Kybernetische Soldaten (fr)
Kolumne
Kybernetische Soldaten
Drei Wochen lang hat Estland eine Invasion erlebt, wie es sie selten gegeben hat, wenn überhaupt. Die Invasoren waren nicht Menschen. Es waren Bits und Bytes. Die Internet-Seiten der Regierung, von Banken, Fernmeldegesellschaften, Internet-Providern, Zeitungen und Zeitschriften brachen unter der Flut ungewünschter Daten zusammen.
Ungewünscht? Dahinter steckte mehr. Es war ein organisierter Angriff. Estlands Verteidigungsminister Jaak Aaviksoo informierte seine Kollegen aus den EU-Mitgliedstaaten bei einer Tagung in Brüssel darüber, und Staatspräsident Hendrik Ilves nannte die Sache am Wochenende auf seiner offiziellen Webseite "Informations- und Cyber-Krieg". Cyber steht für Kybernetik und verweist auf alles, was an Daten elektronisch in die Welt geht.
Was dem kleinen, in elektronischen Dingen hoch entwickelten baltischen Staat widerfuhr, lässt sich so beschreiben: Am 29. April, dann am 9. Mai und nochmals neun Tage später verstopften Millionen Datensendungen die estnischen Netzwerke mit Müll. Es war nicht der Müll, über den jeder Internet-Nutzer sich schon mal geärgert hat. Es war eine koordinierte Aktion. Bei den heftigsten Attacken, rechnet die New York Times aus, wurden jeweils über zehn Stunden lang 90 Megabits pro Sekunde abgefeuert, so viel, als ob alle sechs Sekunden das gesamte Windows-XP-Betriebsprogramm immer wieder hochgeladen worden wäre. Die estnischen Systeme brachen zusammen. Tagelang war das Land von der virtuellen Welt abgeschnitten. Verständlicherweise wird nicht der gesamte Schaden öffentlich genannt.
Der Zeitablauf lässt Rückschlüsse auf die Organisatoren zu. Der 29. April war der Tag, an dem unter heftigem russischem Protest das sowjetische Soldatendenkmal in Tallinn auf einen neuen Platz versetzt wurde. Der 9. Mai ist der Tag des Kriegsendes, den das offizielle Estland als Beginn der Unterwerfung unter eine neue Diktatur - die Stalins - versteht. Russische Spuren also.
Wie man eine solche Invasion der Bits und Bytes organisiert, hatten angeblich russische Internet-Disputanten Tage vorher durchdiskutiert. Behauptet wird, ein Absender sei sogar ein Beamter in der Verwaltung des russischen Präsidenten gewesen. Beweisbar ist das nicht. Moskau dementiert denn auch. Die Invasion benutzte Computer in aller Welt für die Attacke. Das Einspeisen von Trojanern und anderen Datenvehikeln, das der PC-Benutzer nicht bemerkt, macht Millionen elektronischer Rechenknechte zu unfreiwilligen kybernetischen Kampfsoldaten, die auf einen Tastendruck gleichzeitig attackieren.
Ob es nun Russland war oder nicht - im Internet Spuren zu verwischen, ist für Eingeweihte eine recht leichte Übung. Der Vorgang weist auf die Verletzbarkeit der vernetzten Welt hin. Von der Flugsicherung über elektronisches Banking und E-Mails bis zu Nachrichtendiensten kann durch solche Angriffe alles wenigstens zeitweilig unbrauchbar gemacht werden. Selbst die militärischen Netze sind nicht immun. Hacker drangen auch schon ins Pentagon ein.
Dies ist die Horror-Vision: Ein Angreifer setzt die Kommunikationssysteme des Angegriffenen außer Kraft. Der ist wehrlos, richtet gar die eigenen Waffen gegen sich selbst. Gewiss, man kann Netze isolieren. Das geschieht auch. Aber der Cyber-Krieg ist möglich. Hat Estland eine Warnung erlebt? Oder gar eine Generalprobe?
Karl Grobe war lange außenpolitischer Redakteur der FR und ist Buchautor.
Kybernetische Soldaten
Drei Wochen lang hat Estland eine Invasion erlebt, wie es sie selten gegeben hat, wenn überhaupt. Die Invasoren waren nicht Menschen. Es waren Bits und Bytes. Die Internet-Seiten der Regierung, von Banken, Fernmeldegesellschaften, Internet-Providern, Zeitungen und Zeitschriften brachen unter der Flut ungewünschter Daten zusammen.
Ungewünscht? Dahinter steckte mehr. Es war ein organisierter Angriff. Estlands Verteidigungsminister Jaak Aaviksoo informierte seine Kollegen aus den EU-Mitgliedstaaten bei einer Tagung in Brüssel darüber, und Staatspräsident Hendrik Ilves nannte die Sache am Wochenende auf seiner offiziellen Webseite "Informations- und Cyber-Krieg". Cyber steht für Kybernetik und verweist auf alles, was an Daten elektronisch in die Welt geht.
Was dem kleinen, in elektronischen Dingen hoch entwickelten baltischen Staat widerfuhr, lässt sich so beschreiben: Am 29. April, dann am 9. Mai und nochmals neun Tage später verstopften Millionen Datensendungen die estnischen Netzwerke mit Müll. Es war nicht der Müll, über den jeder Internet-Nutzer sich schon mal geärgert hat. Es war eine koordinierte Aktion. Bei den heftigsten Attacken, rechnet die New York Times aus, wurden jeweils über zehn Stunden lang 90 Megabits pro Sekunde abgefeuert, so viel, als ob alle sechs Sekunden das gesamte Windows-XP-Betriebsprogramm immer wieder hochgeladen worden wäre. Die estnischen Systeme brachen zusammen. Tagelang war das Land von der virtuellen Welt abgeschnitten. Verständlicherweise wird nicht der gesamte Schaden öffentlich genannt.
Der Zeitablauf lässt Rückschlüsse auf die Organisatoren zu. Der 29. April war der Tag, an dem unter heftigem russischem Protest das sowjetische Soldatendenkmal in Tallinn auf einen neuen Platz versetzt wurde. Der 9. Mai ist der Tag des Kriegsendes, den das offizielle Estland als Beginn der Unterwerfung unter eine neue Diktatur - die Stalins - versteht. Russische Spuren also.
Wie man eine solche Invasion der Bits und Bytes organisiert, hatten angeblich russische Internet-Disputanten Tage vorher durchdiskutiert. Behauptet wird, ein Absender sei sogar ein Beamter in der Verwaltung des russischen Präsidenten gewesen. Beweisbar ist das nicht. Moskau dementiert denn auch. Die Invasion benutzte Computer in aller Welt für die Attacke. Das Einspeisen von Trojanern und anderen Datenvehikeln, das der PC-Benutzer nicht bemerkt, macht Millionen elektronischer Rechenknechte zu unfreiwilligen kybernetischen Kampfsoldaten, die auf einen Tastendruck gleichzeitig attackieren.
Ob es nun Russland war oder nicht - im Internet Spuren zu verwischen, ist für Eingeweihte eine recht leichte Übung. Der Vorgang weist auf die Verletzbarkeit der vernetzten Welt hin. Von der Flugsicherung über elektronisches Banking und E-Mails bis zu Nachrichtendiensten kann durch solche Angriffe alles wenigstens zeitweilig unbrauchbar gemacht werden. Selbst die militärischen Netze sind nicht immun. Hacker drangen auch schon ins Pentagon ein.
Dies ist die Horror-Vision: Ein Angreifer setzt die Kommunikationssysteme des Angegriffenen außer Kraft. Der ist wehrlos, richtet gar die eigenen Waffen gegen sich selbst. Gewiss, man kann Netze isolieren. Das geschieht auch. Aber der Cyber-Krieg ist möglich. Hat Estland eine Warnung erlebt? Oder gar eine Generalprobe?
Karl Grobe war lange außenpolitischer Redakteur der FR und ist Buchautor.
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