlen und Poffertjes; neuerdings züchtet Ihr Tomaten mit Geschmack. Frau Antje war immer lieb, Euer Käse ist berühmt. Wir mögen Euch als Fußballgegner, staunen über die gardinenlose Nation und bewundern Euch für Eure liberale Drogenpolitik.

Aber Ihr, Holländer, werdet, sofern Ihr uns nicht foppen wollt, am heutigen Freitag in Eurem Fernsehprogramm zusehen, wie drei so genannte Kandidaten um die Nieren einer todgeweihten Gehirntumorkranken buhlen. Die "Big Donor Show", von den Erfindern der modernen Menschenkäfighaltung produziert ("Big Brother"), solle ein Schlaglicht auf die prekäre Organspende-Situation in den Niederlanden werfen, so Euer Sender BNN. Nur deshalb, klar, werde die 37 Jahre alte Frau, die unter einem inoperablen Hirntumor leidet, bloß als "Lisa" bezeichnet. Ihre Niere solle noch vor ihrem Tod transplantiert werden, erklärte BNN-Sprecherin Marieke Saly. "Nur" so sei nach niederländischen Gesetzen sichergestellt, dass das Organ dem von ihr ausgewählten Spender zugutekomme. Die zweite Niere könne - sozusagen ganz unkompliziert - nach "Lisas Tod" an einen Patienten auf der Warteliste für Organspenden gehen.

Zum Programmablauf teilt dieselbe und ihrer Anstandslosigkeit wohl bisher unübertroffende Pressef**** mit, ihr BNN-Star-auf-Raten werde während der Sendung Interviews mit den drei Bewerbern, ihren Familien und Freunden hören, also raten dürfen, welches Menschen Tod das größte Unglück bereitet. Die Zuschauer wiederum dürfen mitspekulieren und über SMS abstimmen, wen sie für den "geeignetsten" Empfänger des Spenderorgans halten. Gegen den üblichen Idioteneinwählpreis, selbstverständlich. Die Entscheidung, "wer der Glückliche ist", werde "Lisa" treffen.

Als wäre das alles nicht ekelhaft genug, meldete sich auch der BNN-Vorsitzende Laurens Drillich zu Wort. Seine Firma wisse, "dass dieses Programm superkontrovers ist" und dass es "einige Leute" als geschmacklos ansehen würden, "aber wir glauben, dass die Realität noch schockierender und geschmackloser ist: Auf ein Organ zu warten ist wie im Lotto zu spielen."

Also wenn das wahr ist, Holländer, wenn Ihr das hinnehmt und auch noch glaubt, einer super Organspenderwachrüttlershow zuzusehen, dann ist Euch nicht mehr zu helfen. Daher, liebe Holländer: Wenn heute keiner das Stromkabel durchhackt oder den Produzenten so nachhaltig in die Eier tritt, dass er ernsthaft über Ersatz nachdenken muss; wenn Ihr wirklich abwarten wollt, bis Euer schnarchlahmes Parlament in der nächsten Woche über diese Widerwärtigkeit entscheidet, die man ja nicht einmal nicht den Amis zugetraut hätte - dann sollen Eure Fahrräder auf immerdar rosten, die Grachten verschlicken, die Hausboote von Kakerlaken heimgesucht werden und die Poffertjes nur noch in ranzigstem Öl gebacken daherkommen. Eure Tomaten sollen nicht mehr reifen und Frau Antje zum Islam konvertieren. Euer Käse soll an jedem Bahnhof vorbeirollen! Vor allem aber, Holländer, soll jeder von Euch beim Einschalten dieser Show schlagartig einen Gehirntumor bekommen. Mögen außerdem Eure Nieren versagen.

taz vom 1.6.2007, S. 20, 105 Z. (Kommentar), CAROLA RÖNNEBURG

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